Dieses Jahr jährte sich zum 19. mal der rassistische Brandanschlag auf die Asylbewerber_innen Unterkunft in der Lübecker Hafenstraße. Dies nahmen wir zum Anlass ein deutliches Zeichen zu setzen. Ein Zeichen für den Bruch mit der rassistischen und mörderischen Flüchtlingspolitik in der BRD, in Europa und mit dem strukturellen und alltäglichen Rassismus. Jedes Jahr findet ein Gedenken an die Opfer dieses Anschlages in Lübeck statt und wir finden es unumgänglich uns hieran zu beteiligen und über das staatliche Maß an Bedauern hinaus, die Aufklärung von damals und heute zu kritisieren und mit aller Kraft in die Gesellschaft hinein zu intervenieren damit sich dieses Ereignis nicht wiederholen kann. Daher haben wir rund um den Gedenktag am 18. Januar verschiedene Aktionen organisiert. Um uns auf verschiedenen Ebenen der Problematik von Rassismus bewusst zu werden und möglichst viele Menschen auf unterschiedliche Art und Weise zum Nachdenken zu bewegen.
Was fand statt?
Zum Auftakt zeigten wir den Film „Tot in Lübeck“, eine kritische Dokumentation über die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nach dem bis heute nicht aufgeklärten Brandanschlag. Sowohl zu einer Vorstellung im Café Brazil auf dem Gelände der Alternativen e.V., als auch in der Universität kamen mehr Leute als erwartet und als die letzten Jahre.
Als nächstes hatten wir für Samstag den 17. Januar eine Demonstration unter dem Motto „Refugees Welcome“, gegen Rassismus organisiert. Dabei können wir auf eine starke linke Demonstration mit mehr als 4.000 Teilnehmer_innen zurück blicken. Schon bei der Auftaktkundgebung war die erwartete Zahl von 1.000 um mehr als das Doppelte übertroffen worden. Zwischenzeitlich reichte der Demonstrationszug vom Lindenteller bis in die Holstenstraße. Obwohl es sich um eine lokale Demonstration handelte, kamen Aktivist_innen aus Rostock, Hamburg und Kiel. Allgemein waren wir Viele und werden auch viel daran setzen bei den nächsten Demonstrationen und Aktionen noch mehr zu sein. Auch das Torsten Albig als Privatperson auf unser Demonstration erschien, können wir mit einem Augenzwinkern als Erfolg werten.
Zuvor gab es am Hauptbahnhof zahlreiche Reden mit kurzen Übersetzungen auf farsi, französisch, kurdisch und arabisch. Die Rede vom Flüchtlingsforum thematisierte unter anderem, dass „der Anschlag [...] damals - wie auch die Anschläge in Rostock-Lichtenhagen, Solingen, Mölln und anderen Orten, eingebettet in ein öffentliches Klima, in dem Teile von Politik und Medien die Angst vor (Zitat:) „Flüchtlingsströmen“ schürten, [war] und betonte, dass „Diese Gefahr […] jetzt wieder gegeben [sei] - Parteien wie die AFD ziehen in die Landtage ein, etablierte Parteien wollen die Lage der Flüchtlinge wieder verschärfen, Abschiebungen forcieren und ihre rechtlichen Möglichkeiten beschneiden.
Weiter wurde berichtet: „Es gab im Jahr 2014 über 34 Brandanschläge und viele Sachbeschädigungen gegen Asylunterkünfte, über 60 dokumentierte tätliche Übergriffe oder Körperverletzungen gegen Geflüchtete und 260 Demonstrationen gegen die Unterbringung Asylsuchender. Ungezählt sind die nicht angezeigten Übergriffe und verbalen Attacken, denen Geflüchtete und Migrant_innen im Alltag vielfach ausgesetzt sind.“
Es wurde gefordert „ganz bewusst Geflüchtete und Migrant_innen Willkommen [zu] heißen! Sie sollen sicher sein: sicher vor Übergriffen, sicher vor Rassismus, sicher vor Abschiebung.“ und „die europäische und deutsche Flüchtlingspolitik so zu ändern, dass das tausendfache Sterben im Mittelmeer und an allen europäischen Außengrenzen aufhört.“
Mehrere Geflüchtete erzählten, was sie in Deutschland für Erfahrungen gemacht haben, was sie von dem rassistischen Klima halten und für die Zukunft wünschen. Mohammad berichtet in einer emotionalen Rede: „Mein größter Wunsch ist, dass es auf der ganzen Welt keine Waffen und keine Grenzen mehr gibt.“ Sichtbar bewegt klatschen fast alle wie bei keinem andern Beitrag und das auch wegen der Klarheit seiner Botschaft.
Die Menschen auf der Demonstration hielten Schilder in den Himmel, mit Sprüchen wie „Refugees welcome!“, „kein Mensch ist illegal“, „join your local antifa“ oder der Frage nach Khaled Idris Bahray. In ihren Sprüchen hießen sie Geflüchtete Willkommen und forderten eine Abkehr von der rassistischen Flüchtlingspolitik. Auch bei der Rede der Interventionistischen Linken, kamen vielen durch das Benennen der aktuellen Geschehnisse die Erinnerungen an die 1990 Jahr nochmal hoch.
„Der Mord an Khaled Idris Bahray in Dresden vor wenigen Tagen, bei dem die Dresden Polizei trotz Blutlache und sichtbaren Stichwunden zunächst alle Spuren verwischte, ein Gewaltverbrechen leugnete und schließlich erst nach öffentlichem Druck 30 Stunden später die Spurensicherung schickte, ist dafür nur das jüngste und besonders krasse Beispiel.“
Nach dem Brandanschlag 1996 wurden „dringend tatverdächtige Neonazis, in der Brandnacht in der Nähe des Tatorts aufgegriffen, mit frischen Brandspuren an den Haaren, [...] wieder laufen gelassen. Stattdessen beschuldigten die Lübecker Polizei und Lübecker Staatsanwaltschaft einen Hausbewohner, einen Geflüchteten, sein eigenes Haus in Brand gesetzt zu haben und sich danach seelenruhig über dem gelegten Feuer wieder ins Bett gelegt zu haben. Diese absurde Beschuldigung führte in zwei Prozessen zu einem klaren Freispruch – aber auch dies nur durch eine engagierte Verteidigung und die unermüdliche Prozessbegleitung durch antirassistische Initiativen.
Aber die Hauptsache war erreicht: In der Öffentlichkeit war der Brand kein rassistischer Anschlag mehr, Konsequenzen mussten nicht gezogen werden, das „deutsche Ansehen im Ausland“ war gerettet. Das Verbrechen gilt seitdem offiziell als unaufgeklärt und die Erinnerung daran spielt auch in Lübeck keine große Rolle mehr.“ Statt sich gegenseitig zu „versichern, dass wir für Toleranz und Mitmenschlichkeit, gegen Rassismus und für eine Willkommenskultur sind.“ Ginge es viel mehr „nicht ums Reden, sondern ums Handeln. Darum, sich den PEGIDAs tatsächlich und körperlich mit Blockaden in den Weg zu stellen, wo immer sie marschieren wollen.“ „Es geht darum, die Parteien nicht mit Sonntagsreden davon kommen zu lassen, sondern sich dafür einzusetzen, dass die Einreise nach Europa mit Fähren und Flugzeugen möglich ist, anstatt mit Schlauchbooten über das offene Meer.“ Diese Forderungen stark zu machen gilt es gerade, weil „staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus, [...] deshalb so tief verwurzelt ist, weil er auf den kapitalistischen Prinzipien von Konkurrenz und Spaltung basiert.“
Am 18. Januar fand die offizielle Gedenkveranstaltung in der Hafenstraße statt. Wir waren dort um Françoise Makudila und ihren fünf Kindern Christine, Miya, Christelle, Legrand und Jean-Daniel Makudila, Rabia El Omari, Maiamba Bunga, Nsuzana Bunga und Sylvio Amoussou zu gedenken. Und es kamen mehr Menschen als in den letzten Jahren, was wir als Erfolg unser breiten Mobilisierung und als Zeichen dafür, dass wir Menschen erreicht haben und ihnen deutlich machen konnten, was Rassismus für Auswirkungen haben kann und nicht vergessen werden darf.
Am Abend des 18. Januar wurde dann der Film „Persona non data“ gezeigt, bei dem es sogar so voll im Kommunalen Kino Koki wurde, dass mehr als 30 Personen keinen Platz finden konnten. In dem Film erzählen vierzehn Menschen die Geschichte ihrer Flucht. Als letzte Veranstaltung dieser Reihe wird es am Donnerstag den 29. Januar das dokumentarische Theaterstück „Asyl- Dialoge“ geben. Ihr seid alle herzlich eingeladen um 19h in die Diele (Mengstr. 41- 43) zu kommen.
Was bleibt?
Wir gehen motiviert und gestärkt aus diesen Tagen heraus. Die Demonstration und die zahlreichen Veranstaltungen haben uns gezeigt, dass wir die Lübecker_innen auch mit radikalen Positionen erreichen können. Sie haben aber auch gezeigt, wie wichtig es ist für sie zu streiten und sich einzumischen. Bei den nächsten Demonstrationen müssen wir wieder drauf achten, dass wir es bleiben, die die entscheidenden Inhalte setzten.
Aus den Erfahrungen und Diskussionen der vergangenen Jahre ist deutlich geworden, dass antirassistische und antifaschistische Kämpfe zusammen geführt werden müssen. Die rassistischen Mobilisierungen auf der Straße mit Pegida und co., das rechtspopulistische Parteienprojekt AfD sowie der institutionelle Rassismus gehen zurück auf einen gesellschaftlich verankerten Rassismus. Mit der Forderung nach gleichen Rechte für alle hier lebenden Menschen müssen wir diesem offensiv entgegentreten, denn das Problem heißt Rassismus.
Nichts und Niemand ist vergessen!
Redebeitrag der Interventionistische Linke Lübeck
Am 18. Januar 1996 stand ich – gemeinsam mit vielen anderen Menschen, die ihre Anteilnahme und Solidarität zeigen wollten – vor dem ausgebrannten Haus in der Lübecker Hafenstraße 52. Entsetzt und fassungslos über den rassistischen Mord an 10 Menschen, die in der Flüchtlingsunterkunft verbrannt worden waren. Und gleichzeitig unendlich zornig und wütend. Wütend vor allem auf eine staatliche Politik, die Asylbewerber_innen nicht als Menschen, sondern als Kostenfaktor und Belastung gesehen hat, als willkommene Sündenböcke für die sozialen Verwerfungen und die Massenarbeitslosigkeit nach dem Anschluss der DDR. Eine Politik, die die Geflüchteten in überfüllte und oft baufällige Unterkünfte gepfercht hat, und sie so als Anschlagsziel für die neonazistischen Mordbrenner geradezu auf den Präsentierteller gelegt hat.
Nach dem 18. Januar 1996 war uns allen klar, was jetzt geschehen müsste: Auflösung der Heime, Unterbringung der Geflüchteten in normalen Wohnungen, Bleiberecht für die Überlebenden, Verfolgung und Verurteilung der rassistischen Täter und vor allem: Eine Umkehr in der staatlichen Flüchtlingspolitik, die Rücknahme der kurz zuvor erfolgten Verstümmelung und quasi-Abschaffung des Grundrechts auf Asyl. Übrigens ein Eingriff in die Verfassung, der 1993 auf dem Höhepunkt der rassistischen Stimmungsmache und Gewaltwelle nur mit den Stimmen der SPD und maßgeblicher Beteiligung des damaligen Vorsitzenden Björn Engholm, auch ein Lübecker, möglich war.
Bei der Unterbringung der Geflüchteten ist – zumindest in Lübeck – in der Folge einiges Positives geschehen. Auch das Bleiberecht der Überlebenden konnte schließlich durch massiven Druck für alle ehemaligen Hausbewohner durchgesetzt werden. Jedenfalls für alle bis auf einen, der bis heute, 19 Jahre später, mit den bundesdeutschen Behörden um seinen Aufenthalt kämpfen muss.
Aber in der Hauptsache, der Behandlung von Geflüchteten, der staatlichen Asylpolitik, die auf Entrechtung und Abschreckung setzt und dabei in Kauf nimmt, rassistische Stimmungen zu schüren, ist eigentlich nichts geschehen. Das hängt auch damit zusammen, was nach dem furchtbaren Anschlag der eigentliche Skandal von Lübeck ist:
Dringend tatverdächtige Neonazis, in der Brandnacht in der Nähe des Tatorts aufgegriffen, mit frischen Brandspuren an den Haaren, wurden wieder laufen gelassen. Stattdessen beschuldigten die Lübecker Polizei und Lübecker Staatsanwaltschaft einen Hausbewohner, einen Geflüchteten, sein eigenes Haus in Brand gesetzt zu haben und sich danach seelenruhig über dem gelegten Feuer wieder ins Bett gelegt zu haben. Diese absurde Beschuldigung führte in zwei Prozessen zu einem klaren Freispruch – aber auch dies nur durch eine engagierte Verteidigung und die unermüdliche Prozessbegleitung durchantirassistische Initiativen.
Aber die Hauptsache war erreicht: In der Öffentlichkeit war der Brand kein rassistischer Anschlag mehr, Konsequenzen mussten nicht gezogen werden, das „deutsche Ansehen im Ausland“ war gerettet. Das Verbrechen gilt seitdem offiziell als unaufgeklärt und die Erinnerung daran spielt auch in Lübeck keine große Rolle mehr.
Heute, 19 Jahre später, stehen wir also wieder oder immer noch auf den Straßen und demonstrieren gegen Rassismus. Vieles ist wie ein Dejá vu. Wie in den 90igern zieht in vielen Orten ein rassistischer Mob durch die Straßen. Wie in den 90igern kochen Parteien darauf ihr politisches Süppchen und schwadronieren davon, dass man die Sorgen der Menschen verstehen müsste. Ausgerechnet der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg hebt im Bundesrat seine Hand für die jüngste Verschärfung des Asylrechts.
Und wie in den 90igern versagen Polizei und Justiz systematisch bei der Aufklärung von rassistischen Verbrechen. Der Mord an Khaled Idris Bahray in Dresden vor wenigen Tagen, bei dem die Dresden Polizei trotz Blutlache und sichtbaren Stichwunden zunächst alle Spuren verwischte, ein Gewaltverbrechen leugnete und schließlich erst nach öffentlichem Druck 30 Stunden später die Spurensicherung schickte, ist dafür nur das jüngste und besonders krasse Beispiel.
Am schlimmsten aber ist das fortdauernde Verbrechen an den europäischen Außengrenzen, das von so vielen achselzuckend als normal oder nicht zu ändern hingenommen wird. Tausende von Menschen ertrinken jedes Jahr im Mittelmeer, weil ihnen alle anderen Wege zur Flucht ins vermeintlich sichere Europa verschlossen sind. Schätzungen gehen von 23.000 Toten seit dem Jahr 2000 aus. Eine wirklich massenmörderische Grenze, die Europa da um sich gezogen hat.
In dieser Situation hilft es wenig, wenn wir uns heute auf diesem Platz versichern, dass wir für Toleranz und Mitmenschlichkeit, gegen Rassismus und für eine Willkommenskultur sind.
Wir brauchen vielmehr den Mut den Schleier der herrschenden Doppelmoral zu zerreißen, und den Konflikt einzugehen nicht nur mit den Nazis und offenen Rassisten, sondern auch mit dem staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus, der deshalb so tief verwurzelt ist, weil er auf den kapitalistischen Prinzipien von Konkurrenz und Spaltung basiert.
Es geht also nicht ums Reden, sondern ums Handeln. Darum, sich den PEGIDAs tatsächlich und körperlich mit Blockaden in den Weg zu stellen, wo immer sie marschieren wollen. Darum, Geflüchteten zuzuhören und bei ihrem Kampf mit den Ausländerbehörden und dem alltäglichen Rassismus zu unterstützen. Sie, wenn nötig auch aufzunehmen und zu verstecken, um sie vor Abschiebung zu schützen. Es geht darum, die Parteien nicht mit Sonntagsreden davon kommen zu lassen, sondern sich dafür einzusetzen, dass die Einreise nach Europa mit Fähren und Flugzeugen möglich ist, anstatt mit Schlauchbooten über das offene Meer. Es geht darum, von der SPD in Hamburg zu verlangen, den Kriegsflüchtlingen von Lampedusa in Hamburg einen sicheren Aufenthalt nach §23 zu geben. Es geht darum, dass mit der rassistischen und mörderischen Flüchtlingspolitik in Deutschland und in Europa gebrochen werden muss, dass sie radikal umgekehrt werden muss.
Dafür müssen wir uns einsetzen und kämpfen – und wenn es noch einmal 19 Jahre dauert.
Solidarischer Support
Hafenstraße'96 - Nichts und Niemand ist vergessen!
Weitere Informationen unter hafenstrasse96.org
Presse
13.01.2015 - Lübecker Nachrichten - Kein Platz für Rassismus und Gewalt
17.01.2015 - HL-live - 3000 Lübecker demonstrieren für Toleranz
17.01.2015 - NDR - Schleswig-Holstein - Fast 5.000 Menschen demonstrieren für Flüchtlinge
17.01.2015 - Lübecker Nachrichten Online - Fast 5000 Menschen demonstrieren: "Flüchtlinge willkommen!"
18.01.2015 - HL-live - Gedenken an die Brandkatastrophe
Wem ist damit geholfen,