[No Tav] 8 Dezember: Am Zaun und auf der Autobahn

No TAV

Die Gegner der geplanten Hochgeschwindigkeitsstrecke durch das italienische Susa Tal bleiben in Bewegung. Einmal mehr waren sie am 8. Dezember auf den Beinen, nicht nur zum Gedenken einer epochalen Schlacht am 8. Dezember 2005, sondern weil es angesichts unentwegt wachsenden Drucks und ständiger Schikanen auf allen Ebenen um so mehr gilt, den Widerstand zu voranzubringen.

 

Sie bleiben unermüdlich, allen Schikanen zum Trotz. Weiter hagelt es freiheitseinschränkende Maßnahmen, Durchsuchungen, Strafverfahren; weiter werden sie massiv polizeilich bekämpft, überwacht und exzessiv mit Tränengas traktiert. Ständig erleben sie, wie ihre Aktionen polizeilich und medial diffamierend umgedichtet werden, während der etliche Millionen teure Bau der Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke unentwegt Gegenstand konsequent manipulativer, höchst lobby-ergebener Berichterstattung ist. Die ständige polizeiliche Besetzung der umstrittenen Baustelle, die der Realisierung eines Untersuchungstunnels dienen soll und zugleich Hauptquartier der Ordnungskräfte ist, erschwert kontinuierlich auch die alltäglichen Lebens-und Arbeitsbedingungen der Menschen im Tal.

 

Zügig und geschlossen wie seit jeher reagieren die Bahngegner weiterhin auf jede Schikane, auf jede Verleumdung, auf jede Lüge und auf jeden Repressionsakt, während nahezu täglich Neues geschieht. Kürzlich etwa erhielten Eltern, deren Kinder höchstrichterlich als gefährdet angesehen wurden, weil sie Flugblätter verteilt hatten, Vorladungen ins Jugendamt. Eine beherzte Mobilisierung zur Begrüßung von Innenministerin Cancellieri, die sich zum Solidaritätsbesuch bei den Ordnungskräften angekündigt hatte, fand derweil erst recht bewegten Ausgang, weil diese kurzfristigst absagte. Prompt mit massivem CS-Beschuss und Wasserwerfereinsatz quittiert, entsteht nur wenig später spontaner Protest gegen die unvermittelte Aufstellung von Bohranlagen.  Wenige Tage später kommt es anschließend zu 19 Festnahmen im ganzen Land, auf die von den No Tav umgehend mit klarer Stellungnahme reagiert wird. Zeitgleich wird unweit der Zufahrtstrasse zur Baustelle ein von den Bahngegnern in den Vorwochen erbautes und gerade erst eingeweihtes Präsidium bis zur zwischenzeitlichen Rückeroberung polizeilich beschlagnahmt und abgeriegelt. Erneut galt es Stellung zu nehmen und zu protestieren. Ein Prozess gegen 46 im Jahr 2011 verhaftete Personen, von denen erst vergangene Woche die letzten beiden unter Auflagen aus der Untersuchungshaft kamen, wurde trotz massenhafter Präsenz von Solidarischen zunächst in einem winzigen Saal des Gerichtshofs eröffnet.

  

Die - keineswegs allumfassende - Abfolge der Ereignisse in den allerletzten Wochen hatte bereits genügt, um mit besonderer Intensität auf den bevorstehenden 8. Dezember zu blicken, das 1. Dezemberwochende und der darauf folgende Montag sollten jedoch weitere prägende Erfahrungen bieten. Im Vorfeld und während einer Demonstration im französischen Lyon anlässlich eines Treffens der Ministerpräsidenten Monti und Hollande wurden die Bahngegner aus dem Susatal und deren französische Mitstreiter sowohl präventiv wie repressiv massiv angegangen. Die italienische politische Polizei reiste ebenfalls nach Frankreich. Nebst Grenzkontrollen und Zurückweisungen, bei denen No tav Aktivisten mitunter über mehrere Stunden im Vorfeld eines Gegengipfels und der Demonstration festgehalten wurden und der Einrichtung einer Roten Zone in Lyon brachten es die französischen Ordnungshüter am 3. Dezember zur Bildung eines gigantischen Kessels, in dem die auf der Lyoner Place Brotteaux protestierenden italienischen und französischen Demonstranten den ganzen Tag festgehalten wurden. Eingeschlossen im Kessel auch 11 Busse aus dem Susatal. Hundertfach wurden Personendaten erhoben, in den NoTav Bussen mitfahrende Polizisten bestimmten die Bedingungen der Abreise der NoTav Busse, bis diese weit außerhalb von Lyon waren.

 

Die Realität der Gegenwart gibt den NoTav derzeit mehr denn je klaren Anlass, vergangene Kampferfolge mit dem größten Selbstbewusstsein zu würdigen, ohne dabei in bloßer Erinnerung zu schwelgen.

Im Folgenden wird der soeben vergangene Tag mit einigen Texten und einer aus zwei Tickern zusammengesetzten Chronologie aus dem Netz dokumentiert.

 

Am Zaun und auf der Autobahn

 

8. Dezember 2012

Sieben Jahre nach der Rückeroberung von Venaus ist das Volk der NoTav weiter unterwegs. Los geht’s mit gemeinschaftlichem Essen in Venaus und Chiomonte. Es sind viele Leute da, Bewohner des Tals, Turiner, Solidarische von Außerhalb, einige Franzosen. Ein Bus, in dem mit Schaumgummibohrern und -schaufeln bewaffneten Römern wird an der Mautstelle Bruere angehalten, wo die Polizei sich rühmt, hunderte Menschen kontrolliert zu haben.

 

Am Vortag hatte es ganz gut geschneit, am Tag der unbefleckten Rebellion scheint jedoch die Sonne. Der klare Himmel ist wunderschön.

 

In Chiomonte gibt die Polizei mit der Blockade sämtlicher Zugänge zum NoTav Pfad zum Fort bzw. zur Baustelle der Maddalena den Ton an.

 

In Giaglione, von wo aus etwa 1500 Leute losziehen werden, bewegt man sich gegen drei Uhr. Auf dem Maultierpfad wurden New-Jersey-Zäune postiert, die umgehend kippen. Es gibt Eis und Schnee, man geht aber weiter. Sehr viele sind mit ihren Kindern gekommen: eine politische Geste, ein Akt der Revolte, die Antwort auf Richter, die Familien Vorladungen zum Jugendamt zustellen lassen, weil ihre Kinder NoTav Flugblätter verteilt haben. Junge Frauen und Männer laufen in Richtung Clarea Tal, an ihrer Hand die kleinen Hände ihrer Kinder. Sie sind das Symbol einer Revolte die den von jenen, die Zerstörung betreiben, unterdrücken und bestehlen geschriebenen Gesetzen keine Beachtung schenkt, wohl aber den Motiven derer, die in einer Gegenwart lebt, die aus Kampf besteht, um nicht eine Zukunft ohne Würde ertragen zu müssen.

 

Die Polizei wartet an der Brücke über dem Clarea Fluss auf die NoTav. Digos (Spezialisten für "Politische") und Bereitschaftspolizei.

 

Es gibt ein lange anhaltendes, von Liedern und Parolen begleitetes Sich-gegenüber-stehen. Bei Anbruch der Dämmerung kehrt man um. Mancher bleibt auch als es dunkel ist, es wird versucht, die Zäune durchzuschneiden. Die Polizei schießt Tränengas auf Menschenhöhe, dann verfolgt sie erfolglos die NoTav.

 

In Chiomonte halten die NoTav am Nachmittag eine Vollversammlung ab. Wenn der Zugang zum Weg blockiert ist, bleibt nichts Anderes übrig, als sich der Hauptverkehrsader der Besatzungstruppen und des Skitourismus zu bedienen. Gerade in diesen Tagen hat die Region Piemont beschlossen, die künstliche Erzeugung von Schnee mit 3 Milliarden zu finanzieren, um den Betrieb der Anlagen zu sichern. Kunstschnee trocknet die Wasserressourcen aus und belastet den Boden, die Berge werden in ein Spielplatz verwandelt, für diesen Schnee werden aber Alle bezahlen, auch die, die respektvoll mit dem Gebirge umgehen. Die NoTav besetzen die Autobahn auf Höhe des Cels-Tunnels, eine Barrikade geht in Flammen auf, bevor die Aktivisten den Bereich wieder verlassen.

 

Die A 32 wird noch mehrere Stunden geschlossen bleiben.

 

Sieben Jahre nach den Venaus-Tagen sind wir immer noch auf den Beinen. Wir haben schon einen langen Weg hinter uns und lang ist auch der Weg, der noch vor uns liegt. Der Rhythmus eines Volkskampfes (lotta popolare) bestimmt den Takt unserer Schritte.

 

Schau' Dir die Bildergalerie von Luca Perino an

 

Originaltext: hier 

 

Chronologie

 

13:00 [infoaut] Der 8. Dezember beginnt als ein Kampftag, der einer immensen Militarisierung gegenüber steht: Kontrollen, Durchsuchungen, und festgesetzte Busse. Zahlreiche Kontrollposten an Mautstellen und auf den Landstraßen. Ein Bus wurde an der Mautstelle bei Rivoli blockiert, es wurden Kontrollen und Durchsuchungen durchgeführt, sämtliche Ausweispapiere wurden abgelichtet und die Personen einzeln abfotografiert. An Bord wurden Presslufthämmer, Bohrtürme und Schaufeln gefunden, allesamt aus Schaumgummi. Bei Bussoleno wurden in Richtung Baustelle fahrende Mannschaftswagen gesichtet, mehrere Helikopter überfliegen das Gebiet. Von der Nutzung der Autobahn, um Giaglione zu erreichen, wird abgeraten. Von Frauen, Männern und Kindern erfreulich gut besucht sind die beiden in Venaus und Giaglione angekündigten Mittagsküchen.

 

13:00 [notav info] NoTav Bus aus Rom in Rivoli angehalten und durchsucht: es wurden Bohrtürme und Schaufeln gefunden, aber nur aus Schaumgummi. Die polizei ist untröstlich: sie muss sie gehen lassen.

 

14:00 [infoaut] Ein Polizeitrupp hat vor einigen Minuten die Baustelle verlassen, sie haben den Baustelleneingang gen Chiomonte genutzt und Stellung auf der Brücke bezogen. Auf diese Weise wird der Zugang zum Pfad blockiert, der in das Clarea-Tal führt. Nach der großen Militarisierung zur Erschwerung der Anfahrt nach Chiomonte und Venaus scheint dieser weitere, auf jeden Fall lächerlich anmutende Schachzug die in das Clarea-Tal strebenden NoTav aufhalten oder entmutigen zu wollen. Im Augenblick ist die Lage ruhig, wobei nicht klar ist, was die Polizei genau vor hat.

 

14:00 [notav info] Tausende NoTav bevölkern Giaglione, die Straßen sind durch den regen Verkehr bis außerhalb der Ortschaft völlig verstopft. In chiomonte sind Hunderte zusammen gekommen.

 

14:30 [infoaut] Der Spaziergang der NoTav mit Startpunkt Giaglione ist Richtung Clarea-Tal losgezogen, während weitere NoTav, die durch die Straßenkontrollen augehalten wurden erst eintreffen. Auf der Anderen Teilseite, an der Chiomonte-Front, verbleibt die Polizei auf der Brücke, die NoTav werden so gehindert, die Brücke zu benutzen, um das Clarea-Tal zu erreichen. Die Blockade der Brücke wird durch die Polizei mittels Metallgitter verstärkt, während die anwesenden NoTav die Lage besprechen.

 

14:30 [notav info] Die Demonstration aus Giaglione macht sich auf den Weg. Aus Chiomonte trifft die Nachricht ein, dass die Polizei rausgekommen ist, um die Pfade zum Clarea Tal und 2-3 Schlüsselpunkte zu blockieren.

 

15:00 [notav info] Die Demonstration aus Giaglione ist auf 100 Meter zur Autobahn gelangt. Die Straße ist im Augenblick mit New-Jersey Zäunen versperrt. Sie werden nach und nach umgelegt und überklettert, damit die Demonstration weiter kann. Ein Anwalt vom Legal Team der NoTav weist darauf hin, dass die Maßnahme der Absperrung der Straße in Abwesenheit einer entsprechenden Verfügung des Präfekten illegal ist. Die Blockade hält den entschlossenen Marsch der Talbewohner und Aller, die in ganz Italien mit ihnen gegen die Hochgeschwindigkeitsstrecke kämpfen ohnehin nicht auf.

 

15:15 [infoaut] Die aus Giaglione gestartete Demonstration ist mit mehreren Tausend NoTav im Begriff, sich dem Clarea Tal zu nähern. Zurzeit sind die NoTav auf Höhe der New-Jersey-Zäune. Der Versuch, die NoTav zu blockieren ist offensichtlich, die Demonstranten beweisen jedoch einmal mehr ihre Entschlossenheit: die Zäune werden überwunden, man klettert darüber oder man reißt sie nieder. Die etwa 200 NoTav die in Chiomonte gegessen haben, treten noch auf der Stelle, nachdem die Polizei sich zur Blockade des Weges ins Clarea-Tal entschlossen hat. Die Vollversammlung geht weiter.

 

15:20 [infoaut] Die Zäune wurden niedergerissen. Tausende NoTav setzen ihren Weg, um das Clarea-Tal zu erreichen fort. Ein weiteres Mal erweist es sich als unmöglich, die NoTav aufzuhalten.

 

15:30 [infoaut] Die etwa 200 NoTav, die sich auf der Talseite von Chiomonte befinden, haben beschlossen, sich weg zu bewegen. Sie wollen einen anderen Weg suchen, um das Clare-Tal zu erreichen.

 

15:50 [infoaut] Die NoTav, die von Giaglione aus losgezogen sind, haben das Clarea-Tal erreicht. Die Polizei steht zur Verteidigung des Forts vor dem Zaun. Die NoTav, die in Chiomonte durch die Polizeiblockade daran gehindert wurden, in das Clarea-Tal zu ziehen, blockieren augenblicklich die Autobahn Bardonecchia-Frejus auf Höhe Exilles.

 

15:50 [notav info] Es mutet wie eine Neuauflage der Auseinandersetzungen am Seghino (2005) an: die Talbewohner drücken gegen die Schilde der an der Brücke über dem Clarea Fluss postierten Polizei

 

16:00 [notav info] Die face-to-face Tuchfühlung an der Brücke dauert an; weitere NoTav überqueren derweil den Clarea Fluss

 

16:24 [notav info] Jetzt stehen die NoTav Frauen den Ordnungskräften an der Brücke gegenüber. Beim Aufkleben von NoTav-Stickern auf die Polizeischilde amüsieren sie sich gut. Die Überquerung des Flusses hält an, zahlreiche NoTav haben die Zäune um die Baustelle erreicht.

 

16:30 [infoaut] Nach der Ankunft haben die NoTav als erstes Feuerwerkskörper gezündet, jetzt geht das Tauziehen an der Brücke über dem Clarea-Fluss weiter. Viele weibliche und männliche Talbewohner, vor Allem Frauen, haben es geschafft, den Fluss zu überqueren, während die Polizeitrupps nicht nur entlang der Ufer, sondern auch an mehreren Orten im Wald postiert sind. Die NoTav sind in Gruppen auch im Wald verteilt. Die, die es geschafft haben, auf die andere Seite des Flusses zu gelangen, bauen mithilfe von Baumstämmen kleine Behelfsbrücken um den Leuten die Flussüberquerung zu erleichtern. Die von den in Chiomonte blockierten NoTav begonnene Blockade der Autobahn Bardonecchia-Frejus hält weiter an.

 

17:00 [infoaut] Nach dem Tauziehen an der Clarea-Brücke gelingt es einigen NoTav, die Zäune um die Baustelle zu erreichen. Die Belagerung beginnt.

 

17:00 [notav info] Die aus Chiomonte gestartete Gruppe hat bei Exilles die Autobahn blockiert. Der Helikopter der Ordnungskräfte fährt trotz der Dunkelheit mit der Verfolgung der Bewegungen der NoTav fort.

 

17:30 [infoaut] Die NoTav, die die Autobahn blockierten, gehen zurück nach Chiomonte.

 

17:50 [infoaut] Die Belagerung der Zäune um die Baustelle dauert an. Die Dunkelheit und der Schnee sorgen für Orientierungsproblemen bei der Polizei.

 

18:00 [notav info] Einige NoTav, die an die Zäune gelangten, stören weiterhin die Ordnungskräfte und zerschneiden die Gitter. Die Ordnungskräfte antworten mit Tränengas.

 

18:30 [infoaut] Die NoTav, die sich an den Zäunen aufhalten und in Gruppen entlang der Baustellenabgrenzung klopfen rhythmisch auf die Zäune und zerschneiden sie. Das Aufgebot der Ordnungskräfte ist äußerst massiv. Sie haben begonnen, Tränengas zu werfen, gleichzeitig ist der Wasserwerfer im Einsatz. Ein Teil der sich oberhalb der Wälder des Clarea Tals aufhaltenden NoTav wird zum Ziel des Tränengasbeschusses der Ordnungskräfte gemacht. CS-Schüsse fallen auch in Richtung des Tunnels, der aus dem Clare Tal nach Giaglione führt. Die Entschlossenheit der Bewegung ist stark, sie widersetzt sich weiter, ungeachtet der Kälte und der großen Dichte des CS-Gas Beschusses. Die Baustelle wird weiterhin von mehreren Seiten belagert.

 

18:30 [notav info] Dem Einsatz des Wasserwerfers und dem Tränengas zum Trotz, das über längere Zeit und in rauer Menge geschossen wurde, ist der Widerstand der NoTav weiter in Gang. Die Ordnungskräfte schießen auch in Richtung des Tunnels zwischen Giaglione und Clarea Tal CS.

 

19:00 [notav info] Es geht los mit der Hatz auf den NoTav. Polizei auf der Straße und auf den Waldpfaden rückt vor. Diverse Verletzte.

 

19:10 [notav info] Radio Blackout berichtet von einigen bisher noch nicht bestätigten Festnahmen.

 

19:20 [notav info] Viele unter den Verletzten wurden von auf Menschenhöhe abgeschossenen CS-Patronen getroffen.

 

19:30 [infoaut] Die Bewegung lässt sich nicht auseinander treiben, sie zieht sich wegen der CS-Wolke und dem Vormarsch der Ordnungskräfte, die weiter in großer Zahl Tränengas schießen in den Wald zurück.

 

19:45 [infoaut] Die Jagd auf die NoTav, die aus dem Clarea Tal auf dem Weg zurück nach Giaglione sind, hat begonnen. Die Polizei dringt auf der Straße und auf den Pfaden vor; es gibt zahlreich durch auf Menschenhöhe geschossene CS Gaspatronen verletzte NoTav. In San Giuliano sind Kontrollposten aktiv.

 

19:45 [notav info] Keine Festnahmen an den Waldpfaden, es sind aber nicht alle NoTav zurück gekommen.

 

20:00 [notav info] Die Rückkehr der NoTav (nach Giaglione) zwischen den Waldpfaden hat begonnen.

 

20:30 [infoaut] Der große Widerstands- und Kampftag vom 8. Dezember ist zu Ende. Alle NoTav sind in Giaglione zurück.

 

20:30 [notav info] Alle NoTav sind zurück in Giaglione

 

Originalticker hier und hier

 


 Der Schlagstock und der Bergschuh

 

Mancher erzählt sie als eine Geschichte, die sich um Züge dreht. Seit langer Zeit ist sie eber eine Geschichte von Leuten. Leute, die mit Geduld, Mühe und einer Prise Risikobereitschaft gelernt haben, dass die Ordnung der Dinge nicht ultimativ vorgegeben ist. Regierung, Politiker und Polizisten zeichnen eine Geometrie der Macht, die auch den Verlauf der Mauern und Zäune bestimmt, die trennen, auseinanderhalten und sperren.

Wer seine Bergschuhe anzieht und auf Gebirgspfaden wandert weiß, dass der Weg der Leute aus Schritten besteht, die sich verflechten, und aus Pfaden im Wald, die es gibt, weil es Leute gibt, die sie begehen und pflegen. Er weiß auch, dass sich Grenzen und Stacheldraht niederreißen lassen und dass es möglich ist, die Männer zu verjagen, die zur Überwachung abgestellt sind.

 

Das haben wir vor sieben Jahren gelernt, im Schnee der Freien Republik Venaus und der Unbefleckten Rebellion.

 

In diesen sieben Jahren haben jene, die uns die Hochgeschwindigkeitsstrecke aufzwingen wollen gearbeitet, um uns zu spalten und unseren Widerstand zu schwächen. Sie haben die Waffen der Politik eingesetzt, aber bloß eine Handvoll Berufspolitiker eingekauft. Dann gab man dem Schlagstock und dem dem CS Gas das Wort, den Polizisten und Richtern. Sie haben Gewalt und Angst eingesetzt, sie konnten uns aber nicht brechen. Sie sind weit geschickter und umsichtiger gewesen als vor sieben Jahren. Sie sind ganz langsam vorgegangen. Sie haben sich die Krise zunutze gemacht und erpresserisch die Arbeit in die Waagschale geworfen. Ein Bluff, der für jene aber effektiv ist, die keine Argumente kennen, sondern nur ein Paar geschickte und gut bezahlte Verkäufer von Lügen und heißer Luft.

 

Sie wissen, dass wir unsere Meinung nicht ändern werden, sie hoffen aber, dass wir uns angesichts der Gewalt und der Schwierigkeiten bei der Blockade der Arbeiten im Clarea-Tal mit der Situation abfinden und nachgeben.

 

Sie haben den Ort für den Bau des Untersuchungstunnels sehr bedacht ausgewählt: er liegt in einer kaum besiedelten Gegend, weit entfernt von den Häusern und dem Blick der Meisten. Ein perfekter Ort für eine militärische Besatzung. Sie hoffen darauf, dass sich die Bewegung bei der Belagerung der militarisierten Baustelle verausgabt.

 

Tun wir ihnen diesen gefallen nicht!

 

Die Kämpfe und die Bewegungen überdauern, wenn sie Punkte gegen den Gegner machen können. Niederlagen laugen auf Dauer aus.

Wir sind nicht mehr im Jahr 2005. Damals zog man spontan los, die Regierung wurde kalt erwischt: in uns war die geballte Kraft des ersten Mals, der Aufstand erfolgte mit der Spontaneität desjenigen, der lernt, während er handelt.

 

Heute brauchen wir Kraft und Intelligenz. Unsere Gegner sind böse, aber nicht dumm. Sie wissen Tücke und Gewalt, Richter und Polizisten und die partizipative Illusion einzusetzen.

 

Heute geht es nicht mehr bloß um die Hochgeschwindigkeitsstrecke. Heute steht die Disziplinierung einer Bewegung auf dem Spiel, die es verstanden hat, sich die Fähigkeit zurückzunehmen, zu entscheiden und eine andere Zukunft zu erdenken, weil sie eine andere Gegenwart zu leben weiß.

 

Unseren Widerstand auf die mit der Hoffnung, dass die Zeit auf unserer Seite sei verknüpfte rituelle Wiederholung des Drucks auf die Baustelle zu reduzieren ist ein erstes Symptom für Resignation. Man geht hin, weil man handeln will, weil man nicht so wie andere Bewegungen enden will, die sich auf eine rein kundgebende Rolle reduzierten. Man geht hin, weil jene Bagger, und jene bewaffneten Männer unerträglich sind. Man geht hin, weil es richtig ist, hinzugehen.

 

Aber: das reicht nicht und es kann unseren Kampf nicht ausschöpfen. Das nicht zu erkennen, wäre kurzsichtig.

Das Fort ist keine zur rituellen Beschneidung von etwas Stacheldraht zu begehende via crucis.

 

Das Beschneiden der Zäune ist zweifellos kraftvoller Ausdruck des Willens, die Regeln eines gefälschten Spiels nicht zu akzeptieren. Bleibt es aber bloße Übung, wird es nutzlos.

 

Wenn sich unsere Barrikaden durch alle Dörfer ziehen werden, wenn die Truppen gezwungen sein werden, über Sestriere zu fahren, weil sich das Tal einmal mehr ihnen verschließt, dann werden wir sehen, wie sie - wie schon im Dezember 2005 und im Februar 2010 - umkehren.

 

Das Susa Tal ist eine lebendige Werkstatt in der Radikalität des Handelns und soziale Verwurzelung eine glückliche Verbindung eingehen, die niemals auf ewig vorausgesetzt wird sondern bei der Herausforderung der Instanzen der Macht ständig erneuert wird.

 

Es ist eine Herausforderung, die Alle einbeziehen kann und muss, die auf die Blockade des Tals, den Generalstreik, die Revolte setzen kann und muss, ohne Reaktivierung von Mediationstischen und Spielchen der Politik - wie es im Dezember 2005 geschah, als uns der Sieg entglitt, weil den Widerstand nicht entschlossen genug aufrecht erhielten.

 

Es wird nicht einfach sein.

 

Einen klar vorgezeichneten Weg, eine sichere Wegstrecke gibt es nicht, bloß Fährten, die sich im Walde verliere könnten. Es ist notwendig, dass gedacht wird, während man handelt und dass man handelt, während man denkt. Jene die schneller, sicherer, stärker sind, müssen bei jedem Schritt stehen bleiben und schauen, wie die Dinge laufen.

 

Man geht entlang des gesamten Weges gemeinsam hin und wieder zurück, und man bleibt, wenn es nötig ist, gemeinsam stehen, und denkt nach.

In den vergangenen eineinhalb Jahren haben unsere Gegner und auch einige nicht sonderlich beherzte Freunde behauptet, dass Gewalt die Diskriminante zwischen den Vielen und den Wenigen sei. In gewisser Hinsicht trifft das sogar zu: die Gewalt der Polizei, die Verhaftungen, die Vorladung von Eltern bei den Jugendämtern können Angst machen. Das nicht zu verstehen wäre kurzsichtig, das nicht zu begreifen wäre sturer Avantgardismus. Was unsere Gegner aber überhaupt nicht verstehen ist, dass ihre Gewalt im Begriff ist, den Konsens mit denen, die Widerstand leisten und mit jenen, die sich exponieren, Prügel riskieren, Gas abbekommen oder in Haft kommen zu konsolidieren.

 

In jenem inzwischen fernen Dezember 2005 haben etliche, die an das Spiel und seine Regeln glaubten begriffen, dass die Karten gezinkt sind und dass am Spieltisch betrogen wird. Immer. Wenn die Ordnung einbricht wird klar, dass Freiheit und Legalität mit unterschiedlicher Tinte geschrieben werden, und dass die eine Tinte die andere löscht. Wenn die Ordnung des Diskurses einbricht, wird die Erzählung der Öffentlichen Ordnung zu bloßer Historie von Unterdrückung.

 

Die Ordnung des Diskurses zu ändern ist das, worauf wir wetten. Es ist kein leichtes Unterfangen, und es genügen vor Allem nicht bloße Worte: ein Handeln ist nötig, dass Beine verleiht, um sich zu bewegen, Puste zum Rennen, Herz zum Verführen und Hirn, um sie sich anzueignen.

Wenn sich die Ordnung des Diskurses ändert, kommen Alle her, um sich mit der Polizei, den Medien, den Richtern auseinanderzusetzen. Die einen in der ersten Reihe, die anderen nur ein wenig entfernt von der Haustür.

 

Das ist es, wovor sie sich fürchten. Das ist es, worauf wir setzen müssen.

 

Wenn keiner zu Hause bleibt, wenn alle wenigstens vor die Haustür treten, hat der Staat nur wenige Möglichkeiten. Er kann schießen oder sich zurückziehen. 2005 haben sie sich zurückgezogen.

 

Jene von 2005 ist eine nicht wiederholbare Alchemie gewesen, weil der Tagesanbruch bei den Bewegungen plötzlich und unerwartet kommt. Wenn Du stehen bleiben möchtest, um ihn festzuhalten, hat er sich schon in den Sonnenaufgang verfärbt.

 

Es geht nicht darum, den gleichen Weg neu zu begehen, sondern zu wissen, dass eine Bewegung nicht in Spieler und Fans aufgeteilt werden kann, um zu gewinnen. Nur wenn Alle einen Beitrag leisten können gehört der Marsch wirklich Allen. Nur wenn man das Spielfeld aussucht kann man ein Rennen mit Handicap vermeiden.

 

Nicht von Ungefähr haben die jüngsten Zulassungen von Klagen Leute getroffen, die außerhalb des Zauns agiert haben: vom Widerstand gegen die Bohrungen 2010 bis zu den Aktionen gegen kollaborierende Unternehmen.

 

In diesen langen Monaten sind Leute aus allen erdenklichen Ecken mit uns auf die Straße gegangen. Die Regierung hat ein beispielloses soziales Gemetzel veranstaltet. Sie haben sich das, was an Freiheit und Gewährleistungen von Rechten übrig blieb genommen, sie haben sich unsere Gesundheit genommen, den Zugang zum Wissen, und zu den für das Leben zwingend notwendigen Ressourcen. Obwohl es Steine hagelt, überwiegen die Angst, die Hoffnung, selbst irgendwie durchzukommen, die miserable Suche nach individuellem davonkommen. Die, die Untergehen sind jedoch etliche mehr, als die, die durchkommen. Der Kampf der NoTav ist der einzige Funke gewesen, der die Resignation gebrochen hat, und Vertrauen darauf geschaffen hat, dass es Möglichkeiten gibt, den Kampf umzudrehen.

 

Wenn es diesem Funken gelingt, seine Flamme kräftig zu halten und es schafft, lebendige Praxis zu werden, dann kann er überall neue Kampfherde zünden.

 

Heute bedarf es eines neuen Pakts der gegenseitigen Hilfe. Eines echten, zwischen all Jenen, die allerorten kämpfen spontan entstehenden Paktes, gewiss aber nicht des x-ten politischen Bündnisses der x-ten Superbewegung, die letzte der Kreaturen, die in kürzester Zeit jene, die sie gebaren umbringt.

 

Bald wird es Wahlen geben, bald werden die Spiele der institutionellen Politik auf dem partizipativem Register ihre Opfer fordern. Es ist Zeit, eine andere Perspektive herzustellen. Es ist an der Zeit, dass die in den vergangenen Jahren zwischen einer Barrikade und den nächsten gemeinsamen Essen erprobte Fähigkeit, ohne zu delegieren Politik zu machen aus dem institutionellen Käfig tritt.

 

Der Aufbau von Volksversammlungen (assemblee popolari) die allerorten ihre eigene Entscheidungsfreiheit behaupten, so dass jenen, die das Spiel der Macht mitmachen delegitimiert werden und ihnen der Wind aus den Segeln genommen wird ist eine ziemlich überall mögliche Perspektive. Viele freie Republiken, viele Kommunen gegen das Gemeine, viele Freiräume, die die Front erweitern, geistige Kräfte und Herzen einbringen und die Karte des Territorium, in dem wir leben neu zeichnen.

 

Nur wenn wir in der Lage sein werden, klug und leidenschaftlich einen anderen Takt zu prägen, werden wir – ein weiteres Mal einen Gegner in Schwierigkeiten bringen, der für niemanden bereit ist, Zugeständnisse zu machen. Es bedarf der Ausdehnung des Konflikts und der ständigen Erschließung neuer Felder der Selbstverwaltung, damit der Kessel durchbrochen wird und die Voraussetzungen geschaffen werden, um sie zu verjagen.

 

Und das, nicht nur von den Zäunen im Clarea-Tal.

 

Es gibt keinen Frieden für jene die kommen, um Krieg gegen uns zu führen.

  

  

Originaltext: hier

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Ganz großes Lob für diesen ausführlichen Bericht aus dem ital.Valle de Susa Tal etc. ...

Ich denke es ist an der Zeit den nächsten Frühlings/Sommerurlaub in Italien zu verbringen und den GenossInnen einen Besuch abzustatten um unsere praktische Solidarität unter Beweis zu stellen....In diesem Sinne:

NO PASARAN! TAV Schottern.............

Bilder vom Polizeieinsatz am Abend

 

Zielen ins verschneite Walddunkel (Bild 10) hat die cops wohl wirklich beschäftigt  ;D

 

Thx für die Doku!