60 Jahre Landesamt für Verfassungsschutz — kein Grund zum Feiern

Stuttgarter Zustände

Am 05. Dezember 2012 feierte das Landesamt für Verfassungsschutz in Stuttgart sein 60-jähriges Bestehen. Durch die vielfältigen Kritik am baden-württembergischen Inlandsgeheimdienst unter Druck geraten kündigte Landesinnenminister Reinhold Gall (SPD) Reformen für den Umbau der Behörde an. Argumente, weshalb der Verfassungsschutz nicht reformiert, sondern abgeschafft gehört, liefert dieser Text.

 

Das Landesamt für Verfassungsschutz (VS), also der baden-württembergische Inlandsgeheimdienst, begeht am 5. Dezember sein 60-jähriges Jubiläum.

Eine Behörde feiert sich selbst, die durch Mitarbeiter der nationalsozialistischen Gestapo, wie dem ehemaligen SS-Hauptscharführer Viktor Hallmayer, mit aufgebaut wurde.

Eine Behörde feiert sich selbst, von der ein Angehöriger im Jahr 2002 Dienstgeheimnisse an den deutschen Chef des rassistischen Ku-Klux-Klan (KKK) verraten haben soll: Konkret soll er den Ku-Klux-Klan vor einer Telefonüberwachung gewarnt haben.

Eine Behörde feiert sich selbst, die notorisch „auf dem rechten Auge blind ist“, die rechte Straftaten, Strukturen und Akteurinnen und Akteure ignoriert und verharmlost und die somit konsequenterweise auch in ihren Jahresberichten unzureichend und inadäquat interpretierte Informationen zum Neonazismus in Baden-Württemberg veröffentlicht. So ist beispielsweise die im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2011 vorgenommene Unterscheidung zwischen "Skinheads" und "Neonazis" nicht haltbar, weil Aussehen und politische Einstellung unzulässig analogisiert werden. Ein Skinhead kann demnach kein Neonazi sein und umgekehrt?! Es liegt auf der Hand, dass beides möglich ist. Das Personenpotenzial der rechten Szene in Baden-Württemberg wird somit durch das Landesamt für Verfassungsschutz verunklart und reduziert.

Eine Behörde feiert sich selbst, die – man kann es gar nicht oft genug wiederholen – ein Geheimdienst ist. Die verharmlosende Bezeichnung "Verfassungsschutz" lässt so manchen und manche vergessen, dass dieser als Geheimdienst durch verdeckte Informationsgewinnung und -auswertung in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingreift. Seine selbsternannte wichtigste Aufgabe ist die "Überwachung von Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland". Obwohl der Verfassungsschutz also keinen gesetzlichen Auftrag zur Bildungsarbeit hat, mischt er seit einigen Jahren dennoch in diesem Feld mit. In Baden-Württemberg ist der Verfassungsschutz Kooperationspartner der Landeszentrale für politische Bildung. Gemeinsam setzen die beiden Partner das Jugendbildungsprojekt "team meX" um. Man braucht keinen regierungsnahen (und dadurch in Baden-Württemberg in der Vergangenheit zumindest latent parteinahen) Geheimdienst in der politischen Bildungsarbeit, der nicht objektiv dokumentiert, sondern die Verhältnisse interpretiert. Jugendliche und Erwachsene sollen nicht vom Verfassungsschutz Demokratie erlernen, sondern von Akteurinnen und Akteuren der Zivilgesellschaft. Auch wenn bei "Team meX" nicht die Beamtinnen und Beamten des Verfassungsschutzes selbst vor Schulklassen stehen, sondern junge, oft studentische Honorarkräfte, werden auf diesem Weg Deutungsmuster des Geheimdienstes zur politischen Lage im Land kolportiert und normalisiert.

Eine Behörde feiert sich selbst, die im Verbund mit den anderen VS-Behörden der Länder und derjenigen des Bundes, neonazistischen Terror gedeckt, unterstützt und somit befördert hat. So viele "Pannen", "Fehler", "Versäumnisse", so viel "fristgemäßes Aktenschreddern aus Versehen", Ämterkonkurrenz und Fehlkommunikation im Fall des NSU kann es gar nicht geben, als dass dazwischen nicht auch Vertuschungsabsicht und Indifferenz gegenüber bzw. Sympathie mit dem Neonazismus aufscheinen würden. Man mag schlicht nicht glauben, was passiert – es kann einem angst und bange werden angesichts dieser undemokratischen Verselbständigung der Sicherheitsbehörden, deren Protagonisten und Protagonistinnen zum Teil nicht einmal den parlamentarischen Kontrollgremien aufrichtig Rede und Antwort stehen.

Eine Behörde feiert sich selbst, die durch die V-Leute-Praxis die neonazistische Szene subventioniert.

Das Landesamt für Verfassungsschutz sollte also kein Jubiläum feiern, sondern sich einer kritischen Prüfung von außen und innen unterziehen, sich entschuldigen bei den Opfern von Nazigewalt und bei Menschen, die als "linksextrem" eingestuft werden, nur weil sie im schwarzen Baden-Württemberg gegen Nazis arbeiten. Nach getanem Eingeständnis der fehlerhaften und unzumutbaren Arbeitsweise kann sich das Landesamt für Verfassungsschutz getrost und ohne Festakt einfach selbst auflösen.

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BZ: Die sogenannte autonome Antifa Freiburg hat 2009 aufgedeckt, dass ein Südbadener Neonazi Chemikalien zum Bombenbau hortete. Statt sich zu bedanken, beobachten Sie die Antifa als Verfassungsfeinde. Warum?

Bube: Wir beobachten die autonome Antifa, weil sie diesen Staat ablehnt, eine andere Gesellschaftsordnung anstrebt und weil sie Gewalt gegen politische Gegner und die Polizei propagiert und einsetzt.

 

BZ: Aber die Antifa liefert mehr Erkenntnisse als der Verfassungsschutz. Macht Sie das neidisch?

Bube: Nein. Wir arbeiten eben – anders als die autonome Antifa – rechtsstaatlich und halten uns an die Befugnisse, die man uns gibt. Das werden Sie ja wohl nicht kritisieren.

 

Quelle: https://linksunten.indymedia.org/de/node/73039