Linke Widerstandskultur aus baskischen Dörfern

Pikuxar

Die breite linke Widerstandskultur im Baskenland ist durchaus bekannt. Dass sie sich auch stark auf die soziale und kulturelle Arbeit vieler Menschen in Kleinstädten und Dörfern stützt, ist aber weitgehend unbekannt. Dabei macht ein kurzer Blick deutlich, was in Deutschland meist völlig unvorstellbar scheint. Damit wird aber erst erklärbar, warum vieles im Baskenland anders läuft und die Repressions- und Verbotspolitik, die jetzt mit Bildu auf die gesamte Linke ausgeweitet werden sollte, erfolgreich bekämpft wurde.

 

Oft gibt es auch in Dörfern mit einigen hundert Einwohnern selbstverwaltete Zentren, ein Gaztexte (Jugendzentrum) und manchmal auch beides, wie in Irurtzun. Ein Dorf mit etwa 2300 Einwohnern, an zwei riesigen Felsen gelegen, die wie ein Tor die Grenze zwischen den bewaldeten grünen Bergen in der Provinz Navarra kurz vor Iruña (Pamplona) markieren, wo die karstige und trockene spanische Hochebene der Iberischen Halbinsel beginnt.

 

An der Situation hier hatte Patxi Uranga einen bedeutenden Anteil. Er setzte sich dafür ein, neben dem Gaztexe einen ständigen Anlauf- und Treffpunkt für kulturelle und politische Aktivitäten zu schaffen. "Ideologisch gibt es keine Differenzen zum Gaztexte, bestimmend sind eher persönliche Prioritäten", erklärt er. Auch er war früher im Kampf um das Jugendhaus aktiv. Vor 15 Jahren wandte er sich stärker traditioneller Kulturarbeit zu, dazu habe auch ein "exzessiver Drogenkonsum" im Gaztexte beigetragen.

 

Der junge Mann schloss sich der Tanzgruppe Orritz an, die damals schon 10 Jahre bestand. "Es ist erstaunlich, dass sich 40 Leute jeden Freitag zum Tanzen treffen". Doch nicht immer werden traditionelle Tänze geübt, bisweilen einfach über Politik debattiert, Veranstaltungen, Feste oder Ausflüge geplant. Orritz war der Keim im Dorf für eine Vielzahl von Gruppen, die sich hier gebildet haben.

 

Patxi, der auf einem Bauernhof arbeitet, und selbst einen kleinen Hof in den Bergen hat, ist der Prototyp eines organischen Intellektuellen nach Antonio Gramsci. Der geübte Organisator überzeugte viele von der Bedeutung eines eigenen Zentrums. Als eine Kneipe im Dorf zu vermieten war, ging es vor gut zehn Jahren los. "Pikuxar" wurde geboren, an der Hauptstraße eines Dorfes gelegen, das zu schnell an einem Verkehrsknotenpunkt gewachsen ist. Mit schnell hochgezogenen quadratischen Gebäuden bildet Irurtzun auch einen scharfen Kontrast zu vielen pittoresken kleinen Dörfern im Umfeld.

 

Mit 80 Mitgliedern wurde ein Verein gegründet, in dem Patxi heute nur noch ein normales Mitglied ist. "Den Karren ziehen heute andere", sagt er auch mit Blick auf seinen jüngeren Bruder. Mit Mitgliedsbeiträgen werden die Unkosten des Pikuxar gedeckt. Bezahlt werden auch drei Angestellte, welche die Info-Kneipe betreiben, die oft die Ausgaben nicht decken kann. "Aber man braucht Räume, um sich zu treffen, sich austauschen oder etwas zu entwickeln", ist Patxi überzeugt. "Das ist die Basis für jede Mobilisierung". Die Mitglieder nutzen die Räume über der Kneipe (wie stets mit einer großen Küche ausgestattet), um wie in jedem anderen baskischen "Txoko" gemeinsam zu kochen. Doch es werden auch Streiks in den umliegenden Firmen, der Widerstand gegen die geplante Schnellzugtrasse durchs Tal oder eines der vielen Feste organisiert. Es finden zudem Veranstaltungen zu Umweltthemen, zu politischen Gefangenen oder einfach Konzerte statt.

 

Zur Tanzgruppe kamen bald politische Gruppen hinzu, dazu kam Musik- und Kulturgruppen, die alte Traditionen fortführen, wie Zanpanzar (Glockenmenschen) oder die Gruppe, die mit riesigen Figuren aus der baskischen Mythologie auf Festen auftreten. Sogar in Nürnberg auf dem Bardentreffen die Gruppen für Furore, wie zur Unterstützung des Widerstandshauses in Bure, gegen das geplante Endlager für französischen Atommüll. Insgesamt sind in den Gruppen etwa 200 Personen aktiv, die eine Vielzahl von Aktivitäten ermöglichen, wie auch das große Musik-Festival "Piku-Rock", das im Spätherbst stattfindet, um das Dorf auch in einer Zeit zu beleben, in der weniger passiert.

 

Für die baskische Sprache einzutreten, ist zentraler Bestandteil der gemeinsamen Arbeit. Getagt wird nur in der ältesten Sprache Europas: Euskera. Anders als in der Autonomen Baskischen Gemeinschaft (CAV) wird sie in Navarra weiter an den Rand gedrängt. Seit 30 Jahren wartet man hier auf ein Referendum über einen Zusammenschluss, den sogar die spanische Verfassung vorsieht. Erreicht wurde, dass die rechte Regionalregierung Navarras Irurtzun nicht mehr zur Mischzone sondern zur Baskisch-Zone zählt. Mit der Zonenpolitik, welche die Provinz in drei Sprachgebiete aufteilt, versucht man die baskische Sprache zu isolieren. Nur in einer kleinen Zone haben Baskisch sprechende noch gewisse Sprachrechte. Sonst wird die Ursprache Navarras geduldet, die in der Franco-Diktatur 40 Jahre verboten war, auch heute noch aktiv von spanischen Nationalisten bekämpft.

 

Anders als in Irurtzun wird in Arizkun fast ausschließlich Euskera gesprochen. Wo sich das Baskenland von einer seiner schönsten Seiten zeigt, liegt das Dorf mit seinen 400 Einwohnern auch in den Bergen Navarras. Durch ein Tal durch die Pyrenäen ist es mit Baigorri auf der französischen Seite verbunden. Und hier findet sich "Gamioxarrea", der Sitz der Gruppe "Jo ala Jo". "Eigentlich wollte ich nur Txalaparta spielen und nun stecke ich tief hier drin", beschreibt die junge Baskin Oianko Garde die Entstehungsgeschichte um die Nutzung des Hauses. Sie zeigt dabei auf das Natursteingebäude aus dem 18. Jahrhundert. Diese Fabrik bekam die Gruppe für 20 Jahre vom Besitzer überlassen, als Dank dafür, eine alte Tradition der Vergessenheit entrissen zu haben.

 

Oianko lernte 1999 in einem Kurs die "Txalaparta" zu spielen. Bewaffnet mit zwei Stöcken (Stuhlbeinen ähnlich) werden dabei auf einem oder mehreren Holzbalken traditionelle Rhythmen gespielt. Die Stöcke werden, anders als beim Schlagzeug, senkrecht mit dem dickeren Ende auf die Balken geschlagen. Das mythenumrankte Instrument ist fest verwurzelt und wird oft zu festlichen Anlässen gespielt.

 

Doch ihr Lehrer, Patxi Larralde, führte die Gruppe auf eine Reise in die eigene Vergangenheit. Schnell stieß man auf die Tradition des "Sagardoa" (Apfelwein) und damit auf die "Kirikoketa", die zur Produktion einst unerlässlich war. Diese schweren Stampfer dienten nicht nur zum stampfen der Äpfel, sondern auch als Musikinstrument. Bei Studien stießen sie auf eine alte Frau, die sich noch lebhaft erinnerte, wie einst der Apfelwein gemacht wurde. "Sie erinnerte sich auch an Lieder, die zu den Rhythmen gesungen wurden, die bei der Arbeit von drei oder vier Personen gehalten wurden", erklärt Oianko. So wurde die Arbeit angenehmer, wenn 1,5 Tonnen Äpfel zum Pressen vorbereitet wurden.

 

"Die Tatsache, dass solche Gebäude hier extra zur Apfelwein-Produktion gebaut wurden, zeigt dessen wirtschaftliche Bedeutung", erklärt Itziar Torres. Die zierliche junge Frau erklärt, dass in den 15 Dörfern, die den Gemeindeverbund Elizondo mit etwa 8000 Einwohnern bilden, noch etliche "Dolare" (Keltereien) zu finden seien. Die offenen Täler liegen hier nur etwa 50 Kilometer von der Küste entfernt. "Jeder Seefahrer hatte einst das Recht auf drei Liter Apfelwein am Tag", fügt Itziar zur Bedeutung des Getränks an, das zum Beispiel die Walfänger auf langen Reisen durch die Vitamine vor Skorbut bewahrte.

 

Teile der Holzpressen nahm man nach der Arbeit mit vors Haus und spielte "trocken" auf den Balken die Rhythmen der Kirikoketa. Vermutlich entstand daraus dann auch die Txalaparta, meinen die beiden Frauen. Für sie ist die Suche nach den eigenen Wurzeln wichtig. Sie sind überzeugt, dass eine eigene und vor allem bessere Zukunft nur aus der Kenntnis der Vergangenheit möglich ist. Die Tradition ist nur aber nur ein Teil der Arbeit, auch wenn seit 2005 jährlich wieder traditionell bei einem Fest im Gamioxarrea Apfelwein produziert wird und später verkostet wird.

 

Die Aktivitäten haben sich aus dem Haus längst ausgeweitet. Mit dem Jugendrat wurde auch in Elizondo ein Gaztexe erkämpft, in dem viele politischer und kultureller Aktivitäten organisiert werden. Wie in Irurtzun ist auch diese Gruppe aus dem kulturellen und politischen Leben der Region nicht wegzudenken. Die Netzwerke und das vielfältige selbstbestimmte Angebot, sorgen dafür, dass auch viele junge Menschen nicht daran denken, ihre Dörfer im Baskenland zu verlassen. Dass nun die baskische Linke auch in Navarra wieder in die Stadtparlamente einzieht und es nun sogar möglich ist, der ultrarechten UPN (ähnlich wie die CSU eine Schwesterpartei der PP allerdings deutlich weiter rechts) in Pamplona die Macht abzunehmen.

 

© Ralf Streck, den 07.08.2011

 

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Vielen Dank für deine kontinuierliche Berichterstattung aus dem Baskenland.

aus Ondarroa :  Die ersten Takte durchhalten, auch wenn ihr noch nichts versteht. Dann wirds unglaublich, was
die im Kleinstädtchen Ondarroa auf die Beine gestellt haben.

Hast du vielleicht einen Link vergessen?

Deshalb gibts jetzt zwei

 

Ondarroa

http://www.youtube.com/watch?v=SFMZUomJy9A

 

und hier  Etxarri Aranatz, da sieht man auch, wie es in den Sozialzentren aussieht, mit Küche, Txoko und so

 

http://www.youtube.com/watch?v=nBjLwcqQCfE

Echt gut gemacht die Videos, danke schön! :-)

Es ist schon erstaunlich, was die in so kleinen Städtchen wie Ondarroa organisiert kriegen 8.000 Einwohner

oder Etxarri ist ja noch deutlich kleiner