"Der Kapitalismus ist die Katastrophe": Chile nach dem Beben

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Santiago de Chile. In den frühen Morgenstunden des 27. Februar erschütterte ein Erdbeben weite Teile Chiles. Mehr als 500 Menschen kamen dabei bisher zu Tode, Tausende werden nach wie vor vermisst. Das Beben ließ ganze Städte in Trümmern zurück, Hunderttausende wurden obdachlos. Die Grundversorgung im Krisengebiet ist zusammengebrochen und in weiten Teilen nach wie vor nicht wiederhergestellt. Ein Tsunami verwüstete zahlreiche küstennahe Städte.

Die staatlichen Autoritäten offenbarten ein durch und durch krisenreiches Krisenmanagement.

 

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Weil die Tsunamiwarnung eines US-Instituts den chilenischen Behörden "unklar war", verharrten diese schlicht in Untätigkeit. Ein fataler Fehler, der hunderten von Menschen das Leben kostete. Selbst die damals amtierende Präsidentin Bachelet rechtfertigte die schweren Versäumnisse damit, dass die Lage unklar gewesen sei. Die Kritik in den Medien an dem Verhalten der Behörden reißte jedoch nicht ab. Als Konsequenz ist die Vorsitzende Carmen Fernández des nationalen Büros für Notfälle (ONEMI) am 10. März zurückgetreten. Salopp versucht der Staat seine Schuld von sich zu weisen und den Vorfall auf die Verantwortung Einzelner zu reduzieren.

 

 

Plünderungen und "Null Toleranz"

Noch gleichen Tag des schweren Bebens erfolgten zahlreiche Plünderungen von Supermärkten und weiteren Geschäften. Der Staat reagierte mit aller Härte: der Ausnahmezustand wurde für das Katastrophengebiet ausgerufen, eine Ausgangssperre verhängt. Seither regiert das Militär. Schießereien zwischen Bürgerwehr, Plündernden und  dem Militär erreigneten sich rasch nach dem Beben.

Mindestens 20 Todesopfer werden seither gemeldet, darunter ein Polizist. Ein 45-jähriger soll von Soldaten zu Tode geprügelt worden sein, Mittwochnachts erschossen Militärs einen 25 Jahre alten Fischer in Constitución. Nun ermitteln Behörden.

Indes wurden bisher hunderte von Menschen von Militär und Polizei festgenommen. Wie die Tageszeitung La Tercera berichtet, zeigten die eigenen Nachbarn Plünderer von Supermärkten an. 90% aller Plündernden, so titelte La Tercera am 9. März, haben keinerlei Vorstrafen. Aus Angst vor Strafverfolgung, gaben Hunderte Diebesgut wie Waschmaschinen und Plasmafernseher wieder zurück. Den Plündernden drohen nun Haftstrafen von bis zu zehn Jahren.

 

 

Geeinter Wiederaufbau: PR für Politik und Wirtschaft

Erste Hilfsleistungen gelangten erst nach drei Tagen in das Krisengebiet. Internationale Hilfe wurde von der Ex-Präsidentin Michelle Bachelet die ersten drei Tage nach dem Beben strikt verweigert. Doch die Hilfsgüter erreichen nur langsam kleine Dörfer, die durch Schutt und Treibgut auf den Straßen von der Außenwelt weitgehend abgeschnitten sind.  Nahrungsmittel sind nach wie vor knapp. Daran kann auch nicht Piñeras großväterliches Verteilen von Lebensmittelgutscheinen etwas ändern.  30 Millionen US-Dollar soll es kosten die Infrastruktur samt eingestürtzter Gebäude wieder herzurichten. Doch der Wiederaufbau läuft nun auf Hochtouren. Und hierbei packen alle an. Jede_r will dabei sein. Freiwillige ziehen in den Süden aus um Lebensmittel zu verteilen, Kleiderspenden zu sortieren oder den Schutt von Straßen zu räumen. Und sei es auch nur für ein Wochenende. Wände und Heckscheiben von Autos werden in Santiago bemalt, "¡Fuerza Chile!" oder "¡Vamos Chile!" ist zu lesen. Das Volk scheint geeint im wahnhaften Taumel unter den Beben.

Die Politik heizt nicht weniger ein. Großevents wie der Teletón verkünden lärmend: "Chile ayuda a Chile". Piñera und Bachelet halten reißende Ansprachen. Zur Einheit wird gemahnt. Und ebenso zur Einsicht. Man müsse nun zusammenhalten statt in dieser schweren Zeit die Regierung kritisieren. Alle sind sich nun einander solidarisch, das steht außer Frage. Kritik wird nicht mehr geduldet. Symbolisch für den Wiederaufbau steht Bruno, der aus Dreck und Schotter die zerschlissene Nationalflagge zerrt (siehe Bild). Unter all dem Leid ist eines Heile geblieben: der Nationalstolz. "Unsere Flagge mag zwar beschädigt sein, aber sie ist noch immer eins", gibt Bachelet auf dem Teletón kund.

Doch auch die Wirtschaft hat die Gunst der Stunde erkannt. Banken geben Kredite für geringe Zinsen heraus, Telefongesellschaften verschenken Freiminuten und 50 SMS gratis. "Telmex, deine Telefonfirma ist mit dir, denn wir stellen die Kommunikation, die Chile heute braucht." Die CCU, eine der riesigen Getränkekonsortien in Chile, schickt 40 LKWs mit einer Fuhre von einer Million Litern Erfrischungsgetränken wie Pepsi, Bilz und Pap in das Katastrophengebiet. Andere lancieren Werbekampagnen mit diversen Vergünstigungen: "Kaufe bei Sodimac einen Ziegelstein und wir spenden einen weiteren damit wir gemeinsam uns aufrichten und Chile neu errichten." Es bleibt ein übler Beigeschmack, wenn die Geschäfte über einen Leichenhaufen angekurbelt werden. Doch so oder so, die Rechnung geht auf. 

 

 

Schwere Nachbeben

Am Donnerstag Nachmittag zitterte die Erde erneut in Chile. Ein Nachbeben der Stärke 6.9 auf der Richterskala erschütterte das Land. Das Epizentrum lag in Rancagua, in der 6. Region O' Higgins, etwa 100km von Santiago entfernt. Wie die Tageszeitung La Tercera berichtet, ist etwa 80% der Grundversorgung durch das schwere Nachbeben in der Region ausgefallen. Die Marine gab sofort nach den Beben eine Tsunamiwarnung heraus. Von der vierten Region bis an die weit im Süden gelegene Insel Chiloé, insgesamt ein etwa 2.000km langer Landstreifen. In den Küstenregionen löste das Erdbeben eine regelrechte Panik aus. In der Hafenstadt Valparaíso flüchteten sich Zehntausende auf die nahegelegenen Hügel während die Polizei Supermärkte, Banken und Geschäfte vor Einbrüchen sicherte. Glücklicherweise sind durch die jüngsten Nachbeben keinerlei Tote zu beklagen. Seit dem schweren Beben wird das Land von mehr als 120 Nachbeben geplagt. Nicht jede sind dabei so stark wie jenes von Donnerstag, die Menschen sind dennoch verängstigt. Viele von ihnen schlafen schlecht in der Nacht oder bekommen Panik bei Anzeichen kleinster Nachbeben. Seismologen berichten, dass die Nachbeben noch bis zu Jahren andauern können.

 

Am Tag des Machtwechsels und der Amtseinführung des neuen Präsidenten Piñera rief dieser unverzüglich den Ausnahmezustand für die 6. Region aus. Tausende Soldaten befinden sich nun auf dem Weg in das Erdbebengebiet um für Sicherheit und Ordnung zu sorgen.

 

 

 

 


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hier wird chile (und haiti) zwar nur erwähnt, aber

 in zusammenhang gestellt

.."....derzeitige historische Phase erreicht ihre Grenzen. Darum stationiert der Staat vollbewaffnete Polizisten vor Schulen in Frankreich und setzt Bullen in (us-)amerikanischen Schulen ein, um die widerspenstigen Schüler zu kontrollieren.  Der einzige Ausweg des Kapitals  ist heutzutage Repression, weil es keine andere Lösung für die Krise hat. Das wird augenfällig in Fällen von Naturkatastrophen wie in Haiti und in Chile. In solchen Fällen wird das Kapital direkt vom Proletariat in Frage gestellt, welches, um zu überleben - weil es vorübergehend keine Arbeitskraft sein kann - die Umverteilung von Gütern nach ihren Bedürfnissen organisiert und die einzige Möglichkeit das kapitalistische System der Besitzrechte zu stützen, ist der Gebrauch von militärischer Gewalt. Nachts durch die Strassen zu spazieren wird verboten, unverzügliche Hinrichtungen (Haiti) und Einknastung ohne Verfahren (Chile) finden statt und plötzlich verwandelt sich das Leben in das Leben Gefangener in Konzentrationslagern, in das Leben papierloser Flüchtlinge, welche zu Millionen interniert an den Grenzen aller kapitalistischen Staaten leben...."  

aus: http://libcom.org/news/democracy-theres-no-escape-16032010

übersetzung:http://linksunten.indymedia.org/de/node/17768

mehr zu griechische kämpfe - knapp inkl.  präziser zahlen!

http://kavyadarsa.blogspot.com/2010/03/aufruf-von-arbeitern-der-hellenic.html

mehr südamerika übersetzen?:http://libcom.org/news/national-strike-begins-mexico-17032010