Antwort auf den Text der interventionistischen Linken
Man sollte denken, dass unter gegebenen Umständen ein haushoher Sieg von SYRIZA vorprogrammiert ist. Offenbar ist dem nicht so. Mehr und mehr entfernt sich Alexis Tsipras von den noch 2011 als unantastbar geltenden linken Idealen. Er holte sich Rachil Makri von der EU-kritischen ND-Abspaltung Unabhängige Griechen als Kandidatin. Zu den zahlreichen Politikern, die von der PASOK übernommen wurden, zählt auch die frühere Vizeinnenministerin Theodora Tzakri. Sie wollte 2011 gegen Demonstranten wie in Keratea gern mit vollem Polizeieinsatz vorgehen. Noch 2012 ließ sie sich mit Stimmen der PASOK ins Parlament wählen und unterstützte jede Sparmaßnahme.
Für solche Politiker fand Tsipras, der sich ausgerechnet in der vergangenen Woche für die Belange des vom Oligarchen Melissanidis geleiteten Fußballvereins AEK Athen persönlich einsetzte, ein Gehör und einen Platz auf der Kandidatenliste. Ausgerechnet, weil Melissanidis Machenschaften im Erdölhandel und hinsichtlich eventueller Unterstützung von ISIS gerade in den letzten Tagen für viel Gesprächsstoff sorgten.
Ausgerechnet aber auch, weil just in der vergangenen Woche Schlägertrupps, welche sich auf Melissanidis berufen, den zu SYRIZA gehörenden Bürgermeister von Nea Philadelfia, Aris Vasilopoulos, krankenhausreif schlugen. Der gute Mann verweigert einer Erbauung eines riesigen Fußballstadions für AEK seine Zustimmung. Schlimmer noch, er klagt gegen den Bau.
Dabei geht es ihm nicht um das Stadion selbst. Der überzeugte Sozialist mag nicht einsehen, dass ausgerechnet in Krisenzeiten einem Milliardär auf Staatskosten ein Millionen teures Stadion geschenkt wird. Zudem soll gemäß Vasilopoulos der Wald, dessen Rodung fürs Stadion vorgesehen ist, den Bürgern und nicht dem Oligarchen dienen. Die AEK Fans, die SYRIZA für den Fall einer Unterstützung des Bürgermeisters mit dem Wahlboykott drohen, verhinderten, dass Vasilopoulos am Epiphany-Fest am 6. Januar teilnehmen konnte.
Der Atheist Alexis Tsipras lässt den Heiligen Geist fliegen.
Das Epiphaniefest feiern die Griechen in Erinnerung an die Taufe Jesu Christi im Jordan. Das Wasser der Flüsse und des Meeres wird geweiht. Die neben Kirchenfürsten flanierenden Politiker lassen bei diesen Anlässen gern eine Taube, das orthodoxe Symbol für den Heiligen Geist fliegen. Bislang gab Tsipras immer den überzeugten Atheisten. Keine Taufe fürs Kind und keine kirchliche Hochzeit mit der Lebensgefährtin Peristera, deren griechischer Name ausgerechnet "Taube" bedeutet.
2015 ließ Tsipras die Taube fliegen! Der Economist fand es positiv. Was den Journalisten des Economist entgangen sein könnte ist folgendes Detail. In Piräus, wo Tsipras der Zeremonie des griechischen Erzbischofs Hieronymos beiwohnte, herrscht Bischof Seraphim. Der ultrakonservative verflucht gern die Juden, relativiert danach aber wieder. Seraphim ist studierter Jurist. Er kann sich geschickt an der Grauzone des gerade noch Erlaubten bewegen. Geradezu legendär sind die gerichtsnotorischen Auseinandersetzungen Seraphims mit Verbänden der Homosexuellen.
Die übrigen Parteien
Ebendiese Verbände hatten noch bei den Europawahlen zur Stammwählerschaft des SYRIZA gehört. Mehr als die Hälfte der homo- und transsexuellen Personen des Landes, sagen Umfragen, haben SYRIZA gewählt. Auf Tsipras Kandidatenliste befindet sich kein einziger bekennender Homosexueller. Auch um andere Menschenrechtsgruppen machte SYRIZA lieber einen Bogen.
Die einst linke Partei ist in der bürgerlichen Sozialdemokratie angekommen. Den Platz der ultralinken Gruppe hat nun das Wahlbündnis ANTARSYA eingenommen. Zusammen mit weiteren kleineren linken Parteien, darunter auch der Gruppe um den einstigen Förderer Tsipras, Alekos Alavanos, geht ein Wahlbündnis ANTARSYA-MARS an den Start.
Das Akronym ANTARSYA ist gleich lautend wie das griechische Wort für Aufstand. Die Abkürzung steht für "Antikapitalistische Linke Zusammenarbeit für den Umsturz" - sie beinhaltet kommunistische und antikapitalistische Kleinparteien. MARS hat im Griechischen weniger mit dem Planeten oder dem Schokoriegel sondern vielmehr mit einem Marschbefehl zu tun. Hier heißt der ausgeschriebene Name Metopiki Aristeri Symporevsi = "Frontale Linke Kooperation".
Angesichts von SYRIZAS Kurs zur Mitte könnte es die bislang außerparlamentarische Linke ins Parlament schaffen. Pressesprecherin Despoina Koutsoumba setzt bei ihren Aktionen darauf, ANTARSYA als das linke Gewissen darzustellen, welches SYRIZA vom Pfad nach Rechts abhalten kann. Mit diesem Argument wird der eigentlich von Nea Dimokratia und SYRIZA praktizierten Polarisierung entgegengearbeitet.
Wo gehts hier zur Revolution?
Wurde in den "dislike"-Kommentaren unter dem Text der iL noch eine entschiedene Kritik am Parlamentarismus hochgehalten - was an sich vollkommen richtig ist, aber eben auch an den falschen Adressaten geht, weil der iL-Text ja um die Begrenzheit bloßer linker Parlamentsmehrheiten längst weiß - heißt es hier bloß: ANTARSYA statt SYRIZA. Damit fällt euer Text, auch wenn er sich radikaler gibt, noch viel reformistischer aus, als der angebliche Reformismus der iL.
Klaro, dass Programm von ANTARSYA mag bestimmt krasser sein als das der SYRIZA. Genauso wahrscheinlich ist, dass Tsipras kein revolutionärer Heiliger, sondern nur ein seliger Sozialdemokrat ist. Aber darum geht es der iL doch nicht. Es gehr ihr nicht um Tsipras. Es geht doch vielmehr darum, dass in einer Regierung SYRIZA eine "linke Möglichkeit, die Möglichkeit einer gesellschaftlichen Alternative jenseits der schändlichen, von der EU aufgeherrschten Austeritätspolitik" gesehen wird. Und zwar nicht von der iL, sondern aus der griechischen Gesellschaft heraus. Und über dieses Begehren sollten wir - wie auch die iL - uns freuen. Das ist der Punkt: es geht um das, was sich dort vielfach gewünscht wird - und die Frage, wie diese Wünsche wahr werden können. Sicher, SYRIZA alleine wird das nicht erfüllen können. Hat aber die iL auch nicht gesagt. Was sie gesagt hat: Wenn SYRIZA gewinnt, könnte sich etwas etwas Neues entfalten, könnte wieder Zeit zum Träumen sein. Könnten die Bewegungen alles wollen. Wir sollten sie - die Bewegungen, nicht SYRIZA als Regierung - dann darin unterstützen. Aber scheitert SYRIZA bereits im Anlauf, dann bleibt doch bloß der Alptraum der permanenten Krise. Ohne Hoffnung.
Schade, dass eine radikale deutsche Linke da so borniert ist, dass sie sich nicht mal darüber freuen kann, dass in Griechenland die Menge nach links will. Insbesondere weil doch gerade hier Viele in die entgegengesetzte Richtung gehen.
Deutsche Linke ist neidisch
wenn irgendwo mal was geht, dann kann das ja garnichts sein. Ansonsten müsste man sich ja selbst Fragen, warum hierzulande nichts läuft ;-)
quelle
Krisenkapitalismus
Und wenn Syriza nichts von dem einhalten kann, für was sie die Leute wählen werden? Was dann? Verbrannte Erde für Linke auf die nächsten paar Jahrzehnte? Ist der IL doch egal. Man hat sich immerhin die Hände schmutzig gemacht mit echter Politik. Das muss man erstmal nachmachen.