[B] Impressionen von der Anti-TTIP-Demo

Impressionen von der Anti-TTIP-Demo 1

Hier einige persönliche Impressionen der gestrigen Großdemonstration gegen die Verhandlungen über die geplanten Freihandelsabkommen TTIP, TISA und CETA in Berlin. Mangels Mobilisierung der undogmatischen Linken blieben die Proteste, welche mit bis zu 250.000 Teilnehmer_innen äußerst gut besucht waren, leider ohne emanzipatorische & antifaschistische Akzente. Der stattdessen freigebliebene Raum wurde zu Teilen durch reaktionäre und nationalistische Akteure gefüllt. Im folgenden Artikel werde ich einige Beobachtungen mit entsprechenden Fotos darlegen.

 

Vereinzelt gab es im Vorfeld der Demonstration auch auf Indymedia einige Aufrufe am Protestzug in Form eines eigenen hierarchiekritischen Blocks teilzunehmen. Auf den üblichen Websites wurde allerdings keine Mobi durch die größeren Gruppen betrieben. Dies lag wohl zum Teil an der momentanen Schwäche der undogmatischen Linken, aber auch an der Überforderung durch die Welle der rassistische Gewalt in den letzten.

 

In guter Erinnerung an ähnliche Großveranstaltungen, zu ähnlichen Themen, kam ich dennoch um 12 Uhr zum Hauptbahnhof. Ich dachte z.B. an die Anti-Hartz-Proteste 2004, bei der 100.000 Menschen in einer von Gewerkschaften und Parteien organisierten Demo durch Berlin zogen und die durch einen großen anarchistischen Block ergänzt wurde. Das Bild welches sich mir hier bot, war jedoch ein völlig anderes.

 

Vorweg möchte ich jedoch klarstellen. Mir ist bewußt, es waren mehrere hunderttausend Menschen. Bei so großen Massen sind immer ein "paar Knaller" und Irrläufer dabei. Die von mir ausgewählten Momentaufnahmen stellen auch nur eine spezielle kritische Perspektive dar. Die Teilnehmer_innen Spektren waren sehr vielfältig. Das Publikum war größtenteils (DGB-)Gewerkschafts- und Parteinah (von Piraten, SPD, ÖDP, Grüne etc. über parlamentarisch links wie DKP und Linke bis hin zu autoritär wie z.B. der MLPD). Mir geht es nicht darum, die Demonstration als ganzes zu diskreditieren. Im Gegenteil das Anliegen der Demo erscheint mir richtig.

 

Dennoch wäre es falsch über die reaktionären Manifestationen auf dem Protestmarsch die Augen zu verschließen, oder sie als Randerscheinung unter den Tisch fallen zu lassen. Festhalten lassen sich folgende Motive:

 

1.) Nationalismus in Folge einer verkürzten Kapitalismuskritik

 

Als häufigstes Ärgernis offenbarte sich ein Missverstehen über die generelle Problematik der Freihandelsabkommen. Viele Teilnehmer_innen sahen in TTIP/CETA/TISA nicht etwa eine Maßnahme der Großunternehmer in beiden Machtblöcken, also in der EU und in den USA. Sondern viel mehr eine Art ökonomischer Angriff der USA auf Europa. Dies äußerte sich nicht nur in allerlei Deutschlandfähnchen, sondern auch auf vielen Plakaten und Spruchbändern.

Das europäische und deutsche Unternehmen ein ebenso großes Interesse am Zustandekommen der Abkommen haben, wie die bekannten amerikanischen Firmen, wird vielfach ignoriert oder bewußt nicht wahrgenommen. Das auf der anderen Seite des Atlantik ebenfalls Gewerkschafter_innen gegen das Abkommen kämpfen, da viele Arbeiter_innen ihre ökonomische Basis durch den Expansionsdrang europäischer Unternehmen bedroht sehen, kann den Deutschlandfahnenschwenkern aus ihrer Perspektive heraus gar nicht mehr in den Sinn kommen.

 

2.) Antiamerikanismus als Motiv


Vollends entrückt, wirkte da ein großes Hochtranspi, auf dem vor einer Kolonisierung Europas durch die USA gewarnt wurde. Diese Perspektive ist besonders geschichtsvergessen. Schliesslich war es Europa das Jahrhunderte lang, die Welt (und auch die heutige USA) kolonisierte. Die Nachfahren der Kolonisatoren, haben also Angst von einer ehemaligen Kolonie kolonisiert zu werden? Eindeutig ein Anruf für Doktor Freud.

Die Tatsache das Kanada auf keinem mir bekannten Plakat erwähnt wurde, ist ein weiteres Indiz dafür, das Antiamerikanismus tatsächlich das ausschlaggebende Motiv einiger Demonstrant_innen war. Schliesslich geht es beim vielzitierten CETA (dem "Comprehensive Economic and Trade Agreement") um die Freihandelsbeziehungen zwischen der EU und Kanada.

Besonders Skurril wurde dies auf die Spitze getrieben von einer Gruppe aus dem Umfeld der Montagsmahnwachen, die auf ihrem Schild sogar den Freihandel mit Russland forderte. Freihandel als Ausdruck eines ungerechten Welthandels, der nicht auf Augenhöhe mit den Produzent_innen und Werktätigen (in allen Ländern) stattfindet, war bei denen, schon gar kein Thema mehr.

 

3.) Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker und russische Nationalisten

 

Wie immer immer wenn es gegen Amerika geht, kommen eine ganze Menge Leute zusammen auf deren Anwesenheit mensch lieber verzichten würde. So war es auch hier, nur mit dem kleinen Unterschied das sie allem anschein nach in allen Teilen der Demo geduldet wurden. Gleich mehrere Gruppen aus dem Reichsbürger- und Verschwörungstheoretischen Spektrum liefen kreuz und quer durch die Demo um ihre Flyer und Aufkleber zu verteilen. Letztendlich nahmen sie sogar mit einem eigenen Block inklusive Lauti am hinteren Ende an der Demontration teil. Spätestens hier stellt sich die Frage ob auch die offiziellen Orgastrukturen der Demonstration kein Problem mit solchen Leuten hatte? Für mein Verständnis ist es schwierig anderen Menschen zu vermitteln, dass das eigene Anliegen sachlich begründet und frei von antiamerikanischem Ressentiment ist, während gleichzeitig solchen Reaktionären Gruppen eine Bühne gegeben wird. Mit den Freunden und Freund_innen der "Volksrepubliken Donezk & Lugansk" kann ich mich jedenfalls nicht anfreunden.

Gerüchteweise sollen auch bekannte Rechtspopulisten und/oder Neonazis gesehen worden sein. Da ich dies aber nicht aus eigener Beobachtung bestätigen kann, will ich an dieser Stelle auch keinen Vorwurf in dieser Richtung aufstellen. Bei dieser riesigen Menschenmenge war es sowieso nur möglich auf Teilnehmer_innen zu reagieren, die durch eigene Fahnen oder Transparente in Erscheinung treten.

 

4.) Zu guter Letzt, die liebe Linke.

 

Und hiermit meine ich nicht die gleichnamige Partei. Das Fehlen der undogmatischen Linken aller Richtigungen, egal ob Antifa-Szene, Anarchosyndikalist_innen, Autonome oder der entsprechenden Bündnisse (UG, IL etc. pp) machte es den völkischen Freaks besonders einfach frei in der Menge zu agieren und ihre eigenen Botschaften zu transportieren. Eine linke Intervention in Protestsituationen dieser Größenordnung ist aber richtig & wichtig. 2004 bei den Eingangs schon erwähnen Hartz-IV-Demonstrationen hatte dies meines Erachtens nach sehr gut geklappt. Zumal nicht nur der Spielraum für rechte Akteure eingeschränkt wurde, sondern auch linke und libertäre Strukturen für ein breites und oft auch junges und lediglich anpolitisiertes Publikum öffentlich sichtbar gemacht wurde. Für viele Jugendlichen sind solche Demos oft der erste Weg um radikalen Linken in Berührung zu kommen.

Die dort letztendlich präsenten autoritären K-Gruppen (z.B. "Jugendwiderstand") dürften zum schrägen Erscheinungsbild der Demo zusätzlich beigetragen haben. Mein persönlicher Tiefpunkt war ein Transparent auf dem das Konterfei von Stalin abgebildet war. Emanzipation, gute Nacht!

 

Fazit.

 

Hoffentlich trägt der Artikel dazu bei, in Zukunft mehr Menschen auch zu solchen Großevents zu bringen. Gerade bei diesem Thema hätte ich gedacht, das es mehr Aktivist_innen aus der radikalen Linken (nein nicht [nur] die gleinamige Gruppe) bewegt. Die rechtliche Umstellung der Handelsbeziehungen zwischen Nordamerika und der EU bewirkt nicht zuletzt auch einige große zu erwartende Einschnitte in die Arbeits- und Produktionsbedingungen für alle Lohnabhängigen. Das wäre doch eigentlich ein passendes Thema für die bekannten Basisgewerkschaften (z.B. IWW oder FAU) gewesen, oder nicht?

 

Wer Anregungen oder Kritik hat darf gerne einen Kommentar schreiben. Dafür ist Indymedia ja da.

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Zu Bild 9. Das sind die Maoisten von "Jugendwiderstand".
Die ham auch ein Bericht zu der ganzen TTIP-Geschichte:

Massenproteste gegen TTIP in Berlin:

Am heutigen Samstag erlebte die Hauptstadt die größte Protestdemonstration seit vielen Jahren. Bis zu 250 000 Menschen nahmen an dem Aufzug zwischen Hauptbahnhof und Brandenburger Tor teil.

Der Massenprotest richtete sich vor allem gegen TTIP - einen Deal zwischen dem US-Imperialismus und den imperialistischen Mächten und Staaten der EU - und die damit einhergehenden wirtschaftlichen, politischen, sozialen und kulturellen Zerstörungen und Plünderungen auf dem Rücken der Völker und der Arbeiterklasse.

Wir beteiligten uns zusammen mit ATIF, ADGH und YDG (Neue Demokratische Jugend)
an den Aktionen. Mit unseren Transparenten „Will das Volk leben, muss die Bourgeoisie sterben“ und „Stop TTIP – Fight Imperialism!“ und Parolen wie „Das wahre Gesicht ihrer Demokratie – Massenmörder das sind sie!“, „USA – internationale Völkermordzentrale“ und „Glaubt den Lügen der Ausbeuter nicht – Rebellion ist gerechtfertigt!“ setzten wir eigene fortschrittliche Akzente.

Leider war der allgemeine Ausdruck der Demonstration nicht kämpferisch und offensiv, sondern extrem dominiert durch die führende Teilnahme vieler kleinbürgerlicher und bürgerlicher Kräfte des herrschenden Systems, die den Protest in zahnlose, reformistische und reaktionäre Richtungen lenkten. Mit ihren Lügen, Bestechungen und dem Nähren von Illusionen versuchen sie die Massen zu spalten, ans imperialistische System zu binden und zu betäuben – und sind somit in jedem Fall Teil des Problems, nicht der Lösung.

Trotzdem begrüßen wir entschieden die hohen Teilnehmerzahlen und denken, dass die Teilnahme an solchen, in der allgemeinen Stoßrichtung fortschrittlichen, Massenprotesten des Volkes mit korrekten und revolutionären Parolen für die proletarische, antiimperialistische Jugend wichtig und richtig ist.

Danach beteiligten wir uns noch mit Genossen an einer um 16 Uhr am Neuköllner Hermannplatz beginnenden spontanen Demonstration wegen dem jüngsten Staatsterror in der Türkei. Bei einer Demo gegen den reaktionären Krieg des türkischen Staats gegen das kurdische Volk in Ankara wurde dort zuvor durch Bomben ein neuerliches Massaker an fortschrittlichen Kräften - unter anderem PARTIZAN – begangen. 90 Kinder, Jugendliche und Erwachsene wurden dabei von der Reaktion auf feigeste Art ermordet. Dieser widerliche Angriff mobilisierte in Berlin 1000 Menschen auf die Straßen und bewies ein weiteres mal das es keine Befreiung durch Kapitulation, Verhandlungen oder Frieden mit dem türkischen oder irgendeinem anderen bürgerlichen Staat geben kann.

Tod dem Faschismus und Imperialismus!

Von: http://jugendwiderstand.blogspot.de/2015/10/massenproteste-gegen-ttip-in-berlin.html

Oh, sorry, steht ja auch im Text! Mein Fehler. Deren Bericht trotzdem als Ergänzung wahrscheinlich ganz interessant..

Geht doch der Text, ganz vernünftig sogar bis auf die wortwahl. hatte jetzt echt schlimmeres erwartet...

Also das hier: "kulturellen Zerstörungen und Plünderungen auf dem Rücken der Völker und der Arbeiterklasse" richt beim zweiten gucken schon verdächtig nach ethnopluralistischen ideen...

aber der text ist trotzdem schon weniger schlimm als der meiste andere kram von denen.

die "USA! Mörder!!1" Sprüche sind angesichts einer komfortablen Top-5 der Rüstungsexporteure für Deutschland, einem weltweit operierenden Banken- und Automobilsektor, federführender Position innerhalb der imperialistischen EU, usw, usf .. nur noch langweilig. Aber so leicht rückt man von den ideologischen Fehlern der Vergangenheit nicht ab, wa?

Vielen Dank für den Text. Genau das habe ich mir auch gedacht!

... und haben versucht eine Gruppe von bekannten Nazis runter zu schmeißen bzw. uns dafür unterstützung zu holen. Die Ordner_innen waren daran auch interessiert, aber es gab einfach zu wenige um das effektiv zu machen... und die Umstehenden haben keinen Finger krum gemacht... auch wenn es 1, 2 zustimmende worte gab

 

da die il sich doch eigentlich an jeden furz ranschmeißt... hier wäre mal ne gute gelegenheit gewesen. da hätten sogar die noch einen positiven effekt gehabt ;-)

Die Proteste gegen TTIP, CETA und andere Abkommen sollten sich gegen die dadurch bewirkte Stärkung der Vertragsstaaten richten.

Die Abkommen schwächen die Arbeitskräfte, die Lohnabhängigen.

Dies insbesondere in den Ländern, die nicht unterzeichnen / beitreten dürfen.

Also:

Gegen die Stärkung der Staaten

gegen die Exporte von Siemens-Nokia-Überwachungstechnologie an die Regime Iran und Saudi Arabien

gegen die Ausbeutung der Lohnabhängigen in Angola und Mocambique.

gegen den fairen Welthandel.

 

Dann wären bestimmt 320.000 Leute zur Demo gekommen.

Ich war eher am Ende der Demo da, erlebte auch einige Freaks, die mir begründen wollten, warum jetzt die USA das schlimmste Übel der Welt seien.

 

Merkwürdig war der Einfluss von Campact und Attac, die in der Vergangenheit durch politische Harmlosigkeit glänzten, politische Theorie wurde von denen kaum vermittelt, was durch Alarmismus ausgewogen wurde. Mehrere Leute erzählten mir, dass sie durch den Campact Newsletter mobilisiert wurden, was erstaunlich ist, da diese nervige Clique aus Verden in Niedersachsen eher durch Gejammer aufgefallen ist á la "Frau Merkel, wir bitten sie die Popcornverteilung am Nordpol einvernehmlich mit Robben und Eisbären in Angriff zu nehmen, damit die Klimabilanz deutscher Konzerne im Einklang mit dem kosmischen Chi steht". Inzwischen sehen aber die Kampagnen von Campact einigermassen brauchbar zu sein, oder täuscht das?

 

 

Stellenweise hatte ich den Eindruck auf einer Parteiveranstaltung zu sein, die Monotonie der Rednerinnen und Redner, die verklemmte Wut, die meist mäßige Musik, und ein grausamer Poetry-Slammer der so tat als ob er rappen konnte, relativ teure Fressstände auf dem 17. Juni und zehntausende regungsloser Gesichter waren nicht gerade ein Hort für Begeisterung. Auch kam es zum üblichen Grossdemoverhalten in Berlin:

Für 3 Stunden sich versammeln und dann privat danach ab in die Stadt gehen, hätte mich auch gewundert, wenn es entlang des 17. Juni mehrere Bereiche gegeben hätte, wo sich menschen nach speziellen Themen hätten versammeln und austauschen können, wie in so mancher Versammlung.

 

Aber nein, es wird nur punktuell was gemacht und dann is gut, anstatt zu helfen, dass aus der Demo ein riesen offener Kongress wird, war 18 Uhr schon soweit Abbau, dass kein Demoteilnehmer mehr an der Siegessäule zu sehen war. Wäre ja auch denkbar, dass dazu aufgerufen würde, sich in kleinen Gruppen zusammenzufinden um dann mit Strassentheater und anderen Kommunikationsmitteln, beispielsweise mit Kreide, durch die Stadt zu ziehen und in unkontrollierbaren Schwärmen für mehr Aufklärung in der Bevölkerung zu sorgen.

 

 

Aber nee: Erst zusammenhocken und dann Berlin angucken gehen, wie immer. Aber das kommt wohl dabei rum, wenn Gruppen ihren Anhängern eben Macht versprechen, die sie nur im Kopf haben, man wird regelrecht abhängig von den Organisatoren und die haben kaum Vision und meinen dann immer wieder "irgendjemand muss es doch tun". Solche Modelle tauchten da doch immer wieder auf:

 

kämpfen ja - aber bitte friedlich und auch nicht um zu gewinnen, aber dann wieder vom guten Leben sprechen.

 

Lässt sich immer wieder beobachten, diese mainstreamlinke Psychologie ist meiner Meinung nach ein Riesenproblem, weil sie die Leute kaum anregt selbst grösser Initiativ zu werden und sie andererseits eben auch nicht entlässt und sagt, "du brauchst uns als Apparat nicht, vieles schaffst du bestimmt selbst mit ein paar Anderen, probier es aus".

 

 

In so fern war die Anti TTIP Anti CETA Demo schon eine Art Glücksfall, aber noch lange kein grosser Sprung hin zu einer Gesellschaft widerstandiger Menschen.

ich bin in der mitte der demo zugestoßen und dann langsam (die demo war noch langsamer und sehr aufgelockert) bis nach vorn zur bühne gegangen. ich hab tatsächlich nicht ein deutschlandfähnchen gesehen. das waren also wirklich wenige und naja, es gibt schlimmeres, nicht hingehen um der ideologischen reinheit willen, zum beispiel... was den großteil des publikums anging würde ich sagen, die waren gar nicht als politisch erkennbar oder an irgendeine partei organisation gebunden. sah alles sehr vereinzelt aus.

A

Es waren durchaus Anarchisten anwesend. Ich hab ein Hochtranspi gesehn auf dem stand: Das Problem heisst Kapitalismus - Freie Menschen statt freie Märkte. Nur mal als Anmerkung...

Kurz zusammengefaßt: Die Anti-TTIP-Demo in Berlin war scheiße, weil groß und nicht von der neu konstituierten "Antifa" beherrscht, denn "Das Fehlen der undogmatischen Linken aller Richtigungen, egal ob Antifa-Szene, Anarchosyndikalist_innen, Autonome oder der entsprechenden Bündnisse (UG, IL etc. pp) machte es den völkischen Freaks besonders einfach frei in der Menge zu agieren und ihre eigenen Botschaften zu transportieren." ist nicht zu akzeptieren, weil es sonst nur zu "einer verkürzten Kapitalismuskritik" kommt, die "Nationalismus in Folge" hat. "Die Tatsache das Kanada auf keinem mir bekannten Plakat erwähnt wurde, ist ein weiteres Indiz dafür, das Antiamerikanismus tatsächlich das ausschlaggebende Motiv einiger Demonstrant_innen war." - und so weiter und so fort. Was mich wundert, ist, daß das sonst übliche Totschlagargument "Antisemitismus" und damit einhergehender Holocaustleugnung fehlt. Auch wenn es eingangs "Mir geht es nicht darum, die Demonstration als ganzes zu diskreditieren." heißt, macht es den gesamtheitlichen Unsinn im Artikel nicht besser.

Es ist witzig, die Angst davor, von einer Ex-Kolonie kolonisiert zu werden, als Psychoknacks zu definieren.

Was ist mit Japan und China? Japan wurde von China aus kolonisiert, die wenigen Ureinwohner ausgemerzt oder assimiliert. Und im 20. Jahrhundert hat Japan versuch China zu kolonisieren und zu unterwerfen. Was soll daran absurd sein?

Natürlich wurde Nordamerika von Europa kolonisiert, der Widerstand der Kolonisten gegen die europäischen Kolonialregimes war legitim. Ebenso ist es heute legitim, wenn die europäische Bevölkerung sich gegen politische Projekte wendet, die von US-Eliten aufgedrängt wird.

Unproblematisch ist es aus mehreren Gründen NICHT, d.h. aber nicht, dass dieser offensichtliche Widerspruch einfach akzeptiert werden darf. Um Gegenteil, wir Linke müssen auch an diesem Widerspruch ansetzen und klar machen, dass wir kein Bock auf US-Eliten-Dominanz (auf den die Masse der Amis ja auch keine Lust haben) haben, aber genausowenig auf die Projekte der deutschen und europäischen Herrschenden.

 

Probleme beim Antiamerikanismus bzw. bei der Kritik am Antiamerikanismus:

1. Die Herrschenden können aus mehreren Motivationen kritisiert werden, das gilt für lokale wie für globale Herrschaftsverhältnisse: Entweder weil die Situation als Beherrschte*r unerträglich ist oder weil eigene Herrschaftsansprüche durch die momentan dominante Herrschaft in Frage gestellt wird. Letzteres gilt für Nazis wie für Reichsbürger: Die USA wird kritisiert, weil sie den Großmachtsbestrebungen Deutschlands / des deutschen Reiches im Wege steht und stand. Eine global-linke Kritik an den USA ist aber ihr (Neo-)Kolonialismus, den die Massen der einfachen Bevölkerung in schlechtere Lagen bringt, so wie wenn sozialistisch-demokratische Präsidenten weggeputscht werden (wie Mossadeq in Iran 1953 von CIA und MI5 oder Allende in Chile 1973 von Faschisten im Bund mit dem CIA). Die demokratischen Massen in Chile wurden zu Tausenden in Stadien massakriert, der US-Präsident Reagan gab später die Beteiligung der CIA zu, auch die CDU-Geführte BRD arbeitete mit den chilenischen Faschisten zusammen.

 

Kein Wunder, dass außerhalb von Deutschland, fast alle Linken Antiamerikanismus für eine ur-linke Grundkategorie halten (mensch schaue mal Diskurse der gobalen Linken an). Paradoxerweise nennt sich diese sehr deutsche Spezialität "Antideutsch" :)

 

2. Anti-Amerikanismus kann verklären, dass keine Staaten und Völker sich gegenüberstehen sondern Macht-Gruppen, Eliten, Kapital und immer eine Masse von einfacher Bevölkerung in verschiedene Herrschaftsprojekte eingebunden oder ihnen unterworfen wird.

Die Schranken verlaufen immer noch nicht zwischen den Völkern, Religionen oder Kulturen, sondern zwischen Kapital und Leben (wenn mensch so will auch innerhalb des Kapitalisten).

 

3. Beschissen ist es immer, wenn es eine eigentlich politische Richtung gegen machtlose, einfach Individuen geht. Was kann ein*e US-Amerikaner*in für die Politik "ihres" Landes? Dieser Punkt wird aber glaub ich überbewertet, hab noch nie US-Amerikaner*innen klagen hören, dass sie in Deutschland abgewertet würden. Im Gegenteil genießen US-Bürger hier im Mainstream ein hohes Ansehen und die USA sind immernoch das beliebteste außereuropäische Urlaubsland der Deutschen! Dieser empirische Befund wird bei dem Hype um Antiamerikanismus oft vergessen.

 

4. Es darf nicht vergessen werden, dass die USA global am heftigsten, wohl gefolgt von der EU und Deutschland, die Interessen des golbalen Kapitals mit militärischer Gewalt durchsetzt, vor allem gegen den globalen Süden, aber auch gegen die jeweils eigene Bevölkerungen! Die USA hat in mehr als der Hälfte der Staaten der Welt Militär-Stützpunkte, und obwohl die USA nur 5% der Weltbevölkerung stellen, haben sie über 40% des Welt-Militärhaushalts! (Unter Bush war dieser sogar knappe 50% des Weltmilitärhaushalts). Die Imperialien Mächte USA, EU, Deutschland, England und Frankreich stürzten alleine in den letzten Jahren Länder ins Chaos, die zwar nicht sehr demokratisch waren, aber immerhin ein friedliches, erträgliches Leben ermöglichten wie, Irak, Libyen und Syrien. Afghanistan war in den 60ern noch eines der friedlichsten und religiös tolerantesten Länder der Region, bis die USA aus Anti-Sowjetischer Politik ihren Einfluss dort geltend machte. Das westlich orientierte, freiheitlich-demokratisch und sozialistisch orientierte Iran der 50er wurde oben schon thematisiert. Auch in Libyen greift der relgiöse Fundamentalismus um sich, seit Frankreich dort das stabile und wohlhabende Libyen Gaddafis bombadierten. Mainstreampresse wie unreflektierte Linke hatten die Dämonisierung Gaddafis mitbetrieben und so den Widerstand gegen diesen Krieg klein halten können.

 

5. Die inner-us-amerikanischen Widersprüche dürfen nicht weggelassen werden, wenn über Antiamerikanismus gesprochen wird. In den USA kann das Kapital eben noch ungehinderter seine Interessen gegen die Bevölkerung durchsetzen als in Europa. Deutschland ist aber schon dicht dahinter und versucht die USA der Region Europa zu sein, sowohl was Hinterhofpolitik (USA: Lateinamerika, Dtl: Südeuropa) angeht, als auch was undemokratische, wirtschaftsfreundlich, umwelt- und arbeitnehmerfeindliche Politik angeht. Deutschland ist nach den USA auch Niedriglohnland geworden und versucht es mit den "Kanonen der wohlfeilen Waren" (Marx im Kapital, ganz am Anfang) in den Rest der Welt zu exportieren.

Dennoch ist es in den USA zu weiten Teilen noch schlimmer: Die weltweit höchste Gefangenenquote haben die USA, noch 3 mal so viele Gefangene auf 1000 Einwohner wie Russland, was den Platz 2 der Weltrangliste belegt (Kuba, China, usw. sind alle Engel gegenüber den USA). Die USA haben als einziges Land fast 1% ihrer Bevölkerung eingesperrt: 2,5 Mio. Gefangene bei ca. 300 Mio. Einwohnern. Jeder dritte schwarze Mann in den USA sitzt oder saß im Gefängnis. Ein System welches die Sklaverei fortschreibt, denn die Gefängnisinsassen müssen für einen Cent-Bereichs Stundenlohn arbeiten, klar dass die Politik dazu gedrängt wird, immer mehr Menschen zu verurteilen! Deutschland zieht nach: In den Gefängnissen besteht Arbeitspflicht, viele Konzerne können so billig produzieren.

Land of the Free? Home of the Slave!!!

 

Als Linke sollten wir gerade den schwarzen Befreiungskampf in den USA (Mumia, Assata Shakur, Angela Davis), wie auch die anarchistische und andere Befreiungsbewegungen dort unterstützen und nicht zu verteidigern dieses auch dort verhassten Regimes werden, ohne natürlich hier dem deutschen Nationalismus einen Meter zuzugestehen. USA, EU und Deutschland sind in fast allen Fragen EIN fester Block der Herrschenden, das müssen wir auch auf solchen Demos vermitteln. Eine Spaltung zwischen Antideutsch und Antiimperialismus macht immer weniger Sinn: Dem deutschen Imperialismus und den imperialistischen Freunden Deutschlands gehört beiden der Kampf angesagt!!!