30. Todestag C.K. Altun

Altun Gedenken

Am 30.08.2013 jährt sich der Tod von Cemal Kemal Altun zum 30. Mal. Es ist eine lange Zeit seit dem vergangen - und unzählige mussten seinem Schicksal folgen. Damit Cemal nicht vergessen wird, wollen wir hiermit an ihn erinnern.

 

"Der große Tag Wenn jener großer Tag kommt, werde ich, wer weiß, seit wievielen Jahren in meinem ewigen Schlaf, in der Tiefe der Erde eingeschlafen sein. Aber wenn ich die Nachricht erhalte, auf die ich seit langem warte, werde ich aufwachen und wenn niemand meine Stimme hört, werde ich unter der schwarzen Erde mit dem unbeschreiblichen Enthusiasmus des Sieges jenes großen Tages schreien. Jenen großen Tag werde ich, den vergangenen bitteren vergessend, wer weiß, vielleicht durch die scharfe Kälte des blütenweißen Schnees an einem Wintertag, der mich wie eine Decke bedeckt, oder durch den Regen im Herbst, der in meine Knochen einwirkt, fühlen. An der unersättlichen Freude, die Millionen von Menschen erfasst, werde auch ich teilnehmen. Auch wenn es Frühling oder ein heißer Sommer sein wird, es mein Grab auf dieser Welt nicht mehr gibt und keine Lebenden sich an mich erinnern, werde ich jene Überraschung durch die Natur erfahren. An dem Tag, den die Hände der Freunde schaffen werden, werde ich teilhaben, ohne dass es jemand merkt." Mustafa Özenç

 

Der Staat mordet selbst

 

Das Recht auf Asyl wurde nicht 1993 abgeschafft. Es wurde bereits Anfang der 80er Jahre entwertet. Die BRD sorgte mit dem Auslieferungsabkommen an die Militärregierung der Türkei  für die Auflösung des Schutz bietenden Asylrechtes. Nicht der deutsche  Mob hat das Ende des Artikel 16 erkämpft. Mit dem Zuzugssperren und  Auslieferungsabkommen wurde bereits 1975 der Kampf gegen Migration  aufgenommen. Lange bevor in Lichtenhagen die erste Flasche flog, hatte  der deutsche Staat bereits hunderte in den Tod geschickt. Was vergessen  gemacht werden soll, ist der Grund für unsere Kämpfe. Am 30.08.1983 springt der kurdische Aktivist Cemal K. Altun in den  Tod. Cemal steht an diesem Tag in der Verhandlung seines Asylantrages  vor Gericht. Auf Grund der politischen Verfolgung in der militärisch regierten Türkei war er 1980 in die BRD  geflohen und hatte Antrag auf Asyl gestellt. Nach dreizehn Monaten der  Haft und Hickhack zwischen den unterschiedlichen Institutionen über sein weiteres Schicksal hielt Cemal dem psychischen Druck nicht mehr stand  und stürzte sich aus dem offenen Fenster des Gerichtssaals. Es war ein Tod, in den ihn die BRD gedrängt hatte.Ein staatlich betriebener Selbstmord.

 

"Die Ignoranz der Justiz und der Opportunismus der Bundesrepublik waren stärker als sein Durchhaltevermögen und unser Engagement." hieß es in der Traueranzeige nach Cemal K. Altuns Sprung in den Freitod aus dem sechsten Stock der Justizbehörde.

 

Umbrüche  der 80er Jahre

 

Der zweite, große Militärputsch im Jahr 1980 bringt  große Unruhen in die türkische Gesellschaft. Neben allen anderen politischen Parteien, Vereinen und Gewerkschaften werden auch die Gruppiereungen wie die CHP (Cumhuriyet Halk Partisi / Republikanische Volkspartei) oder die Devrim Sol, in der Cemal organisierte, verboten. Etwa 30.000 Menschen sind von der folgenden Verfolgungswelle  gegen Linke betroffen. Folter und Mord sind programmatisch für die Tagespolitik der regierenden Militärmacht. Auf diese Weise werden große Teile der Gesellschaft „gesäubert“ und entpolitisiert.

 

In Deutschland beginnt mit dem Jahr 1982 die Kohlära und bringt neben zahlreichen Kürzungen im Sozialetat auch restriktivere Bestimmungen und Gesetzesnovellen am Ausländer- und Asylgesetz. Die Visumspflicht für Immigrant_innen aus Ländern, aus denen durch politische und gesellschaftliche Unruhen Fluchtbewegungen in die BRD befürchtet werden, wird eingeführt – so auch für Flüchtlinge aus der Türkei. Seit 1977 besteht ein türkisch-deutsches Auslieferungsabkommen für Straftäter_innen, das jedoch nicht in Kraft tritt, wenn Folter und Todesstrafe drohen. Auf der Grundlage dieses Abkommens entstehen zwischenstaatliche Foren, in denen über Menschenleben, über „Rückführungen“ in den Folterstaat verhandelt wird, vorbei an Gesetzen und Menschenrechtskonventionen. Schon Kohl hat kurz nach  der Regierungsübernahme von einer „zu großen Zahl von Türken“ in  Deutschland gesprochen, die halbiert werden müsse. Die zunehmende  rassistische Stimmung im Land wusste sein Innenminister Zimmermann mit  Aussagen wie “Wer leichtfertig von Ausländerfeindlichkeit spricht, redet  Ausländerfeindlichkeit herbei” (DIE Welt, 14.12.1982) zu rechtfertigen. In  seinem am 1. März 1983 vorgelegten „Ausländerbericht“ ist vor allem von  illegal eingereisten, kriminellen, das soziale Netz missbrauchenden  Migrant_innen die Rede, was die öffentliche Hetze weiter anheizt. In  Folge steigen die Zahlen fremdenfeindlicher Straftaten und rassistischer  Anschläge unvermindert an.  Angst, Verunsicherung und Verzweiflung  breitet sich unter Migrant_innen und Flüchtlingen aus.  So  ist klar, dass das Auslieferungsgebot mehr als opportun für diese Art  des Umgangs mit Migrant_innen für die damalige Regierung war und sie ihr  schon aus dem eigenen Interesse, so viele „Ausländer“ wie möglich  loszuwerden, gerne nachkam.

 

Geschichte einer permanenten Verfolgung 


Cemal ist am 13. April 1960 in Samsun in der Türkei geboren. Er hat sich schon früh politisch engagiert und geriet durch Flugblätter-Aktionen und Reden bereits vor dem Putsch ins Visier der nationalistischen Kräfte, mit denen es häufige Zusammenstöße gab. Als nach der Machtergreifung des Militärs im September 1980 Tausende von Genoss_innen verhaftet wurden, was einem Todesurteil gleichkam, verließ er bereits im November 1980 das Land und floh über Bulgarien, Ungarn, die CSSR und die DDR in die BRD. Er wurde in West-Berlin von seiner Schwester aufgenommen. Auch sein Bruder musste fliehen, ihn verschlug es nach Frankreich. Zunächst lebt Cemal ohne legalen Status als Untergetauchter, bis er im September 1981 politisches Asyl beantragt.

 

Über die türkische Presse erfuhr er, dass ihm die Beteiligung an der Ermordung des rechten Politikers und ehemaligen Ministers Gün Sazak angehängt wird, einem profilierten Mitglied der faschistischen „Grauen Wölfe“.  Ihm wird klar, dass er namentlich auf die Todesliste der nationalistischen Kräfte geraten ist, die Wege suchen, ihre politischen Feinde im Ausland zu fassen. Der Vorwurf einer kriminellen Tat ist zu der Zeit eine geläufige Taktik, um die Ausnahmeregelung des Auslieferungsabkommens zu umgehen. Die verfolgte Person, die eigentlich wegen ihrer Gesinnung verfolgt wird, wird so zu einem Kriminellen umdefiniert und damit ein Vorwand für die Auslieferung geschaffen. Nach dieser Lesart droht also nicht Folter und Todesstrafe, sondern eine juristisch gerechtfertigte Haftstrafe. Eine Vorgehensweise, die gegenüber vielen türkischen und kurdischen Emmigrant_innen angewandt wird – mit entgegen kommender Hilfe der BRD. 

Denn nachdem Cemal K. Altun seinen Status als politischer Flüchtling offiziell gemacht hatte, erfährt der Berliner Staatsschutz von seinem Antrag und schaltet das Bundeskriminalamt ein. Die daruaf folgende Anfrage bei Interpol in der Türkei, ob ein Auslieferungsantrag vorläge kommt einer Denunziation an die Verfolger gleich. Die türkische Regierung stellt noch am selben Tag einen Haftbefehl gegen Cemal aus. Auf diese Weise spielt die BRD viele aus der Türkei geflohene direkt in die Hände ihrer Folterer. Seit September 1980 sind 150 Auslieferungsersuchen seitens der türkischen Regierung eingegangen. Nur 40 Prozent dieser Fälle werden von der Bundesrepublik überhaupt geprüft, 20 Prozent der gesuchten Personen letztendlich ausgeliefert.

 

Cemal besucht  während dieser Vorgänge Sprachkurse, da er in Deutschland studieren möchte. Aber  diese Illusion wird ihm geraubt, als sich die deutschen Behörden zu willigen Vollstreckern der türkischen Militärdiktatur machen und Kemal am 5. Juli 1982 in Auslieferungshaft nehmen. Er sitzt in Berlin-Moabit unter verschärften Bedingungen ein. Am 16.12.1982 erklärt das Berliner Kammergericht „ein politisches Motiv“ sei seitens der türkischen Regierung „nicht erkennbar“ und gibt die Zustimmung für die Auslieferung Cemal K. Altuns. Obwohl zeitgleich "amnesty international" klar feststellt, dass dem jungen Mann „Tod durch unmenschliche Haftbedingungen, Folter oder Hinrichtung“ droht. Am 15.März wird er aus seiner Zelle geholt – laut seinem Anwalt Wolfgang Wieland mit den Worten „Jetzt geht`s in die Türkei“ – und zum Flughafen gebracht. Doch vorerst wird er nach Frankfurt a.M. verlegt, um ihn so bald wie möglich abzuschieben.

Als es so weit ist, wird die Abschiebung buchstäblich in letzter Minute durch die europaweite Solidarisierungswelle gestoppt. Daraufhin reicht Wieland beim Bundesverfassungsgericht zwei Verfassungsbeschwerden ein, denen aber nicht statt gegeben wird, da man sich auf Grund des alliierten Status in eine „Berliner Sache“ nicht einmischen wolle. Das Recht auf Asyl stehe nicht über dem Auslieferungsgebot, heißt es in der Begründung. Was eine klare Umschreibung dafür darstellt, dass  hier die Judikative nicht als kontrollierendes Gegengewicht auftritt, sondern sich dem politischen Willen der Exekutive unterordnet. Auch bei der Europäischen Kommission für Menschenrechte geht eine Beschwerde ein. Diese befasst sich mit Cemal K. Altuns Fall und bringt den Vorgang durch Zulassung der Beschwerde am 2. Mai 1983 zum Erliegen.

 

Die BRD als politische Verfolgerin


Im Juni 1983 erfolgt die Anerkennung Cemals als politisch Verfolgter durch das Bundesamt für  Migration und Flüchtlinge. Bis dahin hat Kemal 11 Monate in Haft verbracht, wurde wie ein Schwerverbrecher in Hand- und Fußketten zu den Verhandlungen geleitet. Hier hätte durch die Anerkennung sein Leidensweg enden können.

 

Stattdessen aber klagt der Beauftragte der Bundesregierung für Asylfragen gegen Cemal K. Altun.  In einem Brief den Innenminister Friedrich Zimmermann am21.07.1983, also einen Monat nach der offiziellen Anerkennung als politisch Verfolgter, an Justizminister Engelhardt richtete, heißt es: „Im Interesse der Fortführung einer nach wir vor guten Zusammenarbeit mit der Türkei auf polizeilichem Gebiet, aber auch im Interesse der Glaubwürdigkeit des Auslieferungsverkehrs mit der Türkei insgesamt, bitte ich Sie, die Bewilligungsentscheidung vom 21.Februar für vollziehbar zu erklären, damit unverzüglich die Auslieferung durchgeführt werden kann.“ Von der Bundesregierung erfolgt keine Reaktion, Außenminister Genscher wartet den Ausgang des weiteren Verfahrens ab.

Derweil lässt sich die Europäische Kommission von faulen Kompromissvorschlägen der Bundesregierung einwickeln, wodurch die Verlängerung der Aussetzung der Auslieferungsmaßnahme nicht erfolgt. Da Altun ja mittlerweile den Status als politisch Verfolgter innehält, „verspricht“ die türkische Regierung, ihn nach Verbüßung der Haftstrafe nach Deutschland zurück zu schicken. Ob der Vorwurf der Beteiligung an dem Attentat auf Sazak wirklich berechtigt ist, wird trotz Versprechen von deutscher und europäischer Seite nicht überprüft.

 

Das neue Verfahren findet vor dem Berliner Verwaltungsgericht statt. Cemal K. Altun ist lediglich als sogenannter Beigeladener anwesend. Der Vorsitzende Richter nimmt sich der Sache ernsthaft an. Er kennt die Verhältnisse in der Türkei und möchte ein gerechtes Urteil für Cemal erwirken. Er fordert die Bundesregierung immer wieder dazu auf, den Verbleib Cemals wenigstens bis zur mündlichen Verhandlung Ende August zu garantieren. Aus Bonn kommt die Ablehnung, da das Auslieferungsverfahren vom Asylverfahren unabhängig sei.

In Befürchtung des für Kemal positiv ausfallenden Urteils und Generierung dessen als Präzedenzfall werden noch im August in aller Eile andere türkische Flüchtlinge klammheimlich abgeschoben. Vor der Abholung werden weder die Anwält_innen, noch die Angehörigen benachrichtigt. Großangelegte Protestaktionen am Frankfurter Flughafen werden daraufhin durchgeführt, bei denen unter anderem die Zugänge zur Lufthansa-Maschine blockiert werden. Dennoch zieht die Regierung voll durch, und das Flugzeug landet mit lediglich 30 Minuten Verspätung in Istanbul, wo die Deportierten sofort verhaftet werden. Wenige Tage später erfolgt eine weitere Blockade-Aktion am Hamburger Flughafen.

 

Trotz der Anerkennung als politisch Verfolgter und des laufenden Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht, ordnet das Kammergericht, welches das Auslieferungsverfahren bewilligt hatte, die Haftfortdauer für Cemal an. Innenminister Zimmermann verspricht während eines Staatsbesuch in Ankara erneut die Auslieferung Cemal K. Altuns.  Jetzt schlägt sich auch das Bundesjustizministerium, an das das dringende Ersuchen Zimmermanns adressiert gewesen war, auf die Gegenseite. Dessen Staatsekretär und ehemalige Geheimdienstfunktionär Klaus Klinkel, sagt die Auslieferung noch vor dem Gerichtsurteil zu.

Der erste Prozesstag findet am 25.08.1983 unter großem Medieninteresse und Beobachtung durch den UNHCR statt. Der zweite ist für den 30.08.1983 angesetzt. Cemal wird in den Gerichtssaal geführt. Es ist ein heißer Tag, deswegen steht ein Fenster weit offen.  Plötzlich rennt Cemal zum offenen Fenster und springt ohne auch nur eine Sekunde zu zögern aus dem sechsten Stock 25 Meter in die Tiefe. Die Notärzte können nur noch den Tod feststellen. Nach dem Selbstmord erklärt Wolfgang Wieland auf einer Pressekonferenz, dass Altun von denen in den Tod getrieben worden sei, die die Auslieferung betrieben haben. Die Bundesregierung zeigt sich „bestürzt“, erklärt aber, man habe mit solch einer Verzweiflungstat nicht rechnen können. Am 04. September 1983 wird seine Leiche auf dem Heilig-Kreuz-Friedhof beigesetzt, 5.500 Menschen sind anwesend. Sie tragen seinen Sarg auf ihren Schultern quer durch Westberlin.

 

Sein Tod löst eine große Protestwelle aus, 10 000 Menschen beteiligen sich in West-Berlin an der Trauerdemonstration. Im Februar 1984 wird Cemal K. Altuns Asylantrag vom Verwaltungsgericht posthum bewilligt. Dem Gesetz wird genüge getan, die türkische Militärdiktatur braucht sich nicht mehr die Finger schmutzig zu machen – das hat die BRD für sie erledigt.

 

Wofür steht Cemals Tod?


Cemal K. Altun ist der erste bekannte politische Flüchtling in der Bundesrepublik, der sich aus Angst, in einen Folterstaat abgeschoben zu werden, das Leben nahm. Er stürzte sich aus Angst vor der drohenden Folter und der Verzweiflung, die aus 13 Monaten der Haft und der Ungewissheit resultierte, in den Tod.  Sein Fall ist nicht nur die traurige Geschichte eines Schicksals, das zwischen Absprachen und Übereinkommen der BRD und einer Militärjunta zerrieben wurde, er ist bis heute ein Symbolbild für die verschiedenen Positionen der damaligen, deutschen politischen Landschaft. Neben der Öffentlichkeit und sämtlichen linken Politiker_innen waren Außenminister Genscher und das Verwaltungsgericht Berlin mächtige Fürsprecher für Cemal, während das Innenministerium, allen voran Innenminister Zimmermann, sowie das Kammergericht alles taten, um ihn gegen den öffentlichen Willen und bestehende Gesetze dem sicheren Tod auszuliefern. So ist Cemals Fall auch als Zankapfel zwischen humanistischen Auffassungen, die sich wesentlich aus den Lehren des Nazi-Faschismus speisen, und dem Vollzug einer Realpolitik, die trotz des NS keine Berührungsängste mit einer Militärdiktatur zeigte, zu betrachten. Es sind auch jene konservativen Kräfte, die gleich vom Anfang der BRD-Geschichte gegen das - in ihren Augen -  all zu liberale Asylrecht insistiert haben.  Joschka Fischer äußerte sich im Bundestag diesbezüglich, dass er Cemals Tod als „traurigen Höhepunkt einer seit Jahren vollzogenen Aushöhlung des Asylrechts in ein Asylverweigerungsrecht“ betrachte, die schon unter der sozialliberalen Regierung begonnen habe.

 

Das ist nur teilweise richtig, bereits 1965, unter der schwarz-gelben Regierung Ludwig Erhards, hatten die sogenannten „Asylskeptiker“ die ersten Einschränkungen des ursprünglich bedingungslosen Asylrechts vorgenommen.  Im Jahr 1977, in dem „zufällig“ auch das Auslieferungsabkommen mit der Türkei abgeschlossen wurde, traten die Nachfolger jener Politiker eine Debatte über einen „Missbrauch“ des Asylrechts los und sorgten für eine breite Streuung der Missbrauchstheorie in der deutschen Medienlandschaft. Darauf folgten restriktive Änderungen des Asylrechts durch die sozialliberale Regierung Schmidt. Eine Ausweisung des Geflüchteten konnte jetzt auch schon während des laufenden Verfahrens erwirkt werden, oder bereits an der Grenze, da die Grenzbehörden in eigener Verantwortung und ohne Einschaltung des Bundesamtes Flüchtlinge zurückweisen durften. Neben weiteren Einschränkungen wurde in diesem Zuge auch die Residenzpflicht eingeführt.  Nachdem der Staat Anfang 1993 aus realpolitischen Interessen die parlamentarischen Hürden zur Änderung des Grundgesetzes überwand und 1996 von Karlsruhe auch noch bestätigt wurde, standen zur gewaltsamen Deportation großer Menschenmengen weder humanistische Bedenken noch irgendwelche Instanzen mehr im Weg.

 

Damals sind wegen einem Menschen Tausende auf die Straße gegangen und haben protestiert. Es war die Generation, die ihre Altvorderen dazu aufforderte, aus der Vergangenheit zu lernen. Heute bringen sich nach wie vor Geflüchtete um, da sie Angst haben, abgeschoben zu werden, oder aus Verzweiflung über den Umgang, den sie hier erfahren. Aber es kümmert nur noch wenige. Einerseits weil durch die neoliberale Umstrukturierung der Gesellschaft die sprichwörtliche soziale Kälte Einzug gehalten hat. Jede_r ist froh, sich selbst einigermaßen in Sicherheit zu wähnen, und abstumpft gegenüber dem Schicksal der Menschen, die weniger Glück haben. Andererseits scheinen die Schrecken des Nationalsozialismus an Wirkung verloren zu haben.  Deswegen geht alles wieder seinen gewohnten Weg: deutsche Waffen, deutsche Soldaten und deutsches Geld morden mit in aller Welt, deutsche Vorherrschaftsansprüche in Europa, deutsche Vorreiterrolle, wenn es um die unmenschliche Abschottung gegen die Opfer der Kriege geht, die man mitverursacht hat. Und natürlich wird mit jedem Regime kooperiert, wenn die Interessen übereinstimmen, so undemokratisch und reaktionär es sein mag.

 

Ein Teil der Geschichte rassistischer und tödlicher BRD Politik ist der Suizid von Cemal K. Altun. Seine Geschichte zeigt deutlich, dass schon vor der Entwertung des Artikel 16, das Schutzgebot für politisch Verfolgte zu umgehen versuchte. Dies stand seit je her in Verbindung mit rassistischen Zuschreibungen, Stigmatisierungen und Kriminalisierung. So stellte sich die politische Verfolgerin BRD stets auf die Seite der rechtmäßig agierenden. Dieser Staat hat sich stets gegen Migration positioniert. Er hat das Recht auf freie Bewegung in immer neuen Formen bekämpft – doch bis heute nicht gewonnen. Wir treten nicht an, um das alte Asylgesetz zurückbekommen. Denn dies bot nie den Schutz, den es versprach. Nein, wir wollen gegen den Krisengewinner Deutschland protestieren, gegen seinen skrupellosen Standortnationalismus, gegen den hohen Preis, den andere dafür zahlen müssen. In Angedenken an Cemal Kemal Altun und all die anderen, vielen Menschen, die Opfer deutscher Politik und/oder des deutschen Rassismus wurden und nicht mehr am Leben sind, möchten wir nicht, dass sie vergessen werden und anmahnen, dass ihnen noch sehr viele weitere Menschen folgen werden.  Deutschland hat nichts aus seiner Geschichte gelernt, deshalb liegt es an uns Nichts und Niemanden zu vergessen!  

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Kann mich noch gut daran erinnern - wie es uns neben anderen Sachen geprägt hat.

 

Einem Staat, der einen Menschen in solch eine auswegslose  Situation bringt, werden wir nie vergeben.

 

Cemal Kemal Altun! Presente!

Veranstaltung Cemal Kemal Altun

30.08.2013, 16.00 Uhr
Gedenkkundgebung
Kemal-Altun-Platz, Kassel
Am Kulturzentrum Schlachthof

 

 

31.08.2013, 14.00 Uhr
Internationales Kulturfest
Kemal-Altun-Platz
Hamburg-Ottensen

 

siehe: http://rassismus-toetet.de/?p=2539

Cemal kommt aus derselben Region wie ich. In der östlichen Schwarzmeer-Region sind unsere Geburtsstädte benachbart. Ich meine, ich wurde in der Stadt ORDU geboren und bin dort aufgewachsen. Er hingegen ist in SAMSUN geboren und aufgewachsen. Der große Bruder von Cemal ist Abgeordneter der Republikanischen Volkspartei (CHP) in Samsun. Seine Bekanntschaft mit der Politik rührt daher. Die CHP ist in unserem Land eine bürgerliche Partei mit sozial-demokratischen Neigungen. Cemals Bruder ist einer der progressivsten Abgeordneten dieser Partei. Aber Cemal wählte nicht seinen (seines Bruders; Anm. d. Übersetzers) Weg, sondern wurde Revolutionär. Er vollzog diesen Schritt, indem er der revolutionären Jugendbewegung beitrat. Das war in den Universitätsjahren. Wenn ich mich nicht falsch erinnere, war er Student an der Fakultät für Politik-Wissenschaften in Ankara. In dieser Fakultät nahm er seinen Platz innerhalb der DEV-GENC Organisation ein und wurde in der Folgezeit zu einem der Studentenführer der DEV-GENC in Ankara.

Aber ich habe meine Bekanntschaft mit ihm nicht in dieser Zeit gemacht. In dieser Zeit befand ich mich in Istanbul. Wir machten unsere Bekanntschaft nach meinem Umzug nach Ankara. Es waren Zeiten, in denen die Fußschritte des Militärputsches vom 12. September aus nächster Nähe zu spüren waren. Wir warteten darauf, dass der Putsch jederzeit erfolgen könnte. Und sehr viele Revolutionäre trafen ihre Vorkehrungen damit, indem sie ihre Wohnorte verließen und sich an anderen Orten niederließen. Und ich hatte Istanbul verlassen und mich in Ankara niedergelassen. Und Cemal gehörte zu den Menschen, die mich in ANKARA als Erste empfingen. Ich erinnere mich an unser Treffen an einer Bushaltestelle, als wäre es heute.

Anschließend war auch Cemal dazu gezwungen, den Jugendbereich zu verlassen. Weil die Universitäten und Studentenheime unter die volle Kontrolle der Junta gerieten, waren diese Orte als Treffpunkte nicht mehr geeignet. Daraufhin haben wir mit Cemal begonnen, in den armen Gecekondu-Vierteln Ankaras zu arbeiten. Dort haben wir versucht, die Volks-Opposition gegen die Junta zu organisieren. In dieser Arbeitsphase war ich in ständigem und engem Kontakt zu ihm.

Auch nach dem 12. September haben wir unsere Aktivitäten eine Weile fortgesetzt. Und ich erinnere mich gut, dass ich mich mit ihm eine Weile inmitten eines Gendarmerie-Einsatzes wiederfand. Zu dieser Zeit hatte die Gendarmerie unseren Standort vollkommen umzingelt und wischte auf der einen Seite Wandparolen von Revolutionären weg und nahm auf der anderen Seite Verdächtige Personen fest. Es gab Massenfestnahmen. Auch uns hatten sie umzingelt. Aber mit etwas Kaltblütigkeit und weil wir aus derselben Region waren, ließen sie den Verdacht fallen und uns gehen.

Während dieser Aktivitäten verloren wir eine Weile später den Kontakt zu Cemal. Er kam nicht mehr zu seinen Verabredungen. Wir riefen seine Familie an. Es hieß, wir sollten hier nicht anrufen. Aber wir hörten nicht auf und hörten uns in seinem Umfeld um. Wir erfuhren, dass er sich ins Ausland begeben hatte. Cemal hatte es vorgezogen, das Land zu verlassen und in Deutschland Exil zu suchen. Ich hatte später aus der Presse erfahren, dass er hier verhaftet worden war. Damals hatte die türkische, bürgerliche Presse ein großes Interesse an Cemals Verhaftung und an seinem Prozess zur Auslieferung. Schließlich ereignete sich das bekannte, tragische Ereignis. Als ich davon erfuhr, war ich in Ankara. Und natürlich war ich sehr traurig darüber. Und immer, wenn ich mich daran erinnere, fühle ich einen Schmerz in mir...

Meine Bekanntschaft zu Cemal und mein Wissen über ihn habe ich geschildert.

Ja, der Militärputsch vom 12. September 1980 ist ein wichtiger Abschnitt für die türkische Linke. Es ist wie eine neue Zeitrechnung. So ist es auch für das Volk. In unserem Land wird bei vielen Schilderungen unterschieden zwischen vor dem 12. September und danach. Denn das heutige ökonomische, gesellschaftliche und politische System steht in einer Kontinuität zum 12. September. Aber dieses System wurde durch den erbitterten Kampf der Revolutionäre, speziell in den 90'ern, stark geschwächt. Deswegen versucht die Bourgeoisie heute die faulenden Seiten dieses Systems zu beseitigen und sich zu teilweisen Neuerungen zu bewegen.

Faruk Ereren
JVA Düsseldorf
Oberhausener Str. 30
40472 Düsseldorf

Zu Faruk Ereren
Bereits in der Türkei war Faruk für 9 Jahre während des Militärputsches 1980 eingesperrt. Er bekämpfte als radikaler Linker das türkische Regime. Im Knast wurde er unzählige male gefoltert. Nach seiner Entlassung flüchtete er wegen seiner angegriffenen Gesundheit ins Ausland und wurde 2007 in Hagen festgenommen.

Von Januar 2009 bis Ende September 2011, also fast 2 ¾ Jahre, dauerte das Verfahren gegen Faruk vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf.
Gegen Faruk wurde im Laufe des Prozesses zwar der § 129b-“Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland" fallen gelassen, aber mit Hilfe von Kronzeugen-Aussagen, die unter Folter zu Stande kamen, wurde er zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er angeblich die Verantwortung für den Tod zweier Polizisten in Istanbul im Jahre 1993 übernommen haben soll.
Am 6. Mai begann das Revisionsverfahren gegen Fauk Ereren vor dem OLG Düsseldorf. Der beantragten Revision wurde aufgrund der widersprüchliche Aussage des Zeugen im 1. Prozeß stattgegeben.
www.political-prisoners.net