Faust für Fortgeschrittene

Derzeit wird in Leipzig ein Flugblatt „Keinen Cent für's NDC“ verbreitet (https://linksunten.indymedia.org/de/node/89383). Erst springt der Deppenapostroph ins Auge und dann ein Bild: eine Faust, die einen Bundesadler durchschlägt. Mit diesem Bild sieht das Flugblatt radikal aus, die Verfasser wollen es aber nicht sein. Denn sie bezeichnen sich als „linke Gruppen“ und propagieren die Kritik des Extremismusbegriffs.

 

Die Kritik des Extremismusbegriffs leidet an ihrem Grund: der finanziellen Abhängigkeit ihrer Erfinder vom Staat. Projekte, die vom Staat finanziert, aber von diesem des Linksextremismus verdächtigt werden, wissen sich nicht anders zu helfen, als die Extremismustheorie infrage zu stellen. Es wäre einfacher, dem Staat Bescheid zu geben: „Wir sind nicht linksextremistisch!“ Aber man will der Radikalen Linken, mit der man Kontakte pflegt, nicht in den Rücken fallen und macht es um so schlimmer. „Extremismus? Den gibt es doch gar nicht!“ Die Herrschenden bekämpfen den Linksextremismus. Und die Linke? Sie schweigt ihn tot. Das alte Lied: Die Revolution wird durch Reformisten verraten – diesmal allerdings nicht durch ehrenwerte Sozialreformer, sondern durch Sprachreformer! 
Der Revolutionär kann mit der Extremismustheorie leben. Der bürgerliche Staat hat das Gewaltmonopol, er beruht auf Gewalt. Im Parlament sitzt, wer das Gewaltmonopol des Staates nicht infrage stellt, seit der Paulskirchenversammlung links die Linken, rechts die Rechten, dazwischen die Mitte – heute über allen der Bundesadler thronend. Im Abseits dieser Ordnung steht, wer das Gewaltmonopol infrage stellt.
Was wollen die Kritiker des Extremismusbegriffs, jene „linken Gruppen“? Wie die Pistolen von Kindern nur Spielpistolen sind und Kinder ihre besten Freunde nur zum Spaß erschießen, ist die Faust nur eine Spielfaust. Die Verfasser des Flugblattes wollen in den Diskurs intervenieren und sich in der herrschenden Ordnung links einordnen. Dort aber ist es eng geworden; also muss anderen Linken der Vorwurf gemacht werden, nicht mehr links bzw. vom linken Platz abgerückt zu sein! Im Flugblatt wird die Mär Vom unbefleckten Urzustand des NDC erzählt und dem heutigen NDC vorgeworfen, diesen glücklichen Urzustand verlassen und sich dem Staat angedient zu haben. Wahrscheinlich entstammt diese Mär der Fantasie altgedienter Antifas, die das NDC mitgegründet haben und ihre Vergangenheit nunmehr vor sich und den „linken Gruppen“ verklären müssen. Wer jedoch in der Geschichte des NDC herumgoogelt, wird herausfinden, dass an dessen Gründung unter anderem der heutige Vorsitzende der sächsischen SPD und verschiedene Gewerkschaftsfunktionäre beteiligt waren. Hätten seine Vertreter durchgeschlagene Bundesadler an die Tafel gemalt, wäre das NDC nicht in die Schulen gekommen, um gegen Nazismus und Rassismus aufzuklären. Dieses Interesse können „linke Gruppen“ nicht als Interesse des Staates wahrhaben wollen – sonst wüssten sie, die von der Expropriation der Expropriateure nichts wissen wollen, gar nicht mehr, was sie vom Staat unterscheidet. Also werfen sie dem Staat vor, alles andere als antirassistisch zu sein, und dem NDC, mit dem Staat zu kollaborieren: „Diese Fraktion der Zivilgesellschaft führt keine politischen Auseinandersetzungen gegen rassistische Zustände, sondern besorgt äußerst engagiert ein staatliches Geschäft.“ Wir wollen uns hier nicht gegen die sprachlichen Zustände auseinandersetzen, sondern mit dem Inhalt des Flugblattes. Der Inhalt des zitierten Satzes ist wenigstens zur Hälfte richtig. Das NDC besorgt ein staatliches Geschäft. Jedoch besteht das Geschäft gerade darin, die teils zurückgebliebene Bevölkerung in die Verhältnisse in einem vereinten Europa und einer globalisierten Welt einzugewöhnen. Insofern ist das NDC dem Staat in den Schoß gefallen. Denn was wäre besser, als Teenagern, die ihrem Elternhaus entrinnen wollen und neue Autoritäten suchen, hippe Mittzwanziger vor die Nase zu setzen, die gerade in der Universität, durch das Erasmusprogramm und auf Festivals erfahren dürfen, wie nett die große weite Welt sein kann? 
Der Staat braucht zur Durchsetzung seiner Interessen die Zivilgesellschaft und finanziert sie, aber natürlich nicht seine Feinde: „In die Hand, die einen füttert, beißt man nicht!“ Mehr noch: „Geb ich dir, gibst du mir!“ Diese Binsenweisheit haben die „linken Gruppen“ begriffen, sofern sie die staatliche Unterstützung despektierlich als „Gängelband“ bezeichnen. Aber wer von diesem frei ist, kann sich doch gut und gerne „linksradikal“ nennen? Nein, meinen die „linken Gruppen“. Die „Linksextremen“ würden mit den „Rechtsextremen“ durch das Suffixoid „extrem“ gleichgesetzt. Links- und Rechtsabbiegern, so möchte man hinzufügen, wird doch auch unterstellt, sie strebten in die gleiche Richtung. FDGO und StVO – klingt nicht nur ähnlich, sondern macht beides keinen Unterschied zwischen links und rechts! Spaß beiseite. Es gibt Extreme aller politischen Couleur. Die Nazis und Islamisten wollen etwas Schlechteres anstelle des bürgerlichen Staates setzen, wir etwas Besseres. Das ist nicht schwer zu begreifen.
Da jedoch in den „linken Gruppen“ das Gift des Arrangements wirkt, reden sie wirr – von einem Staat, der diejenigen, die ihn abzuschaffen gedenken, nicht als Extremisten bezeichnen dürfe. Gleichwohl besteht Hoffnung auf Heilung, wiewohl nicht ohne Risiko. Die Mitglieder der „linken Gruppen“ mögen sich die Faust auf ihrem Flugblatt, die den Bundesadler zerschlägt, genau anschauen – und erkennen: Nicht alles ist Diskurs, es gibt Extremismus! Wird ihnen übel bei dieser Erkenntnis, so sollen sie ihr Schicksal als Linke annehmen, bereitet ihnen hingegen die Vorstellung von der Zerstörung des Staates Lust, so sind sie gesund und herzlich willkommen in der Radikalen Linken. Letztere verstehen sich in einer Hinsicht gar nicht so schlecht mit dem Staat: „Guten Abend Herr Staat, Sie nennen mich Extremist? Stimmt, ich will Sie abschaffen!“

Anarchokommunistische Assoziation
Leipzig & Dresden, Juni 2013 

 

* Anmerkung zur Verwendung des grammatikalischen Genus: Sehr geehrte Damen und Herren (und Sie dazwischen und darüber hinweg), mit dem maskulinen Genus meinen wir, wie üblich, die ganze menschliche Gattung. So wenig wir diese immerzu in Geschlechter unterteilen wollen, so wenig irgendwen ausschließen. Fühlen Sie sich also nicht diskriminiert, wenn Ihr ganz persönliches Geschlecht hier nicht eigens angesprochen wird! Wir wissen, dass sich die heutige Jugend in den westlichen Metropolen ohne Unterlass und mitteilsam (in gender-studies, auf Queerpartys, in Streitgesprächen am WG-Küchentisch, durch die bedeutsamen Symbole /, I, _ und * ) mit dem Geschlechtlichen beschäftigt. Hier aber, in diesem Text, wollen wir davon mal ablenken. Indes sei Ihnen versichert, dass wir uns mit Ihnen auf die Forderung einigen können, wonach alle Geschlechter, wirklich alle, dereinst die Aufmerksamkeit bekommen mögen, die sie verdienen. ** Anmerkung zum Umgang mit der Extremismusklausel: Sehr geehrte Revolutionäre, wenn ihr keine Chance auf Arbeit außerhalb des Staatssektors habt und euch Geldsorgen plagen, dann unterschreibt den Wisch. In der Not frisst der Teufel Fliegen.

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hmm ... das wirkt auf mich, wie eine taktische Anmerkung, die aber nicht so viel Inhalt hat. Die Anmerkung * am Ende finde ich eigentlich ganz nett, der revolutionäre Ton allerdings nicht so passend. Natürlich müssen wir auch jetzt schon alle Geschlechter berücksichtigen! Der Weg die deutsche Sprache nur unnötig zu verkomplizieren und ungelenkliger zu machen ist m.E. nach falsch, da gebe ich der Assoziation recht. Ich glaube, dass der Schlüssel, Herrschaft in der Sprache zu verhindern nicht mit dem Deutschen gelingt. Ich glaube, dass es einer besseren Sprache bedarf.

Irgendwie beschleicht mich ein wenig das Gefühl hier wurde eine Kritik nur halb wahrgenommen.

Ja viele Gruppen lehnen den Begriff linksextrem ab, zurecht wie ich finde. Dies jedoch nicht aufgrund der Tatsache, dass sie sich von der Zerstörung und der Kritik von Staat, Nation und Kapital entfernen oder dem wiedersprechen wollen, sondern weil sie die relativierende Hufeisentheorie des "Extremismusforschers" Eckhard Jesse grundlegend ablehnen. Jesse schreibt:

 

„Die Extremismustheorie geht davon aus, dass die Rechts- und die Linksextremisten einerseits weit voneinander entfernt, und andererseits dicht benachbart sind, wie die Enden eines Hufeisens. Es gibt Feindbilder, die sich decken, etwa gegen Amerika, gegen die Globalisierung, gegen den Kapitalismus. Es gibt aber auch Feindbilder, die völlig unterschiedlich sind, auf der einen Seite die Fremden, und auf der anderen Seite etwa der Staat, der bekämpft wird.“ (Eckhard Jesse; http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/themen/133602/index.html)

 

Dadurch findet eine geichsetzung von Rechts und Links statt (mal eine grundlegende Kritik an den Begriffen Rechts und Links, welche meiner Meinung einer immer heterogenen politischen Richtung nicht gerecht wird, außen vor gelassen), was meistens im gleichen Atemzug mit einer Relativierung der NS-Verbrechen einhergeht. Es ist eben nicht das gleiche ob irgendwo ein Haus besetzt wird und gegen die Eigentumslogik eventuell auch militant vorgegangen wird oder Faschisten ein Haus anzünden und Menschen erschießen die rausrennen.

Ein weiteres Problem an der Extremismus-Hufeisentheorie ist, dass dadurch Versucht wird Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, Antiziganismus etc. in eine extremistische Ecke zu schieben. Dadurch soll der Eindruck entstehen (und entsteht ja leider bei vielen auch) die bürgerliche Gesellschaft, welche die schützenwerte Mehrheit darstellt, hätte mit solchen Einstellungen nichts zu tun. Dies seien Einstellungen der (rechts-)extremen. Das dies nicht stimmt, sondern diese ganze Drecksscheiße aus der sogenannten "Mitte der Gesellschaft" kommt und  dort meistens auf breite Akzeptanz stöst wird dadurch verwaschen.

Ich will damit gar nicht abstreiten, dass es in teilen ,der Linken Bewegung' tatsächlich Paralelen gibt zu Teilen ,der Rechten Bewegung'. Fetischisierte Kapitalismuskritik und Arbeitsethos sind dabei nur zwei Beispiele. Aber daher ja auch die Frage "Was ist links eigentlich?". Sind Anarch@s links oder abseits davon? Sind Leninisten links autoritär? etc. aber darum geht es bei der Ablehnung des Extremismus Begriffes genausowenig, wie darum sich von den Zielen einer radikalen Linken (Meiner Meinung nach die Abschaffung von Staat, Nation, die Zerstörung der Herrschaft des Kapitals und dem Aufbau einer emanzipierten Gesellschaft in welcher alle das gleiche Recht und die gleichen Möglichkeiten auf die individuelle Bedürfnissbefriedigung haben) zu distanzieren. Es geht einzig und allein darum, sich von einer NS- Verbrechen relativierenden und die Ursachen von Diskriminerungsmechanismen leugnenden Theorie zu distanzieren, welche unter anderem vom Verfassungsschutz aufgegriffen wurde um in erster Linie Antifaschistische Arbeit zu erschweren.

 

Ich mache teilweise Aussagen welche wie allgemeingültig klingen, dies ist natürlich nur meine individuelle Meinung und Einschätzung. Jedoch meine ich in vielen Diskussionen und Gesprächen bei vielen Leuten eine ähnliche Kritik mitbekommen zu haben.

 

Ich finde auch, dass alleine die Sprache nicht reicht damit die Welt endlich versteht, dass es nunmal nicht nur zwei biologisch determinierte Geschlechter gibt., sondern Geschlecht (Gender) in erster Linie sozial konstruiert ist und die Definitionsmacht darüber immer beim Individuum selbst liegt. Aber durch das Gendern kann nunmal deutlich gezeigt werden, dass ein bestimmtes Verstädnis bei einem Vorliegt, und es ist weniger nervig und zeitaufwendig direkt zu gendern, als jedesmal einen Erklärungsabsatz drunter zu setzen, um zu zeigen, dass bewusst nicht gegendert wurde und trotzdem ein Verstädnis vorliegt! Von diesem Thema "ablenken zu wollen" finde ich nicht angemessen, und grade durch das bewusste weglassen wird davon nicht abgelenkt, sondern die Thematik grade betont.

...der sogenannte deppenapostroph ist übrigens ganz was anderes. aber schön, dass jetzt auch "anarchokommunistische assoziationen" ihren anspruch auf ordnungsgemäße deutsche schreibe entdecken und den auch gleich plakativ-elitär vor sich hertragen.

Ist ein's. Wenn du's nicht glaubst, musst du noch mal in's Rechtschreibuch gucken oder auf's Internet.

Unter "Apostrophitis" gucken...

 

Anarchie ist kultuvolles Chaos!

schon lange nichts mehr gelesen was die Tatsachen so verdreht. Die Extremismusdoktrin bzw. Hufeisentheorie ist allein deshalb schon abzulehnen weil sie a) wissenschaftlich absoluter Quark ist und b) Faschismus, Nationalsozialismus und Rassismus verharmlost bzw. mit antikapitalistischen, antifaschistischen und antimilitaristischen Ansichten auf eine Stufe stellt und demenstprechend von rechtskonservativer, rechtspopulistischer Seite auch gezielt genutzt wird um gegen Links vorzugehen. Und als ob nur staatlich finanzierte Gruppen die Extremismusdoktrin kritisieren würden.

 

In diesem Sinn: Ja natürlich bin ich linksradikal, keine Frage. Aber extremistisch? Nö, warum denn? Warum sollte ich der bürgerlichen Logik folgen dass es eine gute Mitte und schlechte rechte wie linke Extreme gibt? Rassismus beispielsweise kommt ja leider auch aus der Mitte der Gesellschaft und ist kein Randphänomen, schon wärs.