Der türkische Geheimdienst steht vor der Tür.

Ömer Güney

Murat Şahin ist ein derzeit in der Schweiz lebender MIT-Agent (1), der jedoch aus einer politisch aktiven Familie stammt. In Zürich wurde er vom in der türkischen Botschaft stationierten MIT zu einer Zeit, als er große finanzielle Schwierigkeiten hatte, regelrecht erpreßt (2).

Man drohte ihm, er könnte seine Familie, wenn er auf das Angebot, mit dem MIT zusammenzuarbeiten, nicht eingehen würde, gefährden. Sein Vater werde ja als politischer Aktivist gesucht (2). Er versucht jetzt, wieder auszusteigen und hat bei diesem Anlaß eine  wertvolle Information geliefert: Ömer Güney, der mutmaßliche Mörder der drei kurdischen Aktivistinnen in Paris, arbeitet schon jahrelang als Agent des türkischen Geheimdienstes!

 

Agent identifiziert Agent.

In einem Interview mit Yeni Özgür Politika berichtet Murat Şahin, daß Güney zu derselben – auf linke Organisationen spezialisierte – Einheit gehörte wie er selbst. Die Frau, die seine in Ankara (3) stationierte Einheit führte, hatte ihm ein Bild gezeigt, das er sich merkte. Später, unmittelbar nach den Morden, konnte er die Person auf dem  in der türkischen Presse weit verbreiteten Bild von Ömer Güney mit der auf der ihm damals vorgelegten Aufnahme identifizieren.

 

„Das ist unser Mann in Paris. Hast du ihn je gesehen oder kennengelernt? Er wird zu einem heval“ (kurdisch: Genosse), hatte ihm seine Führungskraft damals mitgeteilt, und  damit bestätigt, daß Güney mit Täuschung und Infiltration beauftragt worden war (2).

Şahin war auch deswegen daran interessiert, ein Interview zu geben, weil er auf diesem Weg die fatale Lage, in der er sich befand, an die Öffentlichkeit bringen  konnte – dies schien geradezu die Bedingung für das Interview zu sein (2).

 

Ein überforderter Spitzel.

Er war zunächst damit beauftragt worden, sich in eine linke Organisation einzuschleichen. Es handelt sich dabei um die kommunistische  bewaffnete Organisation Devrimci Karargah („Revolutionäres Hauptquartier“) (4). Am 6. 12. 2011 fand allerdings eine  Polizeiaktion gegen diese Organisation statt (5), bei der Şahin verhaftet wurde (6).

Der MIT intervenierte nicht, als Şahin von der Antiterroreinheit verhört wurde, er intervenierte nicht, als er bereits vor der Staatsanwaltschaft stand. Erst nach tagelanger Haft kam er frei. Da hatten die türkischen Medien schon berichtet, daß er ein MIT-Agent (5) war und seinen Namen genannt (2). Seither fühlt er sich „hintergangen“ (2). Ein Grund für einen versuchten Ausstieg.

Seine Akte wurde aus den Akten der anderen, die bei der Operation verhaftet wurden, ausgesondert, in diesen anderen Akten ist jedoch seine  Mitgliedschaft angeführt (5).

Freimütige Eröffnungen.

Er spricht sich offen gegen eine Einzeltäterschaft aus, er spricht offen über die Struktur der Geheimdienste. Seiner Meinung nach sei Güney der Todesschütze gewesen, er habe allerdings unmöglich allein agieren können (2).

Von einer vollkommen einheitlichen Politik des MIT könne man nicht sprechen. Auch in den Diensten gebe es zwei Flügel, berichtet er im Interview, die Hardliner und die Vertreter einer politischen Lösung. Diese zwei Lager finde man nicht nur im MIT, sondern auch im Jitem (2) (Geheimdienst der Gendarmerie (7)) und in Ergenekon (8).

Und weiter heißt es im Interview: „In Europa laufen die Arbeiten des MIT gegen linksgerichtete Gruppen und die Kurden unter den Dächern der Botschaften. Aus der Botschaft erhalten die MIT-Leute ihre Befehle.“ Und er nennt die Namen/Decknamen der Agenten der Botschaft in Zürich (2). Den des ersten, der ihn 2006 in Zürich angeworben hatten  und den dessen, der ihm vier Jahre später nachfolgte (5).

 

Nochmals überfordert.

Aber die endgültige Motivation für einen Austritt erhält er durch die Beauftragung zur Teilnahme an einem windigen Desinformationsprojekt. Nach seiner Verhaftung und Freilassung in der Türkei wurde er mit einer noch delikateren Aufgabe betreut, als es die Infiltration in die Reihen von Devrimci Karargah gewesen war. Er sollte als Zeuge in einem Prozeß aussagen, mit dem eine Art  gemeinsames Komplott von linken und rechten Kräften konstruiert wurde.  Im vorliegenden Fall waren davon gleichermaßen sowohl die KCK (Kurdische Konföderation, Konföderation kurdischer Gemeinden) als zentrale zivile Organisation der Kurden, als auch Ergenekon (!) und Devrimci Karargah, eine knallharte kommunistische Guerilla, betroffen (5), drei mehr als disparate Phänomene. Es gehört zur türkischen Desinformationsstrategie, und nicht nur zur türkischen, und zur psychologischen Kriegsführung, die extreme Rechte und die radikale Linke demagogisch und bewußt realitätsfern aneinanderzubinden, miteinander als umfassenden Terrorpopanz auftreten zu lassen, geheimnisvoll  im Einen das ganz Andere aufzudecken und zu behaupten. Links soll als Rechts gebrandmarkt werden. Dieses in Italien schon lang als Strategie der „opposti estremismi“ bekannte geheimdienstliche Muster wird in letzter Zeit in der Türkei auf die grobschlächtigste Weise praktiziert. Das Ganze wird Şahin zuviel, und er versucht nun, auch auf den Rat seines Vaters (10), auszusteigen.

Nun befürchtet er, daß entweder der MIT ihm verschwinden läßt, es könnte aber auch „eine Organisation“ (eine kommunistische oder eine kurdische, AuO) gegen ihn vorgehen, mutmaßt er, viiellciht nicht ohne Grund. Er hofft nun auf ein französisches Zeugenschutzprogramm: „Wenn die französische Polizei und die Justiz meine körperliche Unversehrtheit und Sicherheit gewährleisten können, kann ich mein Wissen auch mit ihnen teilen.“ (2)

Die Mitgliedschaft Murat Şahins wird auch in einer Sendung  des türkischen Nachrichtensenders Haberturk bestätigt, wo es, etwas simplifizierend, heißt: „Sahin wurde bei den Devrimci Karagah (Karargah, AuO) Operationen festgenommen, und aufgrund seiner MIT-Zugehörigkeit wieder freigelassen.“ (9)

 

Ein deutsch-türkischer Politiker.

Ömer Güney selbst ist gefährdet – so sehen es zumindest seine Verwandten. Er ist übrigens mit einer doppelten Staatsbürgerschaft ausgestattet: einer deutschen und einer türkischen, wie Ulla Jelpke, Bundestagsabgeordnete der Linken, herausgefunden hat (9).  Insgesamt 8 Jahre lang lebte er in Deutschland und zwar in Bayern, von 2003 bis 2012. Als Kind war er allerdings mit seiner Familie nach Frankreich gezogen (10).

In Deutschland setzt er sich an prägnanten Orten fest. 2010 zog er nach Schliersee südlich von München, eine Stadt, in der türkische Faschisten einen derartigen Einfluß haben, daß Kurden von dort aus Angst sogar wieder wegziehen. Deutschland macht´s möglich.

Über einen solchen Fall berichtet ANF: „Bereits zu seiner Zeit in Bayern soll sich Güney überwiegend in Moscheekreisen aufgehalten haben. Bis 2010  lebte im 50 Kilometer von München entfernt gelegene Bad Tölz, bevor er ins 28 Kilometer weiter entfernte Schliersee zog. Schliersee ist für die starke Organisierung von türkischen Nationalisten bekannt. So gab der kurdischstämmige S. K. bekannt, dass er und seine Familie sich aufgrund von Drohbriefen türkischer Nationalisten gezwungen waren, aus Schliersee wegzuziehen“ (11) . Güney scheint sich dort recht wohl gefühlt zu haben.

Er pendelt zwischen den Ländern umher. Einmal wäre er beinahe sogar in Holland gefaßt worden, dies sei  Şahin von seiner Führung in Ankara-Çankaya mitgeteilt worden (2). In Deutschland bekam er eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz (10). Bayern bleibt aber keine Endstation. Sein Ziel ist Paris, und er dürfte nicht allein gewesen sein.

 

Infiltration und Killerteam.

Obwohl nun sein Vermieter in Schliersee bestätigt, Güney habe dort bis August 2012 gewohnt, wurde er im November 2011, wie mehrfach berichtet, Mitglied eines kurdischen Vereins in Villiers-le-Bel, einer bekanntermaßen konfliktreichen Trabantenstadt 18 km nördlich von Paris (10).

Zübeyir Aydar berichtet: „ … etwa in der Zeit, in dem Ömer Güney Mitglied in einem unserer Vereine wurde, erhielten wir eine wichtige Information aus zuverlässigen Quellen. Die Information lautete: „Die Türkei hat ein Profiteam nach Europa versandt, um Führungskader der Organisation unschädlich zu machen.“ Aydar gehört dem Exekutivrat der KCK (Union der Gemeinschaften Kurdistans) und war bei den sog. „Oslo-Gesprächen“ zwischen dem  MIT und Vertretern der PK im Jahre 2009/2010 dabei. (12)

 

Zwei ominöse Begleiter.

Der mobile Agent hat allerdings den Fehler begangen zu behaupten, er habe nicht allein, sondern mit zwei weiteren Personen das Pariser Kurdische Informationszentrum betreten (13). Davon wurde bis dato eher spärlich berichtet.

Der Onkel Güneys, Zekai Güney berichtet dies der türkischen Zeitung Akşam. Er habe es vom Vater Güneys erfahren: „Mein Bruder erzählte mir, daß laut Informationen, die er vom Staatsanwalt und den Rechtsanwälten erhalten hatte, Ömer ausgesagt hatte, er habe den Mord nicht begangen. Weiters, daß er in Begleitung zweier weiterer Personen gewesen sei und daß die Videoaufnahmen (der Überwachungskameras, AuO)  gefälscht worden seien: die die zwei Begleiter betreffenden Teile seien entfernt worden. Er dürfte die Namen dieser beiden Personen erwähnt haben …“ (13)

Der mutmaßliche Geheimdienstler war mutmaßlich von anderen Geheimdienstlern begleitet, als der (mutmaßliche) Mord durchgeführt wurde.

Beweismittelunterdrückung? Jedenfalls eine klare Aussage auf Mittäter! Wenn diese Behauptung zutrifft, meint Zekay Güney, dann „schwebt Ömer in Lebensgefahr“. Es ist leicht möglich, daß er beseitigt wird, „im Gefängnis oder außerhalb“, fürchtet er (13). Das hat man davon.

Inzwischen wurde bekannt, daß sich nun auch der türkische Staat aufgerafft hat, Ermittlungen in die Wege zu leiten, gut einen Monat nach dem Mord. (14)

 

 

 

(1)            Türkisch: MİT (Millî İstihbarat Teşkilâtı, Nationaler Nachrichtendienst). Die Eintragungen unter diesem Stichwort bei Wikipedia sind entweder, was die reale Funktion dieses Geheimdienstes betrifft,  extrem informationsarm (deutsche, französische und italienische Versionen) oder sie beschränken sich auf einige metasprachliche Anspielereien (englisch). Die Sprachen der härtesten Verbündeten sind Träger der schärfsten Desinformation.

 

Das ist wieder ein Fall, bei dem Wikipedia zu nichts nutzt. Weder die Verquickung in die Staatstreiche, noch die Mordanschläge zusammen mit der MHP (den Faschisten)  und im Rahmen der Gladio (Kontrgerilla) werden hier thematisiert. Damit folgt die Informationstätigkeit von Wikipedia der staatlichen omertà der Türkei. Haben vielleicht eifrige Beauftragte an den Versionen herumgeschnipselt? Das wäre dann das Ende des offenen demokratischen Systems bei Wikipedia.

 

(2)           Türkischer Geheimdienstler Murat Şahin: Ömer Güney gehört zu uns       

Nadir, nach: ANF, 31.  1. 2013, ISKU

http://www.nadir.org/nadir/initiativ/isku/pressekurdturk/2013/05/04.htm 

 

(3)            Und zwar in Çankaya, einem Stadtteil, in dem sich die politische Macht der Türkei konzentriert. Dort befinden sich unter anderem der Präsidentenpalast und das Parlament, auch das Atatürk-Mausoleum.

 

(4)            Näheres über Devrimci Karargah bei Wikipedia (deutsch).

 

(5)           Former secret agent: Güney member of MIT

ANF Zürich, 2. 2. 2013

http://en.firatnews.com/news/news/former-secret-agent-guney-member-of-mit.htm 

 

(6)            Wir haben die wesentlichsten Fakten dieses Berichts aus einer englischsprachigen (5) und einer deutschsprachigen (2) Zusammenfassung kompiliert. Etliche Bemerkungen finden sich im deutschsprachigen Bericht nicht, der aber umfassender ist. Die Details, die im deutschsprachigen Bericht nicht aufscheinen, haben wir in unserer Zusammenfassung gesammelt und zitiert. Die Originalfassung des Interviews ist in seiner Gänze zu hören auf:

http://www.youtube.com/watch?v=2i2IJyhkZP4 

 

(7)            Dazu prägnant folgender Abschnitt:

 

„Zur Bekämpfung der kurdischen Forderungen bediente sich der türkische Staat bald neuer Instrumente, denn das militärische Vorgehen alleine genügte nicht gegen die Guerillataktik der PKK. Auch das "Feindbild Kommunismus" näherte sich seinem Ende, sodass der staatliche Terror, der bis dato durch das Militär und den Geheimdienst MIT dirigiert wurde, weniger offensichtlich agieren musste.

 

Im Jahr 1985 wurden JITEM-Einheiten gegründet: Diese in der türkischen Armee als A-Einheit aufgeführten Sondereinheiten sollten die Handlungsfähigkeit der Gendarmerie erweitern, schnelle Informationen besorgen, natürlich auch unter Foltereinsatz und Terror … . Die JITEM, "Nachrichtendienst und Terrorabwehr der Gendarmerie" ["Jandarma İstihbarat ve Terörle Mücadele"], einer paramilitärischen Einheit, gilt  als Geheimdienst der türkischen Gendarmerie, ist dem Generalstab unterstellt und für alle Aktivitäten verantwortlich, in denen die Polizei nicht offen agieren will oder darf.

 

JITEM-Mitglieder bedienten sich dabei der Unterstützung der Dorfschützer, einer aus Kurden bestehenden paramilitärischen Einheit. Die Dorfschützer kleideten sich wie Guerilla-Kämpfer, sprachen die Sprache der Bevölkerung und galten als nützliche Wegweiser.“

 

Unbekannte Täter? Nordkurdistan-Dossier – 3, Kurdmania,

o. D.

http://www.kurdmania.org/News-Unbekannte-Taeter-Nordkurdistan-Dossier-drei-item-1014.html 

 

(8)      „Ergenekon“ Wikipedia,  englisch und französisch

 

(9)       MIT-Agent: Güney war ein Spitzel des türkischen Geheimdienstes

Pressemitteilung von Civaka Azad - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V., 3. 2. 2013 

               http://www.civaka-azad.org/index.php/startseite/261-mit-agent-gueney-war-ein-spitzel-des-tuerkischen-geheimdienstes.html 

 

(10)      Ömer Güney has a German citizenship, ANF Berlin, 2. 2.2013 

http://en.firatnews.com/news/news/omer-guney-has-a-german-citizenship.htm

 

(11)       Um wen handelt es sich bei dem Tatverdächtigen            Ömer Güney?  ANF, 23.1.2013, ISKU

http://www.nadir.org/nadir/initiativ/isku/pressekurdturk/2013/04/10.htm

 

(12)      Nach Europa wurden Sonderteams gesendet! Yeni Hayat,  1. 2. 2013

http://www.yenihayat.de/deutsch/nach-europa-wurden-sonderteams-gesendet

 

(13)      Details emerging about Paris killings, ANF Ankara, 31. 1. 2013

(Zitiert bei: http://rojhelat.info/en/?p=4979

 

(14)      Turkey launched investigation on Güney,   ANF Ankara, 7. 2. 2013

http://en.firatnews.com/news/news/turkey-launched-investigation-on-guney.htm

 

Aug und Ohr

Gegeninformationsinitiative, 13. 2.2013

 

 


 

 

 

Anhang

 

 Der ausführliche Bericht über das Interview Murat Şahins mit Yeni Özgür Politika in der deutschsprachigen Fassung von Nadir.

 

 

Türkischer Geheimdienstler Murat Şahin: Ömer Güney gehört zu uns

Yeni Özgür Politika, 31.1. 2013

Quelle: ANF, 31.01.2013, ISKU

ISKU | Informationsstelle Kurdistan

http://www.nadir.org/nadir/initiativ/isku/pressekurdturk/2013/05/04.htm

 

 

 

Murat Şahin, Agent des türkischen Geheimdienstes MIT, erklärte im persönlichen Gespräch mit der Tageszeitung Yeni Özgür Politika, dass der dringend Tatverdächtige der Morde von Paris, Ömer Güney, ebenfalls Mitglied des türkischen Geheimdienstes ist. „Die Verantwortliche unserer Einheit in Ankara, wir nannten sie nur ‚Teyze‘ (türk. für Tante), zeigte mir das Bild von Ömer und sagte mir: ‚Das ist unser Mann in Paris. Hast du ihn je gesehen oder kennengelernt? Er wird zu einem Heval (kurd. für Genosse).' Dieser Pariser Heval ist Ömer Güney gewesen."

 

Murat Şahin hat sich von der Schweiz aus mit Yeni Özgür Politika in Verbindung gesetzt. Er erklärte uns, dass er wichtige Informationen zu den Morden in Paris hat. Zunächst wollte Şahin, dass wir seine Identität und seinen Wohnort nicht preisgeben. Wir sollten ihn stattdessen als ‚M. Z. aus Italien‘ vorstellen. Nachdem wir uns innerhalb der Zeitungsredaktion darüber beraten hatten, beschlossen wir, dass aufgrund der aktuellen politischen Phase wir dies nicht tun können. Dies teilten wir dann Şahin mit. Er erklärte daraufhin, dass er dennoch mit uns sprechen wolle und von seinen Bedingungen absehe. Er wollte nun, dass auch seine persönliche Geschichte in die Meldung eingebracht wird. Zudem sagte Şahin, dass er auch bereit sei der Pariser Staatsanwaltschaft Auskunft zu geben.

 

„Ömer wird zum Heval“

Murat Şahin beschrieb die Situation, in der ihm ein Bild von Ömer Güney gezeigt worden ist, wie folgt: „Ich habe Ömer nirgends persönlich getroffen. Aber als ich mich in Ankara mit der Verantwortlichen unserer Einheit mit dem Codenamen ‚Teyze‘ traf, zeigte sie mir das Bild von Ömer und fragte, ob ich ihn kennen würde oder schon Mal gesehen hätte. Er sei unser Mann in Paris und würde zum ‚Heval‘. Das war das erste Mal, dass ich sein Bild gesehen habe. Was anderes hat sie mir auch nicht gesagt. Vielleicht wollte sie auch nur testen, ob ich ihn aus Europa kenne, ob ich irgendeine Verbindung zu ihm habe. Vielleicht wollte sie auch Ömer mir gegenüber dechiffrieren und hat mir deshalb sein Foto gezeigt. Vielleicht hatte es auch einen ganz anderen Grund. Ich sagte nur, dass ich ihn nicht kenne und damit war das Gespräch zu diesem Thema auch zu Ende. Ein anderes Mal sagte sie, dass er in Holland gefasst worden sei, er aber nochmal mit Glück davon gekommen ist. Sie ermahnte uns, vorsichtig zu sein. Das Bild, das mir Teyze gezeigt hat, war auf jeden Fall Ömer Güney. Da bin ich mir sicher!"

Şahin erklärte, dass er bereits beim ersten Bild, das von der französischen Staatsanwaltschaft veröffentlicht worden war, den Verdacht hatte, dass Ömer Güney der ‚Pariser Heval‘ des MIT sein könnte. Als er dann die übrigen Bilder Güneys, die im Internet kursierten, sah, war er sich sicher, dass Ömer Güney diese Person ist.

 

Im Gespräch mit Şahin, gab er uns zudem auf folgende Fragen interessante Antworten:

 

Wer ist diese ‚Teyze‘?

Sie ist der Kopf unserer Einheit. Sie ist zwischen 55 und 60 Jahre alt. Sie dürfte seit vielen Jahren für unsere Einheit gearbeitet haben, auf jeden Fall war sie eine Frau mit viel Erfahrung. Die Einheit hat sich um die linksgerichteten Organisationen gekümmert. Die kurdische Einheit ist nochmal eine andere. Ihr Arbeitszentrum befindet sich in einer Privatwohnung auf dem Hügel von Ankara-Çankaya. Wenn wir nach Ankara gegangen sind, haben wir uns dort mit ‚Teyze‘ getroffen. Und dort hat sie mir auch das Bild von Ömer gezeigt. Ich habe gehört, dass sie aus der Schwarzmeer-Region stammt. Ihren Namen kennen wir nicht und wir würden auch nicht danach fragen. Für uns war sie lediglich ‚Teyze‘.

 

Wie kam es zu den Morden von Paris?

In Europa laufen die Arbeiten des MIT gegen linksgerichtete Gruppen und die Kurden unter den Dächern der Botschaften. Aus der Botschaft erhalten die MIT-Leute ihre Befehle. In der Schweiz (wo Şahin selbst tätig war) ist der Verantwortliche in der Botschaft von Bern beispielsweise Ali Doğan gewesen. Vor ihm war es Mutlu.

Beim Mord in Paris denke ich nicht, dass Ömer es alleine gewesen war. Er war der Auftragsmörder. Aber ohne zwei oder drei Agenten an seiner Seite hätte er diese Tat nicht durchführen können. Alleine ist das unmöglich. Auch bei den Lehrgängen, die wir erhalten, heißt es, dass wir nicht alleine handeln sollen. Ich denke, für das Massaker von Paris sind die Hardliner des MIT verantwortlich. Wir wissen, dass es solch einen Flügel im MIT gibt. Die gibt es in dem MIT, im JITEM in Ergenekon. Sie sind dafür, dass der Krieg weitergeht und die Kurden keine Rechte erhalten, andere sind für eine Lösung. Ich denke, das ist ein Ergebnis der Auseinandersetzung dieser Flügel. Wäre Ömer nicht festgenommen worden, hätten sie ihn entweder aus Paris rausgeholt oder ihm wäre etwas widerfahren. Wenn er der Auftragsmörder ist, kann es auch sein, dass er nicht spricht. Vielleicht wurden ihm Versprechungen gemacht.

 

Wie funktioniert das Einschleusen in die Organisation?

Das Einschleusen, wie es Ömer Güney im kurdischen Verein in Paris gemacht hat, ist eine bekannte Methode. Bei den Vereinen in Europa ist das ohnehin einfach. Das Schwierige ist, Beziehungen zu den Menschen aufzubauen, die man im Visier hat. Ich denke, Ömer hat Vertrauen gewonnen, indem er mehr Initiative als andere im Verein gezeigt hat, indem er sich für jede Aufgabe bereit erklärt hat. Ohne dieses Vertrauen hätte er sich diesen Personen nicht so sehr nähern können.

 

Würden Sie mit den französischen Behörden sprechen?

Wenn die französische Polizei und die Justiz meine körperliche Unversehrtheit und Sicherheit gewährleisten können, kann ich mein Wissen auch mit ihnen teilen.

 

Wie kam Murat Şahin zum MIT?

Şahin erklärte, dass er seit 2006 mit dem türkischen Geheimdienst MIT in Verbindung steht. Damals sei er von einem Verantwortlichen mit dem Namen Mutlu vom türkischen Konsulat in Zürich gerufen worden. Er beschreibt seine Anwerbung durch den MIT wie folgt: „Ich dachte, es handelt vielleicht um dem Militärdienst oder etwas Ähnliches. Aber Mutlu sagte zu mir: ‚Dein Vater wird als politischer Aktivist gesucht. Deine Familie lebt in der Türkei. Und wir wissen, dass du mit Politik nichts am Hut hast. Wenn du nicht bereit bist mit uns zu arbeiten, wird deine Familie in Gefahr geraten. Wir haben dich nun kennengelernt und es gibt kein Zurück mehr. Wir werden dich finanziell unterstützen. Am Anfang bekommst du 3000 Franken von uns, später unterstützen wir dich zusätzlich je nach den Aufgaben, die du erfüllst. Dich wird ohnehin niemand verdächtigen. Benutze die Stellung deines Vaters, das reicht.‘ Ich hatte damals finanzielle Sorgen, deshalb habe ich es akzeptiert. Nachdem Mutlu weg war, liefen meine Beziehungen über Ali Doğan von der Botschaft aus Bern. Er hat mich angerufen und mir gesagt, ich solle nach Ankara reisen. In Ankara haben mich einige Herrschaften in ziviler Kleidung am Busbahnhof abgeholt und mich zu ‚Teyze‘ gebracht. So haben sich meine Beziehungen zum MIT in der Türkei entwickelt. ‚Teyze‘ hat sich um die linksgerichteten Organisationen gekümmert. Sie sagte mir, dass ich von nun an, wenn ich in die Türkei komme, ihr das mitteilen soll und auf ihre Befehle hören soll.“

Şahin erhielt den Auftrag in die Organisation „Devrimci Karargah“ (Revolutionäres Hauptquartier) einzusickern und wurde bei einer Operation der Polizei gegen diese Organisation im Dezember 2011 verhaftet. „Ich habe der Polizei in Istanbul gesagt, dass ich ein Agent des Geheimdienstes bin. Aber Serdar Bayraktar von der Anti-Terror-Einheit nahm mir das nicht ab. Ich wurde vor die Staatsanwaltschaft gebracht, aber der MIT hatte immer noch nicht interveniert. Erst später sagte der MIT, dass ich ihr Agent bin und so kam ich frei“, so Şahin.

 

Warum wollte Şahin mit uns sprechen?

Şahin gibt an, dass er sich hintergangen fühlt und deswegen im Fall von Güney sein Wissen uns mitgeteilt hat. Aufgrund der späten Intervention des MIT wurde Şahins Name nach seiner Festnahme durch die Presse öffentlich gemacht, weshalb er sich dechiffriert fühlt. Nach seiner Entlassung kehrte er deshalb in die Schweiz zurück. „Ich wurde fallengelassen. Offiziell bin ich noch MIT-Agent. Bei dem Prozess gegen die Organisation Devrimci Karargah wurde ich auf Anweisung des Regierungspräsidiums freigelassen. Allerdings wurde diese Anweisung nicht schriftlich getätigt, weshalb ich jeder Zeit wieder festgenommen werden kann. Andererseits könnte ich auch zum Angriffsziel einer Organisation werden“, erklärte Şahin.

 

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

Die Ermittler, die nach mehreren Stunden aus dem Verein kamen, in dem die drei Kurdinnen ermordet worden waren, wurden vor der Tür von draußen stehenden Kurden gefragt, was sie drinnen herausgefunden hätten. Es sei mit Sicherheit ein professioneller Mord gewesen und es seien vermutlich drei Täter gewesen. Diese Auskunft hatten die Ermittler spontan weitergegeben. Eine wahrscheinliche Version, bedenkt man, dass die Opfer in den Räumen verteilt waren und der Täter seine Waffe hätte nachladen müssen, wobei es sich bei den Schüssen um gezielte Kopfschüsse (mit hoher Symbolkraft) handelt.  Die Türkei spielt ein doppelschneidiges Spiel, das mit Drohungen an die Adresse der Kurden verbunden ist. Möglich ist, dass ein Teil des Geheimdienstes auf eigene Faust handelte. Möglich ist aber auch, dass diese Doppelstrategie auch im Fall der Morde geplant ist. T. Erdogan tut nichts anderes als tagtäglich Doppelbotschaften in die Welt zu schicken.