Hoyerswerda: Kritik der Initiative "Pogrom 91" an der Gestaltung des Denkmals an das rassistische Pogrom von 1991

Block in der Albert-Schweitzer-Straße in Hoyerswerda. Einer der Tatorte von 1991.

Im vergangenen Jahr hatte die Stadt Hoyerswerda einen Wettbewerb für den Entwurf eines Denkmals an 1991 ausgeschrieben. Auch die Initiative „Pogrom 91“ beteiligte sich. Weil sich die Gruppe seit zwei Jahren mit dem Thema 1991 beschäftigt, wird darüber wieder in Hoyerswerda diskutiert, nachdem das rassistische Pogrom von 1991 in der Stadt in Vergessenheit geraten war. Der Stadtrat von Hoyerswerda entschied sich für die Umsetzung des Entwurfs „Offene(s) Tür (Tor)“. Die Stadt schrieb dazu auf ihrer Internetseite: „In dem Wettbewerbsbeitrag von Frau Martina Rohrmoser-Müller steht das Symbol ,Offene Tür, offenes Tor‘ für Gastfreundschaft, offenes Herz, Gäste seid willkommen. Mit dem Regenbogen werden Aussöhnung, Freundschaft und Frieden symbolisiert.“ Von einem kritischen Umgang mit nach wie vor bestehenden Problemen mit Neonazis und Rassismus in der Stadt und der Anerkennung der Ereignisse von 1991 als rassistisches Pogrom, ist nichts zu lesen. Schließlich stimmte auch der NPD-Stadtrat von Hoyerswerda für den Entwurf „Offene(s) Tür (Tor)“.

 

21 Jahre nach den pogromartigen Ausschreitungen gegen die Wohnunterkünfte von Asylsuchenden und VertragsarbeiterInnen soll nun in Hoyerswerda ein dauerhaftes Denkmal an die rassistische Gewalt entstehen. Anstatt jedoch an die Betroffenen von damals zu erinnern und sich einer kritischen Aufarbeitung und der eigenen Rolle zu widmen, lässt sich die Stadt eine „Offene Tür“ als Symbol für ihre „Gastfreundschaft“ zimmern.

 

Hoyerswerda kann ein positives Presseecho derzeit gut gebrauchen. Seit Monaten steht die Stadt einmal mehr auf Grund nicht abreißender Übergriffe auf alles, was irgendwie links scheint, im Fokus der Öffentlichkeit. Spätestens nachdem ein junges Pärchen im Oktober nach einem „Hausbesuch“ von etwa 15 Neonazis aus der Stadt flüchten musste, weil die Polizei sie nach eigener Auskunft nicht schützen konnte, fühlen sich Einige in die 90iger Jahre zurückversetzt.

 

Der Spiegel, die Welt und der Tagesspiegel hatten über den Überfall berichtet und selbst Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) bezeichnete die aktuellen Zustände in Hoyerswerda als nicht hinnehmbar und ordnete eine Aufstockung der Polizeipräsenz vor Ort an, um die Situation zu verbessern. Die Stadt indes wähnt sich weiterhin in einer Vorreiterrolle für Toleranz und Offenheit. An welchen Kriterien sich diese bemessen soll, ist unklar, doch die Vehemenz, mit der sie von lokaler Politik, Presse und Kultur seit jeher und ausschließlich für sich selbst in Anspruch genommen wird, lässt tief blicken.

 

Jüngstes Beispiel dieser unbeirrbaren Selbstvergewisserung ist das vorläufige Ergebnis der „Denkmalsdebatte“ um die Geschehnisse von 1991. Zum 20igsten Jahrestag versuchte die Initiative „Pogrom 91“ eine kritische Auseinandersetzung um mangelnde Aufarbeitung und eine vorherrschende Verdrängungsmentalität bezüglich der damaligen Angriffe zu stärken. Im Kontext der von ihr beschriebenen Abwehrhaltung gegenüber einer Anerkennung und Übernahme von Verantwortung vor der eigenen Geschichte forderte die Initiative „Pogrom 91“ einen öffentlich wahrnehmbaren und dauerhaften „Stolperstein, der ein Vergessen unmöglich macht“. Im Fokus dieser Bemühungen standen somit erstmals nicht die Hoyerswerdaer. Ihr Blick richte sich, so das Selbstverständnis der Initiative, auf die „Betroffenen des Angriffs organisierter Neonazis und „ganz normaler“ Bürger (...), die man aufgrund ihrer Hautfarbe und Herkunft als ,anders‘ wahrnahm und denen man deshalb ein Leben in Hoyerswerda nicht zugestand.“

 

In der 2010 als „Ort der Vielfalt“ ausgezeichneten Stadt, stieß das auf wenig Gegenliebe. Über die vergangenen zwei Jahren hinweg wurden die Initiative „Pogrom 91“ und ihre SympathisantInnen in Hoyerswerda wahlweise als „Extremisten“ (Oberbürgermeister Stafan Skora) oder „fanatische Säuberer und Politkommisare“ (Sächsische Zeitung) denunziert, Gedenkdemonstrationen von Nazis gestört und Betroffene von 1991 bei einem Stadtbesuch erneut bedroht. Eine öffentliche Solidarisierung gegen neonazistischer Gewalt blieb weitestgehend aus. Jene Taten wurden entpolitisiert, den Betroffenen allerdings immer wieder unterstellt, sie seien selbst Schuld, weil sie durch ihre politische Haltung provozieren.

 

Nüchtern betrachtet, ist durchaus positiv festzustellen, dass nun auch in Hoyerswerda einzelne Akteure die Courage aufbringen, laut auszusprechen, was allgemein bekannt ist: Auch und gerade Hoyerswerda hat ein Problem mit Neonazis und einer stark ausgeprägten Fremdenfeindlichkeit, deren Ursachen unzureichend angegangen werden. Konterkariert werden diese Einzelstimmen weiterhin durch ein politisches Klima, in dem die mantraartige Wiederholung der „Extremismusdoktrin“ das bisherige Wegschauen nachhaltig rechtfertigt und keinen Zweifel für zukünftiges Ignorieren aufkommen lassen will. Der Fraktionsvorsitzende des örtlichen CDU Verbandes Frank Hirche proklamierte diese Haltung stellvertretend im Sächsischen Landtag. Was in seiner Stadt passiert ist, sei zwar „nicht zu tolerieren“, aber man tue „genügend“, um „diesen Dingen entgegenzuwirken“.

 

Das eigentliche Problem sieht Hirche folglich woanders: „Hoyerswerda ist durch die rechte Szene gebrandmarkt. Hoyerswerda ist aber mittlerweile auch durch die linke Szene gebrandmarkt. Die Vorgänge spielen sich mittlerweile jedes Jahr ab. Gerade ihre Kollegen (an die Linkspartei) rufen zu Demonstrationen in Hoyerswerda auf. Die Gewalt ist vorprogrammiert. Das finde ich genauso schlimm wie die rechten Zustände, die sich dort abspielen. (…) Ich werde sie beim Wort nehmen, dass zukünftig Ihre Klientel nicht mehr durch Hoyerswerda marschiert und den gleichen Spuk wie die rechte Seite veranstaltet.“ Im Landtag erhielt er dafür zwar Widerworte, dennoch sollte die Botschaft bei den jüngst Betroffenen rechter Gewalt (allesamt aus dem Umfeld der Linkspartei und nachweislich ohne Ambition zu jedweder Gewaltausübung) angekommen sein.

 

In Hoyerswerda sah man sich in Anbetracht des gewachsenen medialen Drucks durch eben jene Demonstrationen dennoch im Zugzwang, zumindest auf die Denkmalsfrage zu reagieren. Weil sich aber Kritikfähigkeit und der Toleranzgedanke „hoyerswerdscher“ Prägung kategorisch auszuschließen scheinen, wird nun aus dem längst fälligen Mahnmal ein dauerhaftes „Symbol für Gastfreundschaft, Frieden, Hoffnung und Versöhnung“ (Sächsische Zeitung). Ein Pogrom-Mal mit Wohlfühlfaktor also, in Form einer 3mx1,70m großen, anthrazitfarbenen „offenen Tür“ aus Basaltsäulen, geschmückt mit einem Regenbogen.

 

Einzig über einen QR- Code soll der Betrachter demnach Zugang zu „ehrlichen Informationen über den Herbst 1991“ erhalten, „aber auch über das, was die Stadt bisher gegen menschenverachtendes Gedankengut sowie für Demokratie und Toleranz getan hat.“ Der obligatorisch zustimmende Kommentator der Lokalzeitung zeigt sich begeistert und scherzt beherzt: „Vielleicht werden die, die lieber ein ewiges Schand- und Sühnemal gehabt hätten, die gesamte Arbeit verdammen. Das, liebe Freunde, das wäre ganz klar: Ausländerfeindlich! Martina Rohrmoser-Müller (die Gestalterin des Denkmals) ist Österreicherin.“

 

Was in der örtlichen Presse durch zynische Flappsigkeit, in der Lokalpolitik durch rechtskonservative Ressentiments kaschiert werden soll und dennoch Vielen klar ist, findet in der überregionalen Berichterstattung bereits seit Jahren Erwähnung: Allgemeine Ratlosigkeit gegenüber dem tendenziellen Erstarken neonazistischer Bestrebungen, sowie einer generell ausgeprägten Demokratiefeindlichkeit. Der Tagesspiegel stellte im Fall Hoyerswerda das Zeugnis „Staatsversagen“ aus. Die neuerlich aufgestockte Polizeipräsenz könnte somit, wenn alles gut läuft und ganz im Sinne des starken Ordnungsstaates, diesen Umstand zumindest so lange ausräumen, bis sie wieder abgezogen wird, und immer noch läge das Problem woanders.

 

Die vehementen Appelle und „Hau drauf“- Aktionen gegen Links, damit jetzt „endlich wieder Ruhe herrsche“, zeugen letztlich beispielhaft davon, dass der über Jahrzehnte eingeübte autoritäre Etatismus (verniedlicht „Sächsische Demokratie“ genannt) in den strukturschwachen Regionen so immanent ist, dass er nicht nur reaktionäre Denkformen in den ostdeutschen Provinzen beständig zu fördern vermag, sondern auch im staatstragenden „Engagement gegen Rechts“ seinen Ausdruck findet. Die Vergabe von Auszeichnungen, wie „Ort der Vielfalt“ lösen deshalb in Städten wie Hoyerswerda schon lange keine notwendigen Debatten mehr aus, sondern dienen vielmehr als wirksames Instrument, um sie zu erdrücken.

 

Lothar Baier bemerkte schon Anfang der 90iger Jahre mit Blick auf die Aktionsform der „Menschenketten gegen Rechts“ als Reaktion auf die Nachwendepogrome in der Bundesrepublik: „Es musste geschwiegen werden, damit überhaupt so etwas wie eine Aktionsgemeinschaft zustande kommen konnte. Jede dezidierte Parole, jede politische Aussage, jede Erwähnung eines Konflikts hätte die schwache Kohäsion der kerzentragenden Mengen gefährdet. (…) Das Zustandekommen der Mengen verdankte sich der Sprachlosigkeit dieser Mengen.“

 

Weil solch leergespüllte Symbolpolitik in Sachsen vordergründig schon immer dem Zweck unterlag „wirksame Zeichen“ für ein gemeinsames „Weiter so“ zu setzen, anstatt gegen einen Normalzustand, der Neonazismus und Fremdenfeindlichkeit so wirksam Vorschub leistet und die Vermeidung, es diesbezüglich auf konkrete Inhalte und Kritik ankommen zu lassen, nun mehr endgültig und von Staatswegen zum Tagesgeschäft politischer Debatte und Praxis der „Neuen Mitte“ gehören soll, scheint es nur konsequent, dass nicht mehr gewartet wird, bis man von anderen für sein politisches Engagement und das „genug getan“ gerühmt wird. Stattdessen ehrt man sich neuerdings einfach selbst. Und wenn der jetzige Denkmalentwurf erst realisiert ist, manifestiert sich 21 Jahre nach der geglückten Vertreibung auch in Hoyerswerda dauerhaft die ostzonale Transformation des „Aufstands der Anständigen“. Konkret also: Patriotische Imagepolitik von und für die selbsternannte „Zivilgemeinschaft“ und auf Kosten der Betroffenen fremdenfeindlicher und/oder neonazistischer Gewalttaten.

 

Unter diesen Voraussetzungen bleibt weiterhin spannend, wo dieses Modell der Standortpflege noch Schule machen wird und wer als nächstes auf Grund von Verstößen gegen das vielfältige und tolerante Allgemeinwohl durch offenen Naziterror und/oder öffentliche Anklage gezwungen sein wird, die Stadt zu verlassen. Wenn es soweit ist, werden wieder einige der letzten noch verbliebenen „offenen Türen“ geschlossen. In Hoyerswerda nimmt man's sicher mit Humor. Wo ist die Tür?!

 

Zitat Lothar Baier: Baier; Lothar: Xenophobie. Antirassismus in der Krise. In: Die verleugnete Utopie - Zitkritische Texte. Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin (1993).

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Mein Tip:

Einfach ein eigenes Denkmal in einer Nacht und Nebelaktion, oder noch besser, bei einer Demo, Kundgebung oder Mahnwache aufstellen. Am besten noch mit dem Hinweis, dass wegen der menschenverachtenden EU Grenzpolitik bis jetzt über 15 000 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken sind und jedes Jahr weitere 1000 bis 2000 ertrinken. Was wollen sie machen? Das Ding wieder abreißen? Gibt schöne Bilder wenn Riotcops trauernde Menschen mit Kerzen in der Hand verprügeln, weil sie ein Denkmal gegen Rassismus abreißen wollen. Wirft kein wirklich gutes Licht auf die Stadt oder?

 

Setzt euren eigenen Entwurf einfach selber um, meine Unterstützung und sicher die vieler anderer habt ihr!

 

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