Libanon: Wachsender Unmut in Nahr al-Bared

Rand des Alten Camps von Osten

Vor rund zwei Jahren begann der mehrmonatige Krieg zwischen der libanesischen Armee und der militanten islamistischen Gruppe Fatah al-Islam im palästinensischen Flüchtlingslager Nahr al-Bared in Nordlibanon – Im September 2007 lag das Camp in Schutt und Asche, das Ausmass und die Systematik der Zerstörung wies auf die libanesische Armee als Verantwortliche hin. Nach diversen Verzögerungen wurde mittlerweile der Kern des Flüchtlingslagers, das sogenannte „alte Camp“ grösstenteils von den ca. 600.000m³ Schutt befreit, doch der Wiederaufbau lässt auf sich warten. Der Unmut der Flüchtlinge nimmt indes stetig zu.

 

Am 9. März 2009 wollte man jegliche Zweifel am Wiederaufbau aus dem Weg räumen: Unter dem Schutz der libanesischen Armee wurden Khalil Makkawi, der dem Libanesisch-Palästinensischen Dialog-Komitee (LPDC) vorsteht, Abbas Zaki, Gesandter der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) für Libanon, der libanesische Informationsminister Tarek Mitri und die Generalkommissarin der UN Agentur für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA), Karen Abu Zayd, in Limousinen herchauffiert. In einer exklusiven Zeremonie legte man den Grundstein für den Wiederaufbau Nahr al-Bareds, beklagte einmal mehr die mangelnde Spendenfreudigkeit der Geberländer und übte sich im substanzlosen Reden. Heikle Themen wie bspw. die völlige Abschottung des Camps durch die Armee wurden vermieden. Die ehemaligen BewohnerInnen des Camps blieben aussen vor, hinter Stacheldraht und streng bewacht von libanesischen Soldaten. Manche versuchten, in den abgesperrten Bereich vorzudringen - sie wurden von Soldaten geschlagen und schliesslich von Schützenpanzern zurückgedrängt.

 

Rund zwei Monate nach der Zeremonie sind im alten Camp Nahr al-Bareds noch keine Bautätigkeiten auszumachen. Gemäss dem offiziellen Masterplan sollte diesen Monat der Wiederaufbau starten. Nach wie vor dürfen die Flüchtlinge das Gebiet nicht betreten und es zirkulieren verschiedene Versionen zum Schicksal des Grundsteins und des alten Camps. Manche meinen, der Stein sei bereits am Tag nach der Zeremonie entwendet worden, andere wollen von seiner Zerstörung wissen. Rima, die im „neuen Camp“ ihre Möbelschreinerei wiederaufgebaut hat, meint, man wolle auf dem Gebiet des alten Camps nun wohl Kartoffeln anbauen.

 

Das langsame Tempo der Aufräumarbeiten und die Tatsache, dass der Wiederaufbau noch nicht begonnen hat, verstärken indes die Zweifel der Vertriebenen, je wieder in ihr Camp zurückkehren zu können. Mahmoud, ein junger Musiker, meint mit Blick auf die Ruine seines Hauses am Rande des alten Camps: „Alle paar Monate haben sie eine andere Ausrede für die Verzögerungen. Beklagte man einst das Fehlen der Baumaschinen und die massiven Rückstände an Blindgängern, scheint nun der Fund antiker Säulen im alten Camp die Arbeit zu blockieren.“ Viele Flüchtlinge glauben nicht daran, dass das Camp überhaupt wieder aufgebaut wird. Salim, ein junger Schuhmacher fragt: „Warum haben sie das Camp denn überhaupt zerstört? Wohl kaum um es wieder aufzubauen!“

 

Am Nachmittag des 13. Mai kündigt ein mit Lautsprechern bestückter Wagen der Fatah den Besuch Abbas Zakis an. Khaled, Kleinwarenhändler im Corniche-Quartier des neuen Camps schaut dem Fahrzeug schweigend nach. „Schau, Abbas Zaki kommt, um uns anzulügen,“ sagt er. „Er will damit wohl die Wut der Leute dämpfen, damit die Proteste am zweiten Jahrestag des Kriegsausbruchs nicht zu heftig werden.“ Hingehen würde er da nicht, meint Khaled. Man würde ja eh bloss angelogen und mit leeren Versprechen abgefertigt, ohne dass man zu Wort komme.

 

Am Tag darauf traf Zakis Konvoi schliesslich am äussersten südlichen Zipfel des Camps ein. Der Veranstaltungsort wurde wohl deshalb ausserhalb des Camps gewählt, weil man sich der Ereignisse bei der Zeremonie erinnerte: Flüchtlinge beschimpften Zaki damals auf's Übelste und er verliess den Ort durch den südlichen Ausgang, um die wütende Menge hinter dem Stacheldraht zu vermeiden.

 

In seiner Rede sprach Zaki über Gott und die Welt, beschwor die palästinensische Einheit und versuchte die Anwesenden (vor allem Fatah-Leute) hinter sich zu scharen, sprach aber kaum über Nahr al-Bared. Einzelne empörte Zuhörer, die ihrem Unmut Luft zu machen versuchten, wurden zurechtgewiesen. Als nach Zakis Rede die Gelegenheit für Fragen gegeben wurde, brach kurzzeitig Chaos im Saal aus. In der Folge rückten die Bodyguards näher an Zaki heran und die Zuhörer wurden schliesslich aufgefordert, ihre Fragen schriftlich einzureichen – wohl damit sie sorgfältig aussortiert werden konnten, bevor man sie Zaki überreichte. Die Fragen beschäftigten sich vor allem mit dem Wiederaufbau, der Abschottung des Camps, der grassierenden Arbeitslosigkeit und der Situation in den Baracken. Einer Person gelang es denn auch, sich mündlich und laut an Zaki zu richten: „Wir wollen keine Verbesserungen in den Baracken, wir wollen überhaupt keine Baracken!“ Nachdem Zaki ein paar Fragen beantwortet hatte, fuhr sein Konvoi schnell davon – ohne dass er das Camp auch nur besucht hätte.

 

Die anwesenden Exponenten der demokratischen Befreiungsfront (DFLP) und der Volksbefreiungsfront (PFLP) hüllten sich in Schweigen und demonstrierten Einheit unter dem Dach der PLO. Auf der Strasse hielt sich aber niemand zurück: Kommentare zu Zaki enthielten meist eines der folgenden Wörter: Lügner, Verräter oder Schwein.

 

Das neuerdings ziemlich aktive Komitee der EinwohnerInnen Nahr al-Bareds meldete sich erst am Folgetag zu Wort. Die relativ lose Gruppe, die sich als Reaktion auf die Untätigkeit des aus ParteienvertreterInnen bestehenden Volkskomitees konstitutierte, zog nach dem Freitagsgebet mit mehreren hundert Leuten von der al-Quds-Moschee entlang den Armeeposten am Rande des alten Camps zur Baustelle im Süden des Flüchtlingslagers. Dort hat die UNRWA ein weiteres Stück Land eingeebnet und bereitet den Bau der fünften Barackensiedlung vor. In Sprechchören verlangten die DemonstrantInnen die Rückkehr in das alte Camp und die Aufhebung der militärischen Sperrzone bzw. die Abschaffung des Bewilligungssystems. Scheich Ismail Abu Ibrahim, der junge Imam der al-Quds-Moschee und ein weiterer Vertreter des Einwohnerkomitees, Abu Tayyeb, forderten den sofortigen Baustopp für die Baracken und den unmittelbaren Beginn des Wiederaufbaus des alten Camps. Abu Tayyeb kritisierte Vetternwirtschaft und Korruption im Wiederaufbau-Prozess und stellte die rhetorische Frage, weshalb sich der Wiederaufbau ständig verzögere. Er deutete an, dass das Camp wohl gar nicht wieder aufgebaut werden soll und rief in die Menge: „Der Grundstein und die ganze Zeremonie waren nichts als eine Lüge!“

 

 

Videoclip über die Demonstration gegen den Bau der neuen Baracken am 14. Mai 2009



Bisherige Artikel:

 

Wiederaufbau ohne die Betroffenen - März 2009
Die Zerstörung des Flüchtlingslagers Nahr al-Bared und ihre Folgen - Februar 2009
Hintergründe zur Zerstörung von Nahr al-Bared -  Mai 2008

Armee plündert und brandschatzt - November 2007