Interview mit Heidelberger Anti-Todesstrafenaktivistin

Mumia Abu-Jamal

Gestern fand in Heidelberg eine Kundgebung für den Todesstrafenhäftling Troy Davis aus den USA statt. Es war ein weltweiter Aktionstag. Ein  Bericht darüber ist auf de.indymedia.org erschienen. Wir interviewten eine der Organisator_innen, Annette Schiffmann von der Heidelberger Gruppe Freiheit für Mumia Abu-Jamal.

 

Mumia Hörbuchgruppe: Denkst du, dass eure Kundgebung bei den zuständigen Behörden in den USA Gehör findet?

Annette Schiffmann: Ob sie Gehör findet, weiß ich nicht – aber gehört und gesehen wird sie auf jeden Fall! Wir haben tolle Fotos gemacht – unsere berühmte Postkarten-Ansicht mit einer völlig neuen Perspektive. Die schicken wir natürlich in die USA – wir werden unübersehbar sein.

Mumia Hörbuchgruppe: Gibt es in Heidelberg ein größeres Bewusstsein über das staatliche Morden in den USA als z.B. in anderen bundesdeutschen Städten? Wie sieht aus es mit der Unterstützung von anderen Gefangenen wie z.B. Mumia Abu-Jamal?

Annette Schiffmann: Hm, ob es hier größeres Bewusstsein als anderswo gibt, kann ich natürlich nicht sagen – aber ich weiß aus langer Erfahrung, die sich heute wieder überraschend und erfreulich bestätigt hat, dass beispielsweise Mumia für fast jede/n, der oder die in Heidelberg politisch interessiert ist, ein Begriff ist.
Es freut uns ungemein, dass unsere fast 10jährige Arbeit dazu so viel Erfolg hat! Und es bedeutet für uns, dass wir zwar auch viel Glück haben mit dieser Stadt und ihren vielen politischen Gruppen und Grüppchen aller Richtungen – aber dass wir offenbar auf dem richtigen Weg sind damit, den Kontakt über politische Auffassungen hinweg zu pflegen und uns gegenseitig mit Respekt und oft Freundschaft zu begegnen, obwohl wir zu vielen Themen äußerst kontroverser Ansicht sind.

Zu Mumia haben wir seit vielen Jahren eine intensive Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Amerikanischen Institut, was wirklich nicht selbstverständlich ist. Vor knapp 30 Jahren war das – vom US- und NATO-Hauptquartier mal abgesehen – der Hauptfeind Nummer 1 für alle Linken in der Stadt und geschmähter Repräsentant der Supermacht, die Viet Nam überfallen und verstümmelt hatte, sowie Zielscheibe etlicher Besetzungsversuche und Farbbeutelwürfe.
Eine Heidelberger Besonderheit ist es, dass in dieses später umbenannte Haus ein Direktor einzog, der ein absolut aufrechter Demokrat ist, sein Haus allen Heidelberger Initiativen geöffnet hat und uns mit offenen Armen empfangen hat, als wir mit der ersten Veranstaltung zu Mumia Abu-Jamal angefragt haben.
Vor zwei Wochen war die Journey of Hope auf seine Einladung hier, und diesen Aktionstag für Troy Davis haben wir gemeinsam gestaltet.

Mumia Hörbuchgruppe: Für wie erfolgreich hältst du die Teilnehmer_innenzahl angesichts der Mobilisierung?

Annette Schiffmann: Ich bin restlos begeistert. Total begeistert und froh. Es ist richtig ein bisschen unfassbar: wir waren nur zu viert in der Vorbereitung, hatten aber das DAI im Hintergrund, deren Verteiler, deren Logistik und den mittlerweile guten Namen.
Dennoch – wir alle waren überwältigt vom Erfolg, ebenso wie die Teilnehmer_innen selbst.
Über 400 – das ist ein Hammer – vor allem so viele verschiedene Gruppierungen und Einzelleute – von Schülerinnen und Schülern, die zum allerersten Mal an so etwas teilgenommen haben, über altgediente Heidelberger Antifas, die neben ebenso altgedienten Supergewaltfreien ihr Schild hochhielten, bis hin zu Leuten, die normalerweise einfach nur die Veranstaltungen im DAI besuchen.
Und Touristen, die sich spontan einreihten. Und Lehrern aus etlichen Schulen. Und Student_innen. Und Dozent_innen.

Ich glaube, was außer Glück und wunderbarem Wetter und einer deutlich bewegteren Grunstimmung in der Stadt dazu beigetragen hat, war die Aktionsform. Das konkrete Anliegen – ein einzelner Mensch, für den man was tun kann; die konkreten Handlungsanweisungen – tragt ein schwarzes Hemd, wir bringen die Schilder, haltet sie hoch; und vor allem das gemeinsame Tun – wir sind nicht einfach irgend eine Demo, sondern wir alle GESTALTEN das Bild, das später um die Welt gehen wird.
Und das sogar in unserer Zeitung erscheinen wird.
Das Gefühl, ein „klein bisschen mehr zu sein als ein winziges Staubkorn im All“, wie eine Teilnehmerin es poetisch formulierte.

Mumia Hörbuchgruppe: Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit einer Organisation wie Amnesty International?

Annette Schiffmann: Das kommt immer auf die jeweiligen Leute an, die grade was zu sagen haben. War in der Vergangenheit hier in Heidelberg recht zäh, ist aber in jüngster Zeit deutlich toller geworden, seit die Student_innen und jungen Leute wieder aktiv werden und im Vormarsch sind. Mit denen haben wir sehr erfreuliche Erfahrungen.
Mit dem Generalsekretariat in Berlin unter Barbara Lochbihler war es immer sehr gut.

Mumia Hörbuchgruppe: Wie stehen deiner Meinung nach Troy Davis Chancen, die nächsten Wochen zu überleben?

Annette Schiffmann: Oh Mann, was soll ich dazu sagen. Ich wage echt keine Prognose. Dieses monströse Justizsystem in den Vereinigten Staaten istso grausam unberechenbar und willkürlich ungerecht, dass man verzweifeln könnte. Ich WÜNSCHE von Herzen, dass es was nützt, was wir alle überall machen.

Mumia Hörbuchgruppe: Was empfiehlst du Unterstützer_innen für ihre Arbeit?

Annette Schiffmann: In aller Kürze: offen sein, mit (fast) allen zusammen arbeiten, neue Ideen spinnen und ausprobieren, nicht auf dem rigiden Rentnerbänkchen der Haltung: „ich weiß eh, wo’s längs geht und wie man das macht“ sitzen zu bleiben, sondern sich tatsächlich zu bewegen. Auf andere zu. In unbekannte Gefilde. Schulsekretariate aufsuchen und fragen, ob man ein Plakat aufhängen kann. Den Pfarrer der Kirche neben dran  ansprechen. Sich aus der eigenen Szene raus bewegen. Ab und zu.
Sich verunsichern lassen. Das Gesicht zeigen. Und ab und zu dran denken, dass wir nicht nur GEGEN etwas kämpfen, sondern dass wir ein schönes Leben wollen. Für möglichst viele. Und ein bisschen davon sollte sich gern auch in unseren Aktionen zeigen. Na ja – so neunmalschlau für heute.

Und natürlich in Alarmlisten eintragen, sollte es in den nächsten Tagen wieder einen neuen Hinrichtungsbefehl geben. In deutscher Sprache werden solche Infos auch vom Berliner Free Mumia-Bündnis verschickt. Ihr arbeitet dort doch mit, wo sollen sich die Leute eintragen?

Mumia Hörbuchgruppe: ja, das stimmt. Interessierte schreiben einfach eine leere e-mail an  free.mumia@gmx.net  mit Betreff Troy Davis, dann kommen sie in den Verteiler. Das Gleiche gilt übrigens für alle, die Interesse an einem monatlichen Kampagnen Update über Mumia Abu-Jamal haben.

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Sollte Troy Davis wider Erwarten doch noch ein neuer Prozeß gewährt werden, der dann voraussichtlich mit einem Freispruch enden würde, könnte sich dies als ein taktischer Schachzug erweisen, um die Todesstrafe in Georgia wie auch in den gesamten USA allen Widerständen zum Trotz am Leben zu erhalten. Daß Troy Davis ohne die massenhaften Proteste gegen seine wiederholt angesetzte Hinrichtung heute nicht mehr am Leben wäre, belegt nicht unbedingt die tatsächliche Stärke einer solchen Kampagnenbewegung, wohl aber die tiefsitzende und tiefbegründete Angst herrschender Kräfte vor der Stunde X, in der sich die ihren repressiven Systemem unterworfenen Menschen nicht länger damit abfinden wollen, in einem Staat zu leben, der das elementarste aller Rechte, das Recht auf Leben, so fundamental mißachtet.