Vielfältig sind in Erfurt nur die Nazis

Erfurt: gegen rechts ist nur ein Logo

2009 zur „Stadt der Vielfalt“ gekürt, gibt sich Erfurt imagebewusst, weltoffen und tolerant. Dass dies nicht so recht funktionieren will, liegt nicht an einem Versagen der gut bezahlten und gut ausgestatteten Werbebüros, die Erfurt engagiert, sondern vor allem an den unzähligen rassistischen und faschistischen Übergriffen, die seit ein paar Monaten immer wieder an die Öffentlichkeit gelangen. Auch die Lippenbekenntnisse in einer von allen Fraktion im Stadtrat verabschiedeten gemeinsamen Erklärung, in der die Taten verurteilt werden, kann daran nichts ändern.

 

Rechte Schläger? – Ist doch voll 90er

“Ich fühle mich zurückversetzt in die 1990er und die Zeit nach der Wende” sagt Alex, ein Punk, der mit seinen Freund_innen im Rahmen eines Pressegespräches zum Thema “Rechte Gewalt in Erfurt” über seine Erfahrungen berichtet. “Ja, das geht jetzt wieder so los, dass man z.B. überlegt: ‘Ja, wo gehen wir denn am besten lang?’ Um die und die Zeit lieber nicht über’n Anger, da nimmt man lieber die Seitengassen” ergänzt Beate. Nach mehreren brutalen Übergriffen durch Neonazis in den letzten Monaten gehört rechte Gewalt nicht nur für diese Gruppe zum Alltag

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Der Raum im Hinterhaus der Offenen Arbeit ist gut gefüllt. Geladen hatten unter anderem das Biko (Bildungskollektiv e.V.), Mobit (Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus) und EZRA (Mobile Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt). Betroffene kommen zu Wort, politische Einschätzungen werden geliefert und vor allem das Verhalten von Polizei und Behörden wird kritisiert. Für die zahlreich anwesenden Medienvertreter_innen scheint das alles nichts besonderes zu sein, denn berichtet wird im Nachhinein darüber nicht. Nur der MDR sendet einen kurzen Videobeitrag.

 

Etwa einen Monat später weisen linke Gruppen in einer Chronik darauf hin, dass seit Dezember 2011 mindestens 65 rechte Aktivitäten bekannt geworden sind. Darunter finden sich unter anderem 24 Übergriffe und 27 öffentliche Aktionen. Die antifaschistische Koordinierung Erfurt betont, dass rechte Aktivitäten in Erfurt keine Einzelfälle sind. “Gewalt, Aufmärsche oder Propaganda-Aktionen gab es immer” schreiben sie in einer Pressemitteilung.

 

Die Polizei – Dein Freund und Helfer

Für die Betroffenen von Übergriffen war das zu Hilfe holen der Polizei in der Vergangenheit nicht immer von Vorteil. Nach einem Angriff von 20 Nazis auf eine Feier des Biko ermittelt die Polizei nicht etwa gegen die angreifenden Nazis, sondern gegen ein Mitglied des Vereins. Eine Gruppe internationaler Student_innen berichtet nach einem Übergriff durch rechte Schläger am Anger von einem “freundschaftlichen Umgangston” zwischen Polizei und Nazis. Auch wurden die Student_innen dazu angehalten, die rechte Parolen grölenden und den Hitlergruß zeigenden Nazis nicht als solche zu bezeichnen, das könnte sie provozieren. Während Betroffene also zu Täter_innen gemacht werden, können Nazis beinah ungehindert agieren. Alltag in Erfurt.

 

Und dabei bemüht sich die Polizei bereits um ein besseres Image. Erst ein dritter Naziübergriff innerhalb weniger Wochen in der Michaelisstraße und daran anschließende massive Kritik an der Polizei durch Betroffene und Anwohner_innen brachte die Polizei überhaupt dazu den rechten Hintergrund der Täter_innen wahrzunehmen. Zuvor war immer nur die Rede von “Auseinandersetzungen zwischen zwei Gruppen”. Der Leiter der Landespolizeiinspektion, Jürgen Loyen, schränkt die gewonnenen Erkenntnisse jedoch gleich wieder ein: “Alkohol, Emotionen und weitere subjektive Faktoren sowie auch ein politisch aufgeladenes Klima gegenüber der Polizei könnten durchaus dazu führen, dass die rechte Karte öfter gezogen wird als es der Realität entspricht” zitiert die Thüringer Landeszeitung aus einem Interview mit ihm. Konsequent nennt die Polizei “Frust”, anstatt Ausländerfeindlichkeit und Rassismus, als Motiv für das Schreien rechter Parolen zweier Männer, denen nach Ladenschluss der Zutritt zu einem Döner-Imbiss verwehrt wird.

 

Während Nazis prügeln, wird von Seiten der Polizei verharmlost, geleugnet und relativiert. Da verwundert es kaum, dass im September 2012 bereits zum wiederholten Male Verbindungen zwischen Polizei und Nazis öffentlich werden. Auch das ist Alltag in Erfurt.

 

Die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen

Als Alibiveranstaltung lässt sich das Verhalten von Ordnungsbehörden, Verantwortlichen der Stadtpolitik und einem Großteil der Landtagsabgeordneten gut zusammenfassen. Denn während sie jede Gelegenheit nutzen ihre Namen und Gesichter unter dem Motto “gegen rechts ist logo” in den Medien zu präsentieren, lassen Taten zumeist auf sich warten. Da werden spontane Anmeldungen zu Nazikundgebungen erlaubt, die vorher in anderen Städten verboten wurden, Anmeldungen zu Nazikundgebungen aus Angst vor Gegenprotesten geheimgehalten und antifaschistische Proteste mit Auflagen schikaniert und von riesigen Polizeiaufgeboten begleitet. Am 20. September versammelten sich alle Landtagsabgeordneten zu einer symbolischen Aktion gegen eine Nazikundgebung. Nur eine Handvoll ließ sich zwei Tage vorher auf einer Kundgebung von Flüchtlingen gegen rassistische Sondergesetze vor dem Landtag blicken.

 

Die jahrelange politische Strategie zur Aufwertung der Erfurter Innenstadt untergräbt ebenfalls die nach außen vertretene Vielfältigkeit. Das Alkoholverbot, das nach einem von der Stadt verlorenem Rechtsstreit glücklicherweise wieder Aufgehoben wurde, spricht hier Bände. Alle, die sich den Genuss eines alkoholischen Getränkes in einer der überteuerten Kneipen nicht leisten können, sollen dies am besten zu Hause oder am Stadtrand tun, nicht aber am Flussufer hinter dem Krämerbrücke, dem Touristenmagneten der Erfurter Innenstadt. Wer hier von wo und warum verdrängt werden soll ist offensichtlich. Mittlerweile denkt die Stadt gemeinsam mit anderen Thüringer Kommunen darüber nach, wie ein Alkoholverbot auf Landesebene (wieder) eingeführt werden kann.

 

Die Forcierung von öffentlichwirksamen Großprojekten wie ICE-City und BUGA, und die Sanierung von Wohnraum zugunsten eines gehobenen Standards tun sein übriges. Besserverdienende Bevölkerungsschichten nutzen dieses Angebot und setzen ihren Lebensstil nach außen sichtbar durch. Die Verdrängten müssen sich an die Stadtränder zurückziehen.


Auch die Gestaltung kulturellen Lebens wandelt sich aufgrund der veränderten Situation: Seit Anfang diesen Jahres gehen bei der Stadtverwaltung massenhaft Beschwerden und Klagen wegen verschiedener Veranstaltungen ein. Die daraufhin verschärften Auflagen führten bereits zur Absage erster kleinerer alternativer kostenloser Eintagesfestivals, die vorher ohne größere Schwierigkeiten stattfinden konnten. Auch an dieser Stelle wird das wenige Alternative verdrängt.

Alle genannten Vorgänge und Gegebenheiten wirken zusammen, verdichten und ergänzen sich. Schlagende Nazis sind nicht das einzige Problem. Polizeiübergriffe, rassistische Polizeikontrollen und städtische Vertreibungs- und Gentrifizierungspolitik machen das Leben besonders für Randgruppen schwer. Alternative, Linke oder Menschen mit Migrationshintergrund werden zunehmend an den gesellschaftlichen Rand gedrängt. Es ist kein Wunder, dass sich Nazis unter solchen Bedingungen wohlfühlen. “Vielfältig sind in Erfurt allein die Nazi-Aktivitäten” lautet ein Zitat aus dem Aufruf linker Gruppen zu einer antifaschistischen Demonstration am 13. Oktober. Den Versuch zu wagen Erfurter Verhältnissen endlich etwas entgegenzusetzen, kann sich der Autor nur anschließen.

Informationen zur Demonstration am 13. Oktober in Erfurt gibt es unter frust.blogsport.de

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Und die Hagalrune im Logo ... GEGEN Rechts?!

Ihr wisst schon, was diese Rune bedeutet, oder?

Das Wappen der 6. SS-Gebirgsdivision, wie unglaublich dumm.

ich vermute mal, dass es eher das stilisierte Wappen der Stadt Erfurt ist, siehe hier: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:Wappen_erfurt.svg&page=1...