Von Protestböen zum Proteststurm?

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Kein Tag, an dem nicht eine Hiobsbotschaft der nächsten folgt: „Rettungsschirme“ und „Auffanggesellschaften“, „Eurobons“ und „Finanzspritzen“ - mit den kreativen Wortschöpfungen aus den PR-Abteilungen der Chefetage der EU-Bürokratie und Konzernzentralen des Finanzkapitals sollen Beruhigungspillen verabreicht werden. Allerdings reicht die Dosis kaum mehr aus, um einen nachhaltigen Effekt auslösen zu können. Mit der Finanzkrise geht längst eine  „Vertrauenskrise“ in das System einher; eine Krisenerscheinung, die mindestens so „gefährlich“ für die Stabilität des Modus'  kapitalistischer Mehrwertabpressung und Profitmaximierung ist, wie die Turbulenzen bei den Wertpapieren an den Aktienmärkten und der Währungsverfall auf den Devisenmärkten rund um den Globus. Und da die allerwenigsten von uns in der Lage sein werden, mal eben private Goldreserven anzulegen oder andere Edelmetalle zu horten, trifft der Systemabsturz alle jene Lohnabhängigen, die eh schon im sich rasant ausbreitenden prekären Sektor beschäftigt sind. Ganz zu schweigen von denen, die auf den diversen „Arbeitsmärkten“ als Überflüssige gehandelt werden und nicht zuletzt die, die den sozialen Abgrund tagein, tagaus am eigenen Leib spüren.

 

Tut sich was?

 

Die Vorboten des ersehnten, erwünschten und erwarteten Herbststurms des Protests kündigten sich hierzulande in den vergangenen Monaten nur sehr zaghaft an, auch wenn es bspw. in Betrieben des Gesundheitssektors (Damp-Kliniken, Helios und Asklepios) verschiedentlich größere Auseinandersetzungen um Privatisierungen, Lohndumping und Leiharbeit gegeben hat. Gegenseitige Solidarität unter Beschäftigten über Standesgrenzen hinweg fand ebenso statt wie eine weitere Sensibilisierung für das Thema Pflege und Gesundheitsversorgung. Aber auch die Widerstände gegen den immer drückender werdenden Verdrängungsprozess von bestimmten Bevölkerungsteilen aus innerstädtischen Wohnquartieren ist zu einem virulenten Thema vor allem in den Großstädten der BRD geworden.

Im Zuge der Parlamentsumzingelungen und Generalstreikaktivitäten im spanischen Staat und in Griechenland kam es zu einigen solidarischen Aufzügen, um ein Signal von internationalistischer Klassensolidarität zu setzen.

Nun scheint sich der Bewegungsgrad zu erhöhen und die ersten „Aufgalopps“ finden eine größere TeilnehmerInnenzahl. KollegInnen und GenossInnen unterschiedlichster Couleur bewegen sich durch die Straßen der Städte und sorgen für den einen oder anderen Luftzug. "Umfairteilen - Reichtum besteuern", so das Motto der Protestzüge und Kundgebungen in 40 Städten, zu denen die notorischen sozialpartnerschaftlichen und klassenkompromisslerischen Vereinigungen wie DGB-Gewerkschaften, Sozialverbände, Kirchen und Gliederungen parlamentarischer Parteien für den 29. September 2012 aufgerufen hatten.

Aufgrund Jahrzehntelanger Erfahrungen mit den Vertretungen dieses Kartells für „organisierten Kapitalismus“ und „Wirtschaftsdemokratie“ ist nicht nur eine zurückhaltende, sondern eine ablehnende Haltung einzunehmen. Eine solche Haltung drückt sich nicht in einer einfachen Abstinenz und Negation aus. Durch die Bildung eigenständiger „Antikapitalistischer Blöcke“ auf derartigen Demonstrationen kann der Blick für alle Beteiligten geweitet werden, dass das bisschen Reformiererei kein „Zukunftsprogramm“ darstellen kann. Eine soziale Bewegung, die sozialrevolutionäre Impulse freisetzen will, wird sich aus der freundlichen Umarmung, die zu einer tödlichen Umklammerung wird, von DGB, Kirchen & Co. befreien müssen, um nicht in ein bedeutungsloses Rinnsal der Bewegung abgedrängt zu werden.

 

Vom Bewegungshoch über das Bewegungstief zum Bewegungsaufschwung?

 

Das klingt fast wie eine Kapitelüberschrift in einem Schulbuch, in dem musterhaft das Auf und Ab eines Konjukturzyklus' beschrieben wird. Bewegungskonjunkturen lassen sich ebenso nachzeichnen und in der Rückschau analysieren sowie hinsichtlich der Perspektive prognostizieren. Mit Prognosen, so die Allerweltserkenntnis, sollte man allerdings äußerst vorsichtig umgehen. D.h., um mit einer geflügelten Redewendung zu kommen, dass Verlauf und Ergebnis dieses aktuellen Bewegungsansatzes offen sind…

Eine gewisse Grundskepsis bleibt natürlich, weil es eher die Ausnahme ist, dass nach dem Abflauen von Protestbewegungen nachhaltige Wirkungen bei den ehemals Bewegten zurückbleiben. Oft individualisieren sich die ehemaligen AktivistInnen und SympathisantInnen in alle politischen Himmelsrichtungen oder sie ziehen sich ins „Privatleben“ zurück. Die Erinnerungsfotos von den „großen Schlachten damals“  werden nur für einen geselligen Wiedersehens-Abend aus dem Keller geholt. So verkümmern nicht nur die Erfahrungswerte, sie werden vor allem nicht an nachfolgende Generationen vermittelt, sondern nur noch als Anekdoten und Zoten erzählt. Da auf diese Art wenig ins „kollektive Gedächtnis“ der emanzipatorischen Linken einfließt, verpufft die Erfahrungs- und Erlebniswelt der sozialen Bewegung im Nirwana.

Es wird auf der Ebene der Publizistik eventuell den einen oder anderen „Nachruf“ auf die Bewegung geben, der aber mehr dem Einschlagen eines Sargnagels gleichkommt, als einen aufrufenden Charakter hat, die analysierten Defizite beim kommenden Anlauf fundamentaler Gesellschaftsveränderung frühzeitig zu erkennen und in verstärkter Form den handzahmen Protest zum handfesten Widerstand auszudehnen.

Entscheidend wird in den kommenden Wochen und Monaten sein, dass die Phase des Bewegungsaufschwungs nicht durch die KontrolleurInnen sozialer Bewegungspolitik bestimmt bleibt. Die Kampagnenprofis von attac, die linksparteilichen SonntagsrednerInnen bis hin zu Resten der bewegungsnahen Grünen werden Vieles unternehmen, um die Zügel festzuhalten, damit sich Protestformen nicht „verselbständigen“.

 

Braucht es nicht organisatorische Strukturen?

 

Aber genau um eine solche „Verselbständigung“, oder besser gesagt, um eine Emanzipation von den „bewegungsinternen AufpasserInnen“ geht es. Soziale Bewegungen sind auch immer ein Terrain von „Richtungsauseinandersetzungen“; wer bestimmt unter welchen Vorzeichen mit welchen Ausdrucksformen und mit welchen Zielsetzungen die Protest-Szenerie.

Es wäre inhaltlich an dieser Stelle zu ausufernd, den Dauerkonflikt zwischen Spontaneität und Organisation aufmachen zu wollen. Festzuhalten ist, dass Aktivität nicht aus dem Nichts entsteht bzw. grundlagenlos in Bewegung kommen kann.

Um auch nur eine Aussicht zu haben, den im Gange befindlichen Klassenkampf von oben im Zaum halten zu können, braucht es organisatorische Fundamente, Dächer und Rahmen auf, unter und in denen sich Aktive und Solidarische zusammenfinden und betätigen können. Klar, es steht ein Strukturaufbau an. Auch wenn in bewegungsarmen Zeiten nur kleine Kerne von KollegInnen und GenossInnen eine Organisation mehr schlecht als recht am Leben halten können, so sind diese doch immer wieder Ausgangspunkt und Reflexionsort für neue Protestformen und Widerstandsprozesse gegen die sozialen Exzesse der kapitalistischen Warengesellschaft.

Trotz aller Bescheidenheit können wir sagen, dass selbst eine Initiative wie strike! nicht ohne die beiden Komponenten des Organisierten, aber auch des Spontanen hätte zustande kommen können. Beide Stränge treffen sich, wenn zum einen eine Beschäftigung mit der praktischen Erarbeitung eines unionistisch-rätekommunistischen Konzepts förmlich „in der Luft“ liegt, zum anderen steigen derartige Versuchsballons nicht in die Luft auf, wenn nicht in beständiger und hartnäckiger Kleinstarbeit KollegInnen und GenossInnen Strukturen geschaffen, aufrechterhalten und erweitert hätten, die eine Idee einer Gesellschaft der Freien und Gleichen transportieren. Ein „Struktur-Ergebnis“ liegt nun vor: strike!

Man wird sich nicht ganz zu unrecht fragen, ob schon wieder ein neues bzw. neu aufgelegtes „Angebot“ auf dem Markt der politischen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten erscheinen muss. Wir sagen: „Es muss!“. Der in einem Blatt und Blog vertretende revolutionäre Unionismus und Rätekommunismus fehlte bisher. Eine revolutionär-unionistische und rätekommunistische Orientierung bietet zumindest einen Ansatz, um aus dem Dasein eines „linksgewerkschaftlichen Anhängsels“ herauszukommen und mit einer sozialrevolutionären und klassenkämpferischen Grundposition in die aktuellen und perspektivischen Auseinandersetzungen gehen zu können.

 

strike!-Redaktion

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strike! hat selbstredend auch einen aktuellen Blog: www.strike.blogsport.de

Eure Aussage, daß es keinen anderen medialen Ansdatz für Rätekommunismus gibt, stimmt so nicht ganz. Wir arbeiten seit 2005 mit genau dieser Ausrichtung (siehe dazu http://www.linkezeitung.de/index.php?option=com_content&view=article&id=... und http://www.linkezeitung.de/index.php?option=com_content&view=article&id=... )

Allerdings beschränken wir uns nicht auf revolutionären Unionismus sondern vertreten tagesaktuell revolutionäre Standpunkte zu allen politischen Themen. Und da sind wir sehr gespannt, wie Ihr euch positionieren werdet.

Wir wünschen euch viel Erfolg und einen langen Atem !

also ich finde da sind schon deutliche unterschiede wahrnehmbar zwischen dem was eine links- oder rätekommunistische position ausmacht und der mehrzahl der artikel, welche in der "linken zeitung" gespiegelt werden, insbesondere was die beurteilung "nationalrevolutionärer befreiungsbewegungen" und "antiimperialistischer" regime angeht.

Nur wenn wir das antiimperialistische Erbe überwinden, kriegen wir eine Perspektive auf die soziale Revolution! http://www.wildcat-www.de/wildcat/85/w85_antiimp.htm http://de.internationalism.org/search/google?cx=009455890578220893626%3A... http://www.kosmoprolet.org/das-ende-einer-illusion

und was bedeutet diese "Überwindung" aktuell am Beispiel Syrien ?
Die Positionierung in dieser und anderen Fragen zeigt in der Tat erst auf, wer sich mit dem Imperialismus zusammentut und wer ihn bekämpft. Quod erat demonstrandum.

Schon der erste Satz im Wildcat 85 ist falsch: "Antiimperialismus ist seit den 50er Jahren die politische Ausrichtung des Kampfes gegen das imperialistische Zentrum USA." Es mag sein, dass die USA in den 60er und 70ern (als Hauptakteur berechtigterweise) im Zentrum antiimperialistischer Kritik standen, das tun sie aber spätestens seit dem aufkommen anderer imperialistischer Mächte -allen voran Deutschland- schon lange nicht mehr. In den 80igern war für die Deutsche Linke der eigene Staat und die ausbeuterischen und expansive Wirtschaftspolitik das Hauptthemenfeld. Wer kennt nicht Solgans wie "Deutsche Waffen deutsches Geld..." und heute rücken andere imperialistische Mächte wie China oder die EU in den Fokus der Kritik. Die Sichtweise, Antiimperialismus sei in erster Linie gegen die USA (und Israel?) gerichtet hat nichts vom Antiimperialismus verstanden und dient eher der Bekämpfung antiimperialistischer Ansichten (zwecks Aufwertung der eigenen Gruppe) mit sinnentleerten Totschlagargumenten wie "Antiamerikanismus" oder "struktureller Antisemitismus". Die wohl wichtigste wissenschaftliche Theorie zur antiimperialitischen Perspektive ist Wallersteins Weltsystemtherie, welche vereinfacht dargestellt besagt, dass Nationalstaaten im Kapitalismus (genau wie Unternehmer) grundsätzlich nach Macht streben und dass wenn ein Staat die Führungsrolle abgibt (z.B. in Folge von Krise) ein anderer Staat diese Position einnimmt. Im kapitalistischen Staatengefüge kann es demnach nicht nur Gewinner geben (wie es Modernisierungtheoretiker und Neoliberale behaupten) sondern gerade der Wechsel zwischen Auf- und Absteigern macht das System flexibel und damit dauerhaft Funktionsfähig. Das von unterschiedlichen Staaten seit dem Kapitalismus auch imperialistische Bestrebungen ausgehen kann wohl kein Mensch leugnen und das sich Antikapitalisten und Linke gegen diese Bestrebeungen wehren ist Pflicht!

d'accord, dass es unter staaten wie auch unternehmen gewinner und verlierer gibt. soll ich mich dann für den erfolg der einen oder anderen einsetzen oder aber die perspektive der selbst-aufhebung des proletariats verfolgen? geschichtlich betrachtet haben beispielsweise taktische machtblöcke der sowjetunion mit "antiimperialistischen" regimes etwa im arabischen raum zur marginalisierung der dortigen kommunistInnen geführt (stichwort massaker an irakischen KP-mitgliedern). und auch heute findet man etwa in werner pirkers junge welt kommentaren diesen von den proletarisierten bzw. allgemein den menschen abstrahierenden binären "antiimperialismus" der dann etwa partei für den iranischen gottesstaat ergreift.

wäre in emanzipatorischer perspektive etwas gewonnen, würden china oder deutschland als gewinner aus der zwischenimperialistischen konkurrenz hervorgehen??

auch das trotzki-zitat, nachdem in einem hypothetischen krieg (ich glaube) englands gegen ein swemi-faschistisches brasilien letzteres regime ("militärisch, nicht politisch") zu unterstützen sei, da die nationale befreiung erst die grundlage für soziale befreiuung schaffe, finde ich übel und falsch.

 

soweit erstmal,

 

ulf

 

http://fpd.blogsport.de