„Break the Isolation“ – der Oppositionsparteien und NGOs?

„Break the Isolation“

Die antirassistische Demo am 23.6.2012 in Hannover, der Flüchtlingsprotest in Würzburg, Dimensionen der Isolation und die Notwendigkeit einer emanzipatorischen Perspektive - Ein Diskussionsbeitrag aus Jena

Break Isolation – lautet der Slogan, mit dem sich The VOICE Jena nach dem Karawane-Festival 2010 aufgemacht hat, um das Thüringer Flüchtlingsnetzwerk auszubauen und die rassistische Realität im Hinterland zu durchbrechen. Aufgrund der Kontinuität von Dokumentationen, Presseresonanz, kleineren und größeren Aktionen sowie dem parallel wachsenden Netzwerk an Unterstützer_innen wurde mit Break Isolation bald eine Kampagne, aber auch die dahinter stehenden Menschen identifiziert. Das hatte den Vorteil, dass sich anstelle einer Gruppen-/Organisationsidentität ein politischer Inhalt vermittelte. Der entscheidende Nachteil war aber die Loslösung dieser Inhalte von der selbstorganisierten Flüchtlingsbewegung im Rahmen von The VOICE Refugee Forum.

 

Isolation³

 

Mit dem Aufbau von Lagercommunities, regelmäßigen Vernetzungstreffen und Kundgebungen in jeweiligen Kreisstädten Thüringens wurde primär die physische Isolation der Flüchtlinge durchbrochen. Sie traten vermehrt in Austausch mit Aktivist_innen aus anderen Regionen, setzten sich über die Residenzpflicht hinweg und nahmen sich durch Presseauftritte und politische Aktionen  ein Stück öffentlichen Raum zurück. 


Eine weitere Dimension der Isolation ist die von gesellschaftlichen Selbstverständlichkeiten. Wer kein Geld hat und keines verdienen darf, ist von vielen Alltäglichkeiten ausgeschlossen. Wer kein Deutsch spricht und für einen Kurs weder eigene Mittel hat noch einen gesetzlichen Anspruch, der_die hat in einem Thüringischen Dorf sehr geringe Möglichkeiten, kleine Facetten alltäglicher Organisation in die eigene Hand zu nehmen. Infolge des kontinuierlich wachsenden Netzwerks konnten diese Formen der Isolation punktuell durchbrochen werden. Allein den Raum zur Formulierung von Problemen und Bedürfnissen zu öffnen, führt oft zur ganz praktischen, solidarischen Lösung.

 

Der dritte, aber absolut zentrale Aspekt der Isolation ist die Leugnung einer politischen Identität von Flüchtlingen. Vom UN-Generalsekretär bis zur EU-Kommission, von der CDU bis zur Linken, von der Diakonie bis zum Flüchtlingsrat, von Antifagruppen bis zu antirassistischen Initiativen wird viel über Flüchtlinge gesprochen. Dürfen diese selbst einmal zu Wort kommen – ob auf öffentlichen Aktionen oder in den Medien –, dann allenfalls um ihre jeweilige persönliche Situation zu beschreiben. Die politische Einordnung dessen oder die Formulierung konkreter Alternativen wird von anderen beansprucht. Die praktische Umsetzung der Alternativen in Form von Flüchtlings-Selbstorganisation wird überwiegend negiert. Dabei übersteigen die Ausmaße selbstorganisierter Flüchtlingsstrukturen teilweise lang existierende politische Basisstrukturen von Nicht-Flüchtlingen, da im Flüchtlingsnetzwerk auch alltägliche Bedürfnisse gemeinsam bewältigt werden, also der Isolation von einer bürgerlichen, wirtschaftlichen Selbstständigkeit solidarisch begegnet wird.

 

Mit Break Isolation! verband sich deshalb für Unterstützer_innenkreise vorrangig das Durchbrechen dieser politischen Isolation. Entweder als Bestärkung von The VOICE Refugee Forum, anderer Formen der Selbstorganisation von Flüchtlingen wie sie zuletzt in Würzburg, Aub und vielen weiteren Orten der „Refugee Tent Action“ in beeindruckender Form stattfindet, oder als Organisierung in der KARAWANE für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen. Der Ausgangspunkt ist dabei immer, die bereits bestehende Bewegung zu stärken und mit anderen zu verknüpfen, anstatt im Namen der Flüchtlinge öffentlichen/politischen Raum einzunehmen.

 

Würzburg -  NGOs vs. selbstbestimmten Flüchtlingsprotest


Die Reaktionen großer NGOs auf die hungerstreikenden Flüchtlinge in Würzburg, die sich gegen das Lagersystem und für ein Ende der Abschiebungen positionieren, waren bezeichnend. Nachdem sich einige der Protestierenden im vierten Monat ihres Dauerprotests die Lippen zunähten, entsolidarisierten sich die institutionalisierten Flüchtlingslobbyist_innen. Der Flüchtlingsrat Bayern erklärte, dass die Flüchtlinge durch eine solche Protestform Sympathien verspielten und der Politik die Chance verweigerten, mit der Zeit die Asylbedingungen zu verbessern (SZ 4.6.12). Pro Asyl wiederum formulierte Unverständnis gegenüber dieser „Eskalation“ und verwies auf die kooperative Haltung der deutschen Behörden (taz 7.6.12).

 

Vor dem Hintergrund, dass sich ein Freund der Protestierenden, Mohammad Rahsepar, im vergangenen Winter im Würzburger Lager das Leben nahm, dass gerade Bayern sich ohnehin als vergleichsweise resistent gegen jegliche politische Reform beweist und dass die Flüchtlinge bereits seit Mitte März dauerhaft demonstrierten und lange Zeit im Hungerstreik verbrachten, sind allein die Wortwahl der „Eskalation“ und der Verweis auf das vermeintliche Arbeitstempo der Behörden zynisch. Dass die Protestform eines Hungerstreiks und die damit suggerierte kurzfristige Lösbarkeit von Unterdrückungsstrukturen diskutabel ist, steht außer Frage. Trotz alledem findet hier ein ungewohnt entschlossener und selbstbestimmter Flüchtlingswiderstand statt, der in seiner Form gerade in Bayern ebenso selten wie notwendig ist.

 

Die aktuell stattfindende Ausbreitung nach Mannheim, Bamberg, Aub und Düsseldorf ruft nach nichts anderem als Solidaritätsbekundung und praktischer Unterstützung. In diesem Zusammenhang die Behörden komplimentieren zu wollen und die Protestierenden zu besonnenem Abwarten aufzurufen, bedeutet nichts weiter als die Delegitimierung von autonomen Flüchtlingskämpfen. Bei der Beurteilung von Handlungsfähigkeit und -willen von Bundesamt, Gerichten und Politik ist es bitter, nur den Zeitraum seit Beginn der Proteste einzubeziehen. Gemessen an den Zuständen, die seit Jahrzehnten, speziell aber seit 1993 existieren, gemessen an den Zehntausenden Abgeschobenen, Zehntausenden Erkrankten und Dutzenden Todesfällen allein in Deutschland und gemessen an der gerade in Bayern auf die Spitze getriebenen Misshandlung durch Essenspakete und Containerunterbringung ist jeder Tag Warten ein Tag zu viel. Genau das drücken die Protestierenden in Würzburg aus.

 

23.6. Hannover


Auch in Niedersachsens Lagern hat sich im vergangenen Jahr einiges geregt. Dabei war der Protest der Flüchtlinge in Gifhorn einer der Mittelpunkte der Aktivitäten. Infolge mehrerer Kundgebungen und Demos in Gifhorn und Hannover, der gewachsenen Vernetzung der Flüchtlinge zwischen Gifhorn, Wolfsburg, Göttingen, Braunschweig, Hannover und Cuxhaven und jener der Roma-Community im Speziellen sowie durch mehrere niedersachsenweite Flüchtlingskonferenzen entstand der Plan, eine größere Demo zu organisieren. Diese sollte unter dem Slogan Break Isolation! laufen und sich vor allem gegen Lagerunterbringung und Abschiebungen richten.

 

In Kenntnis der vorangegangenen Aktivitäten des Flüchtlingsnetzwerks war das Bild der Demonstration in mancherlei Hinsicht überraschend. Während vergleichsweise viele Flüchtlinge mobilisiert worden waren, spiegelten die Redebeiträge ein anderes Bild wider. Zunächst wurde die deutliche Mehrheit der Beiträge nur auf Deutsch gehalten. Dazu kam, dass gerade die deutschsprachigen Redner_innen sehr ausführlich sprachen. Dass Parteivertreter_innen der Linken und der Grünen einen großen Raum einnahmen, stand in keinem Verhältnis zum Potential der niedersächsischen Flüchtlingsaktivist_innen. Der von der Ausländerbehörde Gifhorn 2011 in den Tod getriebene Shambhu Lama fand ebenso wenig Erwähnung wie die bundesweit beispiellosen Ausmaße der Repression gegen die protestierende Gifhorner Flüchtlingsgemeinschaft. Stattdessen übten sich zwei Vertreter_innen der Linken in dreister Wahlwerbung à la „wenn wir in der Regierung sind, wird das Gutscheinsystem sofort abgeschafft“, um abschließend mit dem Slogan „Kein Mensch ist illegal“ den Hohn auf die Spitze zu treiben. Als ob die Linke nicht in zahlreichen Landratsämtern und in Landesregierungen das Gegenteil bewiesen hätte.

 

Natürlich ist auch die Flüchtlingsgemeinschaft nicht homogen, und die an der Demo-Moderation beteiligten Flüchtlingsaktivisten boten als Fragensteller den Parteipolitiker_innen ein hervorragendes Forum. Und trotzdem bleibt die Frage, warum Aktivist_innen aus Hannover und Gifhorn, die bundesweit Infoveranstaltungen durchführen, als Pressesprecher_innen auftreten und selbst Demos organisierten, die Hannoveraner Demo nicht als die ihre begriffen. Ihre physische Isolation wurde sicherlich auch am 23.6. durchbrochen. Ihre politische Position hingegen und die aufgebauten unabhängigen Strukturen blieben weitestgehend  im Abseits.

 

Perspektive: Emanzipation


Ohne eine bestimmte Gruppenidentität oder Ideologierichtung vertreten zu müssen, lassen die herrschenden Verhältnisse keine andere Wahl offen, als auf eine emanzipierte  Flüchtlingsbewegung zu bauen. Während politische Parteien ihrer Natur nach nur im Rahmen von Gesetzesentwürfen und Verwaltungsverordnungen Politik denken können, kommt NGOs wie Flüchtlingsräten und Pro Asyl die Rolle zu, außerparlamentarische Flüchtlingspolitik in jene kontrollierten, institutionalisierten Bahnen zu kanalisieren. Die entscheidenden Erfahrungen, die zu einer konträren Position führen, werden an der Basis, also in den isolierenden Lagern und Abschiebeknästen gemacht. 


Während gerichtlich die Gebühr für beantragte Urlaubsscheine verboten wurde, berichten Flüchtlinge aus Bayern, dass eine solche Gebühr in manchen Landkreisen bis heute eingetrieben wird. Im thüringischen Gerstungen wiederum dürfen die Flüchtlinge auch nach der seichten Residenzpflichtreform ihren eigenen Ort (6000 Einwohner_innen) nicht durchqueren, weil er zur Hälfte in Hessen liegt. Während Parteien die „Abschaffung“ der Residenzpflicht feiern, sind tausende Geduldete oder Nicht-Arbeitsfähige von solchen „Erfolgen“ ausgeschlossen. Während Abschiebungen nach Griechenland bundesweit „gestoppt“ wurden, führten 2010 einige Ausländerbehörden  diese Praxis im Stillen weiterhin fort. Während ein Arzt Ruslan Yatskevich aus Zella-Mehlis (Thüringen) bereits die Reiseunfähigkeit bestätigt hatte, trieb ihn die Ausländerbehörde Meiningen mit unbegründeten Abschiebedrohungen in den Tod. Während ein Gericht über den dauerhaften Aufenthalt Shambhu Lamas aus Gifhorn beriet, verfuhr seine Ausländerbehörde in gleicher Weise, mit den gleichen Folgen.

 

Das System ist sehr dezentralisiert und erzeugt Isolation in mehreren Dimensionen. Es zermürbt psychisch und physisch und schafft einen aus der massiven Regulierungsmöglichkeit alltäglicher Grundbedürfnisse resultierenden Spielraum für Schikane.  Unter solchen Umständen Veränderung nicht zentral und legislativ bedingt stattfinden. Zumal gleichzeitig die medial und politisch/ökonomisch suggerierte Atmosphäre von Verunsicherung und  Konkurrenzkampf sowohl die lokale Bevölkerung als auch die verantwortlichen Beamt_innen immer in Feindseligkeit zu den Flüchtlingen stehen lässt. Entgegen der von Parteien und NGOs als alternativlos propagierten legislativen und kompromisssuchenden Lösung beweisen viele Widerstandserfahrungen, dass gerade auf lokaler Ebene sehr weitgehende Veränderungen von Flüchtlingen erkämpft wurden. Oft genug sogar solche, die die gesetzlichen Kompetenzen oder finanziellen Mittel eines Landkreises überschritten.

 

Allein das Beispiel der aus Niedersachsen nach Vietnam abgeschobenen Familie Nguyen belegt die absolute Willfährigkeit im Umgang mit Flüchtlingen: Nachdem sogar innerhalb der CDU  Kritik laut wurde, setzte sich Innenminister Schünemann persönlich über den Gerichtsbeschluss des Oberverwaltungsgerichts, das letztendlich die Abschiebung anordnete, hinweg und organisierte über Verbindungen zum Bundesinnenministerium und der deutschen Botschaft in Hanoi eine Wiedereinreisegenehmigung der  – bis auf die bleiberechtlich gesegnete Tochter – bereits nach Vietnam abgeschobenen Familie.

 

In einem System solch massiver Willkür ist alles möglich. Wo die Flüchtlinge an sich selbst glauben, anstatt NGOs und Parteien das Märchen des Wegs durch die Instanzen abzunehmen, erkämpfen sie sich Stück für Stück ihre Freiheit und Würde zurück. Und entgegen der Unsicherheit vieler etablierter Politgruppen, wie damit umzugehen sei, birgt das ein riesiges Potenzial für alle emanzipatorischen Bestrebungen.

 

Zeugnisse des Kapitalismus


Zuletzt darf ein Aspekt nicht außer Acht gelassen werden, der in (Demo- o.ä.) Bündnissen oder im alltäglichen Pragmatismus oft zu kurz kommt: Die deutliche Benennung des Kapitalismus als Hauptursache für Fluchtbewegungen und die Offenlegung dieser Verhältnisse durch die Flüchtlinge selbst, als Zeug_innen der kapitalistischen Zerstörung ihrer Lebensorte. Zwischen Parteien, NGOs und Kirchen, aber auch innerhalb linksradikaler Strukturen wird gerne über Krieg, Krisen, Landraub, Umweltzerstörung etc. gesprochen. Jedoch meistens aus der – wenn auch passiven – Profiteur_innenperspektive. Das heißt nicht, dass alle in z.B. Deutschland groß gewordenen und mit den entsprechenden Privilegien ausgestatteten Menschen nur vom Kapitalismus profitieren würden. Selbstverständlich birgt die hiesige Gesellschaft äußerst viele Unterdrückungs- und Dominanzformen, die nicht bloß entlang der jeweiligen Staatsbürger_innenschaften erklärt werden können.

 

Die Thematisierung von Fluchtursachen gewinnt allerdings an oft unterschätzter Dynamik und Glaubwürdigkeit, sobald hier Menschen agieren, die aus den vom Kapitalismus zerstörten Regionen gekommen sind. Wer antikapitalistische Politik machen will, dabei aber über die vielen Augenzeug_innen bewusst hinwegsieht, die in Isolationslagern außerhalb von autonomen Zentren, Kiezen, von Parlamenten oder der medialen Aufmerksamkeit zu leben gezwungen sind, wird immer wieder an Grenzen der Authentizität stoßen oder Stellvertreter_innenkonflikte austragen. Dass dabei die Herrschaftsverhältnisse nicht grundlegend gekippt werden können, sondern auch reproduziert werden, ist eine schmerzliche Erkenntnis. Dass dabei zur Flucht gezwungenen widerständischen Bewegungen und Einzelpersonen der Anschluss an hiesige Bewegungen oft verwehrt bleibt, liegt vielerorts hinterm Horizont der etablierten linksradikal artikulierenden Gruppen und Netzwerke.

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Wir fordern ein Ende der beschissenen humanitär/juristisch begrenzt begründeten Flüchtlingshilfe/Initiativenpolitik.



Die Arbeit vieler Flüchtlingsräte und NGO´s verbessert nicht mehr die Situation fon MIgrantinnen. In den letzten Jahren hat sich die Situation von Flüchtlingen und Reisenden nicht verbessert sondern vollkommen verschlechtert. Die Ausbeutung ist grösser und hochgerüstet, die Armut gesteigert.

WIR haben keinen Bock mehr auf diese Scheisse. Ohne Klassenkampf bleibt "Flüchtlingshilfe" das ethische Feigenblatt der Besitzenden. Als Revolutionäre wollen wir zunächst mit Revolutionärinnen aus der ganzen Welt gemeinsam Politik machen. Dabei geht es selbstverständlich auch um Bleiberecht und die Abschaffung von Essenspaketen. UND um die Ursache: Kapitalismus.