Absage "Recht auf Stadt" Kongress in Bern

Mit schwerem Herzen sehen wir uns dazu gezwungen den „Recht auf Stadt“-Kongress, der vom 6.-9. September in Bern in den Räumlichkeiten der Reitschule, des Progr und der Brasserie Lorraine hätte stattfinden sollen, abzusagen.

 

Grund dafür ist, dass wir nach einigen beruflich und privat bedingten Ausfällen personell unterbesetzt sind und uns dadurch als Gruppe mit diesem ambitionierten Projekt überfordert sehen. Die personelle Besetzung war zwar von Anfang an etwas knapp, doch bauten wir stark darauf in der aktuell in mehreren Schweizer Städten entstehenden stadt- und freiraumpolitischen Dynamik Menschen für das Projekt begeistern zu können. Wir waren diesbezüglich wohl zu optimistisch und die erwünschte bzw. notwendige Unterstützung aus anderen Berner Initiativen - wie etwa aus Unigruppen, Quartierträffs und -leiste oder dem neu entstandenen „Bündnis“ zum Nachtleben - aber auch aus Initiativen in anderen Schweizer Städten blieb beinahe gänzlich aus.

Angedacht war ein Kongress, der unter dem Motto „Dokumentieren - Informieren - Vernetzen - Animieren“ einen breiten Austausch über unterschiedliche Partikularinitiativen hinaus möglich machen sollte. Es wäre uns darum gegangen Perspektiven einer linken Stadtpolitik zu eruieren, um so konkrete Alternativen zu den gegenwärtigen stark der marktwirtschaftlichen Logik folgenden Stadtentwicklung anzudenken. Dafür haben wir breit eingeladen und schon im Vorfeld des Kongresses versucht eine offene Gesprächskultur zu schaffen. Ziel war es möglichst viele Gruppen und Initiativen für das Projekt zu gewinnen und so dem Kongress ein vielseitiges Gesicht abseits von Einzelpersonen zu geben. Mit der Einladung zur Eingabe von Workshops und anderen Programminhalten war eine weitere Ebene der Öffnung anvisiert, über welche sich am Kongress Beteiligende hätten einbringen können und so „ihren“ Kongress selbst hätten gestalten können.

Doch weder auf die Einladungen zur gemeinsamen Vorbereitung noch auf den Aufruf Workshops einzureichen kamen die erhofften Rückmeldungen. Über die Gründe hierfür kann nur spekuliert werden. Dies insbesondere, da die Themen Stadtentwicklung, Verdrängung, fehlende Freiräume, Ökonomisierung, Gentrifizierung etc. mittlerweile in fast allen Schweizer Städten zu drückenden Realitäten geworden sind.

Eine Ursache für den Mangel an Rücklauf waresicher, dass wir als organisierende Gruppe von Anfang an aus Kapazitätsgründen eine intensive persönliche Bewerbung des Kongresses innerhalb der Zielgruppen nicht leisten konnten. Dies führte dazu, dass wir es nicht schafften die angesprochenen Gruppen auch wirklich zu begeistern. Weiter dürften interessierte Gruppen ihrerseits auch an Kapazitätsgrenzen gestoßen sein, weshalb eine Beteiligung für sie nicht möglich war. Zum anderen sehen wir im Fernbleiben der angesprochenen Gruppen und Initiativen aber auch einen für die Linke im Schweizer Kontext schon fast typische Feindlichkeit gegenüber inhaltlichen Auseinandersetzungen und Versuchen sich über den eigenen lokalen und gruppenspezifischen Kontext hinaus zu vernetzen.

Gleichzeitig erstaunt es uns zu sehen, dass in Bern über 18‘000 Menschen an der “Tanz dich frei 2.0” teilnehmen und Freibier und unzählige Soundsysteme organsiert werden können, während an einer inhaltlichen Auseinandersetzung zu den Ursachen und Hintergründen der kritisierten Politik offensichtlich kaum ein Interesse besteht. Dies ist keine Kritik an der Party an sich, denn die hatte ihre Legitimität. Doch sind urbane Freiräume und politische Projekte wie die Reitschule auch bedroht, wenn nicht gerade Regierungsstatthalter Lerch mit einer Verfügung vor der Haustüre steht. Wir konstatieren somit enttäuscht - gerade auch in den sich als politisch verstehenden Kreisen - einen Mangel an Sensibilität für die politischen Hintergründe und den stadtpolitischen Kontext vielerlei repressiver und freiraumvernichtender Politiken in Bern und anderswo.

Dennoch, die Organisation von Austausch und Debatten über politische Strategien gegen die gegenwärtige Stadtpolitik erachten wir weiter als dringend notwendig. Da nicht wenige Städte auch im Schweizer Kontext zu Enklaven der Reichen zu verkommen drohen. Das Projekt eines “Recht auf Stadt”-Kongresses ist also weiterhin legitim und notwendig. Unter den gegeben Umständen, dem offensichtlichen Desinteresse und Konsumverhalten (Teilnehmen: Ja; Mitorganisieren: Nein) sehen wir uns derzeitig aber außer Stande das Projekt im vorgenommenen Umfang weiter zu stemmen.

Aktuell angedacht ist ein „light“-Programm am Donnertagabend, 6.9., und Freitag, 7.9, über das ihr euch weiter hier http://stadtkongress.twoday.net/ auf dem Laufenden halten könnt.

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ich finde die entscheidung jedoch richtig und wichtig. es ist gut, wenn absehbar ist, dass irgendwelche projekte nicht so laufen können wie es sich gedacht wurde und leute sich auspowern müssen, dass es einigermassen klappt, auch mal zu sagen: nee, schaffen wir nicht. beim nächsten mal klappts. für eine neue stadt-räume-bewegung!

Ohne Zweifel war Euer Kongressansatz richtig und wichtig. Und er bleibt es auch über die Absage hinaus. Ich kann und will nur für mich sprechen, aber die politischen Garotten, die Staat und Politik uns hier vor Ort anlegen und zuziehen, uns daran hindern "mal eben" für ein paar Tage inne Schweiz oder sonstwohin zu fahren. Ich will euch dass nur sagen, weil das Interesse ist deutlich größer, als die Resonanz zu spiegeln vorgibt. Wir kommen wieder keine Frage. Gute Besserung derweil und danke für die Idee der Tschuttiheftli zur EM, da war die Schweiz sehr weit vorn, sehr weit.