Alexandra - Von Europa nach Kolumbien

Tanja

„Was bewegt eine Europäerin, Studierte und aus guter Familie, in die kolumbianische Guerilla einzutreten?“ [1] fragt Alexandra, die eigentlich Tanja Nijmeijer heißt, aus den Niederlanden kommt und nun seit fast 10 Jahren in den Reihen der FARC-EP kämpft in einer Erklärung in der Zeitschrift „Resistencia“ der Aufständischen. In der zurückliegenden Zeit, so schreibt sie, empfand sie eine Mischung aus Irritation und Belächeln bei den Meldungen über sie und die Guerilla. Tatsächlich fanden sich bis vor kurzer Zeit regelmäßig Spekulationen in den Medien, ob Alexandra gegen ihren Willen in der FARC-EP gefangen gehalten werde. Dazu wurden immer wieder Bücher und Berichte in den Medien veröffentlicht, in denen Bedenken der Guerillera an ihrem Tun geäußert wurden. Häufig hört und liest man nun, sie sei verrückt, sie verkenne die Realität und sie sei fremd gesteuert. Doch was treibt die Medien und vermeintliche Experten dazu an, Unwahrheiten zu verbreiten und nicht anzuerkennen, dass es auch Personen gibt, die sich solidarisch mit den Unterdrückten zeigen? Warum verlässt Alexandra den scheinbar bequemen Weg des europäischen Lebens, geht in den Dschungel Kolumbiens und riskiert ihr Leben?

 

„Möglicherweise ist das Abschlachten von Millionen von Indígenas in den Händen der Europäer, der systematische Raub von Land aus eben diesen gleichen und, noch aktueller, der Krieg des Nordens gegen die südamerikanischen Völker nicht genügend für meinen Eintritt?“ fragt Alexandra zynisch. Und weiter: „ Ich gestehe mir zu, dass die Hingabe mit nur einem Leben zu unbedeutsam ist, aber es ist das einzige was ich dem kolumbianischen Volk anbieten kann, einem misshandelten Volk, einem getöteten Volk und einem ausgebeuteten Volk durch `unsere Völker´, den Regierungen der sogenannten Ersten Welt. Eine Ausbeutung die nie aufgehört hat; seit der spanischen Eroberung bis zur brutalen Unterdrückung von heute durch die regierende Klasse in Kolumbien, die im blinden Gehorsam den Befehlen des Nordens gehorcht. Eine Regierung, durch ihre Paramilitärs beschützt, die Gewerkschafter, Journalisten, Professoren und Studierende ermordet, nur weil sie eine kritische Meinung zur Gesellschaft haben und ihre Rechte fordern. Eine Regierung, die Bauern umbringt oder vertreibt, nur weil sie auf jenem Land leben, dass für die agro-industriellen Großprojekte wie der afrikanischen Ölpalme oder dem Kautschuk, oder für den Bergbau und Erdölforderung gebraucht wird.“

 

Alexandra beschreibt in ihrer Erklärung ganz gut, was sich viele Linke in Europa und Nordamerika nur schwer eingestehen wollen. Hier die einen und glücklichen, die in der sogenannten Ersten Welt zu Hause sind, die normalerweise ganz genau wissen, in welcher Welt sie leben und wie der Kapitalismus funktioniert. In einer Welt, die von der anderen, der sogenannten Dritten Welt profitiert, diese ausnutzt, ausbeutet, während die anderen in Misere und Armut leben. Hier diejenigen, die ihr Leben genießen, zum Urlaub in die verschiedensten Länder fahren, ins Kino oder in die Bar gehen können, dort diejenigen, die um ihr Überleben kämpfen müssen und die sich nur elementar wichtige Dinge zum Überleben leisten können. Dies ist es, warum Alexandra in die  Guerilla eintrat und Europa verließ, sie wollte nicht gut auf den Kosten der anderen leben.

 

Geboren wurde Tanja Nijmeijer alias Alexandra 1978 in Denekamp (Niederlande) nahe der deutschen Grenze. Später studierte sie an der Universität in Groningen Spanische Sprachwissenschaften. Schon in den Niederlanden und in ihrer Studienzeit bekam sie Kontakt mit revolutionären Ideen und nahm an Veranstaltungen zur Solidarität mit den sozialen Kämpfen in Chiapas teil. Im Jahr 2000 ging sie nach Kolumbien, zuerst nach Pereira im Rahmen ihres Studiums, dann nahm sie, nachdem sie die ersten politischen und sozialen Eindrücke im Land gewonnen hatte, im Jahr 2001 an einer politischen Karawane durch das nördliche Kolumbien teil. 2002, nach dem Ende ihres Studiums, kehrte sie nach Kolumbien zurück und trat über bestehende Kontakte zuerst den Milizen der FARC-EP bei. Die unsichere Situation in den Städten Kolumbiens nach dem Scheitern des Friedensprozesses mit der Regierung Pastrana und mit der Welle von Repressionen gegen die Aufständischen unter der Regierung Uribe ging sie wie viele andere auch auf das Land und schloss sich offiziell den Kampfeinheiten der Guerilla an. Fortan war sie eine unter vielen KämpferInnen in den Reihen der FARC-EP. Am 18. Juni 2007 wurde bei einer Militäroperation gegen eine Basis der Guerilla in Meta ihr Tagebuch gefunden und später teilweise veröffentlicht. Nicht nur dadurch, auch durch den konspirativ eingefädelten Besuch ihrer Mutter im kolumbianischen Dschungel stand sie im öffentlichen Interesse. Über ihren angeblichen Tod wurde mehrmals spekuliert, so unter anderem bei der Bombardierung und Ermordung des Militärchefs der FARC-EP Mono Jojoy im September 2010. Mittlerweile gehörte Alexandra zum engen Kreis des Militärchefs, hat eine Führungsperson im militärischen Ostblock inne und gab ein Videointerview, in dem sie ihren Kampf und Verbleib bei der FARC-EP erklärte. Passend dazu, beendet sie auch die aktuelle Erklärung mit einem kämpferischen Appell:

 

„Die Holländer und Europa im Allgemeinen waren immer stolz auf unsere Toleranz gegenüber anderen Kulturen, anderen Sichtweisen und die Welt zu kennen. Aber ich denke, dass manchmal die Grenze  zwischen Toleranz und Desinteresse verschwimmt. Deshalb will ich einen Aufruf an die Intoleranz machen. Wir, Völker die die ersten liberalen Revolutionen in der Welt verwirklichten, Völker die die sogenannte Sozialdemokratie erschaffen haben und immer weiter kämpfen, heute zum Beispiel gegen die Globalisierung, dürfen nicht tolerant gegenüber einem wirtschaftlichen System sein, welches unseren Planeten und die Menschen die auf ihm leben in Riesenschritten zerstört. Eine andere Welt ist möglich und deshalb findet man mich in den Reihen der FARC-EP.“

 

[1] Artikel: “Por qué me encuentro en las filas de las FARC-EP?” Seite 22/23

http://resistencia-colombia.org/index.php?option=com_content&view=article&id=1269:crb-vr&catid=31:revistas-y-boletines-resistencia-&Itemid=33

 

Informationen: www.kolumbieninfo.blogspot.com

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Ich finde die Erklärung, bzw. die Ausschnitte aus ihr, sehr schlüssig und sie rufen einerseits Kampfeslust und Anerkennung in mir hervor, auf der anderen Seite muss ich aber sagen, dass sie mich auch etwas traurig macht, denn die Zeiten des politischen bewaffneten Kampfes und ihrer gelebten Solidarität sind wohl schon vor Jahren ausgestorben. Richtig ist, wir in Europa schreien Parolen für die Revolution und gegen den Kapitalismus, aber wir haben uns auch ganz gemütlich in ihm gemacht, und dies auf Kosten anderer Länder/Kontinente. Dabei müssen wir, im Herzen der Bestie, anfangen den Kampf (auf welcher Art und Weise auch immer) zu führen und Solidarität zeigen. Aber schaut euch mal um.