[M] Interview zur antifaschistischen Demonstration am 26.11.

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Am nächsten Samstag, den 26.11.2011 findet in München unter dem Motto „Nazis morden, der Staat lädt nach...“ eine antifaschistische Demonstration statt. Dabei geht es gegen Naziterror des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) und für die Auflösung des Verfassungsschutzes. Zeit für uns, bei Sonja, Pressesprecherin der antifa nt und aktiv im Vorbereitungskreis zur Demonstration, nachzufragen.

 

Hallo Sonja. Ihr ruft unter dem Motto „Nazis morden, der Staat lädt nach...“ zu einer antifaschistischen Demonstration auf. Kannst du uns kurz erläutern, worum es dabei konkret gehen wird?

 

Sonja: Sehr gerne. Wie sicher schon alle in den letzten Tagen und Wochen mitbekommen haben, gab es von 2000 bis 2006 eine Reihe von Morden an Personen mit migrantischen Hintergrund, die auf das Konto der neonazistischen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ gehen. Auch in München wurden Habil Kilic 29. August 2001 und Theodoros Boulgarides am 15. Juni 2005 von dieser Gruppe ermordet. Wir wollen mit dieser Demonstration auf die Problematik des „Rechtsterrorismus“, der ja nicht erst seit dieser Mordserie existiert, aufmerksam machen und darüber hinaus auf die Verstrickungen des Verfassungsschutzes hinweisen und dessen Auflösung fordern. Zudem wollen wir der Opfer des „NSU“ und rechter Gewalt im Allgemeinen gedenken.

 

Du hast es gerade schon angesprochen: Der Staat hat sich in Form des Verfassungsschutzes auch nicht gerade mit Ruhm bekleckert...

 

Sonja: Das ist aber auch eigentlich nicht weiter verwunderlich. Allein mit der braunen Tradition und rechten Kontinuitäten des Verfassungsschutzes während seiner Gründungszeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurden bereits mehrere Bücher gefüllt. Und außerdem hatte der VS – im Speziellen der Bayerische – bis vor Kurzem andere Feindbilder und Bereiche zu beackern. Gerade antifaschistische Arbeit wird zur Zeit in Bayern vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz massiv behindert, diffamiert und kriminalisiert. Das AIDA-Archiv, das seit Jahrzehnten investigativ über neonazistische Aktivitäten in Süddeutschland berichtet, wird seit 2008 regelmäßig in den bayrischen Verfassungsschutzberichten als „linksextremistisch“ verleumdet. 2010 wurde die Kameradschaft München, Mitglied im „Freien Netz Süd“, der größten bayerischen Neonazivernetzung außerhalb der NPD aus „Platzgründen“ im Verfassungsschutzbericht einfach weggelassen.

Es lässt sich eigentlich ganz einfach runter brechen: Wir können, dürfen und werden uns im Kampf gegen Nazis und andere reaktionäre Strukturen nicht auf staatliche Behörden verlassen. Stattdessen gilt es, die Verwicklungen der Verfassungsschutzämter und deren Praxis, die von Desinteresse, Duldung bis – wie in Thüringen – zur Unterstützung neonazistischer Mörderbanden reicht, aufzuzeigen. Antifaschistische und antirassistische Arbeit kann nicht mit, sondern nur gegen den Inlandsgeheimdienst wirkungsvoll organisiert werden.

 

Du hast ja vorhin bereits angemerkt, dass rechte Morde und Terror nun leider keine Einzelerscheinungen darstellen und München stellt da ja bei weitem keine Ausnahme dar. Kannst du uns kurz ein paar Beispiele nennen, die dir einfallen?

 

Sonja: Logo, gibt’s ja leider gerade in München mehr als genug. In den 1980er Jahren gab es in München ja einen sehr bekannten und einen in Vergessenheit geratenen Anschlag von (Neo-)nazis. Der bekannte wäre das Bombenattentat auf das Münchner Oktoberfest: Am 26. September 1980 sprengte sich der Neonazi Gundolf Köhler auf dem Münchner Oktoberfest in die Luft und tötete 13 Menschen; 211 wurden schwer verletzt. Dieser Anschlag gilt als schwerster Terrorakt der deutschen Nachkriegsgeschichte. Köhler war Mitglied der paramilitärischen, nazistischen „Wehrsportgruppe Hoffmann“. Deswegen wollen wir mit unserer Demonstration auch am Mahnmal für die Opfer dieses Anschlages beginnen.

Und der eher unbekannte wäre der Brandanschlag auf die Diskothek „Liverpool“: In der Nacht vom 6. auf den 7. Januar 1984 verübten Nazis der rechten, christlich-fundamentalistischen „Gruppe Ludwig“ einen Brandanschlag auf den Nachtclub „Liverpool“ in der Schillerstraße, wo wir auch mit unserer Demo vorbeikommen werden. Dabei starb Corinna Tatarotti; 8 Gäste wurde verletzt. Insgesamt verübte die „Gruppe Ludwig“ 10 (Mord-)Anschläge in Deutschland und Italien.

Was bei diesen Anschlägen interessanterweise auffällt, sind Paralellen in punkto Reaktion der Öffentlichkeit und der Politik: In beiden Fällen wurde zunächst der rechte Hintergrund der Taten geleugnet und als das nicht mehr möglich war, die These vom „verwirrten Einzelkämpfer“ geäußert. Wie auch im Fall der Mordserie des NSU wurde beispielsweise der Brandanschlag auf den Nachtclub „Liverpool“ zunächst als „milieuspezifische“ Tat abgetan und bis zuletzt daran festgehalten, dass es sich um eine Einzeltat handle, obwohl es schon diverse Hinweise auf eine Verbindung zu anderen Morden in Italien gab. Auch im Zuge der Aufklärung der Morde des NSU hat die Polizei nie in Richtung einer rassistischen Motivation ermittelt, sondern stattdessen versucht, die Opfer als Teil von kriminellen Machenschaften zu diffamieren. Bedenken und Hinweise von Hinterbliebenen der Opfer auf einen rechten Hintergrund ignorierten die Beamt_innen. Diese beschränkte Sichtweise zeigte sich auch in der Namensgebung der SOKO „Bosporus“ und der medialen Bezeichung als so genannte „Dönermorde“.

 

Aber auch in der jüngeren Geschichte gibt es ja Beispiele für Rechtsterrorismus in und um München, oder?

 

Sonja: Dazu wollte ich gerade kommen (lacht). Am 6. September 2003 wurden Martin Wiese und 8 weitere Mittäter_innen verhaftet. Ihnen wurde vorgeworfen, einen Sprengstoffanschlag auf die Grundsteinlegungsfeier des Jüdischen Gemeindehauses am 9. November 2003 geplant zu haben. 2010 wurde Martin Wiese aus der Haft entlassen. Seit seiner Haftentlassung ist Wiese zentrale Führungsperson der bayernweiten Nazistruktur „Freies Netz Süd“ (FNS). Im Herbst diesen Jahres war er in Deggendorf an dem Angriff auf eine antifaschistische Demonstration beteiligt.

 

Da du sie gerade schon erwähnst: Wie sieht es mit den Nazis in München gerade aus?

 

Sonja: Die haben sich auch in die Schlagzeilen gebracht, weil sie letzten Samstag (19.11.2011 Anm. d. Red.) eine Kundgebung gegen „kriminelle Ausländer“ in direkter Nähe zu einem der Mordschauplätze des NSU veranstalten wollten. Die Kundgebung wurde ihnen von der Stadt verboten. Daraufhin haben sie sich ein Katz und Maus- Spiel mit Antifas und der Polizei durch die halbe Stadt geliefert um dann am Abend eine kurze und kleine Spontandemonstration durch Obersendling zu veranstalten.

 

Kannst du nochmal kurz zusammenfassen, was alles in den nächsten Tagen geboten sein wird?

 

Sonja: Aber natürlich. Am Samstag findet ab 14.30 Uhr die antifaschistische Demonstration statt. Los geht’s am Mahnmal für die Opfer des Oktoberfestattentats. Wer sich noch weiter mit den Themenfeldern „rechter Terror“ und „bayerische Neonaziszene“ auseinandersetzen möchte, kommt am 1. Dezember ins AntifaCafé im Kafe Marat. Da gibt es einen Vortrag über rechten Terror in Bayern und die Verbindungen in der hiesigen Neonaziszene.

 

Vielen Dank für das Interview.

 

Das Interview führte das Autonome Medienkollektiv München.

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