Auf zu „Occupy!“ - linksradikale Gesellschaftskritik verbreiten!

Occupy Frankfurt

Wir sind der festen Überzeugung, dass die derzeitige Praxis der radikalen Linken, sich zu diesen Protesten zumeist gar nicht zu verhalten, falsch ist. Denn es gibt mehrere Eigenschaften dieser Bewegung, die sie in unseren Augen trotz ihrer kritikbedürftigen Anteile für undogmatische linksradikale Gesellschaftskritik attraktiv machen. Es handelt sich in jedem Fall um gesellschaftliche Auseinandersetzungen auf einem thematischen Kernfeld der radikalen Linken. Es ist in unsren Augen essentiell, dieses eben genau nicht Spinnern und Verschwörungsfreaks zu überlassen, sondern sich einzumischen und Raum und Einfluss für radikale Gesellschaftskritik zu gewinnen. Alles andere käme einer freiwilligen Selbstmarginalisierung gleich.

 

Auf zu „Occupy!“ - linksradikale Gesellschaftskritik verbreitern!

 

Die globale „Occupy!“ Bewegung ist derzeit in aller Munde. Ein klarer Forderungskatalog, eine politische Stoßrichtung oder eine gemeinsame Analyse fehlen. Da soll zugleich „die Systemfrage“ gestellt und das Grundgesetz oder die Freiheit des Marktes verteidigt werden. Technologiegläubige Verschwörungstheoretiker wie das „Zeitgeist Movement“ treffen auf Liberale, die die Ursache der Krise in den Kohle- und Agrarsubventionen zu finden glauben. Die Idee des „Schwundzins“, die letztlich auf den Antisemiten Silvio Gesell zurückgeht, geistert als scheinbar praktikable Alternative zum derzeitigen Kapitalismus über das Camp. Man möchte so sehr für alle offen sein, dass sich zur Abgrenzung gegen rechtspopulistische Positionen nur nach zäher Auseinandersetzung durchgerungen werden kann. Politiker sämtlicher bürgerlicher Parteien äußern derweil ihr Verständnis für die Demonstrant_innen und versprechen gesetzliche Regulierungen.

Die Zurückhaltung, die die linksradikale Szene in Frankfurt in Bezug auf die „Occupy!“-Bewegung an den Tag legt erscheint also zunächst einmal völlig berechtigt. Was hat das Begehren nach einer herrschaftsfreien Gesellschaft schon mit dem Unmut „bestenfalls bauchlinker und meist bürgerlicher“ Demonstrant_innen zu tun, die noch dazu offensichtlich mehr von Verschwörungstheorien als von der „Kritik der politischen Ökonomie“ inspiriert sind?

Wir sind dennoch der festen Überzeugung, dass die derzeitige Praxis der radikalen Linken, sich zu diesen Protesten zumeist gar nicht zu verhalten, falsch ist. Denn es gibt mehrere Eigenschaften dieser Bewegung, die sie in unseren Augen trotz ihrer kritikbedürftigen Anteile für undogmatische linksradikale Gesellschaftskritik attraktiv machen.

Zunächst einmal kristallisiert sich die „Occupy“-Bewegung an einem Punkt, an dem der prinzipiell krisenhafte Charakter der kapitalistischen Produktionsweise manifest und offensichtlich wird. Diese Erkenntnis findet sich in der Bewegung „überraschender Weise“ nicht in den Kategorien der Kritik der politischen Ökonomie, sondern entspricht dem verdinglichten Bewußtsein. Weil aber Bewegungen dynamische Prozesse sind, in denen sich auch viele der beteiligten Menschen mit ihren Überzeugungen verändern, bietet sich hier die Chance, die prinzipielle Widersprüchlichkeit und Krisenhaftigkeit dieser Produktionsweise zu thematisieren. Dabei ergibt sich vor allem die Chance, dies in einem sozialen Kontext zu tun, der mit solchen Gedanken sonst wohl nur schwer in Berührung kommen würde.

Dies führt zum zweiten Punkt, der „Occupy!“ für die radikale Linke attraktiv macht: die prinzipielle Offenheit der Bewegung. Was die Bewegung will, ist völlig umstritten. Worin der Kern der Krise besteht und in welche Richtung die gesellschaftliche Entwicklung gehen soll, ebenso.

Die Offenheit ist in so fern problematisch, als sie die Marginalisierung von bescheuerten Positionen erschwert. Doch wenn tausende von Menschen von sich aus, ohne linksradikale Initiative auf die Straße gehen, weil sie unzufrieden sind mit der Ökonomie in der sie leben, weil sie instinktiv spüren, dass die Gesellschaft in der sie leben verrückt ist, ohne zu begreifen woran das liegt, dann ist das auch eine Chance. Zahlreiche Leute wollen betont offen debattieren, wie die gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung weitergehen soll. Sich dort einzumischen ist ohne jeden Zweifel eine Möglichkeit, Menschen für unsere Ideen zu gewinnen.

Die Form dieser Einmischung führt uns zum dritten Punkt, dem betont antiinstitutionellen Charakter der „Occupy!“-Bewegung. Diese nimmt zwar sämtliche Infrastruktur gern von etablierten Organisationen und Parteien, achtet aber peinlich genau darauf, dass diese nirgends mit ihren Labels präsent sind. Dies kann einerseits als historischer Lernprozess interpretiert werden, in dem Leute erkannt haben, was in den letzten Jahrzehnten allzu oft das Schicksal sozialer Bewegungen war. Eher aber scheint es einem weit verbreiteten Gefühl zu entspringen, von keinem Akteur repräsentiert zu werden und keinem vertrauen zu können. Dem entspricht eine Tendenz zur Selbstorganisierung: alles soll auf Plenas (hier auf spanisch Asamblea genannt) diskutiert werden und in AG` s ausgearbeitet werden. Dieser Anspruch ist uns strukturell nahe, daran können wir anknüpfen.

Auf der inhaltlichen Ebene zeigt sich diese Tendenz in der Forderung nach basisdemokratischer Mitbestimmung. Diese scheint in der Bewegung Konsens zu sein und bezieht sich auch auf ökonomische Fragen. Gerade hier bieten sich Anknüpfungspunkte für linksradikale Inhalte. Wir sind uns alle einig, dass eine befreite Gesellschaft nicht hinter die, von ihnen selbst allzuoft unterlaufenen, Minimalstandards bürgerlich-demokratischer Gesellschaften zurückfallen darf. Und was ist die Selbstverwaltung, die wir in unseren Läden praktizieren und die wir für ein Modell zur gesamtgesellschaftlichen Organisierung halten anderes, als radikale Basisdemokratie? Es gibt für die radikale Linke also allen Grund gerade den in der „Occupy!“-Bewegung omnipräsenten Begriff der Demokratie nicht aufzugeben, sondern um seine Deutung zu kämpfen.

Die Skepsis gegen etablierte politische Akteure trifft allerdings auch uns. Mit dem Anspruch auf die Verkündigung der einzig wahren Wahrheit herum zu laufen ist nicht nur prinzipiell bescheuert, sondern würde hier auf besonders hartnäckige Abwehr treffen.

Bisher haben auf dem Camp in Frankfurt schon eine Reihe von Workshops mit eindeutig linksradikalen Inhalten stattgefunden: zur Kritik der politischen Ökonomie, zur Staatstheorie und der Kritik der Polizei, zur sogenannten „Zinskritik“ und der Vorgeschichte von „Occupy!“ in Kairo, Madrid, Athen und anderswo. In einem nächsten Schritt erscheint es uns sinnvoll nicht nur auf dem Camp mit inaltlichen Workshops präsent zu sein, sondern auch auf den Demonstrationen nach außen hin sichtbar zu werden. Das wäre am einfachsten mit Transpis, Plakaten und Parolen zu schaffen. Ein sogenannter „Schwarzer Block“ erscheint uns zu diesem Anlass wenig sinnvoll.

Und was ist mit den Spinnern, die da mitlaufen? Wir gehen davon aus, dass es zielführender ist, für uns und unsere Inhalte Raum und Anerkennung zu gewinnen, als uns an Einzelpersonen mit bescheuerten Plakaten abzuarbeiten. Das bedeutet natürlich nicht, dass irgendwer irgendwas hinnehmen soll, was ihm oder ihr nicht passt.

Auch uns gefällt vieles nicht, was wir auf diesen Demos sehen. Insgesamt erkennen wir in ihnen aber einen Ausdruck einer weit verbreiteten Unzufriedenheit mit der Krise der Ökonomie. Viele vermuten, dass „Occupy!“ die nächsten beiden Monate nicht überstehen wird. Doch auch wenn das der Fall sein sollte wird die Unzufriedenheit der Leute ebenso wenig verschwinden wie die zu Grunde liegende Krise. In so fern werden Phänomene wie „Occupy!“ in den nächsten Jahren wahrscheinlich öfter auftreten. Noch ist auch nicht ausgemacht, dass die BRD auf Dauer ein Gewinner der Krise bleibt. Sollte sich das für breite Schichten ändern ist ohnehin mit einer Verschärfung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu rechnen. Es handelt sich bei „Occupy!“ in jedem Fall um gesellschaftliche Auseinandersetzungen auf einem thematischen Kernfeld der radikalen Linken. Es ist in unsren Augen essentiell, dieses eben genau nicht Spinnern und Verschwörungsfreaks zu überlassen, sondern sich einzumischen und Raum und Einfluss für radikale Gesellschaftskritik zu gewinnen. Alles andere käme einer freiwilligen Selbstmarginalisierung gleich, in diesem Sinne:

 

Auf zu „Occupy!“ - linksradikale Gesellschaftskritik verbreitern!

 

Beteiligt euch an den Demos und Aktionen der nächsten Wochen!

 

z.B.: 11.11.: Globaler Aktionstag – informiert euch über die weiteren Termine.

 


*Dieser Text ist ein Arbeitspapier, das in einem Diskussionsprozess einiger Frankfurter Linksradikaler aus verschiedenen Gruppen entstanden ist. Er richtet sich explizit nicht an die Demonstrant_innen auf den "Occupy!"-Demos, sondern an die Linksradikalen, welche sich den Demos bisher fern gehalten haben.

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zum Beispiel in Stuttgart!
Laut fb-Seite wird es wohl geraten, Zelte mitzunehmen.

Natürlich gibts Querfrontler in der Occupy-Bewegung, aber gerade deswegen ist es wichtig denen dort nicht das Feld zu überlassen.