Antifanet.at: Für ein Ende der Gewalt! - Zum 10. Todestag von Carlo Giuliani

Antifanet Carlo 1

Heute, am 20. Juli 2001, genau vor 10 Jahren, wurde Carlo Giuliani, während den Protesten gegen den G8 Gipfel in Genua/Italien von den Pistolenkugeln eines Carabineri ermordet.
Heute haben wir mit einer Aktion am Wiener Donaukanal, vor dem Polizeianhaltezentrum Rossauer Lände, auf dieses Verbrechen, das niemals in Vergessenheit geraten wird, aufmerksam gemacht.

 

Nicht um uns unkritisch mit der schon längst am Boden liegenden No-Global Bewegung und ihrer, bis auf wenige erfreuliche Ausnahmen leider häufig anzutreffenden, antisemitischen und antiamerikanischen Raserei gegen das Abstrakte gemein zu machen. Auch nicht um reformistischen Illusionen und reaktionärer Kapitalismuskritik zuzuarbeiten. Vielmehr wollen wir mit dieser Aktion, die gewalttätigen Verhältnisse der kapitalistischen Totalität an sich in den Fokus der Kritik rücken. Denn weder war der Tod von Carlo im “Interesse des Kapitals”, noch lässt sich der bürgerlich-kapitalistische Staat auf seinen repressiven Charakter reduzieren. Klar ist es die Polizei, die schließlich mit Gewalt die autoritären Lösungen des Staates für soziale Konflikte in die Praxis umsetzt. Doch Gewalt ist viel umfassender in dieser Gesellschaft.

Wer sein Gewissen beruhigen und seine Stimme im wahrsten Sinne des Wortes abgeben will, der soll schön ‚friedlich’ demonstrieren – damit die alltägliche Gewalt immer weitergeht.

 

Wer aber der brutalen Gewalttätigkeit der kapitalistischen Verhältnisse tatsächlich mit zivilem Ungehorsam oder gar militanter Gegenwehr entgegentritt, der kriegt die volle Härte staatlicher Repressionsorgane zu spüren. Und das zu Recht, so der Tenor der bürgerlichen Demokrat_innen. Das Selbstverständnis der bürgerlichen Demokrat_innen schließt die eigene Gewalttätigkeit aus. Aber nur um sie dafür am Anderen wahrnehmen zu können. Als das andere des bürgerlichen Selbstverständnisses aber erscheint Gewalt hier als das irrationale und unmoralische schlechthin, alle spezifischen Formen von Gewalt werden unterschiedslos eingeebnet. Dabei ist es mit der Gewaltlosigkeit der Demokratie nicht weit her, da gerade ihre Gewaltlosigkeit auf Gewalt rückverwiesen ist. Gewaltfreiheit ist daher weniger als Verzicht auf Gewalt ernst zu nehmen, denn als die Drohung, Gewaltfreiheit mit aller Gewalt herzustellen.

 

Die Gewaltfreiheit des „demokratischen Bürgers“ ist daher nicht die reflektierte Gewaltlosigkeit einer emanzipierten Gesellschaft, sondern konstitutives Element der Rechtsform des Warenbesitzers. Kapitalistischer Betrieb bedarf eben nicht des – ständig eingeforderten – Verzichts auf „jede Gewalt”. Er verträgt lediglich diejenige Gewalt nicht, die seine Verkehrsformen beeinträchtigen, während er sich notwendig auf andere stützt. Gewalt erscheint als das ausgeschlossene der bürgerlichen Gesellschaft, als zivilisationsfeindlich und ordnungszerstörend.
So garantiert das Gewaltmonopol des Staates nicht das Ende von Gewalt, sondern bestimmt lediglich deren Grenzen und sanktioniert dysfunktionales und destruktives Verhalten im Sinne von Warenverkehr und -produktion und ihrer notwendigen Rechtsformen.

 

Radikale Kritik richtet sich nicht (nur) gegen Auswüchse staatlicher Gewalt, sondern auch gegen den gewaltfreien Sektor, die selbstverständlichen Grundlagen von Mensch und Gesellschaft. So sehr wir auch der Meinung sind, dass Gewalt, die sich gegen die herrschenden Verhältnisse richtet moralisch gerechtfertigt ist, so ist es doch nicht unsere Aufgabe, die Gewaltdiskussion in dieser Weise zu füttern. Wenn gezeigt wird, dass die bürgerliche Gesellschaft ihre Gewalt ausschließt, um sie als das Andere ihrer selbst wahrzunehmen, dann nicht, um unsererseits zu versichern, dass Gewalt nur im Kommunismus ihr Ende finden wird, sondern um den Diskurs um Gewalt überhaupt als Element bürgerlicher Ideologie zu kritisieren.

 

Aufgabe der radikalen Linken kann es nur sein, Kapitalismus als Ganzes zu kritisieren und nicht seine immanente Gewalt zu verurteilen. Solche Kritik zerstört den Schein der Vernünftigkeit staatlicher Ordnung, von Recht und Moral. Sie erfindet keinen besseren Staat, sondern zeigt seine inneren Widersprüche auf, indem sie die untrennbare Verbindung von Gewalt und Gewaltlosigkeit in Recht und Moral denunziert. Sie fasst und verwirft die kapitalistische Gesellschaft als historisch gewordenes System, setzt diesem aber keine Entwürfe eines anderen, besseren Lebens entgegen, sondern kritisiert gerade, dass alle konkrete Utopie sich stets nach den Maßgaben kapitalistischer Rationalität richtet. Kritik verweigert sich jeglicher konstruktiver Mitarbeit und hält statt dessen an der Perspektive der revolutionären Überwindung des Kapitalverhältnisses fest.

 

Aber Ziel einer revolutionären Bewegung kann es nicht sein, möglichst viele Opfer zu bringen. Das emanzipatorische Potential einer sozialen Bewegung zeigt sich nicht zuletzt darin, dass sie das Opfer vermeiden will. Und umgekehrt sind es die unmenschlichsten aller sozialen und religiösen Bewegungen, die ihren Mitgliedern einreden, das Opfer sei notwendig oder gar heilig, das Martyrium das erstrebenswerteste Ideal.

 

In der kapitalistischen, auf Gewalt basierenden Gesellschaft, ist der Normalzustand schon Skandal genug. Dennoch gibt es etwas schlimmeres als sie selbst. Sei es die Gewalt faschistischer Banden oder die eines mordenden Carabineri.

 

Deshalb bleibt es dabei:

Nazis jagen, Bullen stressen! Kein vergeben, kein Vergessen!

 

www.antifanet.at 

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"Eine andere Welt ist möglich."
10 Jahre nach Genua - Bewegung ist ein kollektives Gedächtnis.

Openair-Video-Kino und Erlebnisberichte

Eine neue Bewegung entsteht…

Vom 19. bis 21. Juni 2001 kamen in Genua rund 200.000 Menschen zusammen, um gegen die Politik der G8-Staaten zu protestieren - ein Protest, der mehr als symbolisch werden sollte. Bereits im September des Vorjahres war es gelungen, durch einen breiten Widerstand in den Straßen von Prag das 55. Jahrestreffes von IWF und Weltbank abzubrechen. Aufgrund der massiven Proteste mussten die Delegierten mit der U-Bahn evakuiert werden. Euphorisiert von diesem und anderen Erfolgen der noch jungen, globalisierungskritischen Bewegung zog es Mitte Juni 2001 ebenfalls Tausende ins schwedische Göteborg, um gegen das rassistische EU-Grenzregime auf die Straße zu gehen. Wie schon in Prag entlud sich die Wut auf Krieg, Unterdrückung und ungleiche Verteilung des Reichtums an den materiellen Gütern und Prestigeobjekten der Leistungs- und Warengesellschaft. Diese von Tausenden geübten Akte der Unversöhnlichkeit in den Straßen der kapitalistischen Metropolen schuf eine Art Selbstbewusstsein in weit
en Teilen der globalen linken Bewegungen, ein Selbstbewusstsein, das sich über die Regeln staatlicher Ordnung bewusst hinwegsetzte. Weit über 30.000 Menschen aus den verschiedenen Ländern waren dazu entschlossen die "Rote Zone", der Bannmeile um die Tagungsstätte der G8, zu überqueren und zu zeigen, dass die Bevölkerung bereit ist politische Entscheidungen selbst zu treffen und dass sie dafür keine Vertreter_innen benötigt.

Der Staat drückt den Abzug

Doch bereits während des EU-Gipfels in Göteborg zeigte sich, nachdem drei
Demonstrant_innen angeschossen wurden, dass der Staat derlei Bestrebungen zu unterbinden wusste und nicht davor zurückschreckte den Abzug zu bedienen. In Genua geschah letzten Endes das tragische Ereignis, das in den Köpfen vieler Linker bis heute untrennbar mit Genua verbunden bleibt: Der Tod Carlo Giulianis. Der Carabinieri Mario Placanica erschoss den damals 23-jährigen Studenten und linken Aktivisten mit einem Schuss in den Kopf. Damit war das Tabu gebrochen, dass die Polizei in Europa nicht so offensichtlich Demonstrant_innen tötet wie auf anderen Kontinenten. Carlos Ermordung, wie auch die Gewalterfahrungen und Erniedrigungen durch die italienische Polizei in der Diaz-Schule, auf den Polizeiwachen und in der
Bolzaneto-Kaserne stellten tiefgreifende und schmerzliche Erfahrungen für viele dar,die in diesen Tagen in Genua waren. Vieles sollte danach nicht mehr so sein wie vorher.

Bewegung als kollektives Gedächtnis

Auch wenn der "Summer of Resistance" untrennbar mit den tödlichen Schüssen auf dem Piazza Gaetano Alimonda verbunden bleibt, so war er auch eine Zeit des Aufbruchs,euphorisiert vom Zusammenkommen der verschiedenen Aktivist_innen und ihrer Kämpfe und inspiriert durch die zapatistische Bewegung, die 1994 „eine andere Welt ist möglich“ ausrief.

Pink and Silver, Rhythms of Resistance, die Sozialforen, das Indymedia-Netzwerk, Medienaktivismus und eine stärker gewordene Kritik am Kapitalismus innerhalb der Gesellschaft haben ihren Ursprung in diesen Jahren. Vieles von dem, was wir derzeit als Selbstverständlichkeit oder „gewohntes Hintergrundrauschen" linker Bewegung wahrnehmen, hätte es ohne Prag, Seattle, Genua oder Porto Alegre in dieser Form vielleicht gar nicht gegeben.

Bewegung bedeutet auch immer die Entstehung und Entwicklung eines kollektiven Gedächtnisses. Erfahrungen werden geteilt, die gemeinsam gemacht wurden - und auch wenn nicht jede_r einzelne Teil hatte, so bilden sie trotzdem kollektive Erinnerung,aus denen sich die Ideen und Strategien in unseren täglichen Kämpfen speisen. Wir finden es darum wichtig, uns über diese Erfahrungen auszutauschen.

Am 29. Juli werden Menschen, die 2001 an den Anti-G8-Protesten teilnahmen, über die Geschehnisse in Genua wie auch über die Bewegung an sich berichten. Zu Wort kommen Medienaktivist_innen und Menschen, die in Genua direkt mit Repression konfrontiert
waren.

Im Anschluss zeigen wir den Film „OP-Genua 2001“, der anhand akribischer Recherchen die gezielten und gewalttätigen Provokationen der Polizeikräfte belegt. Außerdem werden Aktivist_innen vom Besuch des 10 Jahre Genua-Treffens in Italien berichten.

Openair-Video-Kino und Erlebnisberichte

Freitag, 29. Juli 2011, 19.00 Uhr
Bunte Kuh, umsonst und draußen
Bernkasteler Straße 78, Berlin-Weißensee
(Bei schlechten Wetter findet die Veranstaltung drinnen statt)

Anfahrt: Tram: 12, 27: Berliner Allee / Rennbahnstraße | M4: Buschallee
Bus: 156, 255, N50: Berliner Allee / Rennbahnstraße | 155, X54, 259: Rathaus Weißensee

Präsentiert von:
Gipfelsoli, North East Antifascists (NEA), AK Kraak, Rebel Disorder - Store, Antifa Initiative Nordost (AINO), Berlin against G8, Medienwerkstatt Weißensee

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Filmbeschreibung: „OP Genua 2001 - öffentliche Sicherheit und Ordnung“

Der G8-Gipfel in Genua im Jahre 2001 machte durch Ausschreitungen und massive Polizeigewalt von sich reden. Der Gipfel selbst geriet schnell in Vergessenheit, die juristische Aufarbeitung der Ereignisse dauert dagegen bis heute an. Im Rahmen der Verteidigung von 25 Aktivist_innen wurden die Ereignisse des 20. Juli 2001 akribisch rekonstruiert. Anwält_innen und Mitarbeiter_innen des Rechtshilfebüros in Genua (Segreteria Legale) haben in mühsamer Recherche u.a. Videoaufnahmen sowie Mitschnitte des Polizeifunks ausgewertet. Der Film stellt die Dokumentation dieser
Aufbereitung dar und zeigt die Angriffe der Polizeieinheiten auf die Großdemo in Genua am 20. Juli 2001, in deren Folge Carlo Giuliani erschossen wurde. Der Film verdeutlicht das Ziel der Anwält_innen, nämlich zu beweisen, dass die Demonstrant_innen von ihrem legitimen Recht auf Notwehr Gebrauch machten.

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