"Das ist blanker Rassismus"

Erstveröffentlicht: 
15.06.2011

Expertin für Burschenschaften

In der Deutschen Burschenschaft tobt ein heftiger Streit über das Deutschsein - dem ältesten Dachverband der Studentenverbindungen droht die Spaltung. Im Interview erklärt die Gießener Politologin Alexandra Kurth, weshalb die Rechtsextremen immer stärker werden.


SPIEGEL ONLINE: Studentenbünde sind meist konservative Männercliquen. Ganz am politisch rechten Rand stehen die rund 1300 Studenten in der Deutschen Burschenschaft. Ist so eine Splittergruppe überhaupt relevant?

Kurth: Der Einfluss des Verbandes hat abgenommen, aber unterschätzen sollte man ihn nicht: Es gibt außer den sogenannten Aktiven noch die mehr als zehntausend Alten Herren, oft in gesellschaftlich einflussreichen Positionen, und die beeinflussen viele weitere Bürger. Die Bundesbrüder protegieren sich, und es herrscht ein Corpsgeist unter studentischen Verbindungen, der über die vielen Verbandsgrenzen hinwegreicht.

SPIEGEL ONLINE: Auf dem Burschentag Mitte Juni könnten rassische Merkmale eingeführt werden, um zu bestimmen, wer als echter Deutscher zu gelten hat. Eine Burschenschaft soll ausgeschlossen werden, weil sie ein Mitglied mit chinesischen Eltern hat - überrascht Sie der heftige interne Streit?

Kurth: Der Verband war immer zerstritten. Schon immer galt den Rechten nur als Deutscher, wer deutsches Blut hat. Der Streit war aber seit dem Zweiten Weltkrieg eher theoretisch, die Mitgliedsbünde konnten die Kriterien in der Praxis selbst auslegen. Neu ist, dass es zum ersten Mal um einen konkreten Fall geht - es gab zuvor schlicht keinen Burschen, der dem optischen Klischee des Deutschen nicht entsprach. Nun sind die Rechten gezwungen, ihre völkischen Vorstellungen nicht nur vage zu formulieren, sondern klar durchzudeklinieren.

SPIEGEL ONLINE: Für die Rechten kann zum Beispiel jemand mit einer "nichteuropäischen Gesichts- und Körpermorphologie" kein Deutscher sein - so steht es in einem Antrag, über den auf dem Burschentag abgestimmt werden soll.

Kurth: Ja, das ist blanker Rassismus, fast im Sinne der Nürnberger Gesetze. Die oberste Rechtsinstanz des Verbands hat erst in diesem Februar verbindlich festgelegt, dass sie bestimmte Bewerber auf ihre Abstammung hin überprüfen will - etwa wenn nicht beide Eltern zweifelsfrei deutsch sind. Das erinnert stark an die Einteilungen in Halb- oder Vierteldeutsche in der Nazi-Zeit. Und ich frage mich: Nach welchen Kriterien soll überprüft werden? Wenn jemand keine Ahnentafeln zur Hand hat, bleiben eigentlich nur noch solch körperliche Merkmale.

SPIEGEL ONLINE: Muss man gleich die Nazi-Keule herausholen? Das Abstammungsprinzip galt schließlich bis zum Jahr 2000 auch in der Bundesrepublik - bis die Verfassung unter Rot-Grün für das neue Staatsbürgerschaftsrecht geändert wurde.

Kurth: So argumentieren auch die rechten Burschen, und es ist eine ebenso perfide wie falsche Argumentation: Die Abstammung war eben auch vor dem Jahr 2000 nicht das ausschließliche Kriterium dafür, Deutscher werden zu dürfen. Dieser Weg stand prinzipiell allen offen, die sich über einen längeren Zeitraum legal in Deutschland aufhielten - und viele haben auch davon Gebrauch gemacht.

SPIEGEL ONLINE: Sie sagen, die Deutsche Burschenschaft war immer zerstritten. Wo verlaufen die Konfliktlinien?

Kurth: Die Liberal-Konservativen bejahen die europäische Einigung und definieren das Deutsche kulturell und nicht rassisch. Die Rechtsextremen pochen auf eine völkische, also rassistische Definition und hängen immer noch den großdeutschen Träumen der politischen Rechten in der Weimarer Republik an. Sie sind seit dem fatalen Kompromiss mit den Liberal-Konservativen im Jahr 1971 immer mächtiger geworden, inzwischen besetzen sie alle Schlüsselpositionen des Verbands und setzen ihre Anträge auf den Burschentagen quasi ausnahmslos durch.

SPIEGEL ONLINE: Wieso bleiben liberale Bünde überhaupt noch in der Deutschen Burschenschaft?

Kurth: Einige sind naiv und glauben, sie könnten noch etwas verändern. Anderen ist die lange Tradition des Verbands wichtig. Ein Austritt tut auch finanziell weh, die bisherigen Mitgliedsbeiträge verbleiben schließlich im Dachverband.

SPIEGEL ONLINE: Wie sieht die Zukunft für Burschenschaften und Co. aus?

Kurth: Das deutsche Verbindungswesen hat in den vergangenen Jahren fast alles dafür getan, sich selbst zu zerstören: Die Rechtsextremen isolieren sich durch ihre Positionen, den Liberal-Konservativen gelingt es nicht, sich vom Rassismus öffentlich zu distanzieren. Wo sind entsprechende Pressemitteilungen? Es gibt sie nicht. Stattdessen gelten alle Außenstehende - Parteien, Politiker und vor allem die Presse - als Feinde. Die Burschenschafter beklagen, nur in unappetitlichen Zusammenhängen thematisiert zu werden. Ihnen fällt gar nicht auf, dass ihre sonstigen Aktivitäten vollkommen uninteressant sind.

Das Interview führte Florian Diekmann

 


 

Alexandra Kurth, Jahrgang 1970, studierte Politikwissenschaft und Germanistik in Marburg. Sie arbeitet an der Justus-Liebig-Universität in Gießen, aktuell als Studienrätin im Hochschuldienst am Institut für Politikwissenschaft. Seit Mitte der neunziger Jahre forscht sie zu Studentenverbindungen, auch ihre Promotion im Jahr 2003 beschäftigt sich mit dem Thema. Als Expertin für rechtsextreme Entwicklungen in akademischen Verbindungen beriet sie u.a. den Innenausschuss des hessischen Landtags.

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Der reaktionärste Dachverband aller Korporationen, die „Deutsche Burschenschaft“, organisiert jedes Jahr den „Burschentag“ in Eisenach. Mit diesem Artikel veröffentlichen wir die internen Protokolle der Jahre 2005 bis 2009 und die Tagungsunterlagen 2010 & 2011.