Spanien besorgt über Triumph der baskische Linken

Izagirre

Deutlicher hätte das Ergebnis der Regional- und Kommunalwahlen im Baskenland kaum ausfallen können. Fast wäre die linke Unabhängigkeitsbewegung auf Anhieb zur stärksten Kraft geworden. Bekannt für die Widerstandskultur in Dörfern und Kleinstädten regiert sie seit Samstag mit Donostia-San Sebastian erstmals auch eine der vier baskischen Großstädte. Die neue Strategie, auf die Vereinigung der baskischen Linken zu setzen und dafür dem bewaffneten Kampf der Untergrundorganisation ETA eine Absage zu erteilen, ist voll aufgegangen. Damit wird klar, warum Spanien nach der neuen Linkspartei "Sortu" (Aufbauen) auch versucht hat, die Koalition Bildu (Sammeln) zu verbieten, die sich konsequent für eine Friedenslösung einsetzt.

 

Das für seine großartige Küche und für sein internationales Filmfestival bekannte baskische Seebad Donostia - San Sebastian hat einen neuen Bürgermeister. Seit Samstag zeigt sich der grundlegende Wandel, den das spanische Baskenland gerade durchlebt. Odon Elorza wurde nach zwei Jahrzehnten vom beliebten Arzt Juan Karlos Izagirre abgelöst. Erstmals regiert nun die linke Unabhängigkeitsbewegung eine der vier großen baskischen Städte. 

Verantwortlich dafür ist die Linkskoalition "Bildu" (Sammeln), die am 22. Mai zur zweitstärksten Kraft wurde. Noch deutlicher als ihr Wahlsieg in Donostia er noch in der Provinz Gipuzkoa aus. 34,24 Prozent der Wähler haben die Koalition gewählt, hinter der die sozialdemokratische "Baskische Solidaritätspartei" (EA) und "Alternatiba" (Abspaltung der Vereinten Linken) stehen. Sie sind gemeinsam mit unabhängigen Kandidaten angetreten, die für die Politik der seit 2003 in Spanien verbotenen Partei Batasuna (Einheit) stehen.

Nur knapp 14.000 Stimmen fehlten, um im gesamten Land die große Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) zu übertreffen. Hätte sich auch "Aralar" der Koalition angeschlossen (eine einstige Batasuna-Abspaltung), wäre die Koalition sofort stärkste Formation geworden. Aralar, die in den Verbotsjahren seit 2003 vom Ausschluss der traditionellen Unabhängigkeitsbewegung profitiert hatte, wurde für ihren Alleingang abgestraft. Auf sie entfielen mit etwa 3% nur noch etwa 40.000 Stimmen. Genau kann das deshalb nicht beziffert werden, weil Aralar mit der christdemokratischen PNV in Navarra als "Nafarroa Bai" (Ja zu Navarra) angetreten ist. Bei den Wahlen zum dortigen Regionalparlament konnte Bildu mit gut 13% in der konservativen Region fast zu den gut 15% von Nafarroa Bai aufschließen. Ein Einbruch gelang über Alternatiba auch in die traditionelle Wählerschaft von IU, die im Baskenland nun fast bedeutungslos wurde.

 

Schon jetzt wurden deutlich mehr Vertreter (1183) von Bildu in die Gemeinderäte gewählt als von der PNV. Der spanische Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba macht die nun dafür verantwortlich, dass Bildu viele Gemeinden regieren kann. Nachdem sein Versuch, auch Bildu verbieten zu lassen, scheiterte, wollte er deren Einfluss klein halten. Er hatte der PNV einen Pakt angeboten, mit der PSOE und der rechten Volkspartei (PP) zu verhindern, dass die meist gewählte Formation den Bürgermeister stellt. Die PNV hat allerdings einen Mittelweg gewählt und damit (außer einigen Ausnahmen wie Andoain) nicht selten verhindert, dass Bildu als meist gewählte Formation eine BürgermeisterIn stellen kann

 

Zur Verteidigung auf die Angriffe aus Madrid erinnerte der PNV-Chef erinnert die PSOE und die PP an ihr Verhalten, als sie als spanisch-nationalistische Front 2009 die mit Abstand meist gewählte PNV aus der Regierung warfen. Dafür dienten die über Parteiverbote verzerrten Ergebnisse. Der PNV-Chef forderte nun die Koalition aus PSOE-PP erneut auf, vorgezogenen Neuwahlen im Baskenland anzuberaumen. Die Kommunal- und Provinzwahlen hätten gezeigt, dass nur 30 Prozent hinter dieser Regierung stünden, sagte Iñigo Urkullu.

Statt auf Frontenbildung setzt Bildu seinerseits auf die Politik der offenen Türen an. "Wir sind bereit, mit allen zusammenzuarbeiten", sagte Izagirre nach seiner Vereidigung. Zentrales Anliegen werde es sein, eine Friedenslösung für den seit 50 Jahren schwelenden bewaffneten Konflikt zu finden und die Bevölkerung über umstrittene Projekte per Referendum entscheiden zu lassen. Dass sich der neu gewählte Bürgermeister für eine Amnestie der politischen Gefangenen ausgesprochen hat, kam in Madrid gar nicht gut an. Doch dieser Schritt wird zu einer Friedenslösung gehören müssen, für die sich Bildu unmissverständlich einsetzt und dafür wurde sie von den Wählern belohnt. Die Formation hat schließlich die Untergrundorganisation ETA zur bisher längsten Waffenruhe ihrer Geschichte gezwungen. Seit zwei Jahren sie ETA keine Anschläge mehr ausgeführt und lässt ihre Waffenruhe erstmals von einer "Internationalen Kontaktgruppe" überwachen, an der auch diverse Friedensnobelpreisträger teilnehmen.

Bildu setzt sich dafür ein, dass "alle Ausdrücke der Gewalt" verschwinden, sagte Izagirre. Damit sprach er aber nicht nur die ETA an, sondern alle  "Bedrohungen, Verfolgungen, Verhaftungen und Folterungen von Personen wegen ihrer politischen Aktivität oder ihrer Ideologie."  Schließlich wird Spanien sogar von der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen immer wieder angegriffen. Gemeint sind auch Zeitungsschließungen, die von höchsten spanischen Gerichten stets nach Jahren als illegal eingestuft werden und die Parteiverbote. Izagirre mahnte für die politische Normalisierung auch die Legalisierung der Partei "Sortu" (Aufbauen) an, die von Batasuna-Mitgliedern ins Leben gerufen worden war. Das Urteil des Verfassungsgerichts steht noch aus.

Auch Bildu hatte die Verbotspolitik zu spüren bekommen. Kurz nach Sortu war auch diese Koalition zunächst auf Antrag der spanischen Regierung verboten worden. Das Urteil der Sonderkammer am Obersten Gerichtshof kassierte das Verfassungsgericht aber kurz vor den Wahlen auf. Weder wurden Beweise noch Hinweise für eine Verstrickung zur ETA vorgelegt. Trotzdem spricht die Volkspartei (PP), die sich nie vom Putsch und von der Franco-Diktatur distanziert hat, nun davon, dass mit Bildu die ETA zurück in die Institutionen gekommen sei. Dabei hat sich sogar Batasuna längst von deren Gewalt distanziert.

 

Interessant wird es die Tage noch, ob Bildu auch mit Martin Garitano auch die Provinz Gipuzkoa regieren kann. Dass die PNV das mit der PP und der PSOE die Wahl des Journalisten verhindert, ist nicht ausgeschlossen. Denn Bildu würde damit auch eine Geldquelle kontrollieren. Denn nach dem Autonomiestatut zieht nicht die baskische Regierung die Steuern ein, sondern nach uralten Foralrechten haben nur die Provinzen eigene Finanzbehörden. Bildu könnte so auch die Steuerpolitik ändern und auf die Sozial-, Industrie- und Infrastrukturpolitik einwirken. Umstrittene Großprojekten, wie die Schnellzugtrasse Paris-Madrid, der Super-Hafen von Pasaia oder der Müllverbrennungsanlage könnten große Steine in den Weg gelegt werden. Garitano hat angekündigt, dass man sich der unsozialen neoliberalen Politik in den Weg stellen werde, für die PSOE, PP aber auch die PNV stehen.

 

 

Weil Bildu vor allem auch die Mitbestimmung der Bevölkerung fördern will, sollen über all diese umstrittenen Projekten die Bevölkerung per Referendum entscheiden. Damit wird das Konzept angewandt, dass die linke Unabhängigkeitsbewegung seit Jahren auch für die Lösung des seit 50 Jahren schwelenden bewaffneten Konflikts vorschlägt. Demnach sollen die Parteien einen Vorschlag ausarbeiten, über den die Bevölkerung in Ausübung des Selbstbestimmungsrechts entscheiden müsse.  Garitano hat angekündigt, dass sich Bildu auch über das Provinzparlament für eine gerechte Friedenslösung einsetzen wolle, wofür die die Anerkennung der "zivilen und politischen Rechte" aller Basken gewährleistet werden müssten.

 

An den historischen Zielen der baskischen Linken, ein unabhängiges, vereintes und sozialistisches Baskenland zu schaffen, wird nun gemeinsam gearbeitet. Allerdings sollen sie allein mit friedlichen Mitteln erreicht werden. Dafür soll die Zivilgesellschaft aktiviert werden. Gesetzt wird "auf die Akkumulation der sich verstärkenden Kräfte in der Bevölkerung, um die Konfrontation auf die politische Ebene zu bringen", denn dort seien die am Konflikt beteiligten Staaten Spanien und Frankreich schwach. "Allein der Kampf der breiten Masse, in den Institutionen und auf ideologischer Ebene" könne zur "Veränderung des Kräfteverhältnisses führen", hatte Batasuna nach einem langen Reflektionsprozess an der Basis resümiert. Diese strategische Neuausrichtung hatte den Weg für die Koalition mit EA und Alternatiba frei gemacht, die weit über ein Wahlbündnis hinausgeht.

 

© Ralf Streck, den 14.06.2011

 

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