Die neue linke Militanz

Hufeisen zu Brechstangen
Erstveröffentlicht: 
19.07.2010

Die Publikationen der autonomen Szene liefern lexikonartige Anleitungen für Straftaten aller Art. Erwächst aus der Eskalation der Gewalt eine neue RAF?

von Martin Lutz

 

Berlin - Der junge Mann trägt Kapuzenshirt, Basecap und Sonnenbrille. Er sagt, er sei 27 Jahre alt und wolle mit dem Namen "Mike" angesprochen werden. Seine wahre Identität möchte er nicht preisgeben. Immerhin verrät der 1,90-Meter-Mann, dass er Mitglied einer Antifa-Gruppe ist, sich also im Umfeld der linken autonomen Szene bewegt, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Die Begegnung an einem Mittwochabend im Café "Luzia" in Berlin-Kreuzberg dauert lediglich wenige Minuten: "Mike" ist nur gekommen, um ein Exemplar der neuen Untergrundzeitschrift "Prisma" zu übergeben. Das ist heikel. Denn das Blatt ist verboten, und jeder Ordnungshüter müsste es nach einem Beschluss der Staatsanwaltschaft beschlagnahmen. Aber "Mike" ist stolz auf das Kultorgan der Autonomen. So stolz, dass er es sogar in Kauf nimmt, sich mit einem Journalisten zu treffen, also mit einem Vertreter jenes Berufsstandes, von dem er sagt, er sei "Teil des Schweinesystems".

Das verfassungsfeindliche Mitbringsel "Prisma" ist eine der wichtigsten Zeitschriften der linken Subkultur. Man muss sie lesen, um zu verstehen, wie die Szene tickt. Die Szene: Das sind nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden bundesweit rund 6500 Personen, die nicht nur als linksextrem, sondern auch als gewaltbereit eingestuft werden. Sie bewegen sich in urbanen Milieus, wobei Berlin, Hamburg und Frankfurt am Main sowie die Universitätsstädte Göttingen und Marburg als Hochburgen gelten. Die Mehrheit der Bevölkerung kommt mit diesen Aktivisten eher selten in Berührung. Nur manchmal zeigt die "Tagesschau" Bilder von Demonstrationen, in denen der sogenannte Schwarze Block mitmarschiert. Dabei erscheinen die Vermummten als uniformierte Einheit. Doch dieser Eindruck täuscht.

Der Schwarze Block findet sich spontan zusammen und geht nach einer Aktion genauso spontan wieder auseinander. Es handelt sich nicht um eine zentral gesteuerte Gruppe mit einer festen Hierarchie. Es gibt keinen Vorsitzenden und keinen Mitgliedsausweis. Aus weniger als einem halben Dutzend Zugehörigen bestehen die klandestinen Einheiten, die häufig ihren Namen wechseln, um bei den Sicherheitsbehörden Verwirrung zu stiften. Es scheint das Organisationsprinzip von Mao Tse-tung zu gelten: "Der Revolutionär muss sich in den Volksmassen bewegen, wie ein Fisch im Wasser." Bundesinnenminister Thomas de Maizière stört das erheblich. Der CDU-Politiker beklagt, dass man im Gegensatz zum Rechtsextremismus, der bis in die kleinsten Verästelungen erforscht ist, "zu wenig über die autonome Szene weiß".

Wer in dem professionell gestalteten Autonomenblatt "Prisma" blättert, findet auf 80 Seiten eine lehrbuchartige Anleitung dazu, wie sich schwere Straftaten begehen und Spuren vermeiden lassen. Davon kündet schon der Titel des Magazins, der für "prima radikales info sammelsurium militanter aktionen" steht. Das Heft kostet laut Titelblatt "zwei bis drei Mäuse", Erscheinungsort, Auflagenhöhe und Verbreitungsgrad sind unbekannt. Das Impressum ist fiktiv: Die anonymen Verfasser bezeichnen sich als "lunatics for system change", was sich mit "Wahnsinnige für den Systemwechsel" übersetzen lässt. Sie erklären, wie man im Kampf gegen Castortransporte "Bahnstrecken blockieren und sabotieren" kann oder Strommasten umlegt. Unter der Rubrik "Feuriges!" findet sich die neueste Gebrauchsanweisung für den "Nobelkarossentod 2.0", die mit folgenden Sätzen beginnt: "Wir verwenden statt einem Joghurt-Becher einen Karton. In diesen wird Alufolie gelegt und mehrere Kohlestäbe darauf fixiert. Am Ende münden die Stäbe in Beutel mit Streichholzköpfen, die wieder die Aufgabe haben, einen Beutel mit Benzin oder ähnlichem Brennstoff zu entzünden."

In dem Kapitel "Unsere eigene Sicherheit" wird den Brandbombenbastlern empfohlen, sich im Keller oder der Garage eines nicht politisch aktiven Freundes einen "sauberen Arbeitsplatz" einzurichten. "Am besten verwendet ihr eine Plane oder stellt, falls ihr ganz sicher gehen wollt, ein unbenutztes Zelt im Raum auf. In diesem Zelt bleiben die Spuren eurer Arbeit zumindest weitgehend drin und ihr könnt es danach sicher entsorgen." Der Text ist durchweg in einer verharmlosenden Sprache abgefasst. Die linke Militanz wird kaschiert: Einerseits sollen Autonome "keine Menschenleben" gefährden. Andererseits zeigt die Frühjahrsausgabe einen Vermummten, der im Begriff ist, einen Brandsatz auf Polizisten zu werfen. Wer solche Darstellungen betrachtet, wundert sich nicht, dass der Verfassungsschutzbericht 2009 eine zunehmende Gewaltbereitschaft der linksextremen Szene konstatiert. Die Zahl der Gewalttaten verdoppelte sich im Vergleich zu 2008 auf rund 1100.

Die Beiträge in "Prisma" basieren zum Teil auf älteren Ausgaben der bereits 1976 gegründeten Zeitschrift "Radikal", die inzwischen nur noch sporadisch erscheint. Im Februar kam die 162. Ausgabe heraus, verantwortlich ist ein Redaktionskollektiv innerhalb der Revolutionären Linken. Darin veröffentlichten die Revolutionären Aktionszellen (RAZ) einen Bekennerbrief zu einem Anschlag mit Gaskartuschen, die im Szenejargon "Gasaki" heißen. Beigefügt ist eine detaillierte Anleitung zum Einsatz solcher Gasbomben mit der Aufforderung zum Nachbau. Unter anderem wurde damit im Februar das Haus der Wirtschaft in Berlin-Charlottenburg beschädigt - auf der Hauswand prangten die Buchstaben "RAZ". Als verantwortlich und zuständig für das "Presserecht von kriminellen Vereinigungen" zeichnet bei der angeblich in Amsterdam gedruckten "Radikal" ein "Dr. Beyer", wohnhaft in der Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe. So lautet die Adresse des Bundesgerichtshofs. "Prisma" und die Autonomen-Postille "Interim", die die Berliner Polizei erst vor wenigen Tagen in linken Buchläden beschlagnahmte, liefern sogar Baupläne für einen Brandsatz mit elektronischem Zeitzünder.

Nicht nur "Interim", "Radikal" und "Prisma" propagieren Gewalt. In dem Flyer "Feinderkennung. Eine Gebrauchsanweisung für den Alltag", eine Beilage der "Interim", wird im Zuge der Antimilitarismuskampagne offen zu Straftaten aufgefordert. Gemeint sind nicht nur Brandanschläge auf Fahrzeuge des Postdienstleiters DHL (Deutsche Heeres Logistik), sondern gezielte Angriffe auf Bundeswehrsoldaten und deren Eigentum: "Dies ist ein eindeutiger Aufruf, Soldatinnen und Soldaten nicht in Ruhe zu lassen, sie anzupöbeln, zu denunzieren, anzugreifen. ... Ab General: Nicht zögern. Reinhauen. Und zwar richtig. Scheiben einhauen, Auto abfackeln, öffentliche Empfänge versauen etc. Ab Gold auf der Schulter gilt: Wer direkt reinhaut, macht nichts verkehrt." Das Fazit, mit denen die Taten gegen Soldaten gerechtfertigt werden, lautet schlicht: "Sie sind Mörder".

Die Botschaften der polit-kriminellen Szene werden längst auch über das Internet verbreitet. Die Autonomen tauschen sich auf inhaltlich ähnlichen Seiten wie directaction.ucrony.net oder linksunten.indymedia.org. aus. Die Gruppe "Bau was!" hat sogar einen Antiverfassungsschutzbericht ins Netz gestellt, der auf 68 Seiten die neue Militanz der Szene dokumentiert. Der Report listet mehr als 400 Straftaten, etwa Anschläge auf Parteibüros und gegen Rüstungsunternehmen, mit genauem Datum lexikonartig auf. Die Ästhetik ist an die bekannten Bauhaus-Märkte mit dem rot-weißen Logo angelehnt.

Auf YouTube hat "Bau was!" ein mit elektronischer Musik untermaltes Video eingestellt, das die Anschlagserie des vergangenen Jahres feiert. Es beginnt mit dem Überfall auf ein Polizeirevier am Hamburger Schanzenviertel und zeigt die brennenden Streifenwagen vor dem Eingang. Die Panzerglasscheiben der Wache wurden bei dem Angriff im Dezember teilweise schwer lädiert. Auf die Polizisten, die in Panik ohne Schutzkleidung aus der Wache eilten, schleuderten die unbekannten Täter faustgroße Steine. Um ungehindert fliehen zu können, errichteten sie brennende Barrikaden und legten Stahlkrampen auf der Straße aus. Auf der Texttafel in dem Video heißt es: "Wenn es eine historische Wahrheit gibt, dann die, die spontan bei vielen Menschen gleichzeitig aufflammt ..." Die Gruppe versteht sich als Nachfolger des "klandestin-militanten Zweigs der revolutionären Linken", deren Vorläufer die "militante Gruppe" und die "Klasse gegen Klasse" waren.

Entwickelt sich aus der zunehmenden Radikalisierung eine neue RAF? "Der Unterschied zwischen damals und heute ist, dass keine feste Gruppe wie die Baader-Meinhof-Bande existiert", erklärt der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt. Der Überfall auf die Polizeiwache in Hamburg oder der Sprengstoffanschlag auf Polizisten in Berlin sind für ihn aber bereits eine "Vorstufe für neuen Terror". Laut Hamburgs stellvertretendem Verfassungsschutzpräsident Manfred Murck wird in der linksautonomen Szene die Grenze zwischen massiver Sachbeschädigung und der Inkaufnahme von Schaden für Leib und Leben nicht mehr strikt eingehalten. Diese Grenze habe sich, wie die Taten und die interne Militanzdebatte zeigten, "eindeutig gelockert". Murck ist jedoch vorsichtig, ob dies bereits ein Vorbote einer nächsten Terrorismuswelle ist: "Die autonome Szene hat damit allerdings eine Tür für solche Szenarien geöffnet." Einige Linksextremisten würden engere Cliquen bilden, um bei gewalttätigen Auseinandersetzungen "noch eine Schippe draufzulegen". Die Zeitschrift "Prisma" begründet die militante Praxis hingegen mit vermeintlich die Mittel heiligender Systemkritik: "Veränderung der Gesellschaft bedeutet immer auch ein Überschreiten der Regeln." Der Berliner "Mike" bereitet sich jedenfalls schon auf die nächsten Aktionen vor: Morgen findet in der Hauptstadt wieder ein Bundeswehrgelöbnis statt.

Zeige Kommentare: ausgeklappt | moderiert

wie sie mal wieder ne URL falsch schreiben, bei directactionde das "de" vergessen.

Würde dem gerne mal ein paar Fragen stellen ;-)