Verfassungsschutztagung zum "Extremismus" in Potsdam

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Am 24. Juni 2010 lud der Verfassungsschutz Brandenburg zur sogenannten Fachtagung „Autonome Extremisten – schwarze Blöcke rechts und links“ nach Potsdam ein. Ausschließlich männliche Verfassungsschutzmitarbeiter, Wissenschaftler und „Experten“ referierten auf dieser Werbeveranstaltung für den „Extremismus“-Begriff vor ca. 180 Teilnehmer_innen, die wohl zum Großteil der Landes- und den Kommunalverwaltungen angehören. Hier der ausführliche Bericht zur Tagung.

 

„Prominente“ im Publikum waren u.a. der Direktor des LKA Brandenburg (Dieter Büddefeld), Vertreter der Justiz und andere Polizeiangehörige sowie die Fraktionsvorsitzenden der CDU und FDP im Brandenburger Landtag. Die Regierungsparteien schickten keine Vertreter_innen, was aber nur teilweise am Thema der Veranstaltung lag. Denn die Rot-Rote Koalition unter Matthias Platzeck will dem zehn Jahre lang von Jörg Schönbohm geführten und von CDUler_innen durchsetzten Innenministerium demnächst Haushaltmittel kürzen.

 

Deshalb suchen vor allem die Verfassungsschützer_innen nach neuen Aufgabenfeldern und meinen die Verfolgung von „Linksextremisten“ nun stärker in den Fokus rücken zu müssen. Kennt mensch diese Umstände, fällt es deutlich leichter, die eintägige Veranstaltung einzuschätzen.

 

Doch auch die Redner-Liste mit den Vortragstiteln des jeweiligen Sprechers deutet bereits auf die oberflächliche Betrachtungsweise der Veranstalter auf die Phänomene „linker und rechter Gewaltbereitschaft“.

 

Die Referenten waren:

 

Erwin Höwe, VS Hamburg über „Autonome als Erscheinungsform des gewalttätigen Linksextremismus“

Gordian Meyer-Plath, VS Brandenburg über „Autonomer Linksextremismus in Brandenburg

Dr. Andreas Klärner, Uni Rostock zu „Transformation des organisierten Rechtsextremismus in Deutschland“

Rudolf van Hüllen, „Extremismusexperte“: „Strategien und Themenbesetzung ,Autonomer Nationalisten“

Mathias Brodkorb, SPD-MdL in Mecklenburg-Vorpommern: „Von der Täuschung des Gegners über die Autonomen Nationalisten als Form politischer Mimikry“

Thorsten Scharf, VS Brandenburg zu „,Autonome Nationalisten’ in Brandenburg“

 

Nach einleitenden Worten von Winfriede Schreiber, der Leiterin des VS Brandenburg, ergriff der Staatssekretär im Brandenburgischen Innenministerium, Rudolf Zeeb, das Wort.

 

In seinem kurzen Vortrag leitete er das Verhalten und Auftreten der „Autonomen Nationalisten“ aus der „Gewaltstrategie“ der „echten“, also linken, Autonomen aus den 1980er Jahren her. Denn in dieser Zeit hätten „linke Gewalttäter“ den Begriff und das Selbstverständnis von Autonomie entwickelt und es zu ihrem „Markenzeichen“ gemacht.

 

Heute gleichen sich linke und rechte Gewalt. Dass ideologische Differenzen bestehen, leugnete Zeeb nicht, aber entscheidend seien die „Dinge, die verbinden“. Diese sind laut Zeeb die „Bereitschaft, unseren Staat abzulehnen, Gewalt anzuwenden und Menschenopfer in Kauf zu nehmen“. Daher muss nach Auffassung des Redners vor Verharmlosung der Gewalttäter gewarnt werden. Es folgten zwei Beiträge von Verfassungsschutzmitarbeitern aus Hamburg und Brandenburg.

 

Erwin Höwe
VS Hamburg

 

Erwin Höwe, der sich der „Autonomen als Erscheinungsform des gewalttätigen Linksextremismus“ annahm, sprach über die „Schattenseiten“ des Lebens in Hamburg. In seinen Augen wollten die „Linksextremisten“ missionieren und gingen dabei gewalttätig vor.

 

Er stellte die Einteilung der „Linksextremistischen Bestrebungen“ seitens des Verfassungsschutzes Hamburg vor, wie sie im eigenen Jahresbericht nachzulesen ist. Interessant wurde Höwes Vortrag, als er ausführte, wie linke Autonome Initiativen unterwandern und für ihre Zwecke nutzen würden. Als Beispiel nannte der Vortragende die Hinwendung zu „anschlussfähigen“ Massenblockaden von Neonazis und Stadtteilinitiativen gegen Gentrification. Weiterhin unterstellte Höwe antifaschistischen Aktivisten, sie sähen Verletzungen durch Nazis als „Erfolg und Motivation für ihren Kampf“.

 

Schließlich wendete sich der Hamburger Verfassungsschützer der Frage zu, ob der „Schwarze Block“ als Aktionsform der „linken Autonomen“ ausgedient hätte. Denn er erkenne neue alternative Handlungskonzepte bei den „Autonomen“ in der Hansestadt. Dazu gehören, wie auf Höwes Power Point-Folie aufgelistet: „Out of Control“-Aktivitäten, die bereits erwähnten Massenblockade, die Finger-Taktik, die Clowns Army (mit „durchaus ernsten Absichten“ hinter ihren geschminkten Gesichtern), „Radio-Ballett“ (eine Form von Flash-Mobs) und das „Anschlagsmodell“ GASAKI mit der Sprengung von Gaskartuschen. Noch immer bestünde der „Szenecodex“, der besagt, dass Gewalt gegen Personen vermieden wird.

 

Nach Höwes Einschätzung wird dieser jedoch zunehmend aufgeweicht. Dennoch musste auch Höwe eingestehen, dass eine Diskrepanz zwischen der Steigerung der gezählten Gewalttaten insgesamt und den politisch motivierten Straftaten (PMS) für 2009 in Hamburg aber auch im Bund besteht. Somit ist es keinesfalls erwiesen, wie in den vergangenen Monaten in vielen Medien und von Seiten der Politik behauptet, dass „linke Gewalt“ massiv zugenommen hätte. Im Gegenteil, es ist noch völlig unklar, ob es sich bei den gezählten Taten überhaupt um politisch motivierte handelt oder sie nur Ausdruck der Zunahme von „Randale“ sind. Dafür könnte auch sprechen, dass viele Gewalttaten bei Großereignissen begangen werden, wie am 1. Mai oder dem in Hamburg bedeutenden Schanzenviertel-Fest. Welche Personen dort warum im Einzelfall gewalttätig werden, bleibt häufig unklar.

 

Auch die in Berlin im letzten Jahr hochstilisierten Auto-Brände hätten nach Auffassung Höwes in Hamburg verschiedene Hintergründe. Bislang konnten in Hamburg keine „Extremisten“ wegen Autoanzündens festgenommen werden. „Autos brennen“, so Höwe weiter, „auch ohne Autonome“.

 

Zuletzt beschrieb der Verfassungsschützer noch die derzeitige Situation um die Rote Flora im Schanzenviertel. Da März 2011 der Nutzungs-Vertrag mit dem Eigentümer ende, sei unklar, ob die „Floristen“ geräumt werden sollen und wie sie darauf reagieren würden.

 

Gordian Meyer-Plath
VS Brandenburg

 

Als nächster Verfassungsschutz-Vertreter sprach Gordian Meyer-Plath in seiner Funktion als Referatsleiter beim VS Brandenburg über „Autonomen Linksextremismus“ in der Region. Er beschäftigte sich in der Vergangenheit eingehend mit Nazis im Fußball und hielt dazu mehrfach öffentliche Vorträge. Dass sich Meyer-Plath nun explizit mit „Linksextremismus“ befasst, kann vermutlich auf das neu entdeckte Aufgabenfeld in seiner Behörde zurückgeführt werden.

 

Meyer-Plath stellte wie Höwe einleitend fest, dass die Zahl „Linksautonomer“ sowie die „Politisch motivierte Kriminalität links“ (PMK links) in Brandenburg rückläufig ist. Dann wird er in seinen Ausführungen aber schnell inhaltlich.

 

Zur räumlichen Verortung kann der Verfassungsschützer feststellen, dass sich die linken Autonomen in den Städten Brandenburgs konzentrieren. Von Bedeutung sind hierbei Potsdam, Königs Wusterhausen, Oranienburg, Rathenow, Frankfurt/Oder und Cottbus. Meyer-Plath stellt jedoch in Zweifel, ob das Spektrum der Brandenburger Autonomen von Berlin unabhängig besteht bzw. selbständig arbeitet. Weiterhin meint der Redner ermittelt zu haben, dass es sich bei den Autonomen um keine homogene Gruppe zu handeln scheint. So sei Brandenburg auch nicht „die Heimat des schwarzen Blockes“. Die Szene sei „nicht schlagkräftig“, aber das Potenzial vorhanden.

 

Anschließend erläutert Meyer-Plath die Themen, mit denen sich die Autonomen beschäftigen. Dazu zählen Antifaschismus, wobei der Redner zwischen einem „demokratischen“ und „linksextremistischen“ unterscheidet; Anti-Repression, die Entmenschlichung der Polizisten als „Schweine“ und „Schlächter“, „Hass-Musik“, Antimilitarismus und Globalisierungskritik Dabei vermischt Meyer-Plath in seiner Darstellung inhaltliche Auseinandersetzungen und tatsächlich stattfindende Aktionen. Zur Untermalung zeigte er Oi / Punk-Videos von Bands aus Brandenburg, die die Polizei beschimpfen und bedrohen würden.

 

Andreas Klärner
Universität Rostock

 

Es folgte der Vortrag des einzigen Wissenschaftlers an diesem Tag, der gleichzeitig der erste Beitrag über „Rechtsextremismus“ war. Dr. Andreas Klärner von der Universität Rostock sprach über die „Transformation des organisierten Rechtsextremismus in Deutschland“ und betrachtete die geschichtliche Entwicklung der „rechtsextremen“ Bewegung auf den Ebenen der Organisationsformen, Aktionsformen und der Ideologie.

 

Dabei unterschied Klärner fünf Phasen, wobei er die Entstehungsbedingungen für die „Autonomen Nationalisten“, in der Auflösung der Vereinsstruktur aufgrund von Verboten und einer Modernisierung der „Rechtsextremisten“ ab 1990 verortet. Weiterhin kam der Redner in seiner Forschung zu dem Ergebnis, dass seit 2001 eine „taktische Zivilisierung“ stattfinde. Darunter versteht der Referent die neue Themen(be)setzung in Richtung Arbeit, Soziales und lokale Probleme. Diese „Zivilisierung“, vor allem von der NPD vorangetrieben, scheitere nun aber zunehmend. Denn in den letzten zwei Jahren sei ein Wandel der Demonstrationskultur bei Nazi-Aufmärschen zu beobachten, wie beispielsweise die Ausschreitungen vom 1. Mai 2008 öffentlichkeitswirksam zeigten. Um dies zu belegen führte Klärner ein Video von den „Autonomen Nationalisten Delmenhorst“ vor. Außerdem nutzten Neonazis neue Taktiken und verstärkte Militanz, womit sie auf die Lichterketten der bürgerlichen Gegenveranstaltungen reagieren.

 

Die Tagung wurde am Nachmittag mit „Experten“ fortgesetzt, die über die „Autonomen Nationalisten“. Zunächst wurde Rudolf van Hüllen das Wort erteilt.

 

Rudolf van Hüllen
Ex-VS Bund und neuerdings „Extremismusexperte“

 

Er ist „Extremismusexperte“, hat fast 20 Jahre für den Verfassungsschutz im Bund gearbeitet und ist jetzt nach eigenen Angaben Forscher, Publizist und Privatdozent. Van Hüllens Thema waren „Strategien und Themenbesetzung ,Autonomer Nationalisten’“.

 

Der „Experte“ verwies ebenso darauf, dass die „Autonomen Nationalisten“ 2008 in das Licht der Öffentlichkeit getreten sind. Als Ursachen für ihr Entstehen und Auftreten sieht van Hüllen ein ganzes Bündel von Entwicklungen in der rechten Szene. Zur Erklärung des Phänomens entschied sich van Hüllen, diese neuen Neonazi-Gruppierungen aus Sicht der „originalen Autonomen“ zu „entschlüsseln“. Dabei merkte der Redner an, dass oftmals die Inhalte der „Autonomen Nationalisten“ nicht zu der von ihnen gewählten Form passten, es aber in einigen Fällen „Brücken“ gebe, die beide Gruppierungen miteinander verbinden würden.

 

Dazu entwickelte der „Experte“ folgende Hypothesen: erstens erklärt van Hüllen die AN über die linken Autonomen; zweitens bestehe ein Mangel an Forschung über Autonome; drittens verortet er die AN im politischen Extremismus und sieht sie nicht als subkulturelle Erscheinung. Dabei kopieren sie Themen vom „Original“ und zeigen in ihren Texten, dass sie dazu auch Literatur jenseits des Internets lesen und verarbeiten.

 

Auf der „metapolitischen Ebene“, die die Fernziele definiert, fand van Hüllen den Nationalsozialismus als Utopie und die Systemfrage. Dabei übernehmen die AN alles, was das Gegenwärtige als „schlecht“ aussehen lässt. Auf der „mittleren Abstraktionsebene“ glaubt van Hüllen „strategische Themen als Hebel gegen das System“ zu finden. Dazu zählt er Antikapitalismus, wobei sich (Neo-) Nazis gern der „Theorie von der Brechung der Zinsknechtschaft“ nach Silvio Gesell annehmen. Auf gleiche Weise äußern sich „Autonome Nationalisten“ antiamerikanisch und tarnen mit antiimperialistischen Aussagen und Forderungen ihren Antisemitismus. Überhaupt seien, so van Hüllen, alle „Anti-Themen“ der Autonomen auch bei den AN auffindbar.

 

Auf der „unteren Abstraktionsebene“ sieht der Redner politische Taktiken, Verfahren und „Tools“, die die AN gebrauchen. An dieser Stelle fände, so der Redner, die Auseinandersetzung mit sich selbst und dem politischen Gegner sowie dem Staat und der Polizei statt. An dieser Stelle übernähmen die AN fast alles vom „Original“. Dazu gehört der „Schwarze Block“, das Outfit, der Musikstil, Gewalt sowie die Sprache. Dabei fällt auf, dass sich die AN in einem ständigen Widerspruch zwischen ihrer Einstellung bzw. Ideologie und ihrem Verhalten befinden. Von einigen Forschern und „Experten“ wird ihr Auftreten daher als Taktik und Verstellung ihrer selbst gedeutet. Van Hüllen kann dieser Interpretation aber nicht folgen und bezeichnet sie als „Fehler“.

 

Abschließend arbeitet der Vortragende die Gemeinsamkeiten von „linken und rechten Autonomen“ heraus. Dies seien die Systemfrage, die gleichen Feinde und die Taktiken. Auf allen von ihm aufgeführten Ebenen sieht der „Experte“ Parallelen. Er gesteht den linken Autonomen aber noch zu, dass sie von den Neonazis kopiert würden.

 

Mathias Brodkorb
SPD / MdL und Betreiber von endstation-rechts

 

Anschließend an van Hüllen durfte sich nun Mathias Brodkorb mit „Von der Täuschung des Gegners über die Autonomen Nationalisten als Form politischer Mimikry“ präsentieren. Er ist der Mitbegründer der Internetseite „endstation-rechts.de“, wo er und andere Autor_innen vor allem über die NPD im Mecklenburgischen Landtag und die „Neue Rechte“ sowie in den letzten Monaten vermehrt über die „Extremismus“-Begriffsdebatte schwadronieren. Weiterhin ist Brodkorb in seiner zweiten Legislaturperiode als SPD-Landtagsabgeordneter in Schwerin tätig.

 

In seinem Vortrag beschäftigt sich Brodkorb mit der Frage, ob „Autonome Nationalisten“ Mimikry betreiben und wenn dies der Fall ist, ob sie es absichtlich tun. Nach einer intensiven biologistischen Herleitung des Begriffes „Mimikry“ kommt Brodkorb zu folgenden Verständnis: Mimikry ist ein Mittel zur Täuschung des Äußeren durch Imitierung eines Lebewesens, das in der Natur gemieden wird und dient zumeist der Verteidigung. Weiterhin kann Mimikry aber auch angreifend genutzt werden. Dennoch bleibt sie unbeabsichtigt.

 

Die Frage, ob „Autonome Nationalisten“ die Eigenschaft Mimikry aufweisen, beantwortet Brodkorb eindeutig mit ja und unterstellt, dass diese sowohl protektiv als auch aggressiv genutzt wird.

 

Der Ex-PDSler begründet diese Aussage mit einem Bezug auf seinen Vorredner van Hüllen. Danach unterliege die rechtsextreme Szene dem Prozess der „postmodernen Diversifikation sozialer und kultureller Milieus“. Die Mimikry der AN sei also eine Reaktion auf den zunehmenden Pluralismus. Daher stellen die AN als Organisationsform auch die logische Nachfolge der „Freien Nationalisten“ nach Wulff und Worch dar.

 

Auch Brodkorb vertritt die Ansicht, dass „linke und rechte Autonome“ erhebliche stilistische Überschneidungen aufweisen und die „Autonomen Nationalisten“ von der „linken Variante“ kopieren würde. Aber die linken Autonomen hätten ihrerseits „nur geklaut“, nämlich von der faschistischen Bewegung der dreißiger Jahre. Vor allem die Farbe schwarz weise daraufhin.

 

Nach diesen Ausführungen macht der Redner einen Bogen zur Erklärung der beiden Phänomene. Dabei greift Brodkorb auf ein Zitat von René Girard zurück, wonach sich „die äußersten politischen Ränder schon immer über ein gegnerschaftliches Verhältnis“ definiert hätten und „der mimetischen Rivalität“ unterlägen. Brodkorb deutete diese als „Selbstüberbietung der politischen Gewalttäter“, die sich in „Konfrontationsgewalt“ manifestiert.

 

Die „Autonomen Nationalisten“ sind also nicht nur eine logische Konsequenz der „Freien Nationalisten“, sondern aufgrund von antifaschistischen Organisationen und Aktionen entstanden. Denn, so Brodkorb, „in aufeinander reagierenden Gewaltwellen“ ergeben sich „Wechselwirkungen auf den politischen Gegner“. Deshalb warnt Brodkorb auch vor den zuletzt sehr erfolgreichen Massenblockaden von Nazi-Aufmärschen. Denn die „guten und schlechten Antifaschisten“ hinderten die Nazis an der Ausübung ihrer Grundrechte. Dabei scheint der Politiker aus Mecklenburg-Vorpommern allerdings zu vergessen, dass dieses Szenario bedeuten würde, dass es zu einer stetigen Zunahme von Gewalttaten von „linker und rechter Seite“ kommen müsste, sich also eine Gewaltspirale mit offenem Ende ergibt. Belegen kann er diese implizit geäußerte These allerdings nicht.

 

Zuletzt stellte Brodkorb seine Prognose für die Zukunft der „Autonomen Nationalisten“ dar. Danach gilt das zivilgesellschaftliche Engagement gegen die Neonazis als „Katalysator“ für ihre Aktivitäten und führt zur Akzeptanzsteigerung der Aktionsform und Gruppierung innerhalb der NPD. Zweitens, sieht Brodkorb eine Steigerung der gewalttätigen Aktivitäten der AN voraus, die mit der NPD in einer „stillschweigenden Arbeitsteilung“ von der NPD angenommen wird. Drittens führe der Anstieg der Gewalt schließlich zu mehr Gewalt „von links“.

 

Das Publikum war angesichts des motivierten Auftretens Brodkorbs und seiner steilen Thesen angetan und applaudierte dem Redner ausgiebig. Scheinbar wurde nicht bemerkt, welch apokalyptisches Bild er von politisch motivierter Gewalt zeichnete. Dies ist besonders fatal, da eben jene Bündnisse, die sich Nazis in den Weg stellen, dies mit friedlichen Mitteln und Absichten tun. Ihre Arbeit wird von Brodkorb in keiner Weise gewürdigt.

 

Thorsten Scharf
VS Brandenburg

 

Als letzter Redner dieser Veranstaltung stellte der Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Brandenburg, Thorsten Scharf, die aktuellen Erkenntnisse der Behörde zu „,Autonomen Nationalisten’ in Brandenburg“ dar.

 

Ein dominierendes Thema seines Vortrages war die Definition der „Autonomen Nationalisten“ als „Aktionsform“. Ausgehend von einem im Verfassungsschutz-Bericht 2009 dargestellten Kriterienkatalog gehören danach auch die „Freien Kräfte“ zu den „Autonomen Nationalisten“.

 

Es ist wenig erstaunlich, dass sich der Verfassungsschutz Brandenburg an diese weite Definition hält. Denn laut eigenen Angaben gibt es im Land nicht eine einzige Gruppierung, die sich „Autonome Nationalisten“ nennt. Der Verfassungsschutz zählt in seiner Weise dennoch 160 Neonazis zu den „Autonomen Nationalisten“.

 

Weiterhin gibt es starke Vernetzungstendenzen zwischen den Aktivisten in Potsdam, den „Freien Kräften Teltow-Fläming“ (FKTF), Berliner Neonazis und Nazis in Sachsen-Anhalt. Demgegenüber steht der Brandenburger Süden mit den Neonazis um „Spreelichter“, aus Cottbus, Spremberg und Senftenberg mit den Nazis in Sachsen in Kontakt.

 

Das wichtigste Aktionsfeld der AN-Szene in Brandenburg sieht der Verfassungsschutzmitarbeiter im Internet. Außerdem sind auch Schulungen, Kampfsport, Großdemonstrationen (Wunsiedel, Hamburg, Dresden, 1. Mai), Propagandaaktionen und die Erstellung und Verteilung von Propagandamaterial von Bedeutung.

 

Interessante Aspekte des Vortrags von Scharf waren ebenso die Betrachtung der Themenfelder, auf denen sich „Autonome Nationalisten“ bewegen. Dazu gehören Gesellschaftspolitik („Demokraten bringen uns den Volkstod“), Umweltschutz „als Heimatschutz“ und Geschichtsrevisionismus.

 

Abschließend stellte Scharf heraus, dass das Verhältnis der NPD zu den „Freien Kräften“ noch immer angespannt sei und das Auftreten von AN-Aktionen in Brandenburg zu unterschiedlichen Reaktion geführt hätte. Die eindeutige Positionierung gegen „Demokraten“ wird dabei am stärksten von NPD-Mitgliedern abgelehnt.

 

Eine Diskussion?

 

Eine „offene Diskussionsrunde“ war für den Abschluss der Vortragsreihe vorgesehen, wurde aber mangels Zeit nicht abgehalten. Verwunderlich ist dieser Umstand nicht. Kritische Fragen waren nicht erwünscht, eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Themen der „linken und rechten Extremisten“ sowie zum Umgang mit Gewalt von Neonazis, die auch im Jahr 2009 ein Rekordniveau erreichte und nach Zählung des Verfassungsschutzes noch immer doppelt so viele Straftaten aufführt wie von „Linksextremisten“, nicht gewollt.

 

Terminankündigung zur Tagung
http://www.buendnis-toleranz.de/cms/beitrag/10031535/424873/_1

 

Presseberichte über die Tagung
MAZ: http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/11831824/62249/Autonome-N...
Tagesspiegel: http://www.tagesspiegel.de/berlin/brandenburg/rechte-und-linke-schwarze-...
RBB: http://www.rbb-online.de/nachrichten/politik/2010_06/innenministerium_wa...

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Input zur Diskussion "Wo müssen Grenzen zum Verfassungsschutz gezogen werden?”


Die Frage nach der Finanzierung des eigenen Lebens stellt sich in Zeiten von Hartz IV manch verdiente_r Genosse_in. Wo finde ich einen Job, der mir ein halbwegs angenehmes Leben garantiert? Welche Fähigkeiten habe ich erworben, die mir dabei helfen? Der Beruf soll Spaß machen und womöglich an einen Bereich anknüpfen, zu dem ich in der Vergangenheit politisch gearbeitet habe.

Andererseits wollen manche Genoss_innen auf Dauer weg von prekärer Beschäftigung und Karriere machen. Sie versuchen dies in Institutionen, in der Wissenschaft, im Journalismus. Inwieweit bleibt man dabei aber noch ein_e Genosse_in? Wie weit darf man für seine Karriere gehen? Wann steht man auf der anderen Seite? Wo sind Grenzen? Welche Angebote schlägt man aus? Wer sich diese Fragen noch stellt, hat immerhin sein kritisches Denken behalten. Antworten scheinen nicht so leicht und werden meist individuell beantwortet. Die Routine tut ihr übrigens und mit der Zeit reflektiert man seine Arbeit nicht mehr selbstkritisch. Oft braucht es Anstöße von außen, das eigene Tun zu hinterfragen.

Hartmut Rübner und Markus Mohr geben in ihrem Buch "Gegnerbestimmung" (Unrast-Verlag, ISBN: 978-3-89771-499-1) solche Anstöße zumindest für Sozialwissenschaftler_innen. Alte Akademiker-Hasen wie Roland Roth werden darin zurecht für ihren unkritischen Umgang mit dem Verfassungsschutz kritisiert. Damit wird ein Problembewusstsein vermittelt: Wem außer dem Verfassungsschutz nützt es, wenn Linke (wie kürzlich ein Kollege vom apabiz) auf einem Podium mit dem VS diskutieren? Warum dem VS ein Podium geben, wenn es um fundamentale Kritik am VS gehen soll? Um Journalist_innen, Sozialarbeiter_innen oder Recherche-Antifaschist_innen, geht es in dem Buch nur nachrangig. Eine Debatte über deren Arbeit mit dem bzw. Verbindungen zum Verfassungsschutz ist aber mindestens ebenso wichtig.


Verfassungsschutz ist Teil des Problems

Der Verfassungsschutz (VS) verfolgt, denunziert und kriminalisiert Linke und autonome Antifaschist_innen. Wenn der VS von Öffentlichkeitsarbeit spricht, meint er damit nicht Transparenz und Aufklärung beispielsweise über seine teils gerichtsbekannten Gaunereien und Lügen. Kritiker, darunter sogar noch einige aus der Linkspartei, fordern die Abschaffung des VS. Ein so klar ablehnendes Verhältnis zum VS haben Journalisten generell und besonders Autoren mit Aufgabenbereich Neofaschismus in der Regel nicht.

Mit seiner Öffentlichkeitsarbeit verfolgt der VS strategische Interessen, die nicht zwangsläufig durchschaubar sind. Warum aber holen Journalist_innen - meist völlig ungezwungen - Informationen beim Verfassungsschutz ein? Was erwarten sie von einem Telefonat oder einem Emailwechsel mit dem VS? Muss man vom VS eine Bestätigung eigener Recherchen einholen? Ist den Informationen einer Behörde, die nachweislich lügt, überhaupt Glauben zu schenken? Verarbeiten Journalist_innen diese Informationen in ihren Artikeln und wenn ja, wie? - Fragen, die sie uns endlich beantworten müssen, damit wir mit ihnen darüber diskutieren können.

Jedenfalls sind Journalist_innen, die auf Geheimdienstinformationen zurückgreifen, beim VS gern gesehen. Und sie signalisieren dem VS, dass er nicht zwangsläufig vor fest verschlossenen Türen steht, falls der einmal anklopfen möchte. Wer als Journalist_in auf Informationen des VS kritiklos Bezug nimmt, schreibt vielleicht auch einmal einen Artikel, wenn er_sie - möglicherweise sogar exklusiv - VS-Informationen erhält, und macht sich damit eins mit dem VS.


Exklusive Journalisten

Die Berliner taz ist eine Tageszeitung, die von der radikalen und autonomen Linken immer wieder scharf kritisiert wird. Aus der Bewegung kommend, hat sich das Blatt schon lange von ihr verabschiedet. Dennoch berichtet die taz gerne, teils gehässig, über die radikale und autonome Linke. Dafür nutzt die taz bereitwillig die Arbeit linker Aktivist_innen, die sich journalistisch zu betätigen versuchen. Als Felix Lee in der taz-Redaktion anfing, war er noch in einer linken Berliner Gruppe aktiv. Er konnte sein Standing in der Bewegung für seine Schreiberei nutzen. Radikale und autonome Linke haben letzteres, ebenso das Geldverdienen mit Bewegungsnähe, bald aber auch die Inhalte seiner Artikel kritisiert und eine Zusammenarbeit abgelehnt.

Manchen Journalist_innen gibt der VS auf Nachfrage Informationen. Einzelne informiert der VS auch ungefragt. Auch dahinter steckt System. Die taz-Autoren Wolfgang Gast und Gerd Rosenkranz sind bekannt für ihre guten Kontakte zum VS. Die beiden waren es, die über Jahre - ähnlich wie Autor_innen von Springers Welt und heute des Berliner Tagesspiegel oder der Jungle World - Informationen aus den VS-Ämtern exklusiv publizierten. Sie standen und stehen in Kontakt oder anders ausgedrückt, im Austausch mit dem VS. Die taz legt bis heute Wert darauf, dass ihre Autoren anlässlich bestimmter "Rechtsextremismus"-Themen beim VS nachfragen. Und die Autor_innen tun das, weil sie ihre Artikel verkaufen wollen. Hier stellen sich weitere Fragen nach den Grenzen journalistischer Arbeit. Wie weit geht man? Kann man auf die Kontaktaufnahme wirklich nicht verzichten? Kann man seinen Vorgesetzten nicht gute Argumente vorbringen, warum eine VS-Info für den Artikel unbedeutet oder generell falsch ist? Sind überhaupt Fälle denkbar, in denen man als Journalist_in oder Rechercheur_in mit dem VS sprechen muss?


Klage über bzw. gegen Linke

In dem Buch "Gegnerbestimmung" aus dem Unrast-Verlag wird auch der taz-Journalist Andreas Speit erwähnt. Im Buch befindet sich ein Satz, "der die Interpretation nahelegt, Andreas habe in einem Austauschverhältnis Infos an den VS weitergegeben" (Zitat aus dem Rechtsanwaltsscheiben vom 25. Juni 2010, dass dem Buch beilag). Der beanstandete Satz wird in allen weiteren Exemplaren der Erstauflage geschwärzt. Die Herausgeber und der Verlag haben schlampig gearbeitet.

Andreas Speit hatte den bewegungsnahen Unrast-Verlag aufgefordert, die Verbreitung des Buches umgehend zu stoppen und mit rechtlichen Schritten gedroht. Die hat er nach einigen Tagen in die Wege geleitet - gegen einen Verlag, in dem er selbst publiziert. So wurde die beanstandete, "unglücklich formulierte Passage” (so einhellig Verlag, Herausgeber und Betroffener) über Speit öffentlich bekannt. Außerdem wurde in diesem Kontext bekannt, dass Speit auf einem Kongress der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) moderierte, an dem auch der nordrhein-westfälische VS-Mitarbeiter Thomas Grumke teilnahm. Speit war Aktivist der radikalen Linken und steht ihr immer noch nahe. Er ist Experte im Bereich Neofaschismus. Als solcher haben auch Wissenschaftskreise an Speit Interesse. Der Journalist problematisiert jedoch seine Moderatorentätigkeit für die FES selbstkritisch. Andreas Speit ist kein Informant des Verfassungsschutzes.

Die SPD-nahe Stiftung finanzierte schon mehrere Bücher von Grumke im "Themenbereich Rechtsextremismus". Sie waren sein Karrieresprungbrett zum VS. Zahlreiche weitere Stipendiat_innen der FES haben den VS als Geldquelle und Arbeitgeber entdeckt. Darüber findet sich mehr in "Gegnerbestimmung". Ein Verdienst des Buches ist es, dass nun ein paar mehr Menschen ihre Arbeit reflektieren, sich überlegen an welchen Veranstaltungen sie in welcher Funktion zukünftig teilnehmen und welche Aufgaben sie fortan ablehnen werden.