Was ist ein Umsonstladen? Und was ist er nicht?

Das Für LⒶu Haus ist ein wandelnder Umsonstladen in München und Umgebung. Im Kontext der Hausbesetzung des sogenannten "Schnitzelhauses" in München (siehe hier) und dem darin eingerichteten Umsonstladen ist es zumindest in den Medien zu einigen Missverständnissen, was die Idee eines Umsonstladens angeht, gekommen. Diese beschrieben einen Umsonstladen als eine karitative Einrichtung. Mit diesem Missverständnis soll hier aufgeräumt werden.

 

In einem Umsonstladen ist, wie der Name schon sagt, alles umsonst. Vielleicht kennst du die öffentlichen Bücherschränke. Ein Umsonstladen funktioniert genauso, nur dass du dort nicht nur Bücher, sondern auch alles andere hinbringen und finden kannst: Klamotten, Spielzeug, Schnickschnack, Schmuck, Essen, Drogerieartikel und vieles mehr. In einem Umsonstladen herrscht kein Tauschzwang. Auch wenn du nichts mitgebracht hast, kannst du dir so viel aussuchen, wie du möchtest. Genauso darfst du keine Gegenleistung dafür erwarten, dass du Dinge zum Umsonstladen bringst. Du musst keinerlei Voraussetzungen erfüllen, um etwas mitzunehmen oder etwas mitzubringen.

 

Damit funktioniert ein Umsonstladen anders als eine karitative Einrichtung. Eine solche soll er auch gar nicht sein. Er ist keine Institution, die das Ziel hat, sogenannte „Bedürftige“ zu versorgen. Und das aus guten Gründen. Karitative Einrichtungen teilen Menschen in „Bedürftige“ und „Wohltäter_innen“ ein. Dabei wird eine Struktur etabliert, die daraus besteht, dass die „Wohltäter_innen“ sich vermeintlich selbstlos zu denen herabbeugen, die es in der Gesellschaft „nicht geschafft“ haben und die zusätzlich meist von diesen „Wohltäter_innen“ als „Bedürftige“ und „Arme“ eingestuft werden. Dabei findet keine Zusammenarbeit auf Augenhöhe statt, sondern diese „Wohltäter_innen“ – meist ohne zu fragen, was die so eingestuften Menschen eigentlich wollen – entscheiden für die „Bedürftigen“, was diese brauchen. Sie bieten entsprechende „Hilfe“ an, um den „minderwertigen“ Status der_s „Bedürftigen“ zu überwinden. Den „Bedürftigen“ wird Mitleid entgegengebracht. Die „Wohltäter_innen“ haben häufig ein schlechtes Gewissen gegenüber der benachteiligten Person, sie fühlen sich schlecht, weil sie sich ihrer eigenen Privilegien mehr oder weniger bewusst sind, im Vergleich zu dieser anderen Person. Sie fragen sich dann, wie sie diesen „bedürftigen“ Personen helfen können, sie fragen sich, was diese „falsch gemacht“ haben und wie diese ihr Verhalten verändern könnten, um ähnliche Privilegien zu erhalten. Auf sie werden dabei eigene Bedürfnisse und Lebensvorstellungen projiziert. Der_die „Bedürftige“ ist eine Fantasiefigur, keine reale Person. Das Praktische an dieser Fantasiefigur ist, dass sie die eigene privilegierte Position nicht bedroht, dass sie eine ernsthafte Infragestellung unserer Gesellschaft und warum Menschen unterschiedlich viele Privilegien und damit auch Rechte haben nicht nötig macht. Ein Ruf, der von Refugees in Deutschland aktuell laut wird und die Scheinheiligkeit karitativer Bemühungen auf den Punkt bringt, lautet: „We don’t need charity, we need our rights. Papers not teddybears!“

 

Trotzdem möchte ich vielen, die karitativ tätig sind, unterstellen, dass sie es gut meinen. Ernsthaft an einer Änderung der Verhältnisse sind sie aber meistens nicht interessiert. Dann geht es nämlich darum, in Frage zu stellen, wieso es überhaupt Menschen gibt, die anderen gegenüber privilegiert sind. Und warum das bitte schön so sein muss. Die Menschheit ist aktuell an einem Punkt, an dem sie genug Essen produziert, um anderthalb mal so viele Menschen satt zu kriegen. In Deutschland werden mehr als die Hälfte der Lebensmittel (mindestens!) weggeschmissen [1]. Wie ist es da möglich, dass so viele um ihr Überleben kämpfen müssen?

 

Karitative Einrichtungen sind dazu da, Schadensbegrenzung zu betreiben, Missstände zumindest ein bisschen zu beheben. Damit legitimieren sie aber auch ein System, das solche Absurdidäten hervorbringt und zu seinem Überleben auch braucht. Natürlich heißt das nicht, dass Menschen nicht geholfen werden soll. Doch ist die Lösung sicher nicht, sich aus einer privilegierten Position in elterlicher Weise zu der „bedürftigen“ Person mitleidig herunterzubeugen, etwas, das eh nicht mehr benötigt wird, weiterzugeben – bei einem Unsonstladen zum Beispiel in Form der alten und halb kaputten Kommode, das seit Jahrzehnten im Keller steht – und sich dann dafür zu feiern, den „Bedürftigen“ geholfen zu haben und über „Undank“ dieser „Bedürftigen“ zu schimpfen, wenn diese sich nicht freuen. Hier werden Hierarchien aufrechterhalten, die die Einteilung zwischen Privilegierten und Nicht-Privilegierten weiter verfestigt, diese „Bedürftigen“ abhängig von der karitativen Einrichtung macht, und die die Privilegierten in die bequeme Position bringt, ihre Privilegien nicht ernsthaft in Frage stellen zu müssen. Sie haben ja etwas abgegeben! Auch wenn Bill Gates 50% seines Vermögens spendet, hat er immer noch mehr, als er jemals in seinem Leben überhaupt ausgeben kann. An seinen Privilegien ändert sich nichts. Und dass es weiterhin krasseste Hierarchien und Ungleichheiten zwischen den Menschen gibt, auch nicht.

 

Aber zurück zum Umsonstladen. Was unterscheidet ihn von karitativen Einrichtungen? Und was ist dann die Idee dahinter? Wie wird er dem eigenen Anspruch gerecht?

 

Eine der vielen Absurditäten des Kapitalismus ist, dass Menschen anderen Menschen Dinge, für die die Eigentümer_innen selbst keine Verwendung haben, aus dem Grund vorenthalten, weil diese, die diesen Gegenstand brauchen, keine Gegenleistung dafür erbringen können (zum Beispiel in Form von Geld). Geh mal in deinem Kopf durch, wie viele Dinge bei dir im Keller, auf dem Dachboden oder in den hintersten Ecken irgendwelcher Schränke verstauben, Dinge, die du nie brauchst, du aber trotzdem nicht hergeben willst, weil sie mal teuer waren? Oder von denen du dir denkst, dass du sie irgendwann mal noch verkaufen kannst? In der Zwischenzeit kaufen sich die Menschen neu Produziertes oder auch alte Sachen in völlig überteuerten Vintage- und Second Hand-Läden, wenn sie es sich leisten können. Damit sie es sich leisten können, müssen sie arbeiten. Die meisten Menschen arbeiten viel, sehr viele sind mit ihrer Arbeit unzufrieden, ein großer Teil sieht den Sinn hinter seiner Arbeit nicht [2]. Kein Wunder, denn in vielen Fällen produzieren die Menschen unnötigen, hässlichen, gefährlichen oder mangelhaften Scheiß, einfach, weil gearbeitet und Geld verdient werden muss, um zu überleben. Wie viel der Arbeit, die Menschen so machen, ist vollkommen unnötig? Unnötig nicht nur im Sinne von Überleben, sondern auch aus ästhetischer, künstlerischer oder hedonistischer Perspektive? Dadurch, dass sie so viel arbeiten und diese Arbeit ihnen nicht gefällt, sind sie außerhalb der Arbeit zu müde und frustriert, um dieses ganze System noch in Frage zu stellen, zu träumen, zu diskutieren, zu demonstrieren, sich mit anderen Leuten zu organisieren, Diskriminierungen und andere Herrschaftsformen abzubauen und alternative Formen des Zusammenlebens und des Wirtschaftens auszuprobieren. Träume gehen über den nächsten Urlaub und die Rente nicht hinaus. Der Kapitalismus als einzig mögliche Wirtschaftsform ist gesellschaftlicher Konsens wie nie zuvor.

 

Dass diese Gesellschaft sich in dieser Arbeitsspirale befindet, liegt also unter vielem anderen daran, dass zwei Prinzipien als allgemeingültig und unantastbar angesehen werden: der Eigentums- und der Tauschgedanke. Ein Kommentar unter einem Artikel zur Besetzung des Schnitzelhauses hat es sinngemäß recht treffend formuliert: „Als Kind wurde mir auch gesagt, wenn ich sauer war, dass meine Schwester mit meinem Spielzeug gespielt hat: „Du brauchst es doch gerade nicht. Lass sie doch spielen.“ Warum sollte sich das als Erwachsene_r ändern?“ Eigentümer_in von einem Gegenstand oder einem Haus zu sein, bedeutet, dass ich den Gegenstand oder das Haus zwar nicht brauche und nicht benutze und trotzdem anderen verbieten darf, dass sie das tun. Und wenn sie den Gegenstand oder das Haus nutzen wollen, dann verlange ich eine entsprechende Gegenleistung. Diese Gegenleistung misst sich auch nicht an dem Wert, den der Gegenstand für mich hat – der liegt schließlich bei null, da ich mit diesem Gegenstand/diesem Haus nichts anfangen kann –, sondern daran, wieviel Gegenleistung ich aus einer Person rausquetschen kann. Also danach, wie dringend diese Person diesen Gegenstand/dieses Haus braucht. Und wie viele um den gefragten Gegenstand/Haus konkurrieren.

 

Ein Umsonstladen widersetzt sich diesen Prinzipien: Alles, was ich nicht brauche, kann ich dort abliefern. Alles, was ich benötige – dabei heißt „benötigen“ nicht nur zum Überleben brauchen, ich kann auch Gefallen daran finden etc – kann ich von dort wieder mitnehmen. Beides ist bedingungslos. Durch die Abgabe nicht benötigter Gegenstände und die Mitnahme benötigter Gegenstände entziehe ich mich dem kapitalistischen, ungerechten und verschwenderischen System von Geben und Nehmen. Ein Umsonstladen ist also eine Überwindung des Kapitalismus im Kleinen, eine gelebte Alternative zum gängigen Wirtschaftsmodell, keine karitative Einrichtung, die die Schwächen des kapitalistischen Systems auszugleichen versucht und Menschen dabei in ein Abhängigkeitsverhältnis bringt, bemitleidet und diskriminiert.

 

Das Für LⒶu Haus versteht und akzeptiert nicht, dass es ein leer stehendes Haus nicht betreten und sich dort einrichten darf, weil der_die Eigentümer_in das nicht möchte. Es nimmt sich den freien Platz. Kein Mensch hat das Recht, anderen Wohn- und Nutzraum vorzuenthalten. Und es möchte dazu anregen, Eigentums- und Tauschgedanken zu überwinden. Entstaubt eure Bücher, eure Kleidung, euren Schmuck, eure Möbel, Elektrogeräte [3] und gebt sie weiter! Denkt dabei nicht daran, wieviel etwas gekostet hat und wieviel es noch wert ist, denkt daran, dass ihr damit nichts anfangen könnt und eine andere Person sich darüber freuen wird. Denkt bitte auch daran, dass das keine große Leistung von euch ist, dass ihr keinen „Bedürftigen“ damit helft, dass ihr damit nicht zu „Wohltäter_innen“ werdet – wie oben dargelegt ist das kein erstrebenswerter Zustand –, sondern dass ihr damit nur einen ersten Schritt in die Richtung geht, gleichberechtigt mit allen anderen am Umsonstladen Beteiligten in einem winzigen Raum in dieser Gesellschaft selbstverständliche Prinzipien in Frage zu stellen und eventuell einen Freiraum zu schaffen, in dem das Denken und Arbeiten an einer hierarchie- und diskriminierungsfreien, solidarischen und privilegienlosen Gesellschaft möglich wird.

 

Anmerkungen

 

[1] Es gibt dazu leider keine validen Zahlen. Der WWF hat 2015 eine große Studie herausgebracht (Das große Wegschmeißen), die schätzt, dass ungefähr die Hälfte der produzierten Lebensmittel in Deutschland weggeworfen wird. In der Studie wird jedoch beklagt, dass ihre Ergebnisse alle auf Schätzungen beruhen. Auch wenn wir also keine genauen Zahlen kennen, kann mensch sich selbst ein ganz gutes Bild machen. Schaut einfach mal in die Mülltonnen von eurem nächstgelegenen Supermarkt und ihr werdet feststellen, dass ihr gar nicht so viel mitnehmen könnt, wie es noch genießbare Lebensmittel in der Tonne gibt. Es ist genug da, dass ihr und viele andere sich problemlos ausschließlich aus dem ernähren können, was dort zu finden ist (was viele Menschen auch tun), und das ist nur ein kleiner Teil dessen, was auf dem Weg vom_von der Produzenten_in zur_m Endverbraucher_in vernichtet wird. Der Weg ist weit und bei jeder Station landet ein guter Teil der Produktion im Müll.

 

[2] Zufriedenheit am Arbeitsplatz, Motivation, Stress, Burn Out, Depression, Überarbeitung, Zeitmangel, all diese Themen sind dauerpräsent im gesellschaftlichen Diskurs.

 

[3] Wie viele alte Handys liegen bei dir ungenutzt herum?

 

(Zuerst hier veröffentlicht)

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Sorry, aber Handys (und anderer IT-Kram) ist nichts, was in einen Umsonstladen gehört. Wenn 1 sein altes Handy abgibt, besteht immer die Möglichkeit, dass es jemand Anderes "unter die Lupe nimmt" und z.B. unsauber gelöschte Daten findet. Handys, die 1 aus dem Umsonstladen mitnimmt, können manipuliert sein, sowohl auf Firmware-Ebene (Trojaner, Rooting, ...) als auch auf Hardware-Ebene. Auch USB-Sticks können gefährlich sein in Sachen Schadsoftware.

Generell gilt bei IT-Kram immer: Vorsicht ist besser, man weiß nie was der Verfaschungsschutz vorhat - und ein Umsonstladen in einem besetzten Haus ist ein prima Honeypot. Also auch auf Wanzen und Ähnliches achten... traurig, dass 1 das sagen muss, aber das sind die Zeiten in denen wir leben :(

Muss dem leider absolut zustimmen. Ist halt nach wie vor ein unangenehmer ungelöster Widerspruch, aber solange gilt, dass "die durchschnittlichen IT-Kenntnisse des normalen (links/alternativ/radikal/etc...) Menschen geringer sind als die durchschnittlichen Lesekenntnisse des russischen Bauern im 19. Jahrhundert", solange besser auf Handys, smart Gadgets usw. komplett verzichten.

Allerdings hat Ottonormallinke*r wenig zu befürchten und eher einen großen von Smartphone und Co.

 

Das Gemecker über DAUs und so ist außerdem zutiefst elitär - ich kann es niemandem verübeln, wenn er/sie keine Lust hat, sich erstmal all das Wissen anzueignen (um dann am Ende sich doch Trojaner aller Geheimdienste der Welt einzufangen).

 

Am sichersten ist es immer noch, nichts sensibles über solche Geräte zu kommunizieren.