Kiel: 15 Tage(ssätze) für eine Torte auf Beatrix von Storch – Prozessbericht

Kiel: Prozess wegen einer Torte auf Beatrix von Storch

In Kiel stand gestern, am 12. Juni 2017, eine Antifaschistin vor Gericht – für einen Tortenwurf auf die AfD-Politikerin Beatrix von Storch wurde sie zu 15 Tagessätzen je 10 Euro verurteilt. Begleitet wurde der Prozess von einem martialischen Polizeiaufgebot und Einschränkungen der Öffentlichkeit. Die Aktivistin will die Strafe nicht zahlen, sondern stattdessen die 15 Tage im Gefängnis absitzen.

 

Im November letzten Jahres war die stellvertretende Bundesvorsitzende der AfD Beatrix von Storch in Kiel zu Gast, um einen Vortrag zu halten. In Kiel und der Umgebung stellt niemand mehr der AfD Räume zur Verfügung. Deshalb musste der Vortrag in der beengten Kreisgeschäftsstelle der Kieler AfD stattfinden. Draußen vor der Tür – abgeschirmt von einem massiven Polizeiaufgebot - protestierten knapp 600 Menschen gegen die menschenverachtende Ideologie der AfD. Trotz des Polizeiaufgebots und Taschenkontrollen schaffte es eine Torte mit Rasierschaum in den Raum und flog zu Beginn ihres Vortrags Beatrix von Storch um die Ohren. Verletzt wurde diese dabei nicht und leider bekam nur ihre Jacke Rasierschaum ab.

 

Die handelnde Antifaschistin wurde angeklagt wegen Beleidigung und bekam einen Strafbefehl über 20 Tagessätze je 40 Euro (800 Euro). Sie legte Widerspruch ein und beantrage auch Beatrix von Storch zum Prozess zu laden, damit diese aussagen könne, ob sie sich beleidigt gefühlt habe. Die Richterin Frau Wolf hielt das jedoch für unnötig und befürchtete, von Storch würde bei dieser Gelegenheit erneut Torte abbekommen – ob sich eine Person tatsächlich auch in ihrer Ehre verletzt fühlt (was eigentlich Voraussetzung für eine Strafbarkeit einer Beleidigung ist), blieb also ungeprüft.

 

Vor Prozessbeginn erwartete die von der Antifa-Koordination Kiel angemeldete Kundgebung mit etwa 40 Personen vor Gericht ein großes Polizeiaufgebot, etwa eine Hundertschaft war angereist um die Verhandlung unter Kontrolle zu halten. Vor Beginn des Prozesses gab es solidarische Transparente und Torte gegen die AfD.

 

Das Gericht musste von Angeklagter und solidarischen Menschen einzeln über einen Seiteneingang betreten werden. Dort half die Polizei der Justiz bei den Kontrollen. Jede*r Prozessbesucher*in musste den Personalausweis abgeben, dann wurden die Daten von der Polizei in ihren Datenbanken überprüft. Der gewünschten Wahlverteidigerin der Angeklagten und mindestens drei weiteren Personen wurde der Einlass verweigert – begründet wurde dies nicht. Sämtliche Taschen mussten draußen bleiben. Daran zeigt sich, wie Polizei und Justiz herangezogen werden um die menschenverachtende Politik der AfD zu schützen und antifaschistischen Widerstand einzuschüchtern versuchen.

 

Trotz des erschwerten Einlasses war der größte Saal im Kieler Amtsgericht so voll, dass einige Zuschauer*innen vorm Amtsgericht warten mussten. Die Angeklagte verteidigte sich selbst. Ihre beantragte Wahlverteidigerin wurde abgelehnt, weil sie nicht vertrauenswürdig sei, weil die Polizei vor fast 10 Jahren mal ein Verfahren wegen Landfriedensbruch gegen sie eingeleitet (und eingestellt) hatte. Zudem nahm das Gericht an, dass die Angeklagte selbst sachkundig genug sei, weil sie bereits vor Prozessbeginn eigene Anträge gestellt habe. In der Einlassung der Angeklagten wurde gleich klar gestellt, dass Torten für AfD-Politiker*innen wichtig bleiben: „Politischer Widerstand sollte daran bemessen werden, ob er moralisch legitim ist. Zudem braucht es in der heutigen Zeit ungewöhnliche, unkonventionelle Aktionsformen um sich Gehör zu verschaffen. In diesem Sinne sollte keine AfD-Politiker*in ohne die dazugehörige Torte eine Bühne betreten können. Eine vitale Gesellschaft braucht Raum für Proteste und Meinungsverschiedenheiten. Was hingegen keinen Raum haben sollte ist die menschenverachtende Hetze der AfD.“

 

In der Zeugenvernehmung wurden zwei Polizisten vernommen. Beide sagten aus, dass sie während der Veranstaltung keinerlei Kontakt mit Frau von Storch hatten. Sie wären zwar durchgängig anwesend gewesen, aber hätten sich kein einziges Wort von ihr angehört. Fraglich bleibt dabei, wie das Gericht dennoch zu dem Urteil kommt, dass die Aussagen der Polizisten genügen, um die Wahrnehmung von Frau von Storch zu bezeugen. Denn eigentlich kann nur diese etwas dazu aussagen, ob sie sich beleidigt fühlte oder nicht.

Zweimal versuchte die Richterin die Beweisaufnahme vorzeitig zu schließen. Zweimal wurde sie dabei durch ein lautes, schnelles „Nein!“ unterbrochen. So konnte die Angeklagte im weiteren Verlauf mehrere Beweisanträge stellen konnte. In diesen ging sie erneut auf die menschenverachtende Ideologie der AfD ein und erläuterte, wie die Hetze der AfD dazu beiträgt in Deutschland eine Stimmung wie bei den Pogromen in den 90er Jahren zu schaffen.

Nach den ersten beiden Anträgen verhinderte Richterin Wolf weiteres vorlesen mit der Begründung, dass diese entweder nicht relevant seien oder es sich nicht um Beweistatsachen handeln würde.

 

Zum Schluss verurteilte die Richterin die Angeklagte zu 15 Tagessätzen je 10 Euro und hielt noch eine Moralpredigt: Gegen die AfD zu sein sei wichtig, aber bitte mit demokratischen Mitteln.

 

Trotz alledem ist es nicht gelungen, den antifaschistischen Widerstand einzuschüchtern. Die Angeklagte plant, die Tagessätze nicht zu zahlen und stattdessen 15 Tage im Knast zu verbringen. Sie möchte zeigen, dass der Staat auch soweit geht, Menschen für kreative Proteste gegen die AfD und deren rassistische, sexistische und homophobe Politik einzusperren.

 

Mehr Torten für die AfD!

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Sie wird nicht ins Gefängnis müssen, ob die das möchte oder nicht. Das bundesdeutsche Strafvefahren sieht Sozialarbeit bei Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungsunwillen als Alternative vor, zumindest bei diesen geringen Beträgen. Dass Beatrix von Storch sich beleidigt gefühlt hat kann man meines Erachtens übrigens daran sehen, dass sie eine Anzeige wegen Beleidigung gestellt hat. Beleidigung wird nämlich nicht verfolgt ohne entsprechende Anzeige durchs Opfer. Grundsätzlich gilt natürlich Solidarität mit der betreffenden Antifaschistin. Aber wenn wir uns mit der deutschen Justiz und ihren zweifellos eklatanten Fehlern auseinandersetzen sollten wir dabei zumindest inhaltlich korrekt bleiben- je weniger inhaltliche Fehler wir machen, desto glaubwürdiger ist unsere Kritik.

Ich war als Zuschauerin beim Prozess dabei. Das Beatrix von Storch eine Anzeige wegen Beleidigung gestellt hat stimmt nicht. Die AfD hat eine Anzeige wegen Körperverletzung und Hausfriedensbruch gestellt und Beatrix von Storch hat eine Anzeige wegen Körperverletzung und "wegen allem was sonst noch verfolgt werden könnte" gestellt. Kein Wort von Beleidigung. Die Beleidigung wurde das erste mal von der Staatsanwaltschaft ins Spiel gebracht, als diese festgestellt hat, dass sie weder wegen Körperverletzung noch wegen Hausfriedensbruch verurteilen können.

Das mit der Sozialarbeit stimmt auch nur so halb. Im § 27 StVollst heißt es dazu, dass wenn weder Bezahlung oder Abarbeitung der Tagessätze erfolgte die Verurteilte die Tagessätze im Knast absitzen muss. Das heißt das Gericht kann zwar versuchen ihr Sozialstunden anzubieten, aber wenn sie dieses Angebot nicht annimmt bleibt halt nur der Knast. Wobei ein Tagessatz mit einem Tag Gefängnis gleichgesetzt wird.

Bevor es zu einer Ersatzhaft kommt, würde erstmal gepfändet werden. Im Zweifel komm da also ein Gerichtsvollzieher mit Polizeiaufgebot- und dann einen Betrag von 150€ einzupfänden sollte für die kein Problem darstellen. Und wenn Frau von Storch "alle weiteren in Betracht kommenden Straftatbestände" beantragt hat, so ist davon eben auch die Beleidigung erfasst. Dann noch einmal die Ehrverletzung feststellen zu wollen erscheint mir tatsächlich hinfällig, zumal doch keiner ernsthaft glaubt, dass sie gesagt hätte, sie hätte sich davon nicht in ihrer Ehre verletzt gefühlt.

Mal rein hypothetisch: Es gibt für Pfändungen gewisse Sperrgrenzen und würde die Angeklagte eine Vermögensauskunft (Ehemals eidesstaatliche Versicherung)  besitzen oder sich dafür entscheinen eine zu machen, dann könnte überhaupt nichts gepfändet werden. Siehe hier: http://vonunskriegtihrnix.blogsport.eu/

Vor Gericht gilt immer noch die Unschuldsvermutung. Eine weitere mögliche Interpretation könnte z.B. sein, dass Frau von Storch den Tortenwurf als Kritik an ihrer politischen Position begreift. Klar, über Wahrscheinlichkeiten lässt sich streiten und ich sehe ein, dass die Variante mit der Ehrverletzung deutlich wahrscheinlicher ist. Aber da sie ja nicht vor Gericht aussagen konnte, weil das Gericht sich weigerte sie zu laden, werden wir das wohl nie erfahren.

Mit einer eidesstanttlichen Versicherung versagt man sich dauerhaft Leben und Zukunft.

Wer das wegen 150 Euro macht ist endbekloppt.