Im Zuge einer breiten und vielfältigen Mobilisierung gegen den G-20 Gipfel in Hamburg Anfang Juli 2017 möchten wir auf einen Punkt hinweisen, der unseres Erachtens bislang etwas untergegangen ist, den wir aber als wichtig einschätzen. Wir, das ist eine AG, die sich auf der regionalen RM-Mobi-Konferenz im März zusammengefunden hat. Das bisherige Ergebnis unserer Arbeit möchten wir im folgenden Text vorstellen und in die Diskussion geben.
Zur Strategiediskussion: Primat der Politik
Der
	G20-Gipfel ist Teil der Auseinandersetzung zwischen der Linken und
	dem Staatsapparat. Diese kann verschiedene Formen annehmen und wird
	auf unterschiedlichen Ebenen ausgetragen. Als Grundlage des eigenen
	Vorgehens bei G-20 sehen wir daher eine sorgfältige Analyse der
	Situation, des Gegners, seiner Strategien und Absichten als
	unerlässlich an, um den Verlauf soweit wie möglich selbst
	bestimmen zu können. Die grundlegende Frage dabei ist: Wie wollen
	wir politisch mit dieser Situation umgehen? Dabei sollten wir uns
	vor allem Gedanken machen, wie wir radikale, antikapitalistische
	Inhalte in Hamburg präsentieren können. Ein Erfolg wäre für uns,
	wenn die radikale Linke nach den Ereignissen gestärkt, d.h.
	inhaltlich präsenter und organisatorisch besser dasteht, eine
	Niederlage, wenn sie geschwächt oder noch stärker gespalten aus
	ihnen hervorgeht. Denn wenn wir gewinnen, d.h. zunächst hegemonial
	werden wollen, geht dies nur mit einer langfristigen Verschiebung
	des Kräfteverhältnisses zu unseren Gunsten.
	
Der Staat gegen die Linke: Abschreckung und Eskalation
Die
	von Medien und Staatsapparat herbeigeredete Gewalt ist längst da.
	Das kapitalistische System ist gewalttätig und wird zunehmend mit
	Gewalt aufrechterhalten. Heute ist der globale Kapitalismus an seine
	Grenzen gelangt. Die Strategen der herrschenden Klasse wissen dies.
	Im Weissbuch der Bundeswehr kann nachgelesen werden, dass
	sozioökonomische Ursachen und Perspektivlosigkeit als Ursache für
	Radikalisierung begriffen werden. Um dem präventiv zu begegnen,
	wird seit Jahren ein technisches, rechtliches und apparatives
	Arsenal geschaffen. Der Staat wird dieses Potential in Hamburg
	auffahren und tut viel dafür, die Situation im Vorfeld von G-20
	anzuheizen: die Wahl eines Hardliners als Einsatzleiter, die
	Menschenjagden in Hamburg, die Militarisierung der Polizei, u.a. mit
	Panzerwagen und Sturmgewehren, die BFE+, das Training mit der
	Bundeswehr, dazu Hubschrauber, Wasserwerfer, Hunde- und
	Pferdestaffeln, der Ausbau von Massenknästen, Razzien im Vorfeld,
	verdeckte Ermittler in der Szene, geplante Verschärfungen des
	Strafrechts bei Widerstand (§113 StGB), Verbote und Knast gegen
	türkische und kurdische Genoss*innen, all das richtet sich gegen
	uns und unseren Widerstand. Der Gegner will uns damit entweder vom
	Protest abhalten oder in eine Auseinandersetzung treiben, die er
	derart bestimmt dass wir sie nicht gewinnen können. Wir dürfen
	daher nicht in eine vorbereitete Falle laufen.
	
Warum Hamburg?
Aus
	diesem Grund kann auch die Wahl des Austragungsortes nicht zufällig
	sein. Nachdem die großen Gipfelereignisse in den letzten Jahren an
	den Rand der Republik verlegt wurden, wird nun ein Gipfel wieder in
	einer bundesdeutschen Großstadt ausgerichtet. Hamburg ist nicht
	irgendeine Stadt. Sie ist eine Stadt mit einer starken und gut
	organisierten linken Szene, mit linker Infrastruktur, mit
	widerständigen Kiezen. Das bedeutet eigentlich, dass die
	Voraussetzungen für unseren Widerstand besser nicht sein könnten!
	Vermutlich werden aus "allen" linken Bewegungen Menschen
	in Hamburg versammelt sein. Der Gegner kann uns aber auch in der
	gesamten Breite angreifen. Denn Hamburg ist auch die Stadt, in der
	der Staat testweise Gefahrengebiete eingerichtet hat. Damit wurde
	eine breite lokale Anti-Gentrifizierungsbewegung mit bis zu 15.000
	Teilnehmer*innen zersetzt. Andere Einsätze wie zB bei der
	ausgefallenen Demo gegen Hogesa im Herbst 2015 können ebenso als
	Übung verstanden werden. Abends wurde ohne erkennbaren Anlass das
	Schanzenviertel in Windeseile von den Bullen abgeriegelt,
	Wasserwerfer an den Zufahrtswegen postiert, keiner mehr rein oder
	raus gelassen. Die Strategie könnte mit der Wahl von Hamburg als
	Austragungsort also sein, der Linken in einer Hochburg wie St. Pauli
	einen empfindlichen Schlag zu versetzen. 
	
Welche Vergleichserfahrungen haben wir?
Auch die Blockupy Proteste waren für den Gegner jeweils Testfälle für Notstandsübungen mit verschiedener Ausgangslage. Einmal ging es darum, einzuschüchtern, alle Aktionen zu verbieten und diese Verbote auf den Strassen auch durchzusetzen. Einmal darum, einen relevanten Teil einer Großdemo zu kesseln und alle Teilnehmer erkennungsdienstlich zu behandeln. Kessel wie in den letzten Jahren vermehrt angewandt (allein in Frankfurt M31, Blockupy, 1.Mai 2013) sind der Versuch, die Kerne der Bewegung herauszurastern. Zudem soll der Protest isoliert und von der Bevölkerung abgeschottet werden und als nicht legitim erscheinen. Werden Demonstrationen wiederum relativ ungehindert laufen gelassen oder zuweilen auch Regelverletzungen geduldet, ist von einer technischen Observation auszugehen.
Als die globalisierungskritische Bewegung um den Jahrtausendwechsel global wurde und Massen anzog, als Hunderttausende gegen die Gipfel demonstrierten, begann der Gegner auf Aufstandsbekämpfung umzustellen. In Genua 2001 wurde der junge Demonstrant Carlo Giuliani erschossen und überfahren, in einer Schule Übernachtende brutal zusammengeschlagen und Festgenommene gefoltert (siehe Doku "G8 Gipfelstürmer - Die blutigen Tage von Genua"). Auch beim EU-Gipfel in Göteborg im selben Jahr machte die Polizei von der Schusswaffe Gebrauch, was zu mehreren Angeschossenen führte, und auch dort umstellte sie eine Schule, die von mehreren Hundert Menschen als Nachtlager genutzt wurde. Das warf die Globalisierungsbewegung und die Linke insgesamt aus verschiedenen Gründen stark zurück: Viele Menschen wurden traumatisiert und trauten sich danach nicht mehr für Proteste auf die Straße. Zum Anderen wurde der Widerstand als inhaltsleerer Gewaltexzess von Chaoten dargestellt und so gelang es dem Gegner die Bewegung zu spalten, die gesellschaftliche Unterstützung für Globalisierungskritik einzudämmen und die Gewalt der Bullen zu kaschieren. Nachdem wir in Heiligendamm 2007 trotz Abschottung an der Ostsee noch einige taktische Siege erringen konnten, war das Terrain in den Alpen 2015 unter den damaligen Bedingungen deutlich nachteiliger für uns. Die Proteste wurden auch zunehmend kleiner – in Garmisch waren wir gerade noch 7.000. Hamburg bietet nun sowohl Chancen als auch Risiken.
Unser Strategievorschlag: Basisorganisierung, d.h. die Bevölkerung einbeziehen...
Ein
	Mittel des Gegners ist immer, unsere Entsolidarisierung und Spaltung
	zu forcieren. Ein weiteres die Abschreckung, die bereits im Vorfeld
	anlief. Während der Protesttage können verschiedene Methoden zum
	Einsatz kommen: Der Gegner kann unserem Protest zunächst freien
	Lauf lassen, um die Auseinandersetzung dann auf der Strasse zu
	führen, er kann uns aber auch von vornherein rechtlich und/oder
	durch massive Präsenz seiner bewaffneten Einheiten einschränken
	und einzuschüchtern versuchen. Das stärkste Mittel des Staates ist
	dabei, uns als Störer*innen und Chaot*innen zu entpolitisieren und
	der Bevölkerung als Feind zu präsentieren, um sein Arsenal und den
	zu erwartenden Ausnahmezustand zu legitimieren und sich als Garant
	von Sicherheit auszuweisen. Dafür benötigt er wiederum eigene
	Propaganda, die Medien und entsprechende Bilder. Das müssen wir
	unterlaufen, indem wir den "Heimvorteil" von Hamburg, d.h.
	unsere Infrastruktur, nutzen, eine gute Vermittlungs- und
	Informationspolitik betreiben, wo es geht die Bevölkerung in den
	Protest mit einbeziehen und zur eigenen Aktion anregen, um so den
	Sicherheitsstaat als Drohpotential gegen die gesamte Bevölkerung zu
	entlarven.
	
...und Gegenöffentlichkeit herstellen: d.h. Kampf um Informations- und Deutungshoheit
Denn die Erfahrungen von OSZE und Gefahrengebieten zeigen, dass auch die Bürger*innen angepisst sind, wenn sie im Alltag behindert werden. Wenn es uns gelingt, dass sich die Empörung der Anwohner*innen gegen die staatliche Repression anstatt gegen uns richtet, haben wir im Kampf um die Köpfe viel erreicht. Es geht darum, zu zeigen, dass die Erfahrung gegenüber der Staatsmacht eine Verlängerung der Kämpfe im Alltag ist. Hierfür müssen wir die Menschen erreichen, uns den öffentlichen Raum aneignen, brauchen eine kluge Informationspolitik, viel Basis- und Öffentlichkeitsarbeit - sowohl was Medien, Presse angeht als auch Internet, Freie Radios, eigene Flyer, Konferenzen, Nachbarschafts- und Kiezversammlungen, Platzbesetzungen usw.
Dazu wird es von uns ein Flugblatt geben, das so formuliert sein soll, dass es von möglichst vielen linken Strukturen getragen werden kann. Einige Aktivist*innen beabsichtigen, einige Tage früher nach Hamburg zu reisen um mit Basisarbeit und Gegenöffentlichkeit zu beginnen. Über rege Beteiligung, z.B. bei Verteilaktionen, und eine Weiterentwicklung des Konzepts würden wir uns freuen.
Taktische Erwägungen
Wir müssen
		überlegt vorgehen und unsere Potentiale entfalten. Aus
		naheliegenden Gründen können wir hier nicht allzu sehr ins Detail
		gehen. Wichtig ist eine gute allgemeine Analyse bereits im Vorfeld
		sowie deren permanente Aktualisierung, sobald wir vor Ort sind und
		neue Erkenntnisse haben.
		
Unsere Vielfalt ist unsere Kraft
Wir denken, dass
		alle Aktionsformen legitim sind und sich sinnvoll ergänzen können.
		Gut wäre es, wenn sie soweit als möglich einen gemeinsamen Bezug
		aufweisen. Eine Mischung aus Organisation und Spontanität macht
		die Proteste unberechenbarer.
		
Mit wenig viel erreichen
Vor allem einen
		politischen Ausdruck finden. Kreativ sein. Für spektakuläre und
		aufsehen erregende Aktionen braucht es nicht immer besondere
		Militanz oder viele Leute. Lasst euch was einfallen. Der Inhalt und
		Effekt zählen. Dynamiken entfalten, die die Bevölkerung und uns
		zusammenbringen.
		
Erwartungen unterlaufen
Wenn die
		reformistische Linke ihre eigene Demo am Sonntag vorher macht, so
		sollte der radikale Flügel einfach dort auch präsent sein. So
		unterlaufen wir den Spaltungsversuch und dehnen die Zeitspanne, in
		der die Bullen aufpassen müssen, auf eine ganze Woche aus. Unsere
		Zeit in der Demo könnten wir auch nutzen, um die Teilnehmer*innen
		darüber zu informieren, dass es in Ihrem Interesse liegt sich den
		Aktionen in der ganzen Woche anzuschließen oder gleich selber
		welche zu machen.
		
Arbeitszeitverdichtung für die Bullen – das Wetter berücksichtigen
Rein
		technisch-militärisch können wir den Gegner zwar nicht besiegen:
		Ein zentraler Sturm auf die rote Zone kann von den Polizeitruppen
		relativ leicht abgewehrt werden. Dort ist der Gegner konzentriert
		und auf uns vorbereitet. Aber: Bullen sind auch Menschen. Und sie
		müssen Ausrüstung und Panzerung tragen. Das Gros der Cops hält
		eine Woche Stress und Hitze kaum durch. Bei Blockupy 2012, nach
		drei Tagen Einsatz bei hohen Temperaturen, waren manche Einheiten
		einfach fertig. G-20 ist mitten im Sommer! Daher kann
		"Arbeitszeitverdichtung" eine Methode sein: sie unter
		Ausnutzung von Hitze als Waffe ständig auf Trab halten, sie nicht
		zur Ruhe kommen lassen - ihnen den Schlaf rauben (denkt an
		Unterkünfte und Transportwege). Denn in Hamburg werden wir viele
		sein - diesen Vorteil der Masse nutzen. Und wer sagt denn, dass wir
		mitten in der Nacht nicht gegen eine Absperrung anrennen und es bei
		einer Nachtwanderung bleibt?
		
Militanz umsichtig einsetzen
Militanz
	selektiv, nicht wahllos und politisch klug einsetzen. Statt blindem
	Aktionismus sollten Angriffe politisch vermittelt werden. Daher
	Guerillataktiken anwenden - das Terrain nutzen, Verwirrung stiften,
	Fehlalarme auslösen. Den Gegner durchschauen - vom Gegner lernen.
	Reaktionen kalkulieren. Dort wo die Medien und die Menschen sind,
	Militanz der Situation anpassen, und dort, wo Medien und Bullen
	nicht präsent, schwach oder unvorbereitet sind, offensiv werden.
	Bei drohenden Kesselsituationen beweglich bleiben um diese zu
	vermeiden.
	
Wir hoffen, im Vorfeld von G-20 einige Anregungen gegeben zu haben. Über eine ausgiebige Diskussion würden wir uns freuen. Für Nachfragen steht diese eMail mit PGP zur Verfügung:
ag-strategie-g20@riseup.net


Arbeitszeitverdichtung für Cops
Mag logisch erscheinen, dass damit Kapazitäten und Konzentration der Bullen sinkt, allerdings ist meine Erfahrung eine andere. Kurz bevor es zu Engpässen oder Erschöpfung kommt wird ausgewechselt. Die Bullen die allerdings womöglich Schlafmangel haben und fertig sind reagieren nochmal aggressiver und brutaler als ohnehin schon.
No violence
Die Basis wird man politisch sicherlich mit verletzten Polizeibeamten und zerstörtem Eigentum erreichen und solidarisieren, nech. Ich verstehe die Motive ja, aber Aggressionen sind immer kontraproduktiv.
Violine
Weil du keinen Hass hast, denkst du, die "Basis" hat keinen Hass. Der Hass auf dieses System und seine Schergen wird aber ein zentrales Element unseres G20-Gipfels sein. Und je kollektiver der Hass ausbricht, desto freudiger werden wir uns nachher dran erinnern.
no violence?
aggressionen sind nie kontraproduktiv sondern lebensnotwendig. was du meinst ist destruktivität. und der text, no violonce, sagt in etwas das gegenteil des von dir unterstellten aus....