B: Nachtrag zu "Happy Birthday Schreibtischtäter"

Berliner Büro der European Stability Initiative (ESI)

Am Freitag, den 17. März, besuchten einige AktivistInnen das Berliner Büro der European Stability Initiative (ESI), ein Thinktank der als „Architekt des EU-Erdogan-Deals“ gilt. Sie markierten es im Rahmen des europaweiten Aktionstages gegen die Festung Europa unter dem Motto „Happy Birthday Schreibtischtäter“, ein schickes Video von der Aktion landete im Internet und in diversen Social Media-Netzwerken, auch bei #Nika.

 

Nun fühlt sich Gerald Knaus, stolzer Chef des Vereins aber ungerecht behandelt und greift einmal kurz in die Trickkiste „Rhetorik für Anfänger“. Auf Facebook beschwert Gerald sich, dass die Aktion total ungerecht sei, weil #ESI seit langem die „inkompetente Umsetzung des EU-Türkei-Deals“ kritisiere, ESI selber auch böse Briefe von Rechten und Nazis bekommen würde und sie außerdem in ihren Berichten doch immer gefordert hätten, dass Europa bzw. Deutschland schon ein paar mehr Flüchtlinge aufnehmen sollte. Man könne ja darüber streiten, „wie man die EU zu einer menschlichen Asylpolitik bringt“, aber ESI als Schreibtischtäter zu bezeichnen sei Ausdruck von „Verschwörungstheorien“. Und überhaupt würden sich einige seiner Mitarbeiter teilweise seit langem und in ihrer Freizeit (!) auch für Flüchtlinge engagieren. Wir hier bei Nika sind ja gut erzogen und diskursorientiert, haben uns daher kurz nochmal schlau gemacht und stellen uns in der gebotenen Höflichkeit jetzt zwei Fragen: Erstens: Wo ist das Argument? Zweitens: Gerald, schämst du dich nicht, wenigstens ein bisschen?

 

Wenn man schon versucht die Weltöffentlichkeit für dumm zu verkaufen, dann sollte man sich doch wenigstens ein bisschen Mühe geben. Denn das Gegenteil ist wahr: Das neoliberale Projekt, der rassistischen Abschottung Europas ein menschliches Antlitz zu verpassen, in dem es in Kooperation mit brutalen Diktaturen, wie Erdogan, die Grenzen vorverlagert und verhindert, dass die Menschen direkt vor den Augen der europäischen Öffentlichkeit sterben, hat mit einer menschlichen Politik nichts zu tun. Mehr noch: Es ist genau diese wohltemperierte Unmenschlichkeit jener rot-grünen Zyniker, die klar zwischen Flüchtlingen und „Wirtschaftsmigranten“ unterscheiden, die eine schnellere Abschiebungen der einen fordert um den anderen „helfen zu können“, die die Festung Europa am Laufen hält. Denn sie akzeptiert und befördert, dass Menschen nur aufgrund ihrer Herkunft weniger Rechte als andere haben sollen. Sie ist nicht das Gegenteil des Rechtsrucks, sondern seine Voraussetzung. Und genau daran arbeitet ESI, seit langem und weiterhin. O-Ton Gerald zum aktuellen „Malta-Plan“ seines Vereins: "Bisher haben irreguläre Migranten eine 99-prozentige Chance, dauerhaft in der EU zu bleiben", sagt Knaus im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Wenn sich aber herumspricht, dass die teure und lebensgefährliche Reise vergeblich ist, weil man vier Wochen später wieder in der Heimat landet, wird sich die Lage rasch ändern." Deswegen brauche es Auffanglager, die jene, die es nach Europa schaffen, vier Wochen nicht verlassen dürfen und dann die Abschiebung „aller Wirtschaftsmigranten ohne Recht auf Asyl - und damit die große Mehrheit der Ankommenden auf Basis von Rücknahmeabkommen“.

 

Dagegen ist an eine einfache Wahrheit zu erinnern: Es gibt in dieser Welt, in der die Ökonomie eine Politische ist, keine „Wirtschaftsflüchtlinge“. Der „Sachzwang“ der Standortkonkurrenz, der Einige reich macht, aber an vielen Orten soziales Elend produziert und immer Menschen das Leben zur Hölle macht, ist Ausdruck von gesellschaftlichen Verhältnissen und einer Reichtumsverteilung, die verändert werden können. Wer das nicht will, der macht sich Gedanken darüber, wie man Grenzen effizienter, Ungerechtigkeit flexibler und Umweltverschmutzung grüner machen kann. Er ist nicht Teil des Engagements für grenzübergreifende Solidarität, er ist ihr Gegner. Dass es Nazis gibt, denen selbst das noch nicht weit genug geht, ändert daran gar nichts. Denn (nicht nur) uns geht das hier schon lange viel zu weit. Daher zum Abschluss ein gut gemeinter und ganz kostenfreier Nika-Tipp: Wer keinen unangemeldeten Besuch von Antiras mehr bekommen will, der sollte nicht an der Abschottung Europas arbeiten. Denn Unmenschlichkeit hat Konsequenzen.

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Guter, prägnater Text. Danke.