[BI] Gerichtsprozess zu rassistischem Brandanschlag

Unterkunft für Geflüchtete nach BrandanschlagUnterkunft für Geflüchtete nach BrandanschlagAm 14. September 2015 wurde eine Unterkunft für Geflüchtete in Porta Westfalica – Eisbergen (im Nordosten Nordrhein-Westfalens) mit zwei Molotow-Cocktails angegriffen. Körperlich verletzt wurde dabei glücklicherweise niemand. Im Oktober 2016 verhandelte das Amtsgericht (AG) Minden gegen vier Angeklagte, unter anderem mit dem Vorwurf der "schweren Brandstiftung". Das AG Minden verwies das Verfahren an das Landgericht (LG) Bielefeld, weil es sich bei dem Anschlag auch um "versuchten Mord" handeln könnte. Der Prozess am LG Bielefeld beginnt in der kommenden Woche.

 

Der Anschlag


Am 14.09.2015 gegen 23.30 Uhr wurde eine Unterkunft für Geflüchtete in Porta Westfalica – Eisbergen mit Molotow-Cocktails angegriffen. Einer verfehlte nur knapp um einen Meter das Fenster der Küche, in der sich zu dem Zeitpunkt ein Bewohner mit seinem Kind aufhielt, und entzündete sich an der Fassade. Ein zweiter Brandsatz landete, ohne sich zu entzünden, am Zaun des Hauses. Durch die schnelle Reaktion der Bewohner*innen konnte die an der Fassade brennende Flüssigkeit mit Wasser gelöscht werden. Körperlich verletzt wurde bei diesem Anschlag auf die Unterkunft in der zum Tatzeitpunkt 37 Personen wohnten glücklicherweise niemand. Die Angst und andere psychische Folgen werden die Betroffenen jedoch die nächsten Jahre begleiten.


Gerichtsprozess

 

Knapp ein Jahr später, am 04.10.2016, startete der Prozess vor dem Amtsgericht Minden. Den vier Angeklagten wurde von der Staatsanwaltschaft lediglich „versuchte schwere Brandstiftung“ vorgeworfen. Dem Prozessbeginn ging eine Auseinandersetzung um die Zuständigkeit der Gerichte voraus. Das Mindener Amtsgericht hatte die Zuständigkeit zuerst an das Bielefelder Landgericht abgegeben. Das Amtsgericht zog die Möglichkeit in Betracht, dass die Angeklagten sich des versuchten Mordes schuldig gemacht haben könnten. Dafür wäre das Landgericht zuständig. Doch die zuständige Kammer des Landgerichts Bielefeld sah für derlei Vorwürfe keine Anhaltspunkte und schob das Verfahren wieder an das Amtsgericht in Minden zurück. Nach drei teilweise sehr kurzen Verhandlungstagen im Oktober 2016, an denen unter anderem Aussagen/Einlassungen von den Tatverdächtigen vorgetragen/verlesen wurden, verwies das Amtsgericht Minden den Fall erneut an das Landgericht Bielefeld. Das Amtsgericht sah einen hinreichenden Tatverdacht für einen versuchten Mord begangen durch Heimtücke (bei Nacht) und aufgrund niederer Beweggründe („Ausländerfeindlichkeit“). Nun verhandelt das Landgericht Bielefeld den Fall. Das Landgericht Bielefeld (Niederwall 71) hat bisher folgende Verhandlungstage in Saal 1 angesetzt:

  • Di, 28.02.2017, 9:00 Uhr
  • Di, 07.03.2017, 9:00 Uhr
  • Fr, 10.03.2017, 9:00 Uhr
  • Do, 16.03.2017, 9:00 Uhr
  • Do, 23.03.2017, 9:00 Uhr

Beim Gericht gibt es Einlasskontrollen, die zu zeitlichen Verzögerungen führen können.

 

Verharmlosung rassistischer Taten

 

Die Reduzierung der Tat auf den Vorwurf der „versuchten schweren Brandstiftung“ spiegelt wieder, wie Justiz und Behörden in regelmäßig rassistisch motivierte Anschläge verharmlosen. Noch bevor es Tatverdächtige gab, sprachen der Staatsschutz bei der Bielefelder Polizei und die Staatsanwaltschaft nur von Ermittlungen wegen „versuchter schwerer Brandstiftung“. Die vom Landgericht Bielefeld anscheinend geteilte Annahme, dass hinter dem versuchten Inbrandsetzen eines Hauses, in dem Menschen schlafen, keine Tötungsabsicht stecken könnte, ohne die konkrete Motivation und Absicht der Täter*innen überhaupt ermittelt zu haben, ist beachtlich und macht zugleich den altbekannten Reflex im Umgang mit rassistischer Gewalt in Deutschland deutlich.

 

Ein Jahrzehnte langes Verharmlosen und Ignorieren rassistischer und rechter bis rechtsradikaler Einstellungen in erheblichen Teilen der Bevölkerung führt einerseits zu einer Legitimation der Täter*innen und andererseits zur Unsichtbarmachung der von rassistischer Gewalt Betroffenen. Allein 2015 gab es weit über 600 registrierte Angriffe auf Unterkünfte für Geflüchtete. Bei 95 Angriffen handelte es sich um Brandanschläge. Trotzdem werden in den Medien und der Politik solche Taten häufig als unpolitisch oder Werk von „Einzeltäter*innen“ dargestellt. Nach wie vor wird als Motivation für solche Taten nicht die rassistische Grundeinstellung benannt, sondern eine Verunsicherung durch die „Flüchtlingspolitik“ oder der Wunsch ein „Zeichen dagegen setzen zu wollen“.

 

Wir halten es für wichtig klarzustellen, dass rassistische Übergriffe nie isolierte Taten sind. Rassistische Vorurteile und Denkstrukturen finden sich nicht nur bei denjenigen wieder, die Unterkünfte anzünden und den Tod der dort lebenden Menschen billigend in Kauf nehmen, sondern sind ein Problem der gesamten Gesellschaft.

 

Der Angriff in Eisbergen wurde scheinbar von einem kleinen Personenkreis organisiert und verübt. Legitimiert fühlten sich die Täter*innen jedoch von den weit verbreiteten Vorurteilen und rassistischen Denkmustern der Gesellschaft, ähnlich wie bei den rassistischen Pogromen in den 1990er Jahren, wie in Rostock – Lichtenhagen, Mölln oder Solingen.

 

In den meisten Tageszeitungen, Nachrichten und anderen Medien finden sich Vorurteile gegen Geflüchtete wieder, auf der Straße sammeln sich Rassist*innen um gegen Geflüchtete zu hetzen und die Bundesregierung verschärft die Asylgesetze. Es werden gerade nicht nur von organisierten Neonazis vermeintliche „Ängste und Sorgen deutscher Bürger*innen“ geschürt, und Zahlen verfälscht dargestellt. Rechte Brandstifter*innen, wie die Täter*innen aus Eisbergen, sind zumeist der Ansicht, dass sie nur das tun und aussprechen, was alle anderen denken.

 

In den wenigen Fällen, in denen die Täter*innen überhaupt einmal ermittelt werden, folgt meistens auch vor Gericht eine weitere Entpolitisierung und Verharmlosung rassistischer Taten.

 

Alkoholkonsum, Arbeitslosigkeit oder Probleme im Privatleben der Täter*innen müssen häufig als Erklärung herhalten, Verbindungen in organisierte Neonazistrukturen werden übersehen oder die rechte Dorfclique wird als Ansammlung „normaler“ frustrierter Jugendlicher wahrgenommen. Rassistische Äußerungen oder Handlungen werden reproduziert, übersehen, ignoriert oder als normal wahrgenommen. Bei Erklärungsversuchen für die Tat werden häufig viele vermeintliche Ursachen herangezogen, aber selten auf die zumeist eindeutige rassistische Motivation der Täter*innen verwiesen.

 

Hinter der Entscheidung eine Unterkunft für Geflüchtete anzuzünden steht in fast allen Fällen eine rassistische Motivation. Die Täter*innen hatten die Wahl und sie haben sich für einen Mordversuch auf Geflüchtete entschieden. Das Ziel, die geflüchteten Menschen selbst, wird dabei bewusst und nicht willkürlich ausgewählt.

 

Deshalb ist es auch nicht damit getan, dass die Täter*innen von Gerichten als Einzelpersonen und von ihrer Lebensrealität und sozialem Umfeld und den gesellschaftlichen Bedingungen losgelöst beurteilt und verurteilt werden. Folge dessen ist häufig nur, dass nun mit dem Finger auf die verantwortlichen Täter*innen gezeigt wird. Eine weitere Auseinandersetzung mit den rassistischen Motiven, die im Zweifelsfall auch viele Andere aus dem Umfeld der Verurteilten teilen, findet nicht statt. Es wurde vermeintlich Gerechtigkeit gesprochen, die Akte wird geschlossen und das Thema als erledigt betrachtet.

 

Die Auseinandersetzung, Beurteilung und Reflexion von Rassismus kann und darf aber nicht staatlichen Institutionen, wie der Polizei oder den Gerichten überlassen werden, sondern muss eigenständig erfolgen und aktuell bleiben. Pogrom artige Stimmung und Überfälle wie zuletzt in Bautzen muss Widerstand aus der Bevölkerung entgegen gesetzt werden. Den Rassist*innen muss ihre Basis, die in der Gesellschaft weit verbreiteten Vorurteile und Denkmuster, genommen und in Frage gestellt werden. Dazu gehört, dass jede*r Einzelne immer und überall einschreiten muss, wenn rassistisch gehetzt wird, Rassismus als vermeintlicher Witz daher kommt oder Menschen anders durch Wort oder Tat diskriminiert werden.

 

Es braucht Widerstand und eine stetige Thematisierung der alltäglichen Zustände um eine Veränderung hervorzurufen und in Zukunft rassistisch motivierte Übergriffe, Brandanschläge oder Morde verhindern zu können.

 

Den rassistischen Konsens brechen – Täter*innen und Hintergründe benennen!

 

Das Problem heißt Rassismus!

Initiative „Solidarität mit den Betroffenen des Brandanschlags in Eisbergen“

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Warum nennt ihr die Täter nicht beim Namen?