[Wien] Wer steckt hinter den zahlreichen Angriffen auf linke Strukturen?

Der eingedrückte Rolladen des w23 | Foto: via w23
Erstveröffentlicht: 
09.02.2017

Im Kielwasser der Identitären formiert sich eine neue Gruppe von Rechtsextremen: "Unwiderstehlich Österreich". Diese Gruppe könnte auch für die Angriffe auf das linke Vereinslokal "w23" verantwortlich sein.

 

Laut dem Verfassungsschutzbericht steigen die Zahlen rechtsextrem motivierter Straftaten in Österreich rasant. Dass es sich dabei nicht nur um abstrakte Zahlen einer Statistik handelt, zeigen gleich mehrere Fälle rechter Gewalt aus den letzten Monaten. Neben Einrichtungen für Geflüchtete und Refugees selbst, sind es auch immer wieder jene Menschen, die sich aktiv gegen Rechtsextremismus und Rassismus engagieren, die Opfer von rechter Gewalt werden.

So soll zum Beispiel Ende Dezember eine 16-Jährige in Klagenfurt von zwei Männern verprügelt worden sein, nachdem sie sich über deren rassistische Aussagen aufgeregt hatte. Ende Jänner wurde das Kulturzentrum SUB in Graz erneut angegriffen, nachdem es bereits im Oktober vergangenen Jahres mit Hakenkreuzen beschmiert wurde. In Salzburg kam es in der Vergangenheit zu zahlreichen Attacken gegen ein linkes Vereinslokal und rechtsextremen Sachbeschädigungen im ganzen Stadtgebiet – erst am Wochenende ritzten dort außerdem unbekannte Täter Hakenkreuze und die Worte "Heil Hitler" in parkende Autos.

 

In Wien wurden im Herbst die Anarchistische Buchhandlung und der Zahraa Muslim Lifestyle Shop mit roter Farbe beschmiert. Auf die Rosa-Lila-Villa wurden wiederholt homophobe Parolen und Mordaufrufe gesprüht und in der Nacht des Akademikerballs wurden beim EKH fünf Scheiben eingeschlagen. Auch der jüdische Teil des Zentralfriedhofs ist immer wieder Ziel von rechtsextremen Angriffen – zuletzt Ende November.

 

"Diese Angriffe und Attacken sind Einschüchterungsversuche. Sie sollen Angst schüren und das Gefühl der ständigen Bedrohung vermitteln."

Am öftesten getroffen hat es in den letzten Monaten aber das linke Kulturzentrum w23 im ersten Wiener Gemeindebezirk. Zwischen September 2016 und Jänner 2017 wurde das Lokal gleich sechs Mal zum Ziel mutmaßlich rechter Angriffe: Schlösser wurden verklebt, Farbe und Buttersäure verschüttet, ein Rollbalken zerstört und es wurde versucht, gewaltsam in die Räumlichkeiten einzudringen. Außerdem hinterließen die Täter einen Zettel mit der Aufschrift: "Österreich blutet auch durch eure Schuld."

 

"Diese Angriffe und Attacken sind Einschüchterungsversuche. Sie sollen Angst schüren und das Gefühl der ständigen Bedrohung vermitteln", heißt es in einer Stellungnahme der Betreiberinnen und Betreiber. In den letzten Jahren sei ein Anstieg rechtsextremer Aktivitäten zu beobachten. "Die Zuspitzung autoritärer Verhältnisse in den letzten Jahren bestärkt Rechtsextreme darin, zunehmend aggressiv gegen alle vorzugehen, die sie als Feinde wahrnehmen, auch mit roher Gewalt", so die Aktivistinnen und Aktivisten.

 

Das w23 hat bereits langjährige Erfahrung mit Angriffen aus dem rechten Lager. Im Oktober 2008 stürmten 10 mit Sturmhauben maskierte Personen das Lokal und schlugen auf Besucherinnen und Besucher ein. Zuvor sollen Passanten bereits die Polizei alarmiert haben, weil die Gruppe "in Zweierreihe und mit militärischem Auftreten im Laufschritt" durch den ersten Bezirk zog.

 

Das w23 vermutete damals einen Zusammenhang mit den verstärkten Aktivitäten rund um das Neonazi-Forum alpen-donau.info. Vor dem Angriff soll auch das Logo der rechten Theorie-Plattform "Der Funke" auf die Fassade gesprüht worden sein, zu dem der heutige Identitären-Chef Martin Sellner eine tiefe Verbindung hatte (eine eindeutige Verbindung konnte jedoch nicht nachgewiesen werden). So schrieb Sellner 2014 in einem Beitrag über seine rechte Vergangenheit: "Statt planlos-verzweifelten Aktivismus begann zum ersten Mal eine ernsthafte Beschäftigung mit Theorie und Strategie. Das Projekt 'Der Funke' war geboren [...] die erste deutsche Gruppe, die sich schon vor drei Jahren zum Begriff 'identitär' bekannte."

 

Die Strukturen rund um das Neonazi-Forum alpen-donau.info sind heute aber weitestgehend zerschlagen. Wer also steckt hinter den Angriffen auf das w23 und andere Räumlichkeiten in Wien? 

 

Vor allem aufgrund der Schmierereien mit roter Farbe und dem Wording vom "blutenden Österreich" könnte man schnell auf Personen aus dem Umkreis der Identitären schließen. Tatsächlich scheint das in diesem Fall aber eher unwahrscheinlich zu sein.

 

Die Identitären beweisen zwar immer wieder in Wort und Aktion ihre Gewaltbereitschaft gegenüber politisch Andersdenkenden – zum Beispiel wenn Martin Sellner sagt, er hätte am Wochenende auch das Recht gehabt, sich mit einem "Messer oder Baseballschläger" gegen "linke Angreifer" zu wehren, die ihn "angegriffen und beschimpft" hätten. Was bei dem Vorfall am Freitagabend tatsächlich geschah und ob es überhaupt zu physicher Gewalt kam, wird derzeit von der Polizei ermittelt. Verletzt wurde jedenfalls niemand.

 

Dennoch dürften die Angriffe auf das w23 auf das Konto einer anderen rechtsextremen Gruppe gehen, die noch ziemlich unbekannt ist. Darauf deuten vor allem Aufkleber hin, die regelmäßig nach Attacken rund um das w23 hinterlassen wurden und von der Gruppe "Unwiderstehlich Österreich" stammen. Seitens der Wiener Polizei gibt es zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch keine Auskunft über den Stand der Ermittlungen oder rechte Gruppierungen in Wien generell.

Bei "Unwiderstehlich Österreich" handelt es sich vor allem um einen losen Zusammenhang von Personen aus dem rechen Lager, die es seit der Zerschlagung der rechtsextremen Seite alpen-donau.info relativ schwer hatten, wieder Fuß zu fassen. So sollen laut einem erst am Montag veröffentlichten Bericht der Antifa Recherche Wien  vor allem Personen aus dem Umfeld von Gottfried KüsselPegida und der Partei des Volkes hinter "Unwiderstehlich Österreich" stecken. Auch Hooligans von Austria Wien, Rapid Wien und dem LASK zählen zu den Unterstützern, wie Recherchen von VICE ergaben.

 

"Unwiderstehlich Österreich" organisiert sich auch über Facebook. Auf einer bundesweiten Seite und einzelnen Seiten für Wien, die Steiermark und Oberösterreich findet man klassisch rechtsextreme und fremdenfeindliche Symbolik. Außerdem werden Artikel von Propaganda-Medien wie Info-DIREKT geteilt und Zitate von antisemitischen Theoretikern wie Julius Langbehn verbreitet.

 

Auf der Seite von "Unwiderstehlich Steiermark" findet sich auch ein Interview mit Daniel P., der dabei gewesen sein soll, als im Sommer 2016 an einer Grazer Moschee Schweinsköpfe befestigt wurden. P. ist laut dem Blog Recherche Graz auch schon gemeinsam mit Personen aus dem Umfeld von alpen-donau.info aufgetreten. Außerdem ist er der einzige, der fast jeden Post von "Unwiderstehlich Steiermark" liked.

 

Zumindest über ein Like erhält die Seite "Unwiderstehlich Steiermark" auch Unterstützung von einem FPÖ-Politiker. Dem steirischen Gemeinderat Markus Gröller gefällt es auf Facebook, wenn vom "angeklagten Neger" oder Asylsuchenden als "Grätzn" gesprochen wird. Auch ein Mitglied des RFJ-Osttirols findet sich unter denen, die "Unwiderstehlich Österreich" mit "Gefällt mir" markiert haben.

 

Interessant ist, dass "Unwiderstehlich Österreich" von den Identitären anscheinend nur wenig hält. Obwohl es auf der Seite vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes in Bezug auf den identitären Kongress in Linz heißt: "Die Neonazis von der neuen Facebook-Gruppe  Unwiderstehlich gratulierten dann auch umgehend 'zur gelungenen Veranstaltung'", wird Martin Sellner auf der Seite von "Unwiderstehlich Österreich" als "Identitärendiva" bezeichnet. Zu leicht hätte er sich am Wochenende "entwaffnen" lassen und überhaupt seien er und seine Kameraden nur eine "Gruppe von Philosophen und ewigen Studenten".

 

Dieser Umgang der "oldschool" Rechtsextremen mit den selbsternannten "Neurechten" verwundert allerdings nicht: Nicht alle im rechtsextremen Lager begrüßen es, dass sich die Identitären von offen zur Schau gestellter Gewalt und Nazi-Symbolik verabschieden und ihre Ideologie akademisch zu fundieren versuchen. Vor allem der Sprachstil der Identitären und ihr szeneuntypischer Aktionismus dürfte so manchen Glatzkopf mit A.C.A.B.- und Runen-Tattoo irritieren, auch wenn es immer noch Überschneidungen der beiden Szenen gibt.

 

Auch wenn Angriffe wie jene auf das w23 derzeit wahrscheinlich eher von heimatlosen Nazi-Hools und Pegida-Anhängern verübt werden und dahinter keine organisierte Rechtsextremen-Szene steht, sollten sie dennoch ernstgenommen werden. Denn es sind gerade diese Gruppen, die im Kielwasser der Identitären schwimmen – und vor Gewalt nicht nur nicht zurückschrecken, sondern diese aktiv propagieren.

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