Gǎi Dào Nr. 72 – Dezember 2016

Gaidao Nr.72 Cover

Hallo Menschen, wir Anarchist*innen wählen nicht. Eigentlich. Wir halten nichts von der parlamentarischen Demokratie. Sie entmündigt einerseits die meisten Menschen, indem sie bei Wahlen dafür sorgt, dass eine Minderheit über die Mehrheit bestimmen kann. Andererseits sorgt sie mit ihren Gesetzesbüchern dafür, dass der Kapitalismus reibungslos funktionieren und immer mehr Bereiche unseres Lebens vereinnahmen kann. Zwei starke Gründe, sich dem Wahlzirkus zu verweigern und selbstorganisierte Politik von unten zu machen.

 

Trotz dieser Überzeugungen sind auch viele Anarchist*innen besorgt darüber, dass Donald Trump am 20. Januar 2017 zum neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gekrönt werden wird. Ist es uns vielleicht doch nicht so egal wer uns regiert? Vor allem, wenn es ein Mensch wie Trump ist, der im Vorfeld der Wahlen mit unzähligen menschenfeindlichen Aussagen durch die USA gepoltert ist? Und seine ersten Personalentscheidungen lassen kein Licht am Horizont zu: Sie bestätigen seinen Kurs, der alle auch nur ansatzweise fortschrittlichen Entwicklungen im immer noch mächtigsten Land dieser Erde zunichte machen will. Dies wird in vielen Bereichen Auswirkungen auf die ganze Welt haben (hier bei uns wittern rechte Parteien und Organisationen, allen voran die AfD, Morgenluft und fühlen sich in ihrer rassistischen Politik bestätigt): Was bedeutet dies z.B. für den immer schneller voranschreitenden Klimawandel?

 

Der Protest in den USA folgte auf dem Fuße. Es gab viele, große Demonstrationen und für den Tag der Machtübergabe ruft ein anarchistisches Bündnis zu Widerstand auf (siehe unsere Übersetzung des Aufrufes in dieser Ausgabe). Direkt in der Höhle des Löwen in Washington D.C.. Solidarische Aktionen weltweit sind gefragt.

 

Diesem Thema widmet sich darum auch der Artikel “Präsident Trump: Countdown zur Apokalypse” von CrimethInc. Die Chronik “Der stetige Putsch in der Türkei” zeigt (wahrscheinlich unvollständig) die unzähligen Repressionen gegen Erdoğan- und AKP-Gegner*innen auf. Die anderen spannenden und interessanten Artikel und Themen reichen von einem Interview mit der Bibliothek der Freien, der libertären Idee des Sozialismus über eine Rezension zum Buch “Revolutionäre Annäherung”, den libertären Kommunismus hin zu einer Auseinandersetzung über die Gender-Schreibweise (nicht nur) in der Gai Dao und einem Call for Papers für die Gai Dao an FLTI* (Frauen*, Lesben*, Trans*, Inter*).

 

Für mehr Licht am Horizont!
Viel Spaß beim Lesen dieser Ausgabe, euer Gai-Dao-Redaktionskollektiv

 

P.S.: In der letzten Ausgabe, der Gai Dao 71, ist uns beim Layout ein kleiner Fehler unterlaufen. Am Ende des Artikels “Die Nation und der Nationalismus” fehlte der zweite Teil des letzten Satzes: “…herausforderten und im Ganzen eine andere Welt darstellten.

 


 

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"wir Anarchist*innen wählen nicht", und genau deswegen kann ich AnarchistInnen nicht ernstnehmen. Dass parlamentarische Demokratie ein Herrschaftsinstrument ist, klar! Dass bürgerliche Parlamente immer im Dienste der herrschenden Klasse sind: sowieso! Dennoch: Wahlen sind EIN Mittel um politischen Einfluss auszuüben, ein von der ArbeiterInnenklasse blutig erkämpftes Recht, ein klarer und eindeutiger Fortschritt zu früheren Herrschaftsformen wie des Feudalismus. Wahlen einfach nicht zu nutzen ist wie im Fußball auf nen Elfmeter zu verzichten, weil man die Elfmeterregel nicht mag. Wär zu schön wenn sich die bürgerlich-kapitalistische Herrschaft damit erledigen würde dass wir uns ihr einfach verweigern, leider ist das sowas von surreal dass es schon wehtut. Wahlen haben einen erheblichen Einfluss, wer das erst seit Trump merkt (und wäre Kriegstreiberin und Wall-Street-Vertraute Clinton wirklich so viel besser?) hat einiges verschlafen: Selbst die durch und durch reormistische Linkspartei erweitert durch ihre parlamentarische Oppositionsrolle den Handlungsspielraum vieler politischer Widerstandsbewegungen und der außerparlamentarisch-antikapitalistischen-Bewegung, sei es durch kritische Anfragen, oppositionelle Pressearbeit, juristische Unterstützung von Protestbündnissen oder whatever. Es macht eben doch einen erheblichen Unterschied ob eine große Koalition auf eine linke oder eine rechte Opposition Rücksicht nehmen muss, ob die Linke oder die AfD Untersuchungsausschüsse einsetzen und Anfragen stellen kann. Wer Illussionen in die revolutionären Möglichkeiten eines Parlamentes oder bürgerlich-linken Partei hat hat natürlich einiges nicht verstanden, und das will ich hier sicher nicht schüren, wer aber im Umkehrschluß die Konsequenz zieht parlamentarische Möglichkeiten ganz einfach nicht zu nutzen verhält sich wie Buridans Esel. Was Wahlen angeht ist ein desillusionierter Pragmatismus die zielführendste Herangehensweise: Keine illusorischen Hoffnungen hegen, keine Kapazitäten verschwenden,  aber trotzdem dieses Kampffeld ganz nüchtern zum revolutionären Vorteil nutzen! Wählen dauert in etwa so lange wie ein Bier trinken, bringt aber um einiges mehr!

Totaler Senf.

Wählen bringt nichts ausser Legitimation der bürgerlichen Herrschaft.

 

Keine einzige Partei schafft irgendeine Art von Unterstützung ernsthaft revolutionärer Gruppen und Organisationen.

Parlamentarismus ist keine Möglichkeit sondern ein Verrat an der Sache.