Rechtspopulismus als ,unterhaltsame' Meinungskolumne?

fight racism

- Arme kleine Deutsche...In der ersten Oktober-Ausgabe der "Medical Tribune" war auf der Titelseite die Schlagzeile "Getürktes Lob für Praxen" zu lesen, woraufhin sich diverse türkische Mediziner*innen und Verbände über den Gebrauch des diskriminierenden Begriffs ,getürkt' beschwerten. Und das durchaus zu recht: Der Begriff wiederholt und verfestigt Stereotype wie das der ,unehrlichen, betrügerischen, kriminellen Türken'.


Anstatt nun entsprechend auf die Beschwerden zu reagieren und eine Entschuldigung oder generell eine Stellungnahme zu veröffentlichen, ließ die Redaktion in der Ausgabe 51. Jahrgang, Nr. 44 vom 4. November 2016 eine ,Meinungskolumne' unter dem Titel "Lasst die Kirche im Dorf!" erscheinen (vgl. auch online unter http://www.medical-tribune.de/home/infotainment/artikeldetail/lasst-die-..., zuletzt abgerufen am 10.11.2016). Der Autor der Kolumne, Erich Kögler, behauptet von sich, "mit spitzer Feder" zu schreiben. Die Kolumne hat jedoch mit Satire nichts gemein, sondern ist eine reine Anhäufung stupider rechtspopulistischer Hetze. Kögler nimmt den angeblichen "Shitstorm" (ebd.) der türkischen Mediziner*innen zum Anlass, um sich über ein vermeintliches Redeverbot zu echauffieren, nur weil der Duden von der Verwendung des Begriffs ,getürkt' aus eben genannten Gründen abrät. Ganz der empörte Wutbürger, inszeniert der Autor sich und das ach-so-bedrohte Abendland als Opfer: "Ich fasse es nicht - so weit haben es die Sprachwächter und Gesinnungspolizisten in diesem Land also schon gebracht!" (ebd.). Das klingt verdächtig nach der ,bösen Lügenpresse', dem beliebten Kampfbegriff von Rechtspopulist*innen und Neonazis (zur Geschichte des Begriffs ,Lügenpresse' vgl. http://publikative.org/2015/01/01/die-luegenpresse-ein-begriff-und-seine..., zuletzt abgerufen am 10.11.2016). So verfasst Kögler seine ganze Kolumne in der populistischen Manier des "Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!".

Kaum hat der Autor dieses Feld eröffnet, beginnt er mit einem Querschnitt durch diverse rassistische Stereotype. Vom ,Verbot' rassistischer Sprache über das ,Gebot' von gendergerechter Sprache redet er sich in Rage. Schnell landet er bei dem Schreckensgespenst einer angeblichen ,Überfremdung'. Auch dieses konstruierte Feindbild der neuen Rechten nennt er nicht explizit beim Namen, verwendet aber alle typischen Beispiele: den Armen Deutschen würden vom Weihnachtsmarkt über das St. Martins-Fest bis zum Schweinsbraten all ihre kulturellen Eigenschaften von den ,Fremden' und der Lobby der ,political correctness' geklaut.

Der Autor stellt sich und seine Kolumne als mutige Rebellen und Retter der Meinungsfreiheit dar und verfällt dabei in einen völkisch-nationalistischen Tonfall: Er verteidige den "Mut, die Dinge beim Namen zu nennen und in Wort und Schrift klare Kante zu zeigen. Sprache, Identität und Werte sind eine Einheit." (vgl. Kögler: "Lasst die Kirche im Dorf!", a.a.O.). Dabei ist klar ersichtlich, was sein Text eigentlich ist: eine stumpfe Wiederholung gängiger rassistischer, sexistischer und nationalistischer Panikmache, die durch rechtspopulistische und neonazistische Bewegungen und Medien seit langem verbreitet wird.

Die "Medical Tribune" ist eine medizinische Fachzeitung, die deutschlandweit eine der am meistgelesensten Zeitungen von Ärzt*innen darstellt. Die Reichweite einer derartigen Kolumne ist also nicht zu unterschätzen. Es ist uns unverständlich, wie hier die Veröffentlichung eines solchen Textes verantwortet werden konnte.

Wir fordern die Redaktion der "Medical Tribune" dazu auf, sich mit einer Stellungnahme für die Veröffentlichung der Kolumne zu entschuldigen. Zudem würden wir es begrüßen, wenn nach einem solch skandalösen Text keine weiteren Texte von Erich Kögler mehr veröffentlicht würden.

Gerne können noch weitere Personen ihren Unmut über die Kolumne äußern, z.B. durch Leserbriefe oder auf der Facebook-Seite der Zeitung:

Medical Tribune Verlagsgesellschaft mbH
Chefredaktion: Tanja Schliebe, Birgit Maronde
Verlagsleitung: Stephan Kröck
Unter den Eichen 5
65195 Wiesbaden

Email: kontakt@medical-tribune.de
www.medical-tribune.de
facebook.com/medicaltribune.de

Die "Medical Tribune Verlagsgesellschaft mbH" ist im übrigen eine Tochtergesellschaft des "Süddeutschen Verlags" (vgl. www.sueddeutscher-verlag.de/business/fachinformationen/medizin, zuletzt abgerufen am 10.11.2016). Auch hier könnte sich durchaus darüber beschwert werden, was die Tochtergesellschaft für rechtspopulistischen Mist verzapft:

Süddeutscher Verlag
Geschäftsführer: Stefan Hilscher, Dr. Karl Ulrich, Alexander Paasch
Hultschiner Str. 8
81677 München

www.sueddeutscher-verlag.de
redaktion@sueddeutsche.de
Leserbriefe: forum@sueddeutsche.de
facebook.com/ihre.sz

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Der Ausdruck "etwas türken" im Sinne von "etwas vortäuschen", geht auf einen Betrug im 18ten Jahrhundert zurück, siehe hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Schacht%C3%BCrke

Der Begriff ist nicht explizit rassistisch oder beleidigend.

Der Autor vielleicht schon, aber das steht auf einem anderen Blatt. Wollte ich nur mal gesagt haben....

Du kannst vielleicht sagen, dass der Begriff ursprünglich vielleicht nicht so gemeint war. Es kommt aber für die Beurteilung, ob er beleidigen kann oder nicht, nicht darauf an, welcher Sinn urspünglich dahinter steckte, sondern was die gesellschaftliche Sprachpraxis daraus macht. Begriffe werden durch ihren Gebrauch durchaus auch (um)geprägt. Das N-Wort stammt ursprünglich aus dem Lateinischen und war auch nicht im heutigen Sinne rassistisch. Trotzdem würde wohl niemand heutzutage dessen weiteren Gebrauch verteidigen, oder?!

Spätestens die Reaktion auf die Kritik zeigt, wes Geistes Kind der Autor ist. Für ein "unbewußtes" oder öttinger-artig dummdreist-trampliges Verwenden des Begriffes hätte gesprochen, wenn sie bei der MT irgendwie glaubwürdig oder zumindest "hilflos" zurückgerudert hätten. Sie haben aber im Gegenteil ganz kräftig nachgelegt.