[Gö] Aufruf: Am 12.11. auf die Straße gegen völkischen und antisemitischen Antikapitalismus!

Die rechte Konjunktur lahmlegen

Die Nazis vom „Freundeskreis Thüringen / Niedersachsen“ (FKTN) haben unter dem Titel  „Zinsknechtschaft brechen – Schluss mit dem Raubtierkapitalismus“ für den 12.11.2016 erneut eine Kundgebung in Göttingen angemeldet.

 

Wer es einmal wagen sollte, sich die sog. „Standpunkte“ zur Wirtschaftspolitik des FKTN näher anzusehen, findet zumindest auf dessen Homepage nur spärliche, aber doch aufschlussreiche Informationen: Unter der Überschrift „Gemeinsam gegen Raubtierkapitalismus“ werden dort ein paar knappe Forderungen formuliert, die angesichts der Zugehörigkeit des FKTN zum neurechten, völkischen und neonazistischen Spektrum kaum überraschen sollten. So werden TTIP und Freihandelsabkommen abgelehnt, denn sie dienten ausschließlich der „Wirtschaft“ und „deren Hintermännern“. Der „Raubtierkapitalismus“ stelle eine Gefahr für „den“ Arbeiter dar, „seine“ Familie ernähren zu können. Schaut man sich die Themen des NPD-Unterbezirks Göttingen an, für den Jens Wilke ja bei der vergangenen Kommunalwahl kläglich scheiterte, finden sich noch weitere Themen sowie Stich- und Schlagworte, bspw. dass die „entnationalisierte“ Exportindustrie einer „vielfältigen“ Volkswirtschaft im Wege stünde. Die Lösung und Forderung: eine „raumorientierte Volkswirtschaft“; eine verbreitete NPD-Floskel.


Dies ist der übliche Jargon eines rechtsvölkischen und strukturell antisemitischen Antikapitalismus: Es wird eingestanden für sog. „ehrliche Arbeit“, patriarchale Kleinfamilie, Nation und Volk (was sich bspw. an der Kampagne „Ein Volk hilft sich selbst“ ablesen lässt) – und gegen Ausbeutung durch die Raffgier von gewissen verborgenen „Mächten“ im „Hinterzimmer“ und das „kranke System“ (Zitat Wilke), das diese angeblich zu verantworten haben. Auch die im Titel der kommenden FKTNPD-Kundgebung enthaltene Forderung nach einer „Brechung der Zinsknechtschaft“ hat im völkisch-nationalen Spektrum Tradition, die bis ins Jahr 1918 zurückreicht.


Aber der Reihe nach.

 

„Brechung der Zinsknechtschaft“ – Historischer Rahmen

Der Titel rekurriert auf das „25-Punkte-Programm“ genannte Parteiprogramm der NSDAP aus dem Jahr 1920. Die dort enthaltene Forderung nach einer „Brechung der Zinsknechtschaft“ wurde, vermutlich im Jahr 1918, vom späteren NSDAP-Wirtschaftstheoretiker Gottfried Feder formuliert und schließlich als Punkt 11 in das entsprechende Programm eingebracht. Mittels des Begriffs „Zinsknechtschaft“ lieferte die NSDAP eine völkisch-antisemitische Erklärung und Schuldzuschreibung für Deutschlands schlechte wirtschaftliche und soziale Situation nach dem Ersten Weltkrieg: Auf der einen Seite stünden ehrliche, fleißige, hart arbeitende „Volksgemeinschafts-Deutsche“, die allerdings durch vermutete abstrakte und einflussreiche Mächte, personalisiert durch jüdische Spekulant_innen, in „Zinsknechtschaft“ gehalten würden. Feder sprach vom „Leihzinsgedanken“ als „teuflischer Erfindung des Großleihkapitals“, welches lediglich einer „Minderzahl von Geldmächtigen“ diene - nämlich dem Judentum.


Das völkisch-antisemitische Weltbild drückt sich hier sowohl in dem Gegensatz von „schaffendem“ und „raffendem“ Kapital (ebenfalls eine Formulierung, die auf Feder zurückgeht) aus (der „ehrliche deutsche Arbeiter“ verarmt, während sich das „Großleihkapital“ bereichert), als auch in der Personalisierung des „raffenden Kapitals“ in Jüdinnen und Juden, die wahnhaft als „parasitär“ fantasiert werden. Die tatsächlichen Wirkweisen, Mechanismen und Zusammenhänge der kapitalistischen Moderne und ihrer negativen Seiten werden dabei nicht verstanden und nicht durchschaut – nicht der kapitalistische (Mehrwerts-)Produktionsprozess bzw. das unkritisch und unhinterfragt akzeptierte Prinzip der Kapitalakkumulation selbst seien hierfür an erster Stelle verantwortlich – vielmehr wird die projizierte Raffgier von, mit dem Judentum assoziierten, Banker_innen, Spekulant_innen, Investor_innen oder „Parasiten“ als personifizierte Erklärung für wirtschaftliche Missstände 
herangezogen.

 

Der völkische Antikapitalismus des FKTN

Hier knüpft der FKTN inhaltlich direkt an. Bereits auf einer Demo am 10. September in Friedland deutete Wilke den „Raubtierkapitalismus“ von „geistesgestörten Leuten der Wall Street“ als elementare Gefahr für das deutsche Volk. So argumentierte er, dass Deutschland durch diesen erneut drohe „in Schutt und Asche gelegt zu werden“, wie bereits in zwei Weltkriegen geschehen. Nicht nur, dass Wilke hier offenkundig völlig geschichtsblind die deutsche Verantwortung für zwei Weltkriege ignoriert und relativiert – er fürchtet zudem die Zerstörung der deutschen Nation und „Volksgemeinschaft“ durch die Finanzmärkte.


In der konkreten und wörtlichen Bezugnahme verortet der FKTN auch das Thema seiner Kundgebung offenkundig in der Tradition einer solchen falschen und antisemitischen Kritik am Kapitalismus, die eine Unterteilung in eine gute, konkrete und „produktive“ Seite des Kapitalismus einer schlechten, abstrakten und „unproduktiven“ Seite gegenüberstellt. Diese völkische Kritik argumentiert meist ganz in der NSDAP-Tradition wie folgt: Eine Arbeit, deren Verdienst darin bestehe, ein konkretes Produkt herzustellen, sei ehrlich und aufrichtig. Dem gegenüber stehe ein Verdienst, der lediglich Gewinn aus abstrakten Geldgeschäften vermeintlich ohne ein Produkt und ohne die konkrete Gegenleistung der eigenen Arbeitskraft abschöpfe. Diese „unmoralische“ Wertschöpfung personalisiere sich in den bösen „Banker_innen“ und „Kapitalist_innen“ an der „Wall Street“, die die „produktive“ Bevölkerung und deren Wohlergehen durch Spekulation, Devisenhandel und Globalisierung bedrohe, ausbeute und „knechte“.


Antisemitische Verschwörungstheorien gehen in dieser naiven und falschen Kapitalismuskritik einher mit völkisch-nationalistischen Vorstellungen. Denn der völkische Gegenentwurf zum globalisierten „Raubtierkapitalismus“ ist eine Renationalisierung der Produktion und eine Abschottung vom Einfluss des globalen Marktes und der Spekulation, die gleichgültig gegenüber den nationalen Volkswirtschaften sei. Mit anderen Worten: eine „raumorientierte Volkswirtschaft“ (s.o.), die sich an den regionalen Gegebenheiten orientiere – hier knüpfen auch völkisch-rechte Forderungen nach einem „Blut-und-Boden-
Umweltschutz“ an, da eine national orientierte Wirtschaft angeblich auch „heimische“ Ökosysteme vor Ausbeutung und Zerstörung schütze.


Solche populistischen, antisemitischen und völkischen Kapitalismuskritiken sind von Grund auf falsch und auch nicht wirklich antikapitalistisch. Sie verfolgen nämlich überhaupt nicht das Ziel, eine Alternative anzubieten. Im Gegenteil: es werden falsche Probleme benannt, sie werden falsch kritisiert und es werden falsche Lösungen angeboten. Diese stehen natürlich ausschließlich im Dienst des eigenen völkischen Weltbildes: Die deutsche patriarchal strukturierte Kleinfamilie in der „deutschen Volksgemeinschaft“. Eine Befreiung vom und Überwindung des Kapitalismus wird nicht angestrebt – er soll lediglich nationalisiert 
werden.

FKTN-Kundgebung verhindern!
Kein Platz für Antisemitismus!

Wenn der Freundeskreis versucht, seinen völkischen und antisemitischen Antikapitalismus auf die Straße zu bringen, der in der Tradition der NSDAP steht, dann gilt es für uns, dagegen entschlossen Widerstand zu leisten und für unsere Ziele und Vorstellungen einzustehen: Für feministische Gesellschaftskritik, für Kapitalismuskritik, die nicht am Hass auf „die da oben“, „Heuschrecken“ und „Spekulant_innen“ ansetzt, sondern die Logik der Kapitalakkumulation als Fokus und Ausgangspunkt der Kritik begreift. Für das schöne Leben. Deswegen: Kommt am 12.11. auf die Straße, sei es in Göttingen oder in Duderstadt, und stellt euch den Freundeskreis-Nazis entgegen!

fem.antifa.KO [Gö&U]


Feministische & antifaschistische Koordination 
Göttingen und Umland

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Der moderne Antifaschismus wird leider immer Kapitalismuskonformer.

 

Früher hätte man gleich eine eigene antikapitalistische Demo abgehalten, damit man den Rechten nicht auch noch dieses urlinke Feld überlässt.

Heute hat die individualistische "Linke" gegen fast alle kollektivistischen Strömungen was, weil diese, ihrer Meinung nach, völkisch und protofaschistisch sind.

 

Wenn ich schon Formulierungen wie »So werden TTIP und Freihandelsabkommen abgelehnt, denn sie dienten ausschließlich der „Wirtschaft“ und „deren Hintermännern“.«, lesen muss, dann meine ich zu erkennen, dass den Verfasser_Innen dieses Textes der Antikapitalismus generell eher suspekt ist.

 

Bitte korrigiert mich, wenn ich mich irre.

 

Je schlechter es aber ganzen Bevölkerungsschichten aufgrund der Ungerechtigkeit des Kapitalismus geht, desto leichter haben es die rechtsradikalen Menschenfänger ...