Schweiz: Tod eines Asylsuchenden stellt Zwangsausschaffungen in Frage

Deportation prison at Zurich Airport
Erstveröffentlicht: 
31.03.2010

Menschenrechtsorganisationen fordern eine unabhängige Untersuchung zum Tod eines nigerianischen Asylsuchenden während seiner Deportation. Manche fordern einen gänzlichen Verzicht auf Zwangsausschaffungen.

 

Der sechste Sonderflug des Jahres 2010, mit dem am Abend des 17. März 16 Nigerianer hätten abgeschoben werden sollen, verließ den Boden nie. Unter den Ausschaffungshäftlingen war der 29-jährige Alex Uzowulu*, dessen Asylgesuch abgelehnt worden war. Gemäß der Kantonspolizei Zürich weigerte sich Uzowulu das Flugzeug zu besteigen und "konnte nur unter Anwendung von Gewalt gefesselt werden." Über seinen Kopf wurde eine Art Helm gestülpt. Die Polizei erklärte, dass er im Anschluss "plötzlich gesundheitliche Probleme" zeigte. Darauf seien seine Fesseln gelöst worden, aber Reanimationsversuche scheiterten.

Der Direktor des Bundesamts für Migration (BfM), Alard du Boys-Reymond, war während der Ausschaffung zufällig vor Ort. Gegenüber dem Schweizer Fernsehen sagte er, die Polizei habe "das sehr professionell gehandhabt." Augenzeugen werfen den Beamten allerdings Brutalität vor und beschuldigen sie, sich "wie Tiere" aufgeführt zu haben. Nach Uzowulus Tod stoppte das BfM Deportationsflüge bis auf Weiteres.

 

Uzowulu ist bereits der dritte Todesfall innerhalb von elf Jahren im Zusammenhang mit Zwangsausschaffungen durch die Schweiz. 1999 erstickte ein palästinensischer Asylsuchender nachdem er gefesselt und mit Klebeband geknebelt wurde. Zwei Jahre später starb ein Asylsuchender in Ausschaffungshaft, als er von Polizisten auf den Boden gedrückt wurde.

Eine erste Autopsie durch das Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich ergab keine klaren Aufschlüsse über die Ursachen von Uzowulus Tod. Die Behörden gaben zu, der Nigerianer sei vor der Abschiebung während einigen Tagen im Hungerstreik gewesen. Mithäftlinge behaupten aber, der junge Mann habe für viel längere Zeit das Essen verweigert.

Du Boys-Reymond sagte, es sei nicht wichtig, ob der Ausschaffungshäftling zuvor im Hungerstreik war. Wichtig sei, dass er vor der Abschiebung als gesund erklärt wurde. Generell sollte es "so sein, dass nur gesunde Personen ausgeschafft werden," hielt er fest. Christoph Hugenschmidt, Sprecher der Menschenrechtsgruppe augenauf, bezichtigt du Boys-Reymond der Heuchlerei. "Wir haben dutzende Fälle dokumentiert, in denen Kranke oder ungesunde Personen deportiert wurden," sagt er.

 

In ihrer Pressemitteilung schrieb die Kantonspolizei Zürich, Uzowulu sei "polizeilich wegen Drogenhandels verzeichnet" gewesen. Hugenschmidt ist entrüstet: "Was soll das bedeuten? Er wurde nie wegen Drogenhandels verurteilt!" Der Menschenrechtsaktivist beschuldigt die Polizei des Rufmords und der Diffamierung zwecks Legitimierung des Todes des Nigerianers.

In der Stadt Zürich und vor dem Ausschaffungsgefängnis fanden seit Uzowulus Tod mehrere Demonstrationen statt. Als 150 Personen eine Kundgebung vor dem Abschiebegefängnis am Flughafen Zürich abhielten, wurden sie von Häftlingen über einen Hungerstreik informiert. Das Amt für Justizvollzug ließ verlauten, dass höchstens zehn Häftlinge hungerten. Die Insassen des Gefängnisses riefen aber aus ihren Zellenfenstern, dass mittlerweile Dutzende im Hungerstreik seien.

Cristina Anglet vom Solinetz in Zürich besucht die Inhaftierten im Flughafengefängnis regelmäßig. Die Schweiz, welche bislang die Schengen-Normen nicht vollständig umgesetzt hat, kann abgewiesene Asylsuchende für bis zu zwei Jahre einsperren. Anglet sagt, dass sicher mehr als zehn Personen im Hungerstreik gewesen seien: "Auf dem vierten Stock, wo vor allem AfrikanerInnen einsitzen, wiesen praktisch alle das Essen zurück. Zusätzlich hungerten einige Leute auf der zweiten Etage."

Hugenschmidt sagt, im zweiten Stock hätten neun Personen das Essen unangetastet zurückgegeben. Das Gefängnis beherbergt gegenwärtig 93 Häftlinge. Hugenschmidt ist entsetzt darüber, dass die Behörden den Hungerstreik herunterzuspielen versuchten. "Jemand ist eventuell gerade an den Folgen eines Hungerstreiks gestorben. Dann – einige Tage später – kam es erneut zu Essensverweigerungen. Und die Behörden versuchten es zu negieren!" Am 29. März gab das zürcherische Amt für Justizvollzug bekannt, der Hungerstreik sei zu Ende.

Verschiedene Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und mehrere linke und grüne Kantonalparteien verlangen eine unabhängige Untersuchung von Uzowulus Tod. Balthasar Glättli ist Geschäftsführer von Solidarité sans frontières (Sosf). Die Organisation setzt sich für die Anliegen und Rechte von Flüchtlingen ein. Glättli würde es lieber sehen, wenn eine internationale Institution wie der UNO-Ausschuss gegen Folter ermitteln würde. "Die Staatsanwaltschaft ist dafür die falsche Stelle, weil sie viel zu enge Beziehungen zur Polizei unterhält."

 

Als Schengen-Staat muss die Schweiz die Rückführungsrichtlinie der Europäischen Union umsetzen. Diese beinhaltet die Einrichtung eines Systems zur Überwachung von Zwangsausschaffungen bis im Frühling 2011. Amnesty International verlangt, dass keine Abschiebungen ohne Begleitung durch unabhängige Beobachtungspersonen mehr durchgeführt werden.

Glättli bleibt demgegenüber skeptisch: "Überwachung macht nur Sinn, wenn die BeobachterInnen während des ganzen Prozesses anwesend sein können. Besser wäre, wenn Ausschaffungshäftlinge von Anwälten begleitet würden, welche sie juristisch repräsentieren und verteidigen könnten." Das grundsätzliche Problem sei damit aber nicht gelöst, sagt Glättli. Er fordert einen gänzlichen Verzicht auf Zwangsabschiebungen.

Glättli sagt, dass Häftlinge während Zwangsausschaffungen oft gefesselt würden. "Damit nehmen die Behörden bewusst in Kauf, dass Menschen sterben." Sosf ist der Meinung, dass "das Recht auf körperliche Unversehrtheit und der Schutz vor im schlimmsten Fall tödlichen Zwangsmassnahmen [...] in jedem Fall höher gewichtet werden [müssen] als der Wunsch der Schweiz, Personen von ihrem Territorium zu entfernen."

*UPDATE: Über die Identität des verstorbenen Nigerianers herrscht Unklarheit. 'Alex Uzowulu' ist wohl nicht sein richtiger Name. Es scheint, dass der 29-Jährige einen falschen Namen benutzte. Gemäss Recherchen der African Mirror Foundation lautet sein richtiger Name Joseph Ndukaku Chiakwa.

 

Ray Smith ist freischaffender Journalist und Aktivist des anarchistischen Medienkollektivs 'a-films', welches die Sans-Papiers-Kampagne in Zürich seit mehr als einem Jahr dokumentiert.