[B] Schwarzer Juli - Text und Aktion gegen den sozialen Frieden

Black July

Während sich im rebellischen Friedrichshainer Nordkiez die Situation vorübergehend entspannt und wir Zeit finden, die Rigaer94 wieder aufzubauen, tobt der soziale Krieg um uns herum unvermindert weiter. Uns haben die Nachrichten von den Angriffen des Staates auf Menschen und Squats in Thessaloniki erreicht. Hier wie dort kämpfen wir gegen die Sozialdemokratie und setzen dem sozialen Frieden den vielförmigen Kampf entgegen. Ob im schwarzen Juli oder in den täglichen lokalen Auseinandersetzungen führen wir einen gemeinsamen Kampf, der in der gegenseitigen Bezugnahme an Kraft gewinnt.

 

Der griechische Staat scheint gerade zu einem umfassenden Repressionsschlag gegen autonome Strukturen auszuholen. In Thessaloniki und in anderen Städten sind insbesondere die selbstorganisierten Strukturen der Migrant_innen immer mehr gefährdet. Der Staat greift in Ausübung seiner Funktion als Verwalter der Migrationsströme diejenigen an, die sich nicht seiner Autorität unterordnen und versuchen, sich in einer Welt voller Ausbeutung und Unterdrückung selbstbestimmt zu bewegen. Getroffen hat es in Thessaloniki drei besetzte Häuser und über hundert Menschen, welche von der Polizei festgenommen wurden. Eine Person starb in Folge der Räumungen. Auch in Athen gibt es Räumungsdrohungen gegen Squats, die auch von Migrant_innen genutzt werden. Das Ziel ist ein Klima der Angst und die Unterdrückung von Selbstorganisierung derjenigen, die die Autorität des Staates angreifen oder aushöhlen.

 

Es sei an dieser Stelle daran erinnert, dass die griechische Regierung in Hand der Syriza ist. Es ist die linksradikale, sozialistische Partei, welche auch von deutschen linken Gruppen unterstützt und zu den Versöhnungs-Events der „Bewegung“, wie dem 1. Mai in Berlin eingeladen wird.

 

Wir fragen diese Linken, die jetzt von diesen Aktionen der griechischen Regierung geschockt sind – was habt ihr erwartet? Die Lektion für euch, die ihr euch immer für diese und alle anderen linken Regierungen eingesetzt habt und jetzt wieder ungläubig euren Psalm „aber die Menschenrechte!“ murmelt, lautet: die Clowns, die in der Hierarchie ganz oben stehen kümmern sich nicht um euch und eure sozialdemokratischen Ideale. Derartige Angriffe sind zu erwarten und müssen entsprechend beantwortet werden. Wir haben keinen Glauben in ihre leere populistische Politik und es muss klar gesagt werden, wofür sie steht. Wer auch nur das kleinste bisschen von diesen Parteien erwartet, gibt ihnen die Macht, weiter auf uns zu scheißen. Sie leben von unserer sozialen Schuld und Sympathien. Wir müssen dafür kämpfen, diese Macht auszulöschen. Unser Versuch der Organisierung und des autonomen Lebens ist natürlich eine Gefahr für diese Leute. Der Staat wird so lange seine humanistische Rhetorik ausspucken, bis die Realität, etwas von seiner Macht zu verlieren, bei ihm einschlägt. Die staatliche Unterstützung für Migrant_innen und Refugees und jedes seiner Konzepte von „Freiheit“ ist seichte Propaganda. Jeder Versuch, Autonomie in die Tat umzusetzen, wird mit Gewalt und Repression beantwortet; davon müssen wir ausgehen. Jedes Gebiet, jeder Ort, der von Menschen selbst organisiert wird, wo neue Strukturen aufgebaut und staatlich forcierte Spaltungen verhindert und durch selbst gewählte Konfliktlinien ersetzt werden, ist eine direkte Gefahr für den Staat. Man kann sich entlang der vorgefertigten Protest-Linien bewegen. Sobald man diese aber überschreitet, werden die so gefeierten Freiheiten plötzlich nichtig. Der Staat wird nichts zugestehen, was euch von ihm nicht schon zugeschrieben wurde. Es muss sich genommen werden.

 

Die einzige Existenzgrundlage der Sozialdemokratie und jeglicher Prediger des sozialen Friedens ist ihre Rolle im Management der Gesellschaft. Ihre Aufgabe ist es, revolutionäre Prozesse im Keim zu erkennen und Akteure ausfindig zu machen, die mit Machtversprechen gekauft werden können. Die Unterstützung für Syriza, die sogar aus „anarchistischen“ Kreisen kam, war Resultat des Willens zur „Gegenmacht“. Die „Bewegungen“, von neuen Managern zusammengehaltenen Konstrukte, die die vielfältigen und vielförmigen Angriffe gegen die herrschende Ordnung zur Einheitsfront erklären, sind nach wie vor das Rekrutierungsfeld linker Parteiorganisationen. Sie schaffen es, die zeitweise scharfen Abgrenzungen im sozialen Krieg zwischen unten und oben verschwimmen zu lassen.

 

Auch hier im Konflikt um die Rigaer Straße gibt es zahlreiche Versuche der parlamentarischen Demokratie, mit den Fingern dreckiger Möchtegern-Rebell_innen in unserem Kampf mitzumischen. Insbesondere die Grüne Partei tut sich dabei hervor, indem sie auf jede Kiezversammlung, welche seit Jahresbeginn ein Ort des lebhaften Austausches war, ihre Vertreterin schickt. Unser Ort des Streites wird so gezwungenermaßen zum Ort der Politik, obwohl der Hass auf Politiker_innen doch die Grundlage der Selbstorganisierung und Selbstverteidigung, aka Angriff, ist.

 

Außerdem wurden immer wieder Angebote durch die Sozialdemokratie, insbesondere die Grüne Partei, an Anwohner_innen und die Rigaer94 gemacht, Gesprächsrunden mit „wichtigen Personen“ zu veranstalten. Diese Angebote wurden relativ konsequent zurückgewiesen. Doch die Herrschaft weiß, dass sie nur lange genug zu wühlen braucht, bis sie Aufstiegsbereite, bestenfalls Ahnungslose oder Gutmütige findet, die sich hergeben, im Namen der Anwohner_innenschaft zu sprechen. Wir müssen unsere Sinne schärfen, um die Angebote der Macht aufzuspüren, bevor sie schaden können. Diese Suche beginnt in uns selbst.

 

Besonders widerwärtig ist die Tatsache, dass sich die verlogenen Politiker_innen der regierenden Grünen Partei nicht zu schade sind, die dreiwöchige Belagerung der Rigaer Straße durch die Bullen mit den Ereignissen vor zwei Jahren im Squat in der Kreuzberger Ohlauer Straße zu vergleichen. Die ehemalige Schule wurde hauptsächlich von migrierten und illegalisierten Freedom-Fighters besetzt. Das Konzept der Herrschenden gegen die stärker werdenden Strukturen beinhaltete neben brutalster Niederschlagung und Terror durch die Polizei das permanente offerieren von friedlichen Auswegen an die in die Enge gedrängten Kämpfer_innen. Schon der besetzte Oranienplatz konnte durch dieses Konzept niedergeschlagen werden, indem sich letztendlich Verhandler_innen fanden, die die Räumung selbst mit Gewalt unter den Augen der Sozialdemokratie und ihrer Polizei gegen die ehemals Verbündeten durchsetzten.

 

Das Squat in Kreuzberg jedoch hielt stand, nachdem die Kämpfer_innen sich in der neuntägigen Belagerung auf das Dach des Gebäudes zurückzogen und drohten, zu springen. Letztendlich gab es einen Nutzungs-Vertrag mit der regierenden Grüne Partei, die Bilder von Toten vermeiden wollte, wodurch die Situation entschärft wurde. In den nächsten Monaten wurden die Reihen der Squatter_innen durch Abschiebungen und Strafverfahren gelichtet. Bis heute dauern die dreisten Versuche an, die übrigen Besetzer_innen unter Zuhilfenahme verschiedener Konstrukte zu vertreiben. Zynischstes Beispiel dazu: die Leute sollten das Squat räumen, um einer Geflüchteten-Unterkunft im Gebäude Platz zu machen.

 

Mit der selben feindlichen Strategie sollte im Fall der Räumung der Rigaer94 die Widersprüchlichkeit des politischen Kampfes genutzt werden, die zwangsläufig existiert, wenn praktische Versuche unternommen werden, die Vielfältigkeit in der Auseinandersetzungen auf einer Barrikade zu vereinen. In die geräumten Teile der Rigaer94 sollten, wie hämisch verkündet wurde, „syrische Flüchtlinge“ einziehen. Dazu schrieb die Rigaer94:

 

„Wir müssen uns eingestehen, dass die Polizei nicht ohne Grund den niederträchtigen Plan entwickelt hat, Geflüchtete in die geräumte Kadterschmiede einziehen zu lassen. Kämpfe gegen Gentrifizierung und Polizei haben im Kiez eine greifbare Substanz. Kämpfe gegen Rassismus kaum. Hierin besteht die Schattenseite autonomer Politik: sie orientiert sich an der Gesellschaft, macht Zugeständnisse an die Mehrheit und verrät sich in Teilbereichskämpfen.

Natürlich kämpfen wir auch dafür, dass die Nachbarschaft entschlossen gegen Rassismus vorgeht. Letztendlich aber erhoben hauptsächlich nicht ortsansässige Zusammenhänge für uns das Wort, um der gegnerischen Argumentation entgegenzutreten, wir wollten keine Geflüchteten in unserem Umfeld. Gäbe es eine antirassistische, weniger mitteleuropäische Nachbarschaft (uns mit eingeschlossen), hätten wir auf diese Argumentation kein Stück eingehen müssen.“

 

Als Strategie gegen die soziale Befriedung, die auch aus dem Harmoniebedürfnis in der Nachbarschaft entspringt und schon oft zum Teil autonomer Politik wurde, rief die Rigaer94 zum schwarzen Juli auf. Die informelle Organisierung und das Verständnis von Affinität wurde von zahlreichen Zusammenhängen in Aktionen weiterentwickelt.

 

Der schwarze Juli hatte auf jeden Fall einen taktischen Effekt, da die strikte Dezentralisierung des Angriffs die Berliner Polizei in die Knie zwang. Während sie ihren Kräfteschwerpunkt auf das belagerte Haus und die Umgebung legen musste und eine 14-köpfige Ermittlungsgruppe gegründet wurde, die als einzigen Erfolg einen Spitzel aus den eigenen Reihen festnahm, eiferten kleine und große Gruppen der 10 Millionen Euro Schadensmarke entgegen und machten den Law-and-Order Innensenator zum Gespött. Drei Wochen lang, bis zur letzten Nacht der Belagerung, brannte und klirrte es – und nicht nur in Berlin.

 

Langfristiger und wichtiger jedoch als das taktische Ziel - die Verteidigung der Rigaer Straße - ist der Moment, als die Angst besiegt wurde. Während wir alle unsere alltäglichen Kämpfe und Angriffe ausführen, wird es immer wieder Situationen geben, in denen der Staat uns zu vereinzeln und unseren Kampfgeist zu brechen versucht. In diesen schwierigen Stunden, Tagen oder Jahren wird die informelle anarchistische Offensive ihren Mut selbst in die letzten Winkel dieser Welt tragen. Und sei es durch die Gitterstäbe Moabits, Korydallos oder der Isolationsfolter-Zellen in Köln.

 

In diesem Sinne senden wir kämpferische Grüße aus der Rigaer Straße an die Gefangenen in Thessaloniki sowie an Aaron und Balu im Knast von Moabit und Lisa in Köln. Wir haben die ruhigen Nächte genutzt, um in der Rigaer Straße Botschaften der Solidarität für sie und alle Gefangenen an die Wände zu malen.

 

Wir heben außerdem die Faust für alle Freedom-Fighters der Squats in den griechischen Städten und der Ohlauer Straße in Berlin.

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Grüße solltet ihr als Postkarte schicken oder raus auf die Straße gehen... Ansonsten kein emanzipatorischer Gehalt, ja kann mal gesagt werden das die SPD / Grüne / Syriza fürn Arsch sind aber warum greift ihr in diesem Text die Nachbarn an, ist der Wunsch nach Harmonie verwerflich, ja die Verhältnisse sind scheiße, aber wenn der Wunsch nach einfach nur Leben bereits konterrevolutionär ist, dann welcome in solitude.

Wenn ihr euch schon streiten wollt, dann legt doch mal ne Strategie auf den Tisch, die mehr aussagt als schwurbelige Formulierungen über Affinität oder wahnwitzigen Äußerungen wie: "da die strikte Dezentralisierung des Angriffs die Berliner Polizei in die Knie zwang". Wo bleibt denn die praktische Solidarisierung mit den Kämpfen in den Betrieben oder Jobcentern. Bei nem Arbeitskampf kommt ihr mit solchen Phrasen nicht weiter oder stellt ihr euch vor nem Chef, der den Lohn verweigert und spürt die "Angebote der Macht" in euch selbst auf.... Get Organized und nicht völlig Panne im Kopp - Esoterik abschalten

Hättest du den Text bis zu Ende gelesen, hätteste gemerkt, dass es eine Aktion UND Erklärung ist.

 

Die Nachbarn werden auch nicht angegriffen. Den Teil den du gelesen hast, hast du falsch gelesen.