Gegen den Humbug der Wahlen – raus auf die Straße…

Antifademo

Eigentlich wollte am 10. April 2010 die neonazistische NPD eine landesweite Wahlkampfkundgebung auf dem Massenbergboulevard in der Bochumer Innenstadt abhalten. Als die antifaschistische Mobilisierung und Bildung eines Blockadebündnisses gerade anlief, zog der Vorsitzende der Bochumer und der NRW-NPD Claus Cremer die Anmeldung wieder zurück. Das entlässt uns als AntifaschistInnen allerdings nicht aus der Verantwortung uns inhaltlich und praktisch in diesem Wahlkampf mit der NPD, ProNRW und den rechtsradikalen Splitterparteien auseinanderzusetzen. Bei dieser Auseinandersetzung genügt es nicht eine ernst gemeinte Kritik des Nationalismus und des Rassismus der rechtsradikalen Parteien zu üben, die jedoch vor dem gesellschaftlichen Kontext in dem diese Ideologien entstehen halt macht.

 

Man muss sich einerseits mit der bürgerlichen Gesellschaft, die die Grundlagen für diese Ideologien liefert auseinandersetzen, andererseits mit dem deutschen Staat, der selbst rassistische und großmachtorientierte Politik betreibt. Im Rahmen des Wahlkampfes ist es da natürlich besonders interessant, die bürgerlichen Parteien, als Schnittstelle zwischen „Staat“ und „Gesellschaft“ aufs Korn zu nehmen. Und genau das wollen wir mit unserer Demonstration tun. Wir wollen ein Zeichen setzen gegen den Humbug der Wahlen. Und wir wollen die Menschen motivieren, anstatt wählen zu gehen, die Probleme selbst anzupacken. Denn der gemeinsame, breite Widerstand gegen kapitalistische Zumutungen wie Sozialabbau und HartzIV, Gängelung in der Schule, Krieg und Militarisierung, Abschiebung, oder eben die Existenz faschistischer Strukturen, ist das wirksamste Mittel konkrete Verbesserung für das eigene Leben und das seiner Mitmenschen zu erreichen.

 

Vom Rand bis in die Mitte – Kampf den deutschen Zuständen


Eine der Zumutungen, die man als emanzipatorisch eingestellter Mensch, aber vor allem als Mensch, der sogenannten Randgruppen zugeordnet wird (MigrantInnen, Menschen mit Behinderung, JüdInnen, MoslimInnen, Nicht-Heterosexuelle, etc.), über sich ergehen lassen muss, ist das Auftreten organisierter Nazi-Strukturen in Deutschland. In drei Landtagen (Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Bremen) sind rechtsradikale Parteien vertreten und in Ost und West gibt es zahlreiche Nazi“hochburgen“ inklusive „National befreiter Zonen“, also Stadtteilen in denen Nazis das Straßenbild erheblich mitbestimmen. Seit 1990 sind in der BRD 149 Menschen von Nazis ermordet worden. Mit ihrer permanenten Gewalt, ihren (provokativen) Auftritten in den Parlamenten, im Wahlkampf und auf Aufmärschen tragen die FaschistInnen zu einem Klima bei, indem sich vor allem MigrantInnen in Deutschland nicht besonders wohl fühlen können. Das Problem liegt aber noch viel tiefer. Nicht nur, dass laut Studien weite Teile der deutschen Bevölkerung islamophobe, antisemitische und andere rassistische Einstellungsmuster aufweisen, die deutsche Politik mischt gut bei der Stimmungsmache gegen Menschen anderer Herkunft. Nicht nur, dass 1993 als Reaktion auf neonazistische Morde und Brandanschläge gegen AsylbewerberInnenheime vom Bundestag des Grundrecht auf Asyl de facto abgeschafft wurde, nein, pünktlich zum Wahlkampf geht die Hetze weiter. 2008 forderte die hessische CDU jeden nicht-deutschen abzuschieben, der Deutschland beleidige, letztes Jahr ließ sich NRW-Ministerpräsident Rüttgers (CDU) über rumänische ArbeiterInnen aus. Diese seien faul und unzuverlässig. Die Liste lässt sich unendlich verlängern. Ob Thilo Sarrazin (SPD), der aufs übelste gegen türkische und arabische MigrantInnen hetzt, oder Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der 2007 einen italienischen Neofaschisten an die Bochumer Ruhr-Uni einlud, klar ist: Rassismus ist kein Phänomen des rechten Randes und wird letztlich in der Abschiebepolitik der BRD praktische Realität. Dabei gibt die bürgerliche Gesellschaft, die natürlich keinen kritischen Begriff von sich selbst haben kann, den Neonazis ihre Antworten auf die sozialen Probleme vor. Wenn man den Kapitalismus nicht für die steigende Armut verantwortlich machen will, dann müssen es eben „die Ausländer“ sein, die „uns die Arbeitsplätze wegnehmen“. Wenn die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus eigentlich durch dessen innere Grundstruktur bedingt ist, haben die Krise eben „raffgierige Manager“ ausgelöst, die die ehrlichen, hart arbeitenden Deutschen über den Tisch gezogen haben – und schon wittern einige VerschwörungstheoretikerInnen wieder diffuse Aktivitäten eines von Juden kontrollierten Finanzkapitals. Und wer sich die Repressivität und Verlogenheit der bürgerlichen Familie nicht eingestehen will, muss sich eben zurückbesinnen auf „traditionelle Werte“ und gegen „Homo-Ehe“ und anderen „Werteverfall“ hetzen. Hier fungiert die bürgerliche Mitte als Stichwortgeberin und Antreiberin der Nazis.

 

„Sozial ist, was Arbeit schafft“ – wie man an seinem Zynismus ersticken kann


Eine weitere Zumutung ist die Politik des Sozialabbaus und der repressiven Armutsverwaltung der letzten Jahre. Eine sozialdemokratisch-grüne Regierung tat das, was sich die CDU-FDP-Regierung vor ihr nicht traute und brachte eine „Arbeitsmarktreform“ auf den Weg in deren Folge Millionen von Menschen in staatlich verordneter Armut leben müssen. Zudem wurden neue Sanktionsmöglichkeiten (bürokratisch für Strafmechanismen) eingeführt, z.B. zwangsweise verordnete Beschäftigungstherapien. Bei mangelndem Gehorsam gegenüber der ARGE können die staatlichen Leistungen bis zu 100% gestrichen werden. Wer also nicht spurt, verhungert. Dazu kommen amtliche Inspektionen, die in die Privatsphäre der HartzIV-BezieherInnen eindringen und überprüfen sollen, ob diese auch wirklich den Anspruch auf die staatliche Leistung haben. In einem Land, in dem über zwei Millionen Kinder in Armut aufwachsen, sind sich führende Regierungsvertreter dennoch nicht zu schade, weiter gegen Erwerbslose zu hetzen. Mit Unterstützung der Springerpresse begann Außenminister Westerwelle eine Hetzkampagne gegen HartzIV-EmpfängerInnen. Bei den hohen HartzIV-Sätzen lohne sich das Arbeiten in Deutschland nicht mehr. Auf diese Weise versucht die Politik Erwerbslose und Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen gegeneinander aufzuhetzen und auszuspielen, anstatt die sozialen Probleme zu lösen. Anstatt über die massive Armut im Land berichtet die BILD-“Zeitung“ über eine angeblich hohe Zahl an „Betrugsfällen“ bei HartzIV. Dem Bild der „raffgierigen“ Manager wird das Bild der „parasitären“ Armen entgegengestellt. So igelt sich der deutsche „Normalbürger“, oder derjenige, der sich dafür hält, in einem Gut-Böse-Schema ein, das ihn vollkommen aus der Verantwortung für soziale Probleme in Deutschland und der Welt entlässt. Letztlich ist er der ehrlich arbeitende Deutsche, dem alle nur auf der Tasche liegen, dessen Geld die Banker „verzockt“ haben und von dessen Geld die Arbeitslosen „sich n lauen Lenz“ machen. Dabei hat die Politik überhaupt nicht die Handhabe die sozialen Probleme zu lösen. Denn sie ist an die Sachzwänge des kapitalistischen Systems gebunden und arbeitsmarktpolitisch und volkswirtschaftlich ist es durchaus nachvollziehbar, HartzIV-EmpfängerInnen arm zu halten. Auf diese Weise lässt sich ein Billiglohn-Sektor etablieren und der „Standort Deutschland“ bleibt in vielen Branchen attraktiv. Genauso ökonomisch vernünftig ist die Entscheidung mancher Erwerbsloser, zu versuchen, mit dem Hartz-IV-Satz auszukommen, anstatt für ein ähnlich niedriges Einkommen aus Lohnarbeit auch noch Arbeitskraft zu vergeuden. Ohnehin hat der zunehmend verschuldete Staat kaum noch Geld, um es für soziale Belange auszugeben. Und die Parole „Sozial ist, was Arbeit schafft“ ist nicht nur an und für sich widerlich und erinnert zwangsläufig an „Arbeit macht frei“ – angesichts der krisenhaften Entwicklung dieser Tage ist sie besonders zynisch. Denn durch die Dynamik der Konkurrenz und der Produktivkraftentwicklung rationalisiert sich der Kapitalismus seine eigene Grundlage, die Arbeit, weg und kann den Menschen die heißersehnten Arbeitsplätze gar nicht mehr bieten. Heißt: Wo moderne Maschinen es den Menschen ermöglichen könnten weniger zu arbeiten, schaden sie ihnen letztendlich da die Menschen nun “arbeitslos“ sind, im Kapitalismus müssen sie jedoch ihre Arbeitskraft um jeden Preis verkaufen -eine kranke und dumme (Un)logik. Da helfen wohl nur noch Tretmühlensysteme wie HartzIV und Ein-Euro-Jobs. Dieses Bewusstsein erlangt übrigens jede Partei, wenn sie einmal an der Regierung ist. Auch DIE LINKE, wie man an der Sozialabbau- und Abschiebepolitik in Berlin sieht, wo sie an der Regierung beteiligt ist.

 

Produktion von Humankapital und Resteverwaltung


Junge Menschen werden in dieser Gesellschaft besonders hart rangenommen. Ab dem Alter von 6 Jahren müssen alle ein staatliches Formungsprogramm namens „Schule“ durchlaufen. Ohne große Wahlfreiheit, was man lernen möchte und ohne Berücksichtigung indivueller Fähigkeiten werden junge Menschen gezwungen zu lernen und zu leisten. Danach wird in Form von Noten über sie gerichtet. Klar ist, dass das ganze Spiel nicht einfach der Aneignung einer Bildung dient, die SchülerInnen zu klugen und selbstbestimmten Menschen macht. In erster Linie wird ein Gehorsams- und Arbeitsethos gelehrt, um die Menschen für die Arbeitswelt zu formen, oder wie man es in der Schule euphemistisch nennt „vorzubereiten“. An die Hand bekommt man dabei allerlei Wissen, was man in den Mühlen der Verwertung gebrauchen, oder nicht gebrauchen kann. Entscheidend ist jedoch, dass man lernt, Leistung zu bringen, ohne einen praktischen Zweck dahinter erkennen zu können. Einfach aufgrund der Abhängigkeit des eigenen Lebens davon. Besonders stark ist der Leistungsterror in Gymnasien, in denen Kinder zumeist „deutscher“ und oftmals besser verdienender Eltern darauf zugerichtet werden, Spitzenleistungen zu bringen, um später im Studium und auf dem Arbeitsmarkt eine Chance haben. Die Ellbogengesellschaft, die in diesen Schulen unter den SchülerInnen entsteht ist beträchtlich und eine direkte Folge davon. Diejenigen, für die der Arbeitsmarkt heutzutage nicht mehr viel zu bieten hat, werden in Hauptschulen verwaltet. Viele HauptschülerInnen bekommen keinen Ausbildungsplatz und es wird ihnen eingeredet, sie selbst seien daran Schuld. Ohne soziale Perspektive ist die Anpassung an anti-individuelle Leistungsanforderungen der Schule noch sinnloser und wird dementsprechend häufig verweigert. Das wird in der bürgerlichen Presse als „Verrohung“ der Sitten, oder als Überfremdungsproblem dargestellt. Über den rassistischen Charakter dieser Gesellschaft, in der Kinder mit Migrationshintergrund häufig auf Real- und Hauptschulen geschickt werden, kaum jedoch auf Gymnasien, macht sich niemand Gedanken. Genau so wenig über den Zynismus, Menschen vor die Perspektivlosigkeit zu stellen und ihnen dann noch Leistung und Gehorsam abzuverlangen. Auch hier zeigt sich übrigens, dass Wahlen diesem Problem nicht abhelfen können. SPD und Grüne, die die Bildungspolitik der schwarzgelben Landesregierung in NRW anprangern, haben in ihrer Regierungszeit das sozial selektive und rassistische dreigliedrige Schulsystem vehement verteidigt. Nun werfen sie der CDU und der FDP ihre eigene verfehlte Bildungspolitik vor. Und selbst eine Veränderung des dreigliedrigen Systems würde immer noch nichts an Gängelung, Leistungsterror und Perspektivlosigkeit ändern. Dagegen hilft nur der gemeinsame Kampf auf der Straße, wie er 2009 zum Beispiel mit den beiden Bildungsstreiks praktiziert wurde.

 

Wir haben keine Wahl – Widerstand statt Wahlkrampf


Vor die Wahl gestellt zwischen reaktionären, marktradikalen und offen rassistischen Parteien wie CDU und FDP, oder den verlogenen Alternativen SPD, Grüne und LINKE, müssen wir als AntifaschistInnen und Linksradikale den Schluss ziehen, dass wir der Wahl lieber fernbleiben. Wir können auf ein zweites rot-grün in Land und Bund verzichten. Wir können darauf verzichten zuzusehen, wie sich auch die Linkspartei der Sozialabbau- und Abschiebepolitik anschließt, wie sie es in Berlin längst getan hat. Parlamente und Regierungen haben nur die Handhabe kapitalistische Zustände zu verwalten, nicht aber die Zumutungen, die uns dieses System aufbürdet zu durchbrechen. Denn das würde dem Staatshaushalt und der Volkswirtschaft gleichermaßen schaden. Der Widerstand gegen kapitalistische Sachzwänge, gegen Entsolidarisierung und rassistische Hetze kann nur von einer breiten Bewegung in den Betrieben, Schulen und vor den Arbeitsämtern kommen. Und natürlich aus der linksradikalen Bewegung. Lasst uns den herrschenden Zuständen unsere Vorstellung einer Gesellschaft jenseits von Staat und Nation, sowie Arbeit und Kapitalakkumulation entgegensetzen. Einer Gesellschaft der sinnlichen Vernunft, in der Bewegungsfreiheit und Menschenrechte für alle gelten und in der über die Produktivkräfte gemeinsam nach den Kriterien der optimalen und gerechten Versorgung aller Menschen entschieden wird und nicht nach den Kriterien von Profit und Verwertung. Lasst uns selbstbestimmte Bildung für mündige Menschen propagieren und nicht eine Verbesserung der repressiven Bildung für bessere Karrierechancen. Und lasst uns diesen Widerstand hier und jetzt praktizieren, um hier und jetzt soziale Verbesserungen zu erreichen. Lasst uns für einen flächendeckenden Mindestlohn streiken, auch wenn er der Volkswirtschaft schadet. Je eher der Kapitalismus über Bord geht, desto besser. Lasst uns vor den ARGEn Terror machen, damit die Leute ihr Geld rechtzeitig ausbezahlt kriegen und dafür kämpfen, dass Gängelungsmaßnahmen unterbleiben. Lasst uns die Nazis aus unseren Städten und Stadtteilen verjagen und ihrem Rassismus eine emanzipatorische Gegenkultur entgegensetzen. Lasst uns Abschiebetransporte blockieren und diejenigen, die an Kriegen profitieren angreifen. Und lasst uns am 10. April in Bochum einen Teil zu all dem beitragen, in dem wir auf die Straße gehen gegen den Humbug der Wahlen, den Nazis den Mittelfinger zeigen und die bürgerlichen Alternativen demaskieren.

 

Raus auf die Straße – gegen den Humbug der Wahlen – für eine solidarische Gesellschaft!

 

 

 

P.S.: National-, Partei- und Religionsfahnen sind wie immer auf unseren Demonstrationen unerwünscht.

 

Antifaschistische Jugend Bochum

http://ajb.blogsport.de

 

 

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Guter Aufruf, is immer schön was vernünftiges aus dem Pott zu lesen. Interessant wäre es nur zu wissen wann und wo genau man zu erscheinen hat, wurde das vielleicht vergessen?

- werden dann auch auf dieser demo wieder alle kritischen demonstrantInnen abfotografiert und müssen damit rechnen von euch ins netz gestellt zu werden?

 

- stellt die rote antifa duisburg wieder die erste reihe und zahlreiche ordnerInnen und prügelt abermals auf antifaschistInnen ein, die ihre mackerhafte haltung (nicht nur auf demos) kritisieren?

 siehe auch: http://interventionen.blogsport.de/

 

vermutlich schon. deshalb werden wir (achtung, keine anti-ds!) nicht nach bochum kommen. ist ja nicht das erste mal, dass ihr leute mit euren stalinistischen methoden abschreckt. sieht man ja bei den gera-demos, die ihr für eure ideologie vereinnahmt...