Wieso sollte es dem Braunkohlewiderstand schaden, wenn er es schafft Europas größte Kohlemine für drei Tage still zu legen?

Symbolbild Diskussionen

Wieso sollte es dem Braunkohlewiderstand schaden, wenn er es schafft Europas größte Kohlemine für drei Tage still zu legen? Was heißt diese Lesart für den Widerstand? Laut Presseberichten und einem Bekenner_innenschreiben auf Indymedia haben Leute vor ein paar Wochen den Stromanschluss des Tagebaus Hambach angezündet und diesen dadurch eine ganze Weile lang außer Betrieb gesetzt. Verletzt wurde dabei niemand und nach Angaben der Bekenner_innen auch nicht gefährdet, aber ganz schön rein gehauen hat's wohl.

Dass die bürgerliche Presse und Parteien aller Couleur das nicht feiern, wundert nicht, was aber – jedenfalls uns – wundert, sind die Reaktionen und Distanzierungen die so aus dem Widerstand selbst kommen

 

 

Was ist geschehen?


Sonntag morgen brach das Feuer aus: „Gegen 3.35 Uhr stand der komplette Tagebau still, wie am Montag bekannt wurde.“ (Alle, auch die kommenden Zitate aus der Aachener Zeitung)

Irgendwann am Nachmittag ging das erste Gerät wieder in Betrieb: „Den Hauptkohlebagger konnten wir bereits am Sonntagnachmittag wieder in Betrieb nehmen.“

Nach etwa 36 Stunden war der Tagebau wieder zu gut einem Drittel in Betrieb: „Bis Montagabend sollten drei der acht Gerätegruppen, bestehend je aus einem Schaufelradbagger und einem Absetzer, wieder an Netz gehen.“ Aber: „Bis der Tagebaubetrieb wieder normal läuft, werde jedoch noch einige Zeit vergehen.“ Denn: „Aufgrund des plötzlichen Spannungsabfalls kann es auch zu Schäden an den Großgeräten gekommen sein. Alle elektrischen Anlagen müssten deshalb aufwendig überprüft werden.“

Dass die bürgerliche Presse und Parteien aller Couleur das nicht feiern, wundert nicht. Hier ein paar der deutlichsten Beispiele:

„Wer das getan hat, der hat dem Protest gegen die Braunkohle gezielt geschadet.“

“[…] zeigen einige Chaoten, was sie von diesen und anderen Initiativen für eine Auseinandersetzung auf demokratischem Boden halten: nichts. Für sie zählt offenbar nur, ohne Rücksicht auf Verluste möglichst viel zu zerstören. Die Gefährdung von Menschen wird in Kauf genommen.”

“Anarchie ist keine Alternative.”

“Glaubwürdig und als Diskussionspartner ernst genommen werden aber sicher vermehrt nur diejenigen, die sich von kriminellen Taten und Brandstiftern eindeutig und klar distanzieren.”

“Natürlich kann man in der Diskussion um die Energiewende die Meinung vertreten, es müsse alles schneller gehen, schneller raus aus der Braunkohle. Aber, bitte schön, mit Hirn und Verstand.”

“Starkstromkabel in Brand gesetzt. Hierbei brachten die Aktivisten nicht nur sich selber, sondern auch die Einsatzkräfte der Feuerwehr in Gefahr. Der Anschlag ist der traurige Höhepunkt der Proteste der letzten Monate. Immer wieder kommt es rund um den Tagebau zu Einsätzen der Polizei, die gegen die Aktivisten vorgehen muss.“


Was aber – jedenfalls uns – wundert, sind die Reaktionen und Distanzierungen die so aus dem Widerstand selbst kommen. Zitieren können wir sie an dieser Stelle nur noch teilweise, da ein Teil der geposteten Distanzierungen und Theorien mittlerweile wieder gelöscht wurden.

Auf der Seite des Hambacher Forstes war zunächst spekuliert worden, ob die Aktion überhaupt stattgefunden hat und wenn ja, ob nicht RWE die Kabel selbst angezündet hat.

Vor allem das Letztere ist krass. Da schreibt ein Kommentator (der ursprüngliche Blogartikel im selben Tenor ist mittlerweile gelöscht) – aus dem radikalen Widerstand, der Name ist bekannt:

    „Ich gehe schwer von einer False Flag Attacke und moeglicherweise Versicherungsbetrug aus. Ich will hier niemandem die Schuld zuweisen, viel mehr will ich zum Nachdenken anregen – Wer weiss schon, wer es wirklich war? Wer Profitiert von den Anschlaegen? RWE nicht (Schadenbehebungsaufwandt) und die HFB Akitivisten auch nicht (129a/erhoehung der Raeumungsgefahr/Entsolidarisierung/Repressionssteigerung). Bis auf die „friedliche Initiative pro Braunkohle“ faellt mir niemand ein, der von den Anschlaegen profitiert. (Medienarbeit/ggf Zulauf)“ (Rechtschreibfehler im Original)

und außerdem:


„Es ist nicht zu übersehen, dass radikale Aktionen den Tagebau schwer behindern. Bei mir persönlich stößt das auf sehr gemischte Gefühle. Mir machen die Aktionen vor allem Angst. Das bei den Staatlichen Interventionsversuchen vor allem unschuldige getroffen werden, hat sich jüngst bei den Durchsuchungen von Wiese und WAA am 11.04.2016 gezeigt.“


Dass jedoch die Repression keine Folge der jetzigen Aktion ist, sondern schon länger gegen den unbequemen Widerstand läuft, zeigt sich schon daran, dass die Durchsuchung vor dem Brand stattfand. Das sollte auch nicht wundern, denn der Widerstand um den Hambacher Forst ist RWE seit Jahren ein Dorn im Auge und jeder effektive Widerstand trifft irgendwann auf staatliche Repression.


Klar ist es legitim Angst zu haben und es ist davon auszugehen, dass es jetzt gewissen Leuten gewaltig in den Fingern juckt, irgendwen für die Sache einzusperren. Was uns an der ganzen Argumentation aber stört, ist einerseits der reine Bezug auf machtpolitische Überlegungen. Das wem-nützt-was-Spiel könnte den Hirnwindungen irgendeines Parteifunktionärs entsprungen sein. Die schlichte Tatsache, dass die Grube tagelang nur auf einem Bruchteil ihres normalen Leistungsniveaus betrieben werden konnte und damit Umwelt und Klima weniger zerstören konnte – immerhin ein messbares Erfolgskriterium - , fällt völlig hinten runter. Wir wollen damit nicht sagen, dass Aktionen, die nicht direkt in den „Normalbetrieb“ eingreifen per se nutzlos wären, weil auch sie eine enorme diskursive Wirkung entfalten können, wenn sie gut gemacht sind. Es stellt sich aber doch die Frage, ob diese Art des direkt sichtbaren Erfolgs möglicherweise deswegen nicht oder kaum wahrgenommen wird, weil eine solch unmittelbare Wirkung von Aktionen (also im klassischen Sinne „direkten“ Aktionen) sehr selten vorkommt. Und andererseits, spannender eigentlich, wenn wir schon wem-nüzt-was spielen: Warum kommen die Menschen, die nicht im Rheinland hocken, wie beispielsweise die Einwohner_innen von Tuvalu nicht in den Überlegungen vor? Wie kommen denn die Erwägungen, wem das was nützt zu Stande? Warum soll es dem Widerstand schaden, wenn er Erfolg hat? Als handle es sich bei der These, solche Aktionen schadeten dem Widerstand um eine normative, also unstrittige Sache, wird garnicht erst begründet, worin der Schaden für „den Widerstand“ bestehen soll (abgesehen vom Anstieg der Repression, was allerdings zwingend immer eine Antwort auf effektiven Widerstand ist, der die Regeln des Bestehenden verletzt, weil er das Bestehende zu überwinden versucht).


In dem Bekenner_innenschreiben heißt es dazu:


„Unsere Aktion richtet sich nicht nur gegen RWE, sondern auch gegen die herrschenden Verhältnisse. In einer Welt, in der Kapitalinteressen im Vordergrund stehen und der Machtapparat seine kurzsichtigen Interessen rücksichtslos gegen jede Vernunft, sowie gegen Mensch und Natur durchsetzt, ist ein radikaler Widerstand von Nöten. Wir wollen diesem System ein klares “NEIN” entgegenstellen, als ersten Schritt um diese Machtverhältnisse irgendwann zu kippen.
Die fatalen Auswirkungen des Kohleabbaus und der Kohleverstromung auf Mensch, Natur und Klima sind weithin bekannt. Trotzdem graben sich die Bagger von RWE jede Minute weiter. Wir konnten dies wenigstens für einige Zeit verhindern.

Der Versuch zwischen RWE und dem Braunkohlewiderstand zu schlichten legt die Machtverhältnisse offen. Schlichten heißt den Widerstand aufzufordern weniger radikal, weniger “gemein” zu RWE zu sein oder auch anders gesagt: „der Widerstand darf nicht stören“ und akzeptiert dabei die Existenz von RWE und sein Zerstörungswerk als gegeben. Das heißt die autoritär durch Herrschaft legitimierte Gewalt, die im Abbau und der Verstromung der Kohle liegt, wird akzeptiert, die rebellische Gewalt, die sich dagegen wehrt, erscheint illegitim. Das Ergebnis kann nur eine wie auch immer geartete Bestandsgarantie für RWE sein, die nun auch noch den Segen eines Teils des Widerstandes hat. Des Teils, der sich in das Schlichtungsverfahren hat einbeziehen lassen. Der Widerstand wird in den ausgeschalteten und eingebundenen und den übriggebliebenen und isolierten illegitimen Teil gespalten.

Wenn Leute behaupten, eine solche Aktion würde dem Widerstand schaden, so spricht daraus die Rücksichtnahme auf die Macht der Herrschenden, den Widerstand in gut und böse zu spalten. Böse ist das, was weh tut, wirklich stört und effektiv ist. Der Kölner Stadt-Anzeiger schreibt: “Brandstiftung, Gewalt gegen Menschen, Baggerbesetzungen und sinnlose Zerstörungswut gegen technische Einrichtungen mit dem Ziel, Tagebaue und Kraftwerke lahmzulegen – die Heftigkeit der kriminellen Handlungen nimmt zu.” Dabei sind Besetzungen, Brandstiftungen und Blockaden nicht sinnlos, sondern halten die Zerstörungswut von RWE sehr präzise auf. Was dem Widerstand schadet, ist der Gehorsam vor der Macht und ihren Medien, die versuchen uns zu erzählen was gut und böse ist. Wir sollten auf unser Gewissen und unsere Vernunft hören, nicht auf die Medien.“


Es wirkt auf uns als seien auch Menschen aus dem Widerstand, die unserem Eindruck nach ansonsten Sabotage durchaus auch positiv gegenüberstehen, selbst nicht nur überrascht, sondern überfordert und verängstigt angesichts dieser Dimension und Effektivität der Sabotage. Bliebe dies im Privaten wäre es schon traurig genug, dass dann aber eben dies auch noch veröffentlicht wird ist unsolidarisch, kontraproduktiv und unstrategisch. Unsolidarisch, weil es (jedenfalls wenn die Distanzierungen glaubhaft und keine Tarnung/ Ablenkung sind) klar benennt, von wem die Aktion NICHT ausging und damit der Kreis der möglichen Beschuldigten kleiner wird. Unstrategisch, weil zwar eine Distanzierung erfolgt, ohne jedoch zu benennen, was an dieser Aktionsform nun eigentlich das Andersartige zu bisherigen Aktionen (auf die sich positiv bezogen wurde) sein sollte, was zu einer Distanzierung führen sollte/ könnte. Kontraproduktiv, weil gerade eine vor Ort verankerte Widerstandsgruppe die Legitimität effektiver Sabotage erhöhen kann, wenn sie sich darauf positiv oder mindestens jedenfalls nicht negativ bezieht. Gerade wenn hier verschiedene Widerstandsformen als legitim nebeneinander stehen, ob offene Massenaktion, Waldbesetzung oder Sabotage, kann gemeinsam mehr erreicht werden. Wer beispielsweise einen Blick auf den wendländischen Anti-Atom-Widerstand wirft, wird erkennen, dass die Stärke gerade in der Vielfalt und in der Unberechenbarkeit des Widerstands lag und liegt.


Dass es sich bei dieser Geschichte mitnichten um einen Einzelfall handelt zeigt ein Blick auf die Berichterstattung über ein kurz zuvor geschehenes Ereignis, nämlich die versuchte Fällung eines Strommastes. Die Presse sprach von einer “neuen Stufe der Gewalt” und auf dem Blog der Hambacher Forstbesetzung beeilen sich die Schreibenden zu betonen, dass “die momentanen Verfasser*innen dieses Blogs sowohl mit dem Text, als auch mit der beschriebenen Aktion nichts zu tun” hätten.


Wir als Zusammenstellende und Schreibende dieses Textes halten es angesichts solcher Positionierungen und Spekulationen für notwendig, die altbekannte Debatte um Sinn und Unsinn von Distanzierungen mal wieder aufzuwärmen und hoffen mit diesem Text einen Aufschlag dazu gemacht zu haben.

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Ich glaub ihr gebt dem Kommentar auf dem Hambi-Block ein wenig zu viel gewicht. Jedenfalls ist die Aktion im Anti- Kohle- Widerstand - weit über den radikalen Teil hinaus - positiv wahrgenommen worden. Die Klimabewegung ist ohnehin dabei von der Anti-Atom-Bewegung zu lernen, mit unterschiedlichen Wegen im direkten Widerstand gegen die Konzerne zum Erfolg.

Die Aktion richtet sich vorallem gegen Arbeiterinnen und Arbeiter die Angst um ihre Jobs direkt im Tagebau sowie in Zulieferbetrieben haben. 

Immerhin verdienen diese auch an diesem Verbrechen an Mensch und Umwelt.

Weiß ja nicht, in welch verklärter Welt du lebst / denkst, allerdings ist das nun wirklich ein derart unangebrachtes  Argument, da verschlägt es mir schon fast die Sprache. Mit genau dem Argument werden überall gigantische Mondlandschaften geschaffen, AKWs gebaut und betrieben und sonstige Unvernunft legitimiert. "Bringt ja Jobs für die Region". Ja, Foxcoon schafft auch Arbeitsplätze in Vietnam und Tschechien und ja, jene, welche aus reiner Notwendigkeit sich dort zernutzen lassen müssen haben auch "Angst um ihre Jobs", aber deswegen richten sich Aktionen gegen derartige Betriebe (btw. zu 99% von  den Arbeitenden selbst ausgeführt) nicht gegen die Arbeitenden selbst. Und was ist mit Betrieben, welche Panzer und sonstiges Spielzeug herstellen (z.b. Krauss-Maffai Wegmann), richten sich Aktionen gegen den ganzen militärisch-industriellen Komplex gegen die dortigen Arbeiter_innen? Was ist das überhaupt für eine absurde Festschreibung und Identifizierung der "Arbeiterinnen und Arbeiter" auf ihre Rolle als Arbeiter_innen und Arbeiter? Was für ein verkacktes Old-School-"Revolutionäres"-Subjekt soll das den bitte sein? Das Industrieproletariat als qua leninistischem Schwachsinn bestimmte Avantgarde in historischer Mission? Wirklich, es geht nicht in meinen Kopf, wieso es einige immer noch nicht verstanden haben, dass der Kampf GEGEN die machtvollen Zuschreibungen und Zuweisungen der Arbeitenden als Arbeiterklasse geführt wird, dass es um die Überwindung dieser Kategorie geht, um die Selbstüberwindung der Arbeiterklasse(n) als Arbeiterklasse(n) und damit zur Umwälzung einer jeden Gesellschaftsformationen. Endlich ohne diesen ganzen Revolutionären Subjekt-Scheiß denken und handeln, bzw. anti-identitär, anti-repräsentativ und anti-hegemonial als strategische Ziele bestimmen.

 

Dementsprechend komplett unverständlich, wieso sich von der Aktion distanziert wird und sich auf das Spiel der bürgerlich-repressiven Gesellschaft eingelassen wird.

zusammenschließen, wenigstens gewerkschaftlich (fau-iaa, wobblies oder so, nicht dgb usw, denn die sind pro kohle) oder noch besser gleich bzw direkt(e aktionsmäßig) ganz anders organisieren.

aber wer sich gern vom "arbeit-geber" rwe usw ausbeuten läßt und keinen plan von der politischen ökonomie bzw der politik der ökonomie und deren dimensionen usw hat kriecht eben weiter durch den nebel der kapitalistischen finsternis aus menschen- und naturzerstörung.

und die Realität mal so locker ausstechen kannst. Weil, so schloss er messerscharf

Die Partei Die Linke wir immer weniger gewählt, dafür legt die AFD immer mehr zu, die anderen Parteien sind genauso mies zu der unteren Klasse und zu der Natur. 

Bitte geben Sie nicht auf. Die politisch aktiven Menschen oder auch die Widerständischen sind die einzigen Menschen die es ehrlich und gerecht für alle verschiedene Menschen meinen. Sie machen sich so viel Arbeit und es gibt viel zu tun. Vielen Dank an diese. Ich finde es sehr gut indymedia und diese anarchistische Zeitung zu lesen.

Solidarität ist eine Waffe. Habe ich früher nicht vestanden. Also, meine Solidarität und mein Herz haben Sie und ärgern Sie sich nicht über andere Kommentare. Griechenland schreibt hier auch, die erklären das auch politisch sehr sachlich bzw. mit mehr Ahnung als ich. Von daher alles in bester Ordnung.

Sabotage ist Untergrundarbeit,

richtig ausgeführt hoch effektiv.

 

"Gewalt" (auch nur ein Wort!) ist mehrheitlich eine  Frage der Definition bzw. der Macht, deren Definition grade gilt -

ist es nicht auch Gewalt, die Braunkohle zu verstromen und fleißig weiter Umweltschäden zu befeuern oder Menschen in omineuse "Gefährderlisten" zu brandmarken?

Physische Gewalt gegen Menschen ist hingegen fast immer negativ, dort sollte man die Grenze ziehen.

 

Was wirklich wichtig ist...bei allen möglichen und unmöglichen Aktionsformen:

 

Es ist unser gemeinsamer Widerstand!