Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit unter Beobachtung des Berliner Geheimdienstes

Erstveröffentlicht: 
21.10.2015

Netzpolitik.org zugespielte, vertrauliche Dokumente belegen: Das LKA Berlin versorgt den Verfassungsschutz in Form so genannter Verlaufsberichte und Gefährdungsbewertungen regelhaft mit personenbezogenen Daten von Menschen, die Demonstrationen oder Kundgebungen in Berlin anmelden oder daran teilnehmen. Davon sind häufig auch Versammlungen betroffen, die jenseits der ohnehin fragwürdigen gesetzlichen Aufgabengebiete des Geheimdienstes liegen. Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Herta Sassenbach.

 

Zugespielte Dokumente und eigene Recherchen von netzpolitik.org zeigen, dass auch in Berlin eine rege Weitergabe polizeilicher Informationen an den Geheimdienst „Verfassungsschutz“ stattfindet. Die Übermittlung von Daten zu Versammlungen erfolgt dabei sowohl im Nachgang als auch im Vorfeld der Veranstaltungen. Dabei bleibt sowohl das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als auch die Versammlungsfreiheit auf der Strecke. Sind von der Übermittlung auch Vereine oder Parteien betroffen, wird damit indirekt auch in die Vereinigungsfreiheit eingegriffen.

 

Verlaufsberichte und Datenbanken – die polizeiliche Protokollierung von Versammlungen

Bundesweit (siehe zum Beispiel Niedersachsen, Sachsen und Thüringen) werden von der Polizei nach fast jeder Demonstration oder Kundgebung ausführliche Protokolle über deren Verlauf verfasst. Diese so genannten „Verlaufsberichte“ enthalten eine mehr oder weniger akkurate Schilderung des Ablaufs der Versammlung, statistische Daten zu den eingesetzen Polizeikräften und etwaige Vorkommnisse wie beispielsweise polizeiliche Maßnahmen (Identitätsfeststellungen oder Festnahmen). Darüber hinaus wird aus ermittlungstaktischen Gründen häufig auch die Anwesenheit von Presseorganen oder besonderen Personen (Abgeordnete, „VIPs“) festgehalten. Die von der Polizei gesammelten Informationen werden u.a. dem Inlandsgeheimdienst zur Verfügung gestellt. Einige Verwaltungsgerichte haben diese Praxis als rechtswidrig eingestuft.

 

Die in solch einem Bericht enthaltene Beurteilung des Verlaufs eines Protestes erfolgt selbstverständlich aus subjektiver Sicht der jeweiligen Polizeibehörde und in der Regel ohne, dass Teilnehmer*innen beziehungsweise Anmelder*innen der Versammlung irgendetwas davon erfahren. In Berlin werden die Anmelder*innen seit 2004 außerdem in einer so genannten „Veranstaltungsdatenbank“ (VDB) für drei Jahre auf Vorrat gespeichert. Die grundrechtlich verbriefte Auskunft zu dieser fragwürdigen Erfassung personenbezogener Daten liefert die Polizei allerdings erst seit 2013.

 

Als positives sowie negatives Beispiel veröffentlichen wir hier einen Verlaufsbericht aus dem Jahr 2011 zu einer Kundgebung der Initiative „Pro Guttenberg“, der standardgemäß per E-Mail auch an den Berliner Geheimdienst (auch bekannt als Abteilung II in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport) weitergeleitet wurde. Zwar sind im Text diesmal entgegen der üblichen Praxis keine sensiblen personenbezogenen Daten enthalten, allerdings werden die anwesenden Medienvertreter*innen von ARD, RBB und RTL darin pauschal als „Vertreter der linksorientierten Presse“ bezeichnet – eine kritikwürdige polizeiliche Unterstellung, die sich dann vielleicht auch der Verfassungsschutz in seinen Akten zu eigen macht:

 

Die Unmutsäußerungen und die polizeilichen Maßnahmen wurden intensiv durch Vertreter der linksorientierten Presse verfolgt.

Ein weiterer Verlaufsbericht aus Niedersachsen zeigt, wie weit die polizeiliche Begutachtung einer Versammlung hinsichtlich der Parteizugehörigkeit ihrer Teilnehmer*innen gehen kann:

Im Rahmen der Überwachung der Kundgebung konnten 7 Personen festgestellt werden, die mit Überzügen (Westen) der „Piratenpartei“ ausgestattet waren.

Gefährdungsbewertungen – wie „lautstarker Protest“ zur Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung wird

Doch auch im Vorfeld von Versammlungen werden sensible Informationen an den Geheimdienst übermittelt. Dabei schreckt man in Berlin nicht davor zurück, vollkommen störungsfreie Demonstrationen oder Kundgebungen zu denunzieren. Die staatsschützerische Beurteilung von Versammlungen steht dabei in einem Spannungsfeld: Einerseits möchte die Polizei nicht zuviele Kräfte für die „Betreuung“ einer Demonstration binden, andererseits besteht aus Gründen der persönlichen und strukturellen Risikominimierung ein starkes Eigeninteresse, eine Versammlung nicht harmlos erscheinen zu lassen. Diese Strategie hat für die Beamt*innen einen großen Vorteil. Wird eine Veranstaltung als zu gefährlich geschätzt und es kommt deshalb ein massives einschüchterndes Polizeiaufgebot zum Einsatz, dann kann im Nachgang immer gesagt werden: Nur weil es das Aufgebot gab, ist nichts passiert. Bei einer als harmlos eingestuften Veranstaltung, die dann eskaliert, wird der Staatsschutz später schlecht dastehen und dann eventuell polizeiintern verantwortlich gemacht.

 

Die Gefährdungsbewertungen werden u.a. von so genannten Auswerteeinheiten des Berliner Staatsschutzes (beispielsweise LKA 52 AE) auf Basis von öffentlich zugänglichen Informationen („Internet“, Flugblätter etc.) und eigenen Quellen erstellt. Diese Quellen können einerseits Polizeidatenbanken wie INPOL, POLIKS, VDB usw. aber auch Erkenntnisanfragen bei anderen Behörden sein. Andererseits verfügt die Polizei über ein Netzwerk von verdeckten Ermittler*innen und Informant*innen (V-Leute), die Daten und Einschätzungen über geplante Versammlungen liefern können. Dabei ist keineswegs sicher, dass die zur Gefährdungsbewertung herangezogenen Informationen korrekt sind. Stellenweise bereitet sogar die korrekte Schreibweise von Namen den Beamt*innen Schwierigkeiten.

 

Uns sind drei solcher Dokumente zugespielt worden, die allesamt als „VS – nur für den Dienstgebrauch“ mit dem besonderen Zusatz „um restriktive Steuerung wird gebeten“ eingestuft sind. Jede dieser Gefährdungsbewertungen ist samt sensiblen personenbezogenen Daten auch an den Berliner Geheimdienst weitergegeben worden, wie der jeweils abgedruckte Verteilerkreis „SenInnSport II B“ belegt. Dies lässt den Schluss zu, dass die Weitergabe der Bewertungen eine Standardpraxis des LKA darstellt.

In der Gefährdungsbewertung zu einer (Fahrrad)demonstration stadtteilpolitischer Gruppen unter dem Motto „Mittendrin statt außen vor“ werden die Namen der Anmelder*innen und teilweise weitere sensible Informationen der Beteiligten an den Geheimdienst gemeldet:

Am 18.03.2011 wurde er als Beschuldigter eines Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz festgestellt. Er meldete sich als Versammlungsleiter eines nicht angemeldeten Aufzuges zum Thema Anti-Atom (200 Personen – keine Störungen).

Einige Sätze deuten auch darauf hin, dass Informationen möglicherweise aus nichtöffentlichen Quellen stammen:

Diese Personen haben auch nicht vor, in einem eigenen Block vertreten zu sein.

Im Dokument zu den Kundgebungen gegen Videoüberwachung, soziale Kontrolle und Polizeipräsenz ist auffällig, dass sogar das Geburtsdatum und der Geburtsort des Anmelders an den Verfassungsschutz übermittelt wird. Auch sind im Rahmen dieser Gefährdungsbewertung offensichtlich weitere Veranstaltungen wie ein Kameraspaziergang einer anderen Gruppe in den Fokus der Polizei geraten:

Diesbezüglich liegen dem LKA 522 weder weiterführende Erkenntnisse noch eine Anmeldung vor.

Auch werden Informationen aus polizeilichen Datenbanken ganz selbstverständlich an den Geheimdienst übermittelt:

Der Anmelder und Leiter der Kundgebung trat bisher sowohl allgemeinpolizeilich als auch staatsschutzrelevant in Erscheinung (diverse Platzverweise, Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte)

Dass solche Angaben häufig auf die unzulässige Weiterspeicherung eingestellter Ermittlungsverfahren zurückgehen und daher eigentlich nicht übermittelt werden dürften, stört die Berliner Staatsschutzbeamt*innen dabei nicht.

Die dritte Gefährdungsbewertung betrifft eine Demonstration gegen den Überwachungsstaat. Unter dem Motto „Bestandsdatenschnüffelgesetz stoppen!“ hatten am 14.04.2013 bundesweit ganz überwiegend Teilnehmer*innen der Piratenpartei gegen die Einführung einer Abfragemöglichkeit von Telekommunikationsbestandsdaten protestiert. In Berlin war dem Staatsschutz dabei sogar bekannt und speicherwürdig (in der VDB als „MdA Piraten-Partei“), dass ein Abgeordneter der Piratenfraktion daran teilgenommen hat. Nur war der zahme Protest der Piraten offenbar zu „lautstark“, denn in der Beurteilung für eine Folgeversammlung am 27.04.2013 kommt das LKA dann zu folgender Einschätzung:

Die Teilnehmer, dürften sich hauptsächlich aus Bürgerrechts- und Datenschutzorganisationen, Mitglieder der Piratenpartei und engagierten Einzelpersonen zusammensetzen. Im Rahmen der Versammlung sind Flugblattverteilungen wahrscheinlich, die auf den Umstand zum Bestandsdatengesetz machen sollen. Vor dem BMI und dem Kanzleramt ist in diesem Zusammenhang ein lautstarker Protest ebenfalls wahrscheinlich (3 von 8).

Welche Schlüsse der Inlandsgeheimdienst aus den übermittelten Daten gezogen hat, ist wegen der dortigen Geheimniskrämerei leider nicht bekannt. Informationen dazu nehmen wir gern auf den üblichen Kanälen entgegen.

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Diese Staatschutzscheisse muss echt diskutiert und bekämpft werden. Wieviel nimmt sich die Polizei und Geheimdienst eigentlich noch raus. Die gesetzliche Trennung von beiden Behörden wird zudem ad absurdum geführt.

Dass der LKA-Staatsschutz personenbezogene Daten an den Berliner Verfassungsschutz (Abteilung II Sen. f. Inneres und Sport) weitergibt, ist bereits daraus ersichtlich, dass es regelmäßig zu Versuchen der Kontaktaufnahme durch den VS kommt - und zwar auch gegenüber v. Personen, gegen die bislang nicht strafrechtlich ermittelt wird. (Irgendwoher muss der VS ja wissen, welche Personen als V-Leute in Betracht kommen, wo sie wohnen etc.) Aus öffentlich zugänglichen Informationen stammen solche Daten in der Regel nicht, obwohl das nach Gesetz die einzige Informationsquelle (außer: V-Leute) des VS sein dürfte.