Lernen, aufbauen, kämpfen – Auf nach Kobane

Azadi

Wir, einige radikale Linke aus verschiedenen politischen Traditionen, haben uns entschlossen im Zuge einer Arbeitsbrigade nach Kobanê zu reisen. Wir wollen den Wiederaufbau der symbolträchtigen, kurdischen Stadt im Norden Syriens, mit unserer Hände Arbeit unterstützen. Wir schließen uns dem Aufruf der International Coordination of Revolutionary Parties and Organizatons (ICOR) an, die in Koordination mit der kurdischen Lokalverwaltung dazu aufruft, in Kobanê ein Krankenhaus zu errichten. (1) Um das zu ermöglichen haben wir jetzt eine Crowdfunding gestartet unter http://igg.me/at/azadi/x/11466827

 

Der Widerstand der Volksverteidigungskräfte YPG und der autonomen Fraueneinheiten YPJ sowie der internationalistischen Kämpfer_innen ist für uns nicht nur bewundernswert, sondern gibt uns auch Hoffnung in unseren eigenen Kämpfen hier in Deutschland. Sie haben unter Einsatz ihres Lebens Rojava gegen den Angriff der Terrorbanden des “Islamischen Staates” (IS) und anderer dschihadistischer Milizen, wie der Al Nusra Front, verteidigt.

In einer vom Bürgerkrieg zerrissenen Region hat die kurdische Regionalverwaltung der Partiya Yekitîya Demokrat (PYD) mit breiter Unterstützung der Bevölkerung einen Aufbauprozess in Gang gesetzt, der uns unterstützenswert erscheint und zu dem wir beitragen wollen. Gleichzeitig aber erscheint uns der Aufbau einer Arbeitsbrigade nach Kobanê auch als Chance für unsere eigenen Kämpfe zu lernen.

Wir wollen im folgenden kurz auf die Gründe eingehen, warum wir den Aufbau der demokratischen Autonomie in Rojava unterstützen. 

 


 Eine politische Idee jenseits ethnischer und religiöser Spaltungslinien 

Die gewaltsamen Auseinandersetzungen im Irak, Syrien, aber auch generell im gesamten Nahen und Mittleren Osten sind in eine Periode eingetreten, in der von verschiedenen Milizen ethnische und religiöse Spaltungslinien in den Vordergrund gerückt werden. Der IS macht Jagd auf Jesiden, Christen, Alawiten und Schiiten. Schiitische Milizen im Irak wiederum begreifen generell Sunniten als ihre Feinde, Al Nusra vergreift sich an Schiiten und Alawiten. 

Eine Perspektive in diesem Gewirr an religiös und ethnisch motivierten Milizen kann nur eine strategisches Projekt bieten, das eine politische Idee formuliert, sich also an alle Menschen, unabhängig von Ethnie oder Religionszugehörigkeit, wendet. “JedeR verfügt über das Recht, seine/ihre ethnische, sprachliche,geschlechtliche, religiöse und kulturelle Identität zu leben”, heißt es im Gesellschaftsvertrag von Rojava in Artikel 23a. Die allererste Formulierung der Präambel des Gesellschaftsvertrags bekundet: “Gegen die Ungleichbehandlung der Religionen, Sprachen, des Glaubens und der Geschlechter.” (2) Ähnlich beschrieb Seydo Azad, Kommandant einer intenationalen Brigade, seine Eindrücke: “Rojava ist ein kosmopolitischer Ort; hier leben Christ_innen, Araber_innen, Turkmen_innen und Kurd_innen. Und dass alle diese Völker unter einem Dach frei leben können, dass Religions- und Sprachunterschiede kein Problem darstellen und alle gemeinsam eine neue Gesellschaftsordnung zu schaffen versuchen, all das macht das Besondere in Rojava aus.” (3) 

Nur durch die Überwindung der Spaltungslinie anhand religiöser und ethnischer Kriterien wird es in einer Region wie Syrien oder dem Irak überhaupt eine Aussicht auf das Ende des Blutvergießens geben. Genau das sehen wir in der politischen Idee, die die Bewegung in Rojava vorschlägt, gewährleistet. 


Demokratische Selbstverwaltung und Rätestrukturen 

Darüber hinaus entwickeln die Genoss_innen in Rojava, inmitten einer unglaublich schwierigen Situation, Ansätze demokratischer Strukturen, die über diejenigen der bürgerlichen Demokratie hinausgehen. Die Selbstverwaltung in Rojava ist nach Prinzipien gegliedert, die der in der Arbeiter_innenbewegung klassischen Form von Rätestrukturen ähnlich ist. “Die Räte reichen von den rund 25 Personen umfassenden ‘Kommunen’ als Basiseinheit über Stadtviertel und Stadträte bis zum mehrere Hundert Delegierte umfassenden Volksrat von Westkurdistan”, beschreibt der Journalist Nick Brauns den Aufbau der demokratischen Organe Rojavas. “Die Räte kontrollieren die städtische Infrastruktur, sie kümmern sich um Müllbeseitigung und Energieversorgung. Volksbäckereien sollen die Versorgung der unter den Folgen eines Embargos leidenden Bevölkerung sicherstellen und Gesundheitsstationen bieten kostenlose ärztliche Betreuung an.” (4) 

Von Genoss_innen und Freund_innen vor Ort wissen wir, wie schwierig es sich unter den Bedingungen des Krieges gestaltet, ein ambitioniertes Projekt wie dieses aufrecht zuerhalten. Umso bewundernswerter ist es, wie der Aufbau dieses Projektes unter den gegebenen Umständen fortgesetzt wird. 


Der Kampf der kurdischen Frauen 

Ein weiterer zentraler Punkt des gesellschaftlichen Aufbauprozesses in Rojava ist die Selbstorganisation von Frauen. Während in den von Dschihadisten eroberten Gebieten die Situation junger Frauen von Übergriffen, Vergewaltigungen, Zwang und gewaltsamer Unterordnung geprägt ist, wird in den von der PYD und ihrer Schwesterpartei PKK administrierten Gebieten Wert auf die Befreiung vom Patriarchat gelegt. “Das wichtigste Ziel unseres Kampfes ist die Befreiung der Frau. Wenn die Frau in diesem Sinne Kraft gewinnt, heißt das, daß die Gesellschaft frei wird. Sie ist das Maß für die Entwicklung der Gesellschaft und die Garantie dafür. Wenn das Leben in der gesellschaftlichen Realität Kurdistans einen Sinn haben soll, muß diese Dimension der Freiheit erreicht werden. Deswegen führen wir diesen Krieg”, erklärte Abdullah Öcalan, der für PYD wie PKK als Vordenker gilt. 

Dementsprechend besteht etwa die Hälfte der PKK-Guerilla aus Frauen, Frauen vertreten ihre Interessen in eigenen Rätestrukturen und kämpfen in eigenen Frauenguerillaformationen (in Rojava unter dem Namen Yekîneyên Parastina Jin (YPJ)). Wichtige Posten sind immer doppelt besetzt, mit einem Mann und einer Frau. 


Internationalismus neu erfinden 

Doch bei unserer Reise nach Rojava geht es uns auch um uns selbst. Viele von uns arbeiten seit langem mit der kurdischen und türkischen Linken zusammen. Die Erfahrungen, die wir mit diesen Bewegungen machen konnten, waren immer lehrreich für unsere eigenen Kämpfe hier in Deutschland. Internationalismus muss unserer Ansicht nach als gelebte Solidarität, als tatsächlicher gemeinsamer Kampf neu in der deutschen Linken verankert werden. Dazu wollen wir einen kleinen Beitrag leisten. 

Was in Rojava geschieht, ist letztlich offen. Der Prozess ist unabgeschlossen und er wird sicherlich auch dadurch beeinflusst, welche Strukturen sich dort einbringen. Dazu kommt, dass die Verheerungen der gesamten Region maßgeblich auf die seit vielen Jahrzehnten andauernden imperialistischen Interventionen westlicher Staaten zurückgehen. Die Angriffe der USA auf den Irak, die Förderung dschihadistischer Bewegungen durch Washington, Riad und Ankara, aber auch die Unterstützung der deutschen Regierung für den Jahrzehnte dauernden Krieg der türkischen Regierung gegen die kurdische Bewegung sind nur einige Beispiele dieser Eingriffe. Gerade hier entsteht für die radikale Linke eine Verpflichtung zur internationalistischen Organisierung des Kampfes und zur realen Vernetzung mit anderen kämpfenden Bewegungen, egal ob in Griechenland, der Türkei oder Rojava. 


Anmerkungen 

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nix gegen eure ehrenwerten reisepläne, aber meint ihr nicht, dass die da vielleicht nicht unbedingt auf ein paar linke hände einiger übermotivierter deutscher schreibtisch-linker (unterstellung, ich weiß..) gewartet haben und möglicherweise selbst genug arbeitskräfte haben, es aber am geld mangelt?

meint ihr nicht, dass die kohle, die ihr jetzt für reise, flüge usw. raushaut direkt vor ort hilfreicher wäre als eure linken hände voller daumen?

Ich habe letztens mal gehört, dass qualifizierte Arbeitskräfte fehlen. Wenn da also Leute darunter sind, die z. B. was handwerkliches gelernt haben kann ich mir schon vorstellen, dass das nützlich ist.

Arbeitsbrigade ? Wollt ihr dem IS die Straße kehren ?

Bei der derzeitigen Offensive des IS (er ist wieder in Kobane eingerückt) ist eine solche Aktion mehr als selbstmörderisch.

 

Was die Verteidiger Kobanes brauchen sind Soldaten, Kämpfer, Krieger

Bereit sein für eine Sache zu sterben ist schön und gut, aber viel wichtiger ist es dafür auch zu Töten. 

 

Die Kämpfer des IS sind kampferprobt, gut bewaffnet, ausgebildet und nicht nur bereit zu Sterben, sondern auch mehr als bereit zu töten.

Wenn ihr nicht mindestens Gleichziehen könnt, ist das eine Verschwendung von Mensch und Material.

los, noch mal zurück ans reißbrett

Du hast offensichtlich keine Ahnung: Der IS ist in ganz Rojava in der Defensive. Daran ändern auch kurzfristige Massaker- / Selbstmordkommandos wie das vom 26.6. in Kobane nichts (das du vermutlich mit "wieder eingerückt meinst".)..

Zugegeben, sie marschieren nicht über den Marktplatz von Kobane. Dennoch sind erneut Kämpfe in unmittelbarer Umgebung ausgebrochen.

 

Hier einige entsprechende Links  (Vorsicht, diese Links können gewaltsame Bilder enthalten, die für einige Menschen nicht geeignet sind)

 

http://www.liveleak.com/view?i=2b3_1436876736

 

https://twitter.com/USEmbassySyria :

 

"4 Airstrikes near #Kobani hit 2 tactical units, 2 vehicles, 2 fighting positions, a mortar position, and 5 bunkers."

 

http://www.breakingnews.com/topic/syria-uprising/

 

http://www.newsnow.co.uk/h/?JavaScript=1&lang=&search=Kobane


 

Weil die in der Defensive sein sollen heißt dass, dass sie besiegt werden können ?

 

Im Vietnamkrieg war der Vietcong auch völlig in die Defensive geraten. Aber am Ende waren doch die westlichen Mächte die Verlierer.

Der IS muss nicht gewinnen. Er ist bereits etabliert. Und je länger dieser Krieg dauert, desto besser und vor allem Skrupelloser werden die Kämpfer. 

Sowohl die des IS, als auch die Kurden.