Langes Nachspiel zum Spitzeleinsatz im "Berliner Sozialforum" ... Prozess am 18.6.

Spitzel

Neun Jahre nach der im Jahre 2006 bekannt gewordenen Spitzelaffäre um das „Berliner Sozialforum“ verhandelt das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin erneut über die Auskunftsklage gegenüber dem Verfassungsschutz. Seit der Gründung im Jahr 2003 bis zum Sommer 2006 haben mindestens fünf V-Leute des Bundes- und des Landesamtes für Verfassungsschutz den mittlerweile aufgelösten Zusammenschluss von Initiativen und politischen Gruppen ausgeforscht.

Die Berliner Initiative für ein Sozialforum begriff sich als Teil der der weltweiten globalisierungskritischen Bewegung. Diese fand ihren praktischen Ausdruck in Gipfelprotesten und Zusammenschlüssen von lokaler bis zur globalen Ebene. Hier kamen Akteur*innen aus unterschiedlichen politischen Strömungen zusammen, die verschiedene Aktionsformen präferierten und unterschiedliche strategische Zielsetzungen gemeinsam verfolgten. Neue Räume der Emanzipation und Kooperation wurden damit eröffnet. Genau dies schien den VS als Teil des repressiven Staatsapparats besonders zu interessieren. Es galt aus seiner Sicht zu beobachten, inwieweit "linksextremistische" und linksliberale AkteurInnen eine Herrschaft infrage stellende gesellschaftliche Kraft bilden können oder auch nicht. Dabei waren rechtliche Grenzen sekundär.

Nach der nichtssagenden Auskunft des Verfassungsschutzes verklagten einige der Aktiven das Land Berlin. Dieses rühmte sich, seit 1990 ein „fortschrittliches“ Gesetz zu haben, das die Auskunft über vom Verfassungsschutz gesammelte Daten regelt. Die Kläger*innen erlangten so auch 2008 in der ersten Instanz vor dem Verwaltungsgericht Berlin einen Teilerfolg. Die Richter*innen argumentierten, dass es nicht ausreiche, eine Auskunft über gespeicherte und gesammelte Informationen pauschal zu verweigern. 2011 entschied in zweiter Instanz das Oberverwaltungsgericht Berlin, dass der Verfassungsschutz weiter reichende Informationen weiterhin verweigern darf. Dieses Urteil hatte vor dem Bundesverwaltungsgericht keinen Bestand. Nunmehr soll in einer vierten Verhandlung in der Sache erneut vor dem OVG entschieden werden.

Wir halten wie viele andere Gruppen und Organisationen den Spitzeleinsatz nach wie vor für rechtswidrig. Mit dieser Klage gegen das Land Berlin wollen wir auch auf juristischem Wege dagegen vorgehen, dass Akteneinsicht in diesen Vorgang verhindert wird. Wir erwarten dass das Gericht vor dem Hintergrund der NSU- und anderer Affären den Verfassungsschutz jetzt in die Schranken weisen wird. Unterstützt die Beteiligten durch Euer Erscheinen.

Prozess am 18. Juni 2015 beim Oberverwaltungsgericht Berlin,
Hardenbergstraße 31, 9:30 Uhr, Saal 320.
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Damals gab es ja mehrere Spitzel im Sozialforum, ungeklärt ist weiterhin in wessen Auftrag die unterwegs waren. Seltsam ist z.B. das Auftreten von Stephan Humer: https://linksunten.indymedia.org/de/node/79105. Der wohnt in Charlottenburg und profiliert sich nun als Experte zu "Linksterrorismus". Was suchte der damals in linken Zusammenhängen? Wird das im Prozess thematisiert?

Habt ihr ne Adresse?

selbst wenn sh ein spitzel war: das gericht sagt nix http://www.heise.de/tp/news/Rueckschlag-fuer-die-informationelle-Selbstb...

LANGES NACHSPIEL DES SPITZELEINSATZES IM BERLINER SOZIALFORUM

Lange ist es her: Im Sommer 2006 hatte der Spiegel enthüllt, dass die
politische Arbeit des Berliner Sozialforums systematisch durch Spitzel
des Landes- und des Bundesverfassungsschutzes ausgespäht wurde. Trotz
des angeblich so fortschrittlichen Berliner VS-Gesetzes waren alle
Anträge auf Akteneinsicht pauschal mit dem Hinweis auf Quellenschutz
abgelehnt worden. Deshalb hatten mehrere Aktivist*innen der Inititative
Klage gegen das Land Berlin eingereicht. Das Verwaltungsgericht Berlin
wies 2008 den Berliner Verfassungsschutz in seine Grenzen. Der
zuständige Richter argumentierte, dass es nicht ausreiche, eine
Auskunft über gespeicherte und gesammelte Informationen pauschal zu
verweigern. Nicht alle mit nachrichtendienstlichen Mitteln gewonnenen
Informationen würden grundsätzlich Geheimnisschutz genießen, wie es der
Verfassungsschutz bislang offenbar sieht. 2011 entschied in zweiter
Instanz das Oberverwaltungsgericht Berlin, dass der Verfassungsschutz
weiter reichende Informationen weiterhin verweigern darf. Dieses Urteil
hatte vor dem Bundesverwaltungsgericht keinen Bestand. Nunmehr wurde in
einer vierten Verhandlung in der Sache erneut vor dem OVG verhandelt.

Mit dem heutigen Urteil hat das OVG die Klage auf Aktenauskunft erneut
abgewiesen. Dass der Verfassungsschutz ein breites politisches Bündnis
mit fünf Spitzeln ausspionierte ist absurd. Noch absurder ist aber,
dass den Bespitzelten hartnäckig ihr demokratisches Recht auf
Akteneinsicht verweigert wird. Dies kommentierte der Kläger Wilhelm
Fehde wie folgt: „Es ist skandalös, dass auch nach der NSU-Affäre die
Richter noch meinen, dass die Geheimdienste vor den Menschen geschützt
werden müssten und nicht umgekehrt.“ Der Politikprofessor Peter Grottian
vermutet, dass die Sammelwut des Dienstes kaum noch fortgeführt werden
könnte, wenn durch Akteneinsicht deren Lächerlichkeit offensichtlich
werden würde.