Der Neupack Streik / Veranstaltungsbericht aus Zürich(Schweiz)

Streik heißt die Devise!

Wenngleich der Streik der Beschäftigten des Verpackungsherstellers "Neupack" in Hamburg und Rothenburg lange her ist und nicht das gewünschte Ziel (nämlich ein Tarifvertrag) erkämpft wurde, so hat er doch auch eine spannende Geschichte zu erzählen aus der sich hoffnungsvolle , neue Betriebskämpfe entwickeln könnten. Der nun folgende Text ist ein Erfahrungsbericht einer Genossin aus dem "Solikreis Neupack" anläßlich einer Veranstaltung in Zürich.

 

Veranstaltungsbericht:
Das ist unser Streik! Neun Monate Arbeitskampf bei Neupack

Auf Einladung der Tierrechtsgruppe Zürich, des Revolutionären Aufbau Schweiz, des Netzwerk Arbeitskämpfe und der Partei der Arbeit Zürich haben am 16. Mai 2015 ca. 35 VeranstaltungsteilnehmerInnen in den Räumlichkeiten des Züricher Vereins „Mozaik“ den Film „Das ist unser Streik“ geschaut. Der Film dokumentiert den von November 2012 bis Juli 2013 dauernden Arbeitskampf bei Neupack. Neupack ist ein mittelständisches Verpackungsunternehmen mit Produktionsstätten in den norddeutschen Städten Hamburg und Rothenburg, bei dem ca. 200 ArbeiterInnen – überwiegend im Niedriglohnbereich – beschäftigt sind. Bei unserem Filmabend waren der Neupack-Betriebsratsvorsitzende Murat Günes und ein Mitglied aus dem Soli-Kreis Neupack, Christin Bernhold, zu Gast. Der Soli-Kreis ist ein Bündnis aus Einzelpersonen aus unterschiedlichen politischen Zusammenhängen und Traditionen, die sich mit den Streikenden und ihren Forderungen solidarisiert haben. Wenngleich als Filmvorführung mit anschließenden kurzen Vorträgen konzipiert, zielte die Veranstaltung ausdrücklich darauf ab, Fragen aufzuwerfen, Diskussionen über Ziele von und mögliche Probleme in Arbeitskämpfen zu führen und Erfahrungen auszutauschen, die für kämpfende KollegInnen und GenossInnen in der BRD wie in der Schweiz von Bedeutung sind. Diese Gelegenheit wurde von einem interessierten Publikum in einer knapp zweistündigen Diskussion genutzt.

„Das ist nicht irgendein Film, sondern eine Dokumentation der Streikrealität“ (Murat Günes)
Zum Teil folgten die ZuschauerInnen dem etwa 60 Minuten dauernden Film von Hajo Rieckmann und Puschki Aalders mit offenen Mündern – nicht nur aufgrund der bewegenden Berichte über die miserablen Arbeits- und Lohnverhältnisse bei Neupack, die für die Organisation des Streiks ausschlaggebend waren. Eindruck hinterließ auch, wie die KollegInnen diesen Arbeitskampf auf die Beine gestellt haben. Rieckmann und Aalders halten fest, dass sie es geschafft haben, Spaltungen u.a. entlang verschiedener Nationalitäten in der Belegschaft aufzuheben und ein gemeinsames Interesse zu formulieren: „Wir wollen einen Tarifvertrag!“ Schikane im Betrieb und ungleiche Löhne für gleiche Arbeit – das wollten sie nicht mehr auf sich sitzen lassen. Es könne nicht angehen, dass man für 10 Cent Lohnerhöhung pro Jahr „am besten noch auf die Knie fallen und Dankeschön sagen musste“, äußert eine Kollegin im Interview. Sei man krank gewesen, habe man die Lohnerhöhung ohnehin vergessen können. „Bis zum Streik änderte sich da nichts. Und deswegen habe ich gesagt: So, jetzt ist Schluss. Ich geh mit raus.“
Auch die Unsicherheiten bezüglich der Vorgehensweise im Streik kommen in einigen Szenen zum Ausdruck – immerhin führten die meisten Beteiligten zum ersten Mal in ihrem Leben einen Arbeitskampf. Eine Kollegin reflektiert vor laufender Kamera: „Wie geht ein Streik, was macht man da? Was muss ich machen, um ein Ziel zu erreichen? Keiner wusste was.“

Auf der Gegenseite wusste man schon eher, was zu tun ist. Die Filmemacher halten auch die Rigidität fest, mit der der Neupack-Eigentümer Krüger von Beginn an gegen die zuständige Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) und gegen die streikenden KollegInnen vorging. Er demonstrierte durchweg, dass er kein Sozialpartner ist und auch keiner werden würde, sondern selbstbewusst sein Klasseninteresse vertritt. Jegliche Verhandlungen über die Hauptforderung der Gewerkschaft, einen Haustarifvertrag, lehnte er ab. Er überzog die Streikenden mit Kündigungen und Mahnungen und engagierte LeiharbeiterInnen aus Polen als StreikbrecherInnen, um sich so im Betrieb eine B-Mannschaft aufzubauen.

Die IG BCE hingegen war nicht bereit, auf Krügers Klassenkampf von oben entsprechend von unten zu antworten. Nach drei Monaten Vollstreik, als die Lager bei Neupack nahezu leer- und die StreikbrecherInnen nicht ausreichend eingearbeitet waren, um das Geschäft am laufen zu halten, versuchte die Gewerkschaft nicht etwa, den Druck zu erhöhen und so Verhandlungen über einen Tarifvertrag zu erzwingen. Sie schickte statt dessen die KollegInnen wieder in den Betrieb und ließ sie nur noch an wenigen Tagen die Arbeit niederlegen. Diese Taktik wurde als „Flexistreik“ bezeichnet. Der Betriesbsratsvorsitzende Günes hingegen bezeichnete sie als „Flexiverarschung“. Denn die Streikenden selber, das zeigen im Film festgehaltene Diskussionen, hatten sich unter dem Flexistreik etwas anderes vorgestellt als die IG BCE. Sie wollten nicht Krügers Lager auffüllen und die StreikbrecherInnen einarbeiten, was sie nach Abbruch des Vollstreiks de facto taten. Sie wollten das flexible „Rein- und Rausgehen“ einerseits nutzen, um KollegInnen im Betrieb vom Streik zu überzeugen. Andererseits wollten sie „flexibel“ zur Arbeit gehen, wenn sie Krüger dadurch eine Doppelbelegung einbrocken und wieder streiken, wenn die Maschinen gerade warm gelaufen sind. So sollte effektiver ökonomischer Druck auf Neupack ausgeübt werden. Doch im Film ist deutlich zu sehen: In der Hand einer Streikleitung, die sich als Partner der Unternehmers versteht und gar keinen Druck ausüben WILL, konnte eine solche Streiktaktik nicht zum Erfolg führen. Sie wurde von der IG BCE vielmehr genutzt, um den Streik abzuwürgen. Zahlreiche Sequenzen zeigen, dass die KollegInnen sich gedemütigt fühlten, als sie die Arbeit wieder aufnehmen sollten, ohne irgendetwas erreicht zu haben. Eine Ansprache Jan Eulens (IG BCE) am ersten „Flexistreiktag“ sorgte unter den ZuschauerInnen im „Mozaik“ ergo für ungläubiges Gelächter: „Mit dem Reingehen in den Betrieb macht ihr euch nicht klein, sondern ihr seid ganz groß.“


„Es ist nicht so, dass wir als IG BCE täglich mit dem Thema Streik zu tun haben“, gibt Jan Eulen während einer aufgezeichneten Kundgebung zu. Es ist aber auch nicht so, dass die kämpferischen Vorstellungen der KollegInnen in den Überlegungen der IG BCE Berücksichtigung gefunden hätten. „Wir sind IG BCE. Ihr müsst auf uns hören, was wir vorhaben mit Neupack – nicht ihr. Ihr müsst uns fragen“, beschwert sich entsprechend einer der betroffenen Kollegen lautstark bei einer Diskussion im Streikzelt, dem Treffpunkt der streikenden Neupack-ArbeiterInnen direkt neben dem Fabrikgelände. Ralf Becker (Landesbezirksleiter Nord der IG BCE und Verhandlungsführer der Gewerkschaft im Streik bei Neupack) hingegen vertritt im Interview: „In einem funktionierenden Arbeitskampf geht Demokratie nicht mehr sehr sauber.“ Doch gemessen an den Forderungen hat der Arbeitskampf nicht einmal funktioniert – vielleicht gerade WEIL die Streikenden nicht konsultiert wurden. Der Haustarifvertrag konnte nicht durchgesetzt werden. Stattdessen hat Neupack-Chef Krüger kleine Zugeständnisse in Lohn- und einigen anderen Fragen gemacht, die allerdings nicht über das Niveau des „Angebots“ an den Betriebsrat hinausgehen, das er bereits vor dem Streik gemacht hatte.

 

Eine angeregte Diskussion...
Im Anschluss an den Film berichtete Günes, der auch nach dem Streik wieder zum Vorsitzenden des Betriebsrates gewählt wurde, zunächst von der aktuellen Situation. Krüger setzt den Klassenkampf fort – er versucht, Teile des Betriebsrats und diejenigen KollegInnen loszuwerden, die den Streik nach wie vor richtig finden. In der Belegschaft ist die Stimmung laut Günes heute nicht so, wie im Film zu sehen ist. „Leider sind sie heute nicht so kämpferisch.“ Die KollegInnen seien wieder im Alltagsleben angekommen, Spaltungen nähmen wieder zu und auch die Schikane im Betrieb gehe weiter. Derzeit gebe es z.B. mehrere Kündigungsschutzverfahren gegen Mitglieder des Betriebsrates. Zudem treibe Krüger weiterhin seine Spielchen und nutze es als Taktik, einige Leute gezielt zu „verwöhnen“, andere zu drangsalieren und so die KollegInnen gegeneinander auszuspielen.

Eine positive Entwicklung sei, dass es bei Neupack (anders als vor dem- und während des Streiks) eine Betriebsgruppe gebe. Auch wenn der Betriebsrat mal nicht mehr so zusammengesetzt sei wie heute, könnte so die Arbeit im Betrieb fortgesetzt werden.
Günes stellte heraus, dass es bei zukünftigen Streiks einer breiteren Solidarität bedürfe. Neupack habe gezeigt, dass man in Zukunft nicht mal eben „kurz vor's Werktor geht und damit schnell einen Arbeitskampf gewinnt“. In diesem Zusammenhang betonte er auch die Bedeutung des Soli-Kreises.
Dieser hat sich nicht nur wöchentlich mit den Streikenden in der Streikjurte zu Diskussionen zusammengefunden, sondern auch direkte Unterstützung geleistet – z.B. früh morgens am Streiktor. Einige aus dem Soli-Kreis waren für die KollegInnen immer ansprechbar, haben gemeinsam Schichten im Streikzelt geschoben, an verschiedenen Orten Soli-Aktionen gemacht, den Streik in linken Medien und durch Veranstaltungen bekannt gemacht usw. „Wir hätten auch noch mehr gemacht, wenn man uns gelassen hätte“, betonte Christin Bernhold in der Diskussion. Aber beispielsweise Besuche bei Zuliefererbetrieben von Neupack habe die IG BCE erfolgreich verhindert.
„Ohne den Soli-Kreis hätten wir den Streik nicht so lange durchführen können“, meinte Günes, denn die Erfahrung, die einige erfahrene GenossInnen mit Arbeitskämpfen haben, sei von großer Bedeutung. Ein Genosse etwa habe immer gut „den Blutdruck der Gewerkschaft messen“ können und oft gewusst, auf welche Schritte man sich als nächstes einzustellen habe.


Allerdings wurde auch über die Grenzen der Solikreisarbeit diskutiert. Christin gab zu bedenken, dass die Streikenden zwar klare Forderungen gegenüber der Gewerkschaft formulierten – sie wollten keine „Flexiverarschung“ und sahen Krüger im Gegensatz zur IG BCE nicht als Sozialpartner. Allerdings wurden diese Forderungen gegenüber der Gewerkschaft nur vereinzelt, nicht aber organisiert artikuliert. Ein Solikreis könne eben eine Betriebsgruppe bzw. eine funktionierende Orga-Truppe der Streikenden nicht ersetzen. Zudem sei eine breite Unterstützung der linken „Szene“ zum Beispiel aus dem Umfeld der Roten Flora in Hamburg schlicht ausgeblieben. Obwohl der Streik von großer Bedeutung war und so lange gedauert hat, haben weite Teile der Hamburger Linken morgens vor den Werktoren oder bei Soli-Aktionen auf sich warten lassen. Auch die IG BCE und andere DGB-Gewerkschaften haben ihre Mitglieder nicht mobilisiert, um den Streik aktiv zu unterstützen. Günes berichtete ergänzend, Krüger habe kurz nach Streikbeginn gerichtlich durchgesetzt, dass die Streikenden das Werktor nicht bzw. nur 15 Minuten pro Tag blockieren dürfen. Strafen von bis zu 250.000 € wurden angedroht. Es wäre aber, unter der Voraussetzung einer breiteren Unterstützung von außen, durchaus möglich gewesen, etwa die Zufahrtsstraßen zu blockieren. Anstatt genau so etwas zu organisieren, hat die Gewerkschaft jedoch larmoyant wiederholt, dass ihr die Hände gebunden seien und nur ein einziges Mal ihre Mitgliedschaft zum Werktor mobilisiert: An dem Tag, als sie die Neupack-Belegschaft wieder in den Betrieb schickte.

 

...mit einigen Kontroversen
Im Verlauf des Abends gab es auch einige Kontroversen, die für eine angeregte Diskussion sorgten. Etwa in der Einschätzung, warum der Streik mit einer Niederlage endete, gab es Differenzen. Während ein Diskutant einwandte, die Streikenden seien von ihrer eigenen Gewerkschaft besiegt worden, betonten andere, dass man erstens ohne die Gewerkschaft überhaupt nicht streiken könne und dass zweitens diejenigen, die die Streikenden bekämpft haben, die Neupack-Chefs gewesen seien. Die Gewerkschaft habe zu Beginn des Streiks ernsthaft das Ziel verfolgt, bei Neupack einen Haustarifvertrag durchzusetzen, meinte Christin. Nachdem das allerdings nicht so leicht möglich gewesen sei, habe die SPD-dominierte IG BCE sich nicht mehr gegen den klassenbewussten Krüger durchzusetzen gewusst bzw. das auch politisch nicht gewollt. Die Neupack-Chefetage habe die um sozialen Frieden bettelnde Gewerkschaft vor sich hergetrieben – und die habe wiederum die Streikenden vor sich hergetrieben. Eigentlich müsse es andersherum funktionieren: Die Streikenden müssten die Gewerkschaft dazu bringen, ihre Forderungen gegenüber dem Klassengegner durchzusetzen. Dazu bedürfe es jedoch erst einmal einer Organisierung der Streikenden, die diese nicht kollektiv in die Hand genommen haben. „Ein Murat allein reicht eben nicht aus“, ergänzte ein weiterer Diskutant.


Leichte Differenzen gab es auch zum Agieren Krügers. Einige waren der Ansicht, Krüger verhalte sich wie ein Manchester-Kapitalist aus alten Zeiten, bzw. man könne diese Bezeichnung propagandistisch nutzen. Andere betonten hingegen, Krüger sei nicht etwa ein Relikt der Vergangenheit, sondern ein moderner Kapitalist und als solcher auch zu kritisieren. Er habe begriffen, dass die Zeit der Sozialpartnerschaft in der BRD vorbei sei, bekämpfe nun gezielt die Gewerkschaft und gebe den wachsenden Konkurrenzdruck an seine Belegschaft weiter.


Die IG BCE hatte zu Beginn des Streiks angekündigt: „Wir werden an Neupack ein Exempel statuieren, koste es, was es wolle“. Günes betonte, das Exempel habe am Ende Krüger statuiert. Sein agieren sei nicht rein ökonomisch zu erklären - er habe den Streik politisch geführt und gezeigt, wie man als mittelständisches Unternehmen einen Streik gewinnt. Eine Diskussionsteilnehmerin verglich diese Erfahrung mit dem Verlauf des Streiks bei Swissmetal in der Westschweiz. Auch dort habe der Arbeitskampf politische Dimensionen angenommen und der Widerstand des Unternehmers sei nicht allein ökonomischen Interessen zuzuschreiben. Vielmehr sei es auch hier darum gegangen, ein politisches Signal der Abschreckung an die ArbeiterInnenbewegung zu senden. Es sei deshalb auch anzunehmen, dass einzelne Kleinkapitalisten die Kosten für solche Streiks nicht gänzlich allein tragen, sondern finanzielle Unterstützung von anderen Teilen der Bourgeoisie erhalten.


Abschließend wurde noch diskutiert, inwiefern das (fehlende) Streikrecht in der BRD einen Streikerfolg verhindert habe, u.a. weil es Neupack nicht untersagt werden konnte, StreikbrecherInnen über eine polnische Leiharbeitsfirma einzustellen. Es bestand Einigkeit darin, dass dieses Streikrecht zwar ein Problem ist. Allerdings ist es nicht zulässig, die Niederlage bei Neupack allein auf das Streikrecht zu schieben. Erstens hätte der ökonomische Druck auf Neupack durchaus weiter erhöht werden können. Zweitens – und das ist für zukünftige Auseinandersetzungen bedeutend: Rechte zu unserem Vorteil werden nicht erbettelt. Nur Proteste und Streiks, bei denen die Grenzen des Bestehenden gezielt umgangen bzw. überschritten werden, können etwas bewegen.

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