Andere anarchosyndikalistische Gedanken zu den Aktionen in Frankfurt

Der Artikel „Anarchosyndikalistische Gedanken zu den Krawallen von Frankfurt“ schreit nach einer Erwiderung aus den anarchistischen Niederungen. Nach meinen Ausführungen wird man mir vielleicht vorwerfen, es sei gar nicht aus einer anarchosyndikalistischen Perspektive geschrieben worden. Allerdings bin ich per Definition meines lokalen FAU Syndikats Anarchosyndikalist, weil ich die Prinzipien der kaderlosen Arbeiterselbstverwaltung akzeptiere, zur „lohnabhängigen Klasse“ gehöre und monatlich meine Beiträge entrichte. Ansonsten sei der Anarchosyndikalismus als Klassenstandpunkt ideologiefrei.

 

“We revolt simply because, for many reasons, we can no longer breathe.” - Frantz Fanon

 

Die Lage einer Werktätigen in Westeuropa ist sicher nicht vergleichbar mit der kolonialen Unterdrückung. Dennoch mag Frantzs Ausspruch die Stimmung der anonymen „Gewalttäter*innen“ der Sozialrevolten der vergangenen Jahre und eben auch bei Blockupy ganz gut in einen Satz fassen. Hier zu leben, heißt jeden Tag Zeuge oder Betroffen sein von der Selektion und Exklusion der nicht mehr verwertbaren Bevölkerungsgruppen. Immer wieder Zeuge von Schikanen zu sein, nicht zu schweigen (oder manchmal doch) und trotzdem nichts zu verändern. Im Betrieb mit allem geschäftlichen Ernst Schwachsinn zu produzieren und zu vermarkten. Zu schweigen oder sich gewählt auszudrücken, wenn man schreien möchte. Dann wird es innerlich kälter und kälter, die Zähne reiben aneinander. Die Gedanken treiben davon: Einem könnte jetzt einfach die Hand ausrutschen. Jetzt müsste einfach jemand, wenn jetzt jemand...

Es geht ein Mythos um von arbeitslosen „Reisechaoten“, die Spaß an Randale haben, aber das Bild ist Schwachsinn. Seine körperliche Unversehrtheit und Freiheit aufs Spiel zu setzen, Geld in Einwegausstattung zu investieren, etc. gehört nicht zum Katalog der üblichen Freuden der „Idiotenwiese“. Im Gegenteil nehmen wir all diesen Unbill auf uns, häufig als Lohnarbeitende, um für einen Moment unsere Würde wiederzugewinnen, uns für einen Moment der andauernden Administrierung und Verwertung unserer Leben zu entziehen. Das Ergebnis dessen ist eben kein Symbol, das die Verwalter*innen der Bewegung schaffen wollen, sondern ein authentischer Akt der Revolte, der seine eigene Botschaft verbreitet, die durch die allgemeine Hetze in den Medien nur verstärkt wird. Wenn sich einem das Gefühl aufdrängt göbbelscher Tonfall und Pathos habe in Blättern wie der FAZ wieder Hochkonjunktur, dann kann das eigentlich nur für den Erfolg der Aktionen sprechen. Applaus in der etablierten Medienlandschaft, bringt uns keinen neuen Zulauf, sondern zeigt jedem die/der noch nachdenkt nur, dass wir für den bigotten Scheißzustand zu gut verdaulich sind.

Letztendlich geht aber überhaupt nicht um ein entweder oder, Gewalt oder Ungehorsam. Der vorgelegte Text sieht das nicht, sondern verfällt in eine Wadenbeißermentalität. Gewalt würde wenig Mut voraussetzen. Häh? Verletzt werden, Schulden, Knast, Untertauchen... kein Mut? Ungehorsam dagegen soll allumfassend sein (außer Gewalt natürlich), aber ansonsten verschweigt uns der Autor den konkreten Ungehorsam. So bleibt es im Text schwammig und voller Stereotype: Ressourcenverschwendung Blockupy, „taktisches Desaster“, „kalter Symbolismus“ und Verleumdung der Aktivist*innen aufgrund ihrer vermuteten(!) inkonsistenten Lebensentwürfe. Letzteres stellt übrigens einen Klassiker im anarchistischen Spaltertum dar. Die Tatsache verleumdend, dass ein wahres Leben im falschen grundsätzlich unmöglich ist, reibt man sich gegenseitig die notwendigen Inkonsistenzen in der Lebensführung unter die Nase, statt Chancen einer Koexistenz auszuloten. Die anarchistische Bewegung geht ihren Weg durch die Neudefinition unserer Beziehungen, unseres Arbeitsbegriffes, unserer Lebensweisen und Solidarität auf Idiotenwiesen und in Idiotenbetrieben... Manchmal schnurrt es und manchmal knallt es im Karton.

Im übrigen war Blockupy alles andere als ein taktisches Desaster, obwohl sicher viele Fehler gemacht wurden. So fehlte an dem Tag ein umfassenderes Informationssystem, dass mehr Beteiligte selbstständig befähigt hätte sich auszutoben und die Bullen in Atem zu halten. Insgesamt war der Tag offen für verschiedene Aktionsformen ohne gegenseitige Distanzierung. Selbst die gewohnten Distanzierungen der Parteien blieben butterweich und brachten die Journalie in Rage, da die übliche Spaltung in gute und böse Demonstrant*innen so ungewohnt schwer fiel. Die malerische Rauchwolke über der Skyline hätte ruhig länger hängen bleiben können. Sie erinnerte an die Endszene von Fight Club und hat die Revolte mit einer weit sichtbaren, schönen Ästhetik versehen. Die Latschdemo war riesig und entschlossen. Jede Sekte konnte ihre Punkte zum Besten geben ohne, dass man sich zerfleischt hätte. Die National- und Parteifahnen gingen über die Schmerzgrenze hinaus. Irgendwelche Linkskarrierist*innen profilierten sich wie üblich. Aber das haben die Freudenfeuerchen zum Glück wesentlich erschwert. Ansonsten war nichts neu oder ungewöhnlich an der Kravalle. Im Anschluss sind natürlich alle „betroffen“ und spulen ihr bekanntes pathetisches Palaver ab. Die neuesten Überwachungsmaßnahmen und Beschränkungen der Bürgerrechte werden aus den Schubladen gezaubert. Wenn nicht heute, dann bei der nächsten IS-Terrordrohnung. Irgendwo bellt ein Hund.

Dann schrieb das Jaulkätzchen noch etwas von kommunistischen Fehlern in der Weimarer Republik. Deren aufständische Haltung habe die Bevölkerung den Nazis in die Hände getrieben. Die These erscheint sehr konstruiert, obwohl wir letztendlich nur mutmaßen können. Man könnte auch sagen die pazifistische Haltung der FAUD konnte den militanten, autoritären Bewegungen nichts entgegenhalten. Man könnte auch behaupten gerade die aufständische Freiheit an der Basis habe gefehlt, weil die meist UdSSR-hörigen Kader der Basis seit ca. 1920 in den Rücken gefallen sind (Spaltung KPD, KAPD, etc.). Man erinnere sich, dass die UdSSR letztendlich dann in Spanien dem europäischen Antifaschismus ohnehin das Genick brach. Auch hatte der damals dominierende Kommunismus mit den Ereignissen in der UdSSR zu Recht seine Anziehungskraft verloren.

Strategisches Handeln wie in „Die Kunst des Krieges“ setzt steuerbare Massen voraus und verkennt die Dynamik emanzipatorischer Bewegungen. Ich empfehle da eher praktische Lektüre für Bezugsgruppen und konkrete Aktionsformen sowie zur Gewaltthematik: „The failure of nonviolence“ von Peter Gelderloos. Schluss mit dem Spaltertum!

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Danke für diese wichtige Gegendarstellung. Ich meiner anarcho-syndikalistischen Arbeit erlebe ich die Tendenz zur Spaltung in die "friedlichen" Anarchos, die meinen, mit Sobatage und Widerstand im Umfeld der Lohnarbeit wäre es getan, und die, für die die Organisierung im Betrieb nur ein Punkt von vielen ist, an dem wir ansetzen müssen.
Ich glaube nicht, dass wir jemals eine befreite Gesellschaft erreichen können, wenn wir uns dem System nicht auch auf der Straße und mit militanten Aktionen entegenstellen. Wir können den Weg dahin vielleicht ebnen, können und müssen die Leute von der konkreten Möglichkeit unserer Ziele überzeugen. Aber letztlich werden dieser Staat und die Kapitalist*innen nicht klein beigeben, wenn wir die Betriebe übernehmen. Sptestens dann müssen wir bereit sein, unsere erkämpften Freiheiten gegen Staat und Bullen zu verteidigen. Deswegen ist eine einseitige Darstellung anarchosyndikalistischer Praxis völlig unangebraucht. Es braucht beide Seiten, die Organisierung der Lohnabhängigen und die Militanz auf der Straße. Ich sehe nicht, wieso sich das ausschließen sollte.

Dem kann ich mich auch nur anschließen.Danke! für diesen Text und schönes Video!!!Das sollten wir bestimmt mal irgendwann hinbekommen....irgendwann halt.

aus dem autonomen/milianten Spektrum. gut und lesenswert:

 

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