Escheburg – Kein ruhiges Hinterland für Rassist_innen!

Escheburg – Kein ruhiges Hinterland für Rassist_innen!

Unter dem Motto „Rassismus tötet – Dem rassistischen Mob entgegentreten“ fanden sich heute anlässlich des Brandanschlages auf eine Asylunterkunft am Montagmittag, den 09.02.2015 knapp 150 solidarische und antifaschistische Menschen zu einer Kundgebung in Escheburg ein.
Bereits vor Beginn der Kundgebung versuchten weitaus über 150 zu diesem Anlass eingesetzte Bullen durch mehrere repressive Maßnahmen gezielt einzelnen Gruppen die Anreise nach Escheburg zu erschweren. Mit fadenscheinigen Beweggründen wurden einzelne Menschen gezielt durchsucht und dabei völlig willkürlich mehrere Platzverweise ausgestellt. Bereits zu Beginn der Kundgebung versuchte der diensthabende Einsatzleiter Holger Meinke, von der Polizeidirektion Ratzeburg, den angemeldeten Kundgebungsort zu verbieten, sowie das Verteilen von Flugblättern und somit auch den Kontakt zu Anwohner_innen des anliegenden Neubaugebietes zu unterbinden.

 

Dennoch hinderten uns all jene Schikanen im Vorfelde nicht daran, unser Recht auf Protest gegen rassistische Zustände in Escheburg - und überall sonst - wahrzunehmen. Mit fünf Redebeiträgen wurde entschlossen und vehement auf die Situation vor Ort hingewiesen, die am Rand stehenden Anwohner_innen wurden angesprochen und natürlich wurden dann auch die Flugblätter verteilt.

Nach Ende der knapp zweistündigen Kundgebung, wurde ebenfalls noch einmal entschlossen und lautstark durch eine Spontandemonstration unsere Solidarität für Geflüchtete in den Ort hinein getragen.

Solange Menschen rassistische Hetze betreiben, Wohnhäuser angreifen und anzünden, werden wir dagegen kämpfen, die Betroffenen unterstützen und den Täter_innen zeigen, was wir von ihnen halten. Solange Menschen weiter stumpf rassistische Klischees bedienen, sich an der Hetze beteiligen oder sich auch nur im Stillen über die Angriffe erfreuen, werden wir da sein, dagegen vorgehen und dem rassistischen Mob keine Gelegenheit dazu geben, sich formieren zu können.

Refugees Welcome.

Antifaschistische Koordination Lübeck
Antifa Herzogtum Lauenburg

 

 


 

 

Abschlussredebeitrag der Antifa Herzogtum Lauenburg:

 

Hallo ihr Solidarischen oder ihr anderen, die ihr vergessen habt, was Solidarität ist.

Am 9. Februar wurde an diesem Ort, ein Ort, an dem sich Geschichte konkret in der Gegenwart zeigt, ein rassistischer Brandanschlag begangen. Im Jahr 2015. Die Geschichte wiederholt sich und das nicht erst seit dem 9. Februar 2015, nicht erst seit dem 23.11.1992 in Mölln, nicht erst seit...ja wann denn eigentlich?! Und nicht zum ersten Mal stehen wir vor einem solch tragischen Ort, teilweise mit Gänsehaut, mit Wut und einem Anteil Ohnmacht.

Warum jetzt?


Die Erklärungsansätze, die ein Großteil der Presse bspw. über die Pegidazis bereithielt, waren lächerlich. Sie schwallerten von den Ostdeutschen, die's nicht besser wissen, weil sie in der DDR groß wurden. Sie lallten von besorgten BürgerInnen. Helmut Kohl erklärte damals die ersten Brandanschläge von 1992, also vor Mölln, auch durch den Rassismus der Ostdeutschen. Bundesweite Brandanschläge führen diese Begründungen damals und heute ad absurdum. In diesen Annahmen steckt also vor allen Dingen Ideologie und wenig Wahrheit. Und auch die Sorgen der BürgerInnen können schließlich rassistisch sein. Entscheidend ist immer es gut zu verpacken.

Die ersten Aussagen von AnwohnerInnen lassen auf einen verinnerlichten Rassismus schließen. Das Tragische: Sie erkennen ihn nicht einmal mehr. Der Rassismus ist bei all der künstlichen Abgrenzung gegenüber Neo-Nazis mitten in der Gesellschaft. Die sogenannte Mitte, die als das Gesunde und erstrebenswerte gilt, sie ist blind der Gewalt gegenüber, die sie ausführt. Blind gegenüber Unterdrückung und Assimilation, der Menschen ohne deutschen Pass in Deutschland täglich ausgesetzt sind. Das Wort lautet Integration und wird wie ein Gebet immer wiederholt. Letztendlich dürfen sich dann die als Ausländer bezeichneten Menschen einreihen und werden geduldet, von Akzeptanz kann meistens keine Rede sein.

Wir lesen von Kindern, die nicht mehr sicher sein sollen wenn diese Asylbewerber kommen, so ein Anwohner.
WIR würden sagen: Vor allen Dingen lernen Kinder dadurch Rassismus statt Offenheit ...und Misstrauen statt Vertrauen anderen Menschen gegenüber. Aber diese Eigenschaften gehören zur deutschen Geschichte, es ist das altbekannte, das für die AnwohnerInnen, die Pegidazis, die deutsche Politik so wichtig ist. Die eigene Identität als deutsches, als Nation, erhöht auf einen Sockel gesetzt, wird zur vorherrschenden Kultur erklärt, stets darauf aus, das andere abzuwerten.
Das Bild vom zurückgebliebenen Iraker, Kosovaren, Syrer... wir könnten diese Liste ewig weiterführen, sind der Beweis für den Bestand kolonialer Denkmuster in den Köpfen unreflektierter,weißer Mittelschichtsfatzkes. Diesen Rassismus würden diese wiederum gerne nur der Unterschicht zuschieben. Aber enttarnt ist enttarnt. Und so sitzen diese Leute zuhause, voller Wut über Menschen, die angeblich bald über sie herfallen wie die Tiere. Dass ihr Unterbewusstsein das Drehbuch schreibt, das vergessen sie bei all den sogenannten Fakten, mit denen sie aus Zeitung, Fernsehen und Internet gefüttert werden und sich selber füttern. Am Ende könnte da ein Iraker an ihrer Haustür stehen, lächelnd, mit ausgestreckter Hand und sie würden vielleicht doch nur einen Hinterhalt vermuten. Der Verlauf der Geschichte hier begünstigt aber eine solche Situation ohnehin nicht. Dem unreflektierten Rassismus sei Dank... am Ende schiebt man es wieder auf den Ausländer- das Muster ist immer das Gleiche.

Aber da schwingt noch mehr in der Debatte dieser Tage mit. Von Wirtschaftsflüchtlingen ist die Rede, die angeblich „auf unsere Kosten leben“ . Bund und Länder wollen vor allen Dingen Geflüchtete aus dem Kosovo schneller wieder ausweisen können, um die Kapazitäten der Unterkünfte nicht erweitern zu müssen. Dass die Menschen bspw. aus dem Kosovo genügend Gründe für eine Flucht haben, ob nun wirtschaftlich oder nicht, spielt in der Debatte schon gar keine ernsthafte Rolle mehr. Es wird mehr nach Begründungen und Gesetzen gesucht, Menschen vom eigenen Wohlstand auszuschließen.

Der Wohlstand, das merken die Pegidazis, das merken die Neo-Nazis,das merkt sogar die sogenannte Mittelschicht, ist ungleich verteilt. Wer ihnen diesen Wohlstand wegnimmt, das steht fest: „Die Ausländer“ und „Sozial-Schmarotzer“. Die Vokabeln lesen sich heute nur etwas anders als Anfang der Neunziger. Und ohnehin scheint das ein großes Problem: Der deutsche Bürger fällt jedes Mal wieder auf die gleichen rassistischen, nationalistischen oder antisemitischen Muster herein...Hauptsache die Verpackung ist neu und riecht nicht nach extrem rechts.


Und so spitzen sich, gerade eben in Zeiten von wirtschaftlichen Krisen, auch die Verteilungskämpfe um diesen Wohlstand drastisch zu. Während dieser Zeit tritt die hässliche ideologische Fratze mit weniger Make-Up zu Tage und offenbart ihr wahres Gesicht. Es ist die Angst vor sozialem Abstieg, der Kampf um Ressourcen und er wird von Leuten ausgetragen, die einen falschen Feind präsentiert bekommen- aus sich selbst und ihrer Umwelt heraus. Und statt auch Wohlstand für die anderen zu fordern, für eine generelle Umverteilung zu plädieren und den Reichtum zu vergesellschaften, halten sie an dem System fest, das sie ewig um Ressourcen kämpfen lässt. Blind für die darin enthaltene Ungerechtigkeit, zumindest solange sie selbst nicht unter die Räder oder in einen Brand geraten- der Egoismus hat für sie oberste Priorität, er ist zur zweiten Natur geworden.

So schottet sich Deutschland immer weiter ab, bereit seinen Reichtum zu verteidigen. Ein Blick ins Innerdeutsche bringt aber auch hier Klarheit: Ein großer Teil der Menschen arbeitet zu sehr niedrigen Löhnen, in befristeten Verhältnissen, kaum genug um gut über die Runden zu kommen. Der Reichtum ist also ungleich verteilt, die sogenannten Ausländer haben damit schlichtweg nichts zu tun. Die Menschen haben aber damit recht, dass ihnen mehr zustehen sollte. Der Hass schlägt aber aus dem falschen Bewusstsein auf die falschen Leute nieder- die Montagsdemos sind hier ein gutes Beispiel. Und auch der Kommentar einer offeneren und abgeklärteren Anwohnerin, dass die Leute Angst um ihren Stand haben, trifft wohl eher den Nagel auf den Kopf. Die deutsche Mittelschicht ist gefährdet, sie erodiert aufgrund der Krise. Die betroffenen Menschen müssen ihren Hals weit biegen, um die wahren Gründe nicht zu sehen..oder einfach ignorant sein. Das funktioniert so lange wie sie selber nicht handeln müssen, wie es ihnen und ihren Lieben nicht an den Kragen geht. Geraten aber SIE in Not, müssen sie handeln. Und dann verschwindet die Fassade, die Antirassismus so lange betreibt, wie sie es sich leisten kann.

Was bedeutet das für uns, für unser Leben?

Ich hatte anfangs die Ohnmacht erwähnt. Aber jetzt möchte ich auch gerne die Solidarität reinbringen. Sie ist das Gegenmittel zur Ohnmacht, sie ist das Gegenmittel zum Egoismus, sie enthält die Option für das andere, das die Kinder hier so dringend brauchen. Die Solidarität ist, wenn wir sie ernst nehmen, eine starke Waffe. Und auch wenn es so scheiße weh tut, das einräumen zu müssen, muss hier gesagt werden, dass wir dadurch nicht alle Brandanschläge verhindern werden können. Wir werden nicht den alltäglichen Rassismus abschalten können. Wir werden noch oft damit konfrontiert werden, oft mit Repression überzogen werden von Leuten, die nicht einmal ihren eigenen Kontext in der Gesellschaft verstehen. Das ist der Preis, den wir zahlen. Aber das ist auch der Preis, den viele von uns bereit sind zu zahlen. Die Alternative wäre dieselbe Ignoranz, der wir ausgesetzt sind. Die Alternative wäre kapitulieren. Aber was es bringt, kann ich euch sagen: Wir sehen den Rassismus, wir sehen die Geschichte sich wiederholen...wir wissen warum, wir kennen die Muster und wir können sie enttarnen- in uns selbst, in anderen. Wir schreiben die Geschichte, hier mit unserer Anwesenheit. Und es ist eine Geschichtsinterpretation, die sich von der hiesigen abhebt, weil sie nicht das neue Gewand zeigt, in dem die Scheiße immer wieder kommt, sondern ihre Wiederholung, das Kontinuum. Die Psychologie des dritten Reiches, ihre Veränderung und neue Ausprägungsformen haben den Weg in die Gegenwart gefunden und dass Hitler tot ist, trifft eben nur auf den Menschen zu, nicht auf die Ideologie. Aber solange die Fassade hält und die Politik einen Nutzen daraus schlagen kann, solange Nachfrage und Demokratie, also die Mehrheit entscheidet...solange müssen wir benennen, was die Leute nicht sehen. Solange müssen wir Menschen ermächtigen sich selber zu helfen, ihnen Mut zusprechen, für sie da sein und immer und immer wieder den Menschenfeinden zeigen, dass ihre Ideologie eben genau das ist-menschenfeindlich.
Und diese Klarheit sollten wir in unserem politischen Kampf jeden Tag zum Ausdruck bringen, die Sachen beim Namen nennen und uns bewusst machen, dass auch wir die Geschichte sind.


Raum und Zeit gehören zusammen.Wir leben in dieser Zeit und nehmen uns jetzt diesen Raum. Damit er nicht von anderen wieder als Bühne für ein rassistisches Schauspiel genutzt werden kann, das bundesweit aufgeführt wird. Damit die Solidarität aufblitzt, für uns selber,die wir hier sind und andere, die sich uns verbunden fühlen. Und wenn es sein muss, dann belassen wir es nicht bei Zeichen...dann müssen wir handeln. Es ist unsere Verantwortung, weil wir es wissen, weil wir zu dieser Zeit leben und weil wir nicht blind werden wollen gegen die Grausamkeiten, die hier passieren.

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Gut, dass der Brandanschlag nicht in der alltäglichen Infoflut untergeht.