Einleitung [1] „Die Wertform des Arbeitsprodukts ist die abstrakteste, aber auch allgemeinste Form der bürgerlichen Produktionsweise, die hierdurch als eine besondere Art gesellschaftlicher Produktion und damit zugleich historisch charakterisiert wird.“ [2]
In der ersten Nummer von Endnotes beschrieben wir die Entstehung der Theorie der Kommunisierung in den Jahren nach Mai 1968 in Frankreich. Der folgende Text und andere in dieser Nummer stehen in der Tradition dieser Perspektive der Kommunisierung, doch sie sind auch stark beeinflusst von theoretischen Entwicklungen im Bereich der Marxschen Theorie der Wertform und insbesondere von der Tendenz der „systematischen Dialektik“, welche in den letzten Jahren aufgekommen ist [3].
Marx war diesbezüglich klar, dass das, was seinen Ansatz von anderen unterschied und ihn zu einer Kritik eher als zu einer Fortsetzung der politischen Ökonomie machte, die Analyse der Wertform war. In seiner berühmten Darstellung „Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis“ schreibt er:
„Die politische Ökonomie hat nun zwar, wenn auch unvollkommen Wert und Wertgröße analysiert und den in diesen Formen versteckten Inhalt entdeckt. Sie hat niemals auch nur die Frage gestellt, warum dieser Inhalt jene Form annimmt, warum sich also die Arbeit im Wert und das Maß der Arbeit durch ihre Zeitdauer in der Wertgröße des Arbeitsprodukts darstellt? Formen, denen es auf der Stirn geschrieben steht, daß sie einer Gesellschaftsformation angehören, worin der Produktionsprozeß die Menschen, der Mensch noch nicht den Produktionsprozeß bemeistert, gelten ihrem bürgerlichen Bewußtsein für ebenso selbstverständliche Naturnotwendigkeit als die produktive Arbeit selbst.“ [4]
Trotz solchen Aussagen von Marx spielte die Verbindung zwischen der Wertform und dem Fetischismus – die Verkehrung und Umkehrung der Verhältnisse, in welcher die Menschen von den Resultaten ihrer eigenen Tätigkeit beherrscht werden – bis in die 1960er Jahre kaum eine Rolle in der Art und Weise, Das Kapital zu interpretieren. Stattdessen betonten Darstellungen der „Marxschen Ökonomie“ das scheinbar simple Argument der ersten zwei Unterkapitel des ersten Kapitels im Kapital, wo Arbeit als das definiert wird, was hinter dem Wert der Waren steht. Die letzten beiden Unterkapitel des Kapitels – über die Warenform und den Fetischismus – wurden in der Regel als mehr oder weniger verschachtelte Art und Weise der Beschreibung des Marktes betrachtet und einfach schnell mal quergelesen. Dadurch wurde die sorgfältige Art und Weise von Marx nicht untersucht, seine Sichtweise von der klassischen politischen Ökonomie von Ricardo zu unterscheiden [5].
Wenn sich Marxisten auf die „Arbeitswerttheorie“ beriefen, taten sie dies im Sinne eines quantitativen Ansatzes betreffend der Substanz und dem Betrag des Werts und nicht im Sinne der qualitativen Frage der Wertform. Gegen die neoklassische Revolution in der bürgerlichen Ökonomie, welche die Arbeitswerttheorie verachtete, versuchten die Marxisten, den klassischen Standpunkt zu verteidigen, dass Arbeit die Substanz des Werts und dass der Wert die im Produkt enthaltene Arbeit ist. Genau wie die klassische politische Ökonomie kamen die Marxisten nie auf die Idee, die Besonderheit des gesellschaftlichen Prozesses der Reduzierung zu untersuchen, welcher notwendig ist, damit solch quantitative Beträge verglichen werden können. Das heisst, dass sie die Frage genauso wenig stellten, wieso die Arbeit in der Wertform ihres Produkts erscheint und welche Art der Arbeit so erscheinen kann. Doch, gemäss der Beschreibung von Marx, können die daraus folgenden Formen des Geldes und des Kapitals, oder wie die menschliche Tätigkeit die Form der Kapitalakkumulation annimmt, nur verstanden werden, wenn man die Komplexität der Wertform versteht.
Für Marx ist die Wertform ein Ausdruck des Doppelcharakters der Arbeit im Kapitalismus – ihr Charakter als konkrete Arbeit erscheint im Gebrauchswert der Ware und ihr Charakter als abstrakte Arbeit in der Wertform. Obwohl die Wertform historisch dem Kapitalismus eigen ist, bedeutet die Unterlassung, diese beiden Aspekte klar zu unterscheiden, dass die Wertform als ein Ausdruck einfacher natürlicher Arbeit des Menschen betrachtet wird. Arbeit als Inhalt oder Substanz des Werts wurde als körperliche Arbeit betrachtet – als etwas, das von seiner gesellschaftlichen Form unabhängig ist. Hier wird die Substanz als etwas betrachtet, das der Sache natürlicherweise innewohnt, doch für Marx sind die Arbeit und der Wert etwas komplizierter. Der Wert ist ein Verhältnis oder ein Prozess, welcher sich durch verschiedene Formen entfaltet – Geld oder Waren, welche den Arbeitsprozess ausmachen (inklusive der Ware Arbeitskraft), dann das Produkt als Ware und dann wieder Geld – ein Verhältnis seiner Geldform zu seiner Warenform und umgekehrt immer aufrechterhaltend. Für Marx ist also der Wert weder die Verkörperung des Werts in der Ware, noch eine starre Substanz. Es ist eher ein Verhältnis oder ein Prozess, welcher jene beherrscht, welche ihn hervorbringen: Eine Substanz, die gleichzeitig Subjekt ist. In der orthodoxen marxistischen Tradition gab es allerdings niemals die Erkenntnis, dass „abstrakte Arbeit“ eine gesellschaftlich und historisch besondere Formatierung eines Teils der menschlichen Tätigkeit darstellt, welche die Umwandlung menschlicher Wesen in eine Ressource für eine grenzenlose Ausbreitung dieser Tätigkeit und die Umwandlung ihres Resultats in einen Selbstzweck bedingt. Das Verständnis des Werts als lediglich eine – durch das private Eigentum der Produktionsmittel – auferlegte Form auf der Grundlage eines an und für sich unproblematischen Inhalts ging Hand in Hand mit einer Konzeption des Sozialismus als eine vom Staat dirigierte Version einer wesentlich gleichen industriellen Arbeitsteilung, wie sie vom Markt im Kapitalismus organisiert wird. Von diesem Standpunkt aus wird die im Kapitalismus von Marktformen eingeschränkte Arbeit zu einem bewussten Organisationsprinzip der Gesellschaft im Sozialismus.
Eine erwähnenswerte Ausnahme zur traditionellen marxistischen Vernachlässigung der Wertform und des Fetischismus war der russische Ökonom Isaak Rubin. In seinem bahnbrechenden Werk in den 1920er Jahren erkannte er, dass „[d]ie Fetischismustheorie […] die Grundlage der gesamten marxschen ökonomischen Theorie und seiner Werttheorie im Besonderen“ [6] ist und dass abstrakte Arbeit als Substanz des Werts nicht eine „Form als etwas dem Inhalt Äusserliches ist“, „[v]ielmehr wird mit der Entfaltung des Inhalts selbst die Form erzeugt, die schon in ihm verborgen lag“ [7]. Doch Rubins in Russland verbotenes Werk ist lange mehr oder weniger unbekannt geblieben. Von der Orthodoxie – der „marxistischen politischen Ökonomie“ – wurde die Behauptung der bürgerlichen Kritiker nicht bestritten, Marx sei im wesentlichen ein Schüler Ricardos. Viel mehr wurde er auf genau dieser Grundlage als jener verteidigt, welcher endlich Ordnung in die Ricardosche Anerkennung der Arbeit als Inhalt des Werts und der Arbeitszeit als ihre Masseinheit gebracht habe – als Pionier einer mehr oder weniger linkslastigen Ricardianischen Ausbeutungstheorie. Von diesem Standpunkt aus ist die Arbeit etwas fast natürlich im Produkt existierendes und Ausbeutung ein Problem der Distribution ebendieses Produkts – womit die Arbeiter, durch den Staat oder andere Mittel, zur „Lösung“ des Problems Kapitalismus werden, indem sie diese zu ihren Gunsten beeinflussen. Wenn die Ausbeutung eine Frage der Aneignung eines Teils des gesellschaftlichen Produkts durch eine parasitäre herrschende Klasse ist, dann muss der Sozialismus die Form der Warenproduktion nicht zwingend substanziell verändern; er kann sie unter Umständen schlicht übernehmen, die parasitäre Klasse liquidieren und das Produkt gerecht verteilen.
Ein gemeinsamer Hintergrund
Die Vernachlässigung von Form und Fetischismus in der Lektüre des Kapital wurde erst Mitte der 1960er Jahre – teilweise durch eine Wiederentdeckung Rubins – in verschiedenen Ansätzen, die ab und zu als „Wertformtheorie“ etikettiert werden, ernsthaft herausgefordert. Die Debatten über die Feinheiten der Wertform, Fragen der Methodik, Marxens Verhältnis zu Hegel und so weiter kamen zum gleichen Zeitpunkt auf wie die Theorie der Kommunisierung. Sowohl die Wertformtheorie als auch die Kommunisierung drücken eine Unzufriedenheit mit überlieferten Interpretationen Marxscher Werke aus und somit eine Ablehnung des „orthodoxen“ oder „traditionellen“ Marxismus [8]. Für uns gibt es eine implizite Gemeinsamkeit zwischen der Wertformtheorie und der Theorie der Kommunisierung, wodurch sie durchaus produktiv interagieren könnten. Wir werden hier die historischen Parallelen und Gemeinsamkeiten dieser beiden Strömungen untersuchen.
Von der Mitte der 1960er bis Ende der 1970er Jahre war der Kapitalismus weltweit durch intensive Klassenkämpfe und radikale soziale Bewegungen charakterisiert: von den städtischen Ausschreitungen in den USA hin zu den aufständischen Streiks in Polen, von Studentenbewegungen und „Jugendrevolten“ hin zum Umsturz von gewählten oder nicht gewählten Regierungen durch Arbeiterunruhen. Beschleunigte Arbeitsverhältnisse wurden genauso hinterfragt wie die Familie, Gender und Sexualität, die Psychiatrie und die Beziehung des Menschen zur Natur innerhalb einer allgemeinen, die Gesellschaft durchziehenden Unzufriedenheit. Mit diesen Kämpfen verbunden endete der Nachkriegsboom in einer kapitalistischen Akkumulationskrise mit hoher Inflation und steigender Arbeitslosigkeit. Die revolutionäre Überwindung des Kapitalismus und seiner Pseudo-Alternative in den Ländern des Ostblocks schien für viele wieder zu einer aktuellen Frage zu werden.
Diese Kämpfe und die revolutionären Hoffnungen, welche sie auslösten, waren die Voraussetzung der Emergenz sowohl des kritischen Marxismus der Wertformtheorie als auch der Theorie der Kommunisierung. Diese beiden Strömungen wurden zum selben Zeitpunkt hervorgebracht und flauten auch gleichzeitig mit den sie hervorbringenden Kämpfen ab. Die Akkumulationskrise der 1970er Jahre führte, statt zu einer Intensivierung der Klassenkämpfe und ihrer Entwicklung in eine revolutionäre Richtung, zu einer radikalen kapitalistischen Restrukturierung, innerhalb welcher die damit verbundenen Bewegungen und revolutionären Erwartungen umfassend besiegt wurden. Diese Restrukturierung führte zu einem relativen Abflauen dieser Diskussionen. Genau wie die Diskussion rund um die Kommunisierung in Frankreich, welche Anfang der 1970er Jahre begann und in den 1980er und frühen 1990er Jahren abflaute, um sich vor kurzem wieder zu beleben, ist das zeitgenössische Interesse in „systematische Dialektik“ in vielerlei Hinsicht eine Rückkehr zu den Wertformdebatten der 1970er Jahre nach einer Periode der relativ stillen Diskussion.
Kommunisierung
„Nicht die Einheit der lebenden und tätigen Menschen mit den natürlichen, unorganischen Bedingungen ihres Stoffwechsels mit der Natur, und daher ihre Aneignung der Natur - bedarf der Erklärung oder ist Resultat eines historischen Prozesses, sondern die Trennung zwischen diesen unorganischen Bedingungen des menschlichen Daseins und diesem tätigen Dasein, eine Trennung, wie sie vollständig erst gesetzt ist im Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital.“ [9]
Die Theorie der Kommunisierung entstand als Kritik diverser, vom Marxismus der zweiten und dritten Internationalen der Arbeiterbewegung geerbten Konzeptionen der Revolution als auch seiner dissidenten Strömungen und Oppositionen. Die Erfahrungen revolutionären Scheiterns waren scheinbar die wesentliche Frage zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die Frage, ob die Arbeiter Macht durch die Partei oder den Staat (Leninismus, die italienische kommunistische Linke) oder durch die Organisation am Ort der Produktion (Anarchosyndikalismus, deutsch-holländische Linke) ausüben sollen. Einerseits sagen einige, es sei die Abwesenheit einer Partei – oder der richtigen Partei – welche zum Scheitern der revolutionären Gelegenheiten in Deutschland, Italien oder Spanien führte, während andere sagen, es sei eben genau die Partei und die „staatliche“, „politische“ Konzeption der Revolution gewesen, welche in Russland gescheitert sei und anderswo eine schädliche Rolle gespielt habe.
Jene, welche die Theorie der Kommunisierung entwickelten, verweigerten die Problematisierung der Revolution in Begriffen der Formen der Organisation und versuchten stattdessen, die Revolution in Begriffen des Inhalts zu erfassen. Die Kommunisierung implizierte eine Ablehnung einer Konzeption der Revolution als ein Ereignis, wo Arbeiter die Macht übernehmen, gefolgt von einer Übergangsphase: Stattdessen wurde sie als eine durch unmittelbare kommunistische Massnahmen (wie die freie Güterverteilung) charakterisierte Bewegung konzipiert, sowohl zu ihrem Vorteil, als auch um die materielle Grundlage der Konterrevolution zu zerstören. Wenn die Bourgeoisie nach der Revolution enteignet ist, doch die Arbeiter immer noch Arbeiter sind, die in getrennten Unternehmungen produzieren, für ihren Lebenserhalt von ihrem Verhältnis zu diesem Arbeitsplatz abhängig sind und mit anderen Unternehmungen Handel treiben, dann ist es ziemlich unbedeutend, ob dieser Handel von den Arbeitern selbstorganisiert oder durch einen „Arbeiterstaat“ zentralisiert ist: Der kapitalistische Inhalt bleibt und früher oder später wird die getrennte Rolle oder Funktion des Kapitalisten wieder aufkommen. Die Revolution als kommunisierende Bewegung würde hingegen alle kapitalistischen Kategorien zerstören, indem sie diese nicht mehr konstituiert und reproduziert: Austausch, Geld, Waren, die Existenz von getrennten Unternehmungen, den Staat und – allen voran – die Lohnarbeit und die Arbeiterklasse selbst.
Die Theorie der Kommunisierung entstand also teilweise aus der Erkenntnis, dass die Ablehnung des leninistischen Staatsparteienmodells mit einer anderen Zusammenstellung von – demokratischen, anti-autoritären, rätekommunistischen – Organisationsformen nicht den Kern des Problems angreift. Teilweise entstand diese neue Art des Denkens über die Revolution aus den Charakteristika und Formen des Klassenkampfes, welche in dieser Periode in den Vordergrund rückten – Sabotage, Absentismus und andere Formen der Verweigerung der Arbeit – und aus sozialen Bewegungen ausserhalb des Arbeitsplatzes, was alles als Ablehnung der Affirmation der Arbeit und der Arbeiteridentität als Grundlage der Revolution betrachtet werden könnte. Ein grosser Ansporn für die Entwicklung des Begriffs der Kommunisierung war die Arbeit der Situationistischen Internationalen (SI), die mit ihrer Perspektive einer totalen, in der Transformation des alltäglichen Lebens verwurzelten Revolution die neuen in den Kämpfen ausgedrückten Bedürfnisse gefühlt und theoretisiert hatte und somit später als jene anerkannt wurden, welche den Geist der Ereignisse 1968 in Frankreich am besten vorgegriffen und ausgedrückt hatten.
Doch obwohl das Konzept der Kommunisierung gewissermassen ein Produkt der Kämpfe und Entwicklungen dieser Zeit war, war die Fähigkeit des französischen Milieus, ihnen einen Ausdruck zu geben, untrennbar mit einer Rückkehr zu Marx und im besonderen zum „unbekannten Marx“ von Texten wie die Grundrisse und Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses (nachfolgend Resultate) verbunden. Bevor diese Texte Ende der 1960er Jahre verfügbar waren, tendierten die SI und andere Kritiker des orthodoxen Marxismus dazu, den jungen Marx, z.B. der Ökonomisch-philosphischen Manuskripte von 1844, heranzuziehen. Sogar im Falle der SI und der Frankfurter Schule, welche auch die dem Kapital entlehnten Theorien des Fetischismus und der Verdinglichung benutzten, war Lukács der Vermittler, es war kein Produkt einer detaillierten Aneignung der drei Bände des Kapital. Somit tendierte die reife Kritik der politischen Ökonomie als Ganzes dazu, in den Händen des traditionellen Marxismus zu verbleiben. Wie wir schon betont haben, wurden die Relevanz der Marxschen Beschreibung seines Werks als eine Kritik der politischen Ökonomie, die Wichtigkeit der Wertform und des Fetischismus innerhalb dieser positivistischen Interpretation geflissentlich übersehen. Die neu verfügbaren Texte wie die Grundrisse untergruben die traditionellen Lesarten und erlaubten es, die Radikalität der reifen Kritik zu erkennen.
Durch ihr marginales Verhältnis zum orthodoxen Marxismus waren jene, welche sich mit linkskommunistischen Kritiken des Bolschewismus und der Ereignisse in Russland identifizierten, in einer guten Position um die neu erhältlichen Marxschen Texte zu lesen. Jacques Camatte und die ab 1968 erscheinende Zeitschrift Invariance waren im französischen Kontext sehr wichtig. Invariance drückte sowohl eine Öffnung der „bordigistischen“ italienischen linken Tradition gegenüber den Erfahrungen der deutsch-holländischen Linken und als auch gegenüber den sich entfaltenden Kämpfen dieser Zeit aus und war der Ort einer neuen Marx-Lektüre. Camattes ehemaliger Weggenosse – Roger Dangeville – übersetzte die Grundrisse und die Resultate ins Französische – womit er Sand ins Getriebe der in Frankreich vorherrschenden althusserianischen anti-hegelianischen Interpretation von Marx streute. Camatte veröffentliche in Invariance einen bedeutenden Kommentar zu diesen Texten [10].
Der Text von Camatte spielte eine ähnliche Rolle für die französischen Diskussionen nach 1968 wie Rosdolskys Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen „Kapital“ für die Diskussion nach 1968 in Deutschland [11]. Beide Texte stützen sich stark auf Zitate, um in die Bedeutung von damals weitgehend unbekannten Texten von Marx einzuführen und sie zu untersuchen. Rosdolsky erstellt eine verständliche Studie der Grundrisse, während Camattes weniger systematischer Bericht andere Marxsche Entwürfe heranzieht, besonders die Resultate. Obwohl Camatte die Verdienste des Buches von Rosdolsky anerkennt [12] besteht ein Unterschied darin, dass Rosdolsky schliesslich die Grundrisse auf eine blosse Vorbereitung des Kapital reduziert, während Camatte sich stärker auf die Art und Weise konzentriert, wie darin und in anderen Entwürfen des Kapital über das marxistische Verständnis letzteres hinausgewiesen wird. Camatte erkannte, dass die verschiedenen Arten von Marx, in die Kategorie des Werts in den diversen Versionen der Kritik der politischen Ökonomie einzuführen und sie zu entwickeln, eine Bedeutung haben, die über die progressive Verbesserung der Präsentation hinausgeht. Einige frühe Betrachtungen heben Aspekte hervor wie die historische Autonomisierung des Werts, die Definition des Kapitals als prozessierender Wert und die Wichtigkeit der Kategorie der Subsumtion, in einer Art und Weise, die in der veröffentlichten Version nicht so klar ist. Man findet in Camattes Lesart der neu verfügbaren Texte eine Anerkennung, dass die Auswirkungen der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie viel radikaler sind, als die positivistische marxistische Interpretation des Kapital glaubte [13].
Es existiert ein faszinierender Bruch mit traditionellen marxistischen Thesen in Camattes Werk, ein Bruch, der ganz klar wird im Kontrast zwischen seinem anfänglichen Kommentar Mitte der 1960er Jahre und den Anmerkungen, welche er Anfang der 1970er Jahre hinzufügte. Während nämlich die früheren Kommentare in der klassischen marxistischen Theorie des Übergangs verankert sind, erkennt man, wie in den späteren Anmerkungen diese Thesen verworfen werden [14]. Er beschliesst schliesslich 1972 seine Bemerkungen mit einem Aufruf zur Kommunisierung:
„Die Gesamtheit der Menschen erhebt sich gegen die Totalität der kapitalistischen Gesellschaft: ein Kampf gegen das Kapital und gegen die Arbeit, zwei Aspekte derselben Wirklichkeit. Das heisst, das Proletariat muss gegen seine Herrschaft kämpfen, um sich als Klasse zerstören zu können – und damit das Kapital und die Klassen. Ist der Sieg im Weltmassstab gesichert, verschwindet die universelle Klasse, die sich im Verlauf eines weiten Prozesses vor der Revolution (in der Bildung ihrer Partei), im Kampf gegen das Kapital herauskristallisiert und die Gesellschaft auch psychologisch verändert hat, und wird Menschheit. Dann gibt es ausserhalb von ihr keine Gruppe mehr, der Kommunismus entwickelt sich frei. Die Periodisierung unterer und oberer Kommunismus entfällt ebenfalls.“ [15]
Für die meisten späteren Theoretiker der Kommunisierung wurden die zuvor nicht verfügbaren Marxschen Texte zu grundlegenden Texten. Die Übersetzung der Grundrisse und des nun berühmten „Maschinenfragments“ hat Gilles Dauvés prototypische Argumentation zugunsten der Kommunisierung direkt beeinflusst [16]. In diesem Fragment beschreibt Marx, wie das Kapital aufgrund seines Drangs, die Mehrarbeitszeit zu vergrössern, notwendige Arbeitszeit durch den massiven Einsatz von Wissenschaft und Kenntnissen auf ein Minimum reduziert. Dies erschafft die Möglichkeit der Aneignung durch all dieses entfremdete System der Kenntnisse, was die Wiederaneignung dieser Mehrarbeitszeit als disponible Zeit erlaubt. Kommunismus wird somit nicht in Begriffen einer neuen Distribution des gleichen, auf Arbeitszeit basierenden Wohlstands verstanden, sondern als auf einer neuen Form von Wohlstand basierend, der in disponibler Zeit gemessen wird [17]. Im Kommunismus geht es um nicht weniger als ein neues Verhältnis zur Zeit oder sogar um eine andere Art der Zeit. Für Dauvé impliziert diese Fokussierung auf die Zeit bei Marx einen radikalen Bruch zwischen Kapitalismus und Kommunismus, der „jede Vorstellung eines schrittweisen Übergangs zum Kommunismus durch die allmähliche Zerstörung des Wertgesetzes ausschließt“, was beweist, dass die rätekommunistische und demokratische Alternative zum Leninismus als solches unzureichend ist [18].
Die frühen Entwürfe deuten auch auf ein radikaleres Konzept der Revolution auf einer fundamentaleren ontologischen Ebene hin. Diese Entwürfe zeigen, dass für Marx die Kritik der politischen Ökonomie die Trennung zwischen Subjektivität und Objektivität, die Gegebenheit dessen, was ein Individuum sein soll, und was unser Sein ist und nicht ist, in Frage stellt. Für Marx sind diese ontologischen Fragen im wesentlichen gesellschaftlich. Er war der Auffassung, dass die politischen Ökonomen mehr oder weniger erfolgreich die Kategorien erklärten, welche die gesellschaftlichen Lebensformen unter dem Kapitalismus definieren. Während die Bourgeoisie diese allerdings als ahistorische Notwendigkeiten zu präsentieren sucht, erkannte sie Marx als historisch besondere Formen menschlicher Beziehungen und dem Verhältnis der Menschen zur Natur. Er erkannte, dass die Vermittlung menschlicher Tätigkeit durch die gesellschaftlichen Beziehungen zwischen Dingen der menschlichen Subjektivität einen atomisierten, gegenstandslosen Charakter gibt. Die individuelle Erfahrung im Kapitalismus ist eine Erfahrung reiner Subjektivität, alle Gegenständlichkeit existiert gegen sie in Form von Kapital:
„Trennung des Eigentums von der Arbeit erscheint als notwendiges Gesetz dieses Austauschs zwischen Kapital und Arbeit. Die Arbeit als das Nicht-Kapital als solches gesetzt, ist: 1. Nicht-vergegenständlichte Arbeit, negativ gefaßt [...] die von allen Arbeitsmitteln und Arbeitsgegenständen, von ihrer ganzen Objektivität getrennte Arbeit. Die lebendige als Abstraktion von diesen Momenten ihrer realen Wirklichkeit existierende Arbeit (ebenso Nicht-Wert); diese völlige Entblößung, aller Objektivität bare, rein subjektive Existenz der Arbeit. Die Arbeit als die absolute Armut: die Armut, nicht als Mangel, sondern als völliges Ausschließen des gegenständlichen Reichtums. [...] 2. Nicht-vergegenständlichte Arbeit, Nicht-Wert, positiv gefaßt, oder sich auf sich beziehende Negativität [...]. Die Arbeit nicht als Gegenstand, sondern als Tätigkeit; nicht als selbst Wert, sondern als die lebendige Quelle des Werts. [...] Es widerspricht sich also in keiner Weise oder vielmehr der in jeder Weise sich widersprechende Satz, daß die Arbeit einerseits die absolute Armut als Gegenstand, andrerseits die allgemeine Möglichkeit des Reichtums als Subjekt und als Tätigkeit ist, bedingen sich wechselseitig und folgen aus dem Wesen der Arbeit, wie sie als Gegensatz, als gegensätzliches Dasein des Kapitals vom Kapital vorausgesetzt ist und andrerseits ihrerseits das Kapital voraussetzt.“ [19]
Solche ontologischen Betrachtungen spielen eine gewichtige Rolle im Werk von Théorie communiste (TC), eine Gruppe, die Mitte der 1970er Jahre im Rahmen der Diskussionen im Milieu der Kommunisierung nach 1968 entstand. Für TC erschafft die als Kommunisierung verstandene kommunistische Revolution keine „Republik der Arbeit“ oder irgendwelche neuen Formen der Verwaltung der Produktionsmittel. Sie ist eher die Überwindung des entfremdeten gesellschaftlichen Produktionsverhältnisses, welches die im Kapitalismus erlebte Trennung von Subjektivität und Objektivität darstellt. Durch die Überwindung der Trennung der Individuen voneinander und von den Produktionsmitteln überwindet die Kommunisierung die Trennung zwischen menschlicher Subjektivität und „vergegenständlichter Arbeit“ [20], d.h. die Aufspaltung von Subjekt und Objekt, welche die Grundlage der gesellschaftlichen Realität im Kapitalismus darstellt. TC stellt sich das als Überwindung von jeder von Marx in den Grundrisse beschriebenen Dimension vor: Arbeit existiert nicht mehr als getrennte Tätigkeit; Produktion unterscheidet sich nicht mehr von der Reproduktion und beherrscht sie nicht mehr; Bedürfnisse sind nicht mehr getrennt von Fähigkeiten und die Individuen sind nicht mehr durch die Vermittlung des Austausches ihrer Produkte oder in Form des Staates mit ihrer Sozialität konfrontiert – sie werden direkt gesellschaftlich. Die Revolution als Kommunisierung löst sowohl die gesellschaftlichen Formen der Dinge auf, d.h. ihre Existenz als Träger „vergegenständlichter Arbeit“, Wert (sie werden wieder zu Dingen), als auch die atomisierte, leere und abgetrennte Subjektform des Individuums. Für TC wie für Marx in den Grundrisse [21] beherrscht also das zuvor „objektive“ Moment der Produktion das subjektive Moment nicht mehr, sondern wird zum „[organisch gesellschaftlichen] Leib, worin die Individuen sich reproduzieren als Einzelne, aber als gesellschaftliche Einzelne“ [22].
Die deutschen Debatten
Die Wiederaneignung von Marx, aus welcher die Perspektive der Kommunisierung entstand, war Teil eines viel breiteren Prozesses der Wiederaneignung und der Entwicklung radikaler Lesarten der Marxschen Theorie. Nach der ungarischen Revolution von 1956 hatte der offizielle Kommunismus keine Hegemonie mehr über Meinungsverschiedenheiten und die Interpretation Marxscher Theorie in westlichen Ländern. Während Marx gesagt hatte, man solle „alles bezweifeln“, tendierte der orthodoxe oder traditionelle Marxismus dazu, sich selbst als einheitliche Weltanschauung zu präsentieren, welche auf jede Frage eine Antwort hat. Er hatte eine allumfassende Philosophie („Dialektischer Materialismus“), eine mechanistische Sichtweise der Geschichte („Historischer Materialismus“) und seine eigene Ökonomie („Marxistische politische Ökonomie“) [23]. Diese Säulen der offiziellen Version des Marxismus wurden durch eine Rückkehr zum kritischen Geist von Marx in Frage gestellt und dies auf eine ähnliche Art und Weise, wie eine frühere Generation kritischer Marxisten, welche sich unmittelbar nach der russischen Revolution entwickelt hatte [24].
Die Wiederbelebung der Marxschen Theorie in dieser Periode – wie in den 1920er Jahren – bedingte einen Bruch mit einem Marxismus, der als positives Wissenssystem betrachtet wurde, und eine neuerliche Anerkennung seiner kritischen Dimension – wodurch auch das Verhältnis zwischen Marx und Hegel erneut problematisiert wurde. Gegen Mitte der 1960er Jahre ging die Ablehnung überlieferter Interpretationen von Marx über Das Kapital – sein zentrales Werk – hinweg. Neue Lesarten zogen frühere Entwürfe der Kritik der politischen Ökonomie heran und interessierten sich nicht für die Resultate, sondern auch für die von Marx benutzten Methoden, um zu ihnen zu gelangen. In Frankreich wurde Das Kapital strukturalistisch gelesen, in Italien lasen es Tronti und der Operaismus „vom Standpunkt der Arbeiterklasse aus“ und in Deutschland entstand eine Neue Marx-Lektüre.
Die deutsche Sprache gab der Neuen Marx-Lektüre einen klaren Vorteil gegenüber Untersuchungen des Marxschen Werks in anderen Ländern. Die neuen Texte des „unbekannten Marx“ waren in der Regel zuerst auf deutsch erhältlich und bekannt und es gab selbstverständlich keine Übersetzungsprobleme. Zudem war die grosse kulturelle Ressource, welche Marx in seiner Kritik der politischen Ökonomie benutzte – der klassische deutsche Idealismus – nicht den gleichen Problemen mit der Rezeption des Hegelschen Denkens ausgesetzt wie in anderen Ländern. Während also die neuen Marx-Lektüren in Italien und Frankreich als Reaktion auf frühere Moden des Hegelianismus und des „Hegelianischen Marxismus“ dazu tendierten, eine starke anti-hegelianische Ausrichtung zu haben, waren die deutschen Diskussionen fähig, ein nuancierteres und besser informiertes Bild der Verbindung zwischen Hegel und Marx zu entwickeln. Und am wichtigsten ist die Tatsache, dass sie erkannten, dass Marx in seiner Beschreibung der logischen Struktur der realen Totalität der kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnisse im Kapital eher in der Schuld von Hegels systematischer Dialektik der Logik, denn in jener seiner Konzeption einer historischen Dialektik stand. Der neue kritische Marxismus, manchmal geringschätzig als Kapitallogik bezeichnet, hatte also weniger mit dem frühen kritischen Marxismus von Lukács und Korsch als mit jenem von Rubin und Pashukanis gemeinsam. Die Neue Marx-Lektüre war keine homogene Schule, sondern ein kritischer Ansatz, der eine gewisse gemeinsame Richtung teilte trotz vielen Diskussionen und Uneinigkeiten.
Der politische Kontext der deutschen Debatten war das Erstarken einer radikalen Studentenbewegung. Sie hatte zwei Pole – einen traditionalistischen, der manchmal Verbindungen zum ostdeutschen Staat und einen „orthodox marxistischen“ Ansatz gegenüber der Arbeiterbewegung hatte, und einen eher „anti-autoritären“, der von der kritischen Theorie der Frankfurter Schule beeinflusst war, im besonderen von ihrer psychoanalytischen Dimension, welche eine Erklärung für das Desinteresse der Arbeiter für die Revolution bot [25]. Die deutsche Studentenbewegung erlangte schnell einen Ruf für die theoretische Raffinesse ihrer Debatten, was nicht zuletzt dem Einfluss der Frankfurter Schule geschuldet war. Die Einsichten, aber auch die Instabilität und die Ambivalenz des „anti-autoritären“ Pols drückten sich in der Laufbahn ihres charismatischen Anführers Rudi Dutschke aus. Er historisierte 1966, stark von Korsch beeinflusst, die Marxsche „Zwei-Phasen-Theorie der kommunistischen Revolution“ als anachronistisch und als „für unsere Zeit […] kaum noch Bedeutung haben[d]“, weil sie „die wirkliche Emanzipation der Arbeiterklasse in die Zukunft verlegte“ und „die Eroberung des bürgerlichen Staates durch das Proletariat als primär für die soziale Revolution ansah“ [26]. Doch er prägte auch die Parole des „langen Marsches durch die Institutionen“, welche zum Daseinszweck der deutschen Grünen Partei wurde (welcher er sich, wie der andere charismatische Anti-Autoritäre Daniel Cohn-Bendit, später anschloss). Heute identifiziert sich die durch und durch etatistische und reformistische Die Linke am stärksten mit seinem Erbe. In theoretischer Hinsicht war Hans-Jürgen Krahl eine bedeutendere Figur des SDS, vor allem nachdem Dutschke angeschossen wurde. Krahl war ein Student Adornos und brachte viele Schlüsselkonzepte der Kritischen Theorie in die Bewegung, doch er war auch ein Aktivist – Adorno beging die Schandtat, die Bullen auf ihn und seine Kommilitonen zu hetzen, als sie eines der Gebäude des Instituts besetzten – und orientierte sich weiterhin am Proletariat und am Klassenkampf [27]. Obwohl die Frankfurter Schule in ihrer Wendung hin zur Psychoanalyse, zur Kultur und zur Philosophie das Studium der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie weitgehend den orthodoxen Marxisten überlassen hatte, waren es Krahl und andere Studenten Adornos – Hans-Georg Backhaus, Helmut Reichelt –, welche die Neue Marx-Lektüre initiierten.
Während also für das Milieu der Kommunisierung der Hintergrund der Rätekommunismus und andere linkskommunistische Kritiken des Bolschewismus waren, was dazu führte, dass die Radikalität der neuen Marxschen Texte auf fruchtbaren Boden fiel, spielte in Deutschland – wo diese Strömungen während der Nazizeit ausgelöscht wurden [28] – Adorno und die Frankfurter Schule gewissermassen eine ähnliche Rolle. Sowohl der Rätekommunismus als auch die Frankfurter Schule hatten sich als Nachdenken über das Scheitern der deutschen Revolution von 1918/1919 entwickelt. Während das Verhältnis des Rätekommunismus zur deutschen Revolution direkterer Natur ist, beschreibt Sohn-Rethel in einem Text über die Frankfurter Schule und ihr nahestehende Denker wie Lukács und Bloch ihr eher komplex vermitteltes Verhältnis zu dieser Zeit mit einer widersprüchlichen Formulierung:
„Die neue Entwicklung des Denkens, welche diese Leute repräsentieren, entstand als theoretischer und ideologischer Überbau einer Revolution, die nie stattfand“ [29].
Trotz ihrer Distanz zu den Milieus der Arbeiterklasse hatte die Frankfurter Schule versucht, einen kritischen und emanzipatorischen Marxismus gegen seine Entwicklung als eine apologetische Ideologie für staatszentrierte Akkumulation in Russland am Leben zu erhalten. Die Affinität zum Rätekommunismus zeigt sich am deutlichsten in früheren Texten, z.B. in Horkheimers Text Autoritärer Staat, welchen die anti-autoritären Studenten trotz der Missbilligung des späteren, eher konservativen Horkheimers veröffentlichten. Trotzdem bleibt eine radikale Kritik der kapitalistischen Gesellschaft im Zentrum von Adornos weniger offensichtlich politischen Texten der 1950er und 1960er Jahre – vielleicht eben genau wegen ihrer Verweigerung der Logik unmittelbarer politischer Effizienz. Während die „Ultralinke“ versucht hatte, das emanzipatorische Versprechen der marxistischen Theorie gegenüber den zeitgenössischen Entwicklungen der Arbeitsbewegungen am Leben zu erhalten, indem die Autonomie der Arbeiterklasse gegen ihre Repräsentation und ihre Institutionen betont wurde, versuchte die Frankfurter Schule paradoxerweise das gleiche, indem sie sich vom unmittelbaren Klassenkampf und „ökonomischen Fragen“ abwendete.
Das bedeutete, dass die radikale Wiederaneignung der Marxschen Theorie im Deutschland der 1960er Jahre notwendigerweise die Form sowohl einer Weiterführung des Erbes der Frankfurter Schule, als auch eines Bruches damit annahm. Die Schnittfläche zwischen einer von der Frankfurter Schule geerbten Sensibilität und einer Wendung hin zum detaillierten Studium der von ihr gemiedenen Kritik der politischen Ökonomie wird in einer Anekdote über Backhaus deutlich. Gemäss Reichelt könnte der Anfang des Programms der Neuen Marx-Lektüre zu einem Zeitpunkt 1963 verortet werden, als Backhaus, damals Bewohner eines Studentenwohnheims, zufällig auf eine damals sehr seltene Erstausgabe des Kapital stiess [30]. Er bemerkte, dass die Unterschiede zur zweiten Ausgabe offensichtlich waren, doch das waren sie nur, weil er Adornos Vorlesungen über die dialektische Theorie der Gesellschaft gehört hatte:
„Ohne Adornos wiederholt vorgetragene Vorstellung eines »Begrifflichen in der Realität selbst«, eines auf die Tauschabstraktion zurückzuführenden real Allgemeinen, ohne seine Fragen nach der Konstitution der Kategorien und deren inneren Zusammenhang in der politischen Ökonomie und seine Vorstellung von objektiver, verselbständigter Struktur wäre dieser Text stumm geblieben. So wie dies der Fall war in der gesamten (damals!) hundertjährigen Diskussion der Marxschen Werttheorie.“ [31]
Nach 1968 kamen die Debatten über die neue Lesart des Kapital wirklich in Schwung. Die diskutierten Probleme wurden in der Regel erst später und oft mit weniger Tiefgang in den Diskussionen in anderen Sprachen aufgegriffen: der Charakter der Marxschen Methode und die Gültigkeit des Engelsschen Verständnisses davon; das Verhältnis zwischen der dialektischen Entwicklung der Kategorien im Kapital und der hegelianischen Dialektik; die Bedeutung der unvollendeten Aspekte der Marxschen Pläne für seine Kritik; die Wichtigkeit des Begriffes „Kritik“ und der Unterschied zwischen der Marxschen Werttheorie und jener der klassischen politischen Ökonomie und das Wesen der Abstraktion im Marxschen Konzept der abstrakten Arbeit und in der Kritik der politischen Ökonomie allgemein.
Trotz ihrem häufig philologischen und abstrakten Charakter wurde gemeinhin zugestanden, dass die Debatten über die neue Lesart des Kapital eine politische Bedeutung bezüglich der Spannung zwischen dem anti-autoritären und traditionalistischen Pol der Studentenbewegung hatten. Letztere hielten am Standpunkt fest, dass das Gerüst des orthodoxen Marxismus bloss modernisiert und angeglichen werden musste [32]. Die Neue Marx-Lektüre bekämpfte dieses Projekt einer erneuerten Orthodoxie mit der Forderung nach nicht weniger als einer grundlegenden Rekonstruktion der Kritik der politischen Ökonomie [33].
Zu dieser Zeit war die vorherrschende Sichtweise der im Kapital angewendeten Methode eine Variante der von Engels in Texten wie in seiner Rezension der Marxschen Zur Kritik der politischen Ökonomie von 1859 und seinem Vorwort und seinem Anhang zum dritten Band des Kapital vorgeschlagenen logisch-historischen Methode. Von diesem Standpunkt aus folgt die Entwicklung der Kategorien des Kapital eng deren historischen Entwicklung, die ersten paar Kapitel des Kapital werden also als Beschreibung einer vorkapitalistischen Zeit „einfacher Warenproduktion“ betrachtet, wo das „Wertgesetz“ auf reine Art und Weise funktioniert haben soll. In den deutschen Diskussionen, und danach auch in den internationalen, wurde Engels Autorität – sowie auch jene des traditionellen Marxismus, die von ihr abhing – umfassend in Frage gestellt [34]. Die Neue Marx-Lektüre behauptete, dass weder die Engelssche Interpretation, noch irgendeine der vorgeschlagenen Modifikationen derselben [35] der Bewegung in der Ordnung und der Entwicklung der Kategorien des Kapital gerecht werden. Die Bewegung im Kapital ist kein Fortschreiten von einer nicht-kapitalistischen Frühphase, einem hypothetischen vereinfachten Modell einfacher Warenproduktion zu einer späteren Phase, einem komplexeren Modell, der kapitalistischen Warenproduktion, sondern musste als Präsentation der kapitalistischen Totalität von Anfang an analysiert werden, welche sich vom Abstrakten hin zum Konkreten bewegt. In seinem Werk Die logische Struktur des Kapitalbegriffs bei Karl Marx entwickelte Helmut Reichelt eine Konzeption, die heutzutage auf die eine oder andere Weise grundlegend ist für die Theoretiker der systematischen Dialektik: Die „Logik des Kapitalbegriffs“ als selbstbestimmender Prozess entspricht dem Übersichhinausgehen des Konzepts in Hegels Logik [36]. Gemäss dieser Sichtweise kann die Welt als objektiv idealistisch betrachtet werden: D.h. die Ware ist ein „sinnlich-übersinnliches Ding“. Die Dialektik der Wertform zeigt, wie die materiellen und konkreten Aspekte des gesellschaftlichen Lebensprozesses, ausgehend von der einfachsten Warenform, von den abstrakten und idealen gesellschaftlichen Formen des Werts beherrscht werden. Der Marxsche Standpunkt gemäss Reichelt ist folgender:
„Kapital ist daher konzipiert als ein ständiger Wechsel der Formen, in welchen der Gebrauchswert immer wieder integriert und abgestoßen wird. In diesem Prozess wird der Gebrauchswert zur Gestalt eines beständig verschwindenden Objekts. Aber dieses permanent erneuerte Verschwinden des Objekts ist die Bedingung für den Fortbestand des Wertes selbst- durch diesen beständigen Wandel der Formen ist gesichert, daß die unmittelbare Einheit von Gebrauchswert und Wert aufrecht erhalten wird. Auf diese Weise kommt es zu einer verkehrten Welt, in der die Sinnlichkeit im weitesten Sinne - als Gebrauchswert, als Arbeit, Austausch mit der Natur - degradiert wird zu einem Mittel der Aufrechterhaltung eines abstrakten Prozesses, der die gesamte objektive Welt einem andauernden Wandel unterwirft […] Die sinnlich-stoffliche Welt der Menschen, die sich reproduzieren durch Arbeit und Befriedigung ihrer Bedürfnisse, wird Schritt für Schritt buchstäblich in diesen Prozess hineingesaugt, in welchem alle Aktivitäten sich verkehren. Sie sind alle, in ihrem verschwindenden Erscheinen, ihr eigenes Gegenteil, die Aufrechterhaltung eines Allgemeinen.“ [37]
Dies ist die ontologische Umkehrung, die Beherrschung des materiellen Lebens durch den Geist des Kapitals. Genau das erfasste Camatte in seiner Anerkennung der Wichtigkeit, das Kapital als prozessierenden Wert und als Subsumtion zu begreifen. Wenn es keinen anderen Gebrauchswert gibt als die Wertform der kapitalistischen Gesellschaft, wenn Wert und Kapital eine zwingende, totalisierende Form der Sozialisierung darstellen, welche jeden Aspekt des Lebens formt, so ist deren Überwindung keine Frage der blossen Ersetzung von Marktmechanismen durch eine staatliche Manipulation oder die Selbstverwaltung der Arbeiter dieser Formen mehr, sondern verlangt eine radikale Transformation jeder Lebenssphäre. Im Gegensatz dazu trennte die traditionelle marxistische, von Engels – der behauptete, das Wertgesetz sei schon vor dem Kapitalismus da gewesen – abgeleitete Konzeption die Markttheorie und die Wertform vom Mehrwert und der Ausbeutung und eröffneten somit die Möglichkeit, ein sozialistisches Wertgesetz, eine sozialistische Geldform, „Marktsozialismus“ und anderes zu denken.
Der unvollständige Marx?
Ein Teil des dogmatischen Wesens des orthodoxen Marxismus war die Tatsache, dass die Marxschen Werke als komplettes System betrachtet wurden, das nur mit historischen Analysen späteren Phasen des Kapitalismus wie dem Imperialismus ergänzt werden musste. Die Entdeckung der Entwürfe und Pläne für die Kritik der politischen Ökonomie zeigten, dass Das Kapital unvollständig war, nicht nur in jenem Sinne, dass der zweite und dritte Band, sowie die Theorien über den Mehrwert von Marx nicht abgeschlossen und später von Engels und Kautsky herausgegeben [38] wurden, sondern in jenem, dass diese nur den ersten von sechs geplanten Bänden darstellten, welche mit Bänden über das Landeigentum, die Lohnarbeit, den Staat, den Aussenhandel und den „Weltmarkt und Krisen“ [39] ergänzt hätten werden sollen. Die Anerkennung der Tatsache, dass das, was vom Marxschen Projekt existiert, nur ein Fragment darstellt, war von enormer Bedeutung, denn das implizierte, dass die Marxsche Theorie als radikal offenes Projekt betrachtet werden musste und dass Bereiche der Untersuchung entwickelt werden konnten, welche von Marx selbst kaum in Betracht gezogen wurden. Die sogenannte Staatsableitungsdebatte und die Debatte über den Weltmarkt waren Versuche, einige dieser Bereiche zu entwickeln, welche Marx im Kapital nicht systematisch analysiert hatte [40].
Gestützt auf das bahnbrechende Werk von Pashukanis begriffen die Teilnehmer der Staatsableitungsdebatte die Trennung zwischen „dem Ökonomischen“ und „dem Politischen“ als etwas, dass der kapitalistischen Herrschaft eigen ist. Die Folge davon war, dass – weit entfernt vom Aufbau einer sozialistischen Wirtschaft und eines Arbeiterstaates wie im traditionellen Marxismus – die Revolution als Zerstörung sowohl „des Ökonomischen“ als auch „des Staates“ begriffen werden sollte. Trotz dem abstrakten – und manchmal scholastischen – Anschein dieser Debatten können wir also an ihnen erkennen, inwiefern die kritische Rückkehr zu Marx auf der Grundlage der Kämpfe der späten 1960er Jahre in Deutschland spezifische – und besonders radikale – Folgen hatte für unsere Konzeption der Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise.
Dies gilt genauso für den Kern der Marxschen Kategorie der abstrakten Arbeit und deren Konzeption in den deutschen Debatten in Bezug auf den Wert. Während in der bürgerlichen Sozialwissenschaft und in den vorherrschenden Formen des Marxismus die Abstraktion ein geistiger Akt war, argumentierte Marx, dass im Kapitalismus eine andere Form der Abstraktion existiert: „Real-“ oder „praktische Abstraktion“, welche die Leute im Austausch ausüben, ohne sich dessen bewusst zu sein. Reichelts Anekdote über Backhaus zeigt, dass Adornos Idee einer objektiven Konzeptualität des kapitalistischen gesellschaftlichen Lebens den Ansatz der Neuen Marx-Lektüre zur Marxschen Kritik der politischen Ökonomie inspirierte. Diese Idee von Adorno und sein Begriff des „Identitätsdenken“ waren selbst von Ideen inspiriert, welche Sohn-Rethel mit ihm in den 1930er Jahren diskutiert hatte. Die deutsche Diskussion wurde also durch die Veröffentlichung dieser Ideen in Sohn-Rethels Buch Geistige und körperliche Arbeit [41] 1970 beschleunigt. In diesem Werk identifiziert Sohn-Rethel die Abstraktion vom Gebrauch, welche im Austauschprozess realisiert wird, nicht nur als Wurzel für die merkwürdige Art gesellschaftlicher Synthese in Warengesellschaften, sondern als Wurzel für die Existenz selbst von abstraktem konzeptuellem Denken und von der Erfahrung des unabhängigen Intellekts. Sohn-Rethels These ist, dass das „transzendentale Subjekt“, wie es explizit von Kant theoretisiert wurde, nichts anderes ist als ein theoretischer und gleichzeitig blinder Ausdruck für die Einheit oder Gleichheit der durch Austausch konstituierten Dinge. Solche Ideen, zusammen mit jenen von Pashukanis betreffend der historisch gemeinsamen Hervorbringung von „Rechtssubjekt“ und Ware, nährten eine Periode kritischer Hinterfragung, in welcher alle Aspekte des Lebens, auch unser Sinn selbst von innerer Subjektivität und Bewusstsein, als vom Kapital und vom Wert formbestimmt begriffen wurden.
Für Marx war das augenfälligste Beispiel von „Realabstraktion“ die Geldform des Werts und der weitgehendste Beitrag der deutschen Debatten stellt vielleicht deren Entwicklung einer „monetären Werttheorie“ entlang der schon von Rubin gelegten Grundlinien dar. In einer bedeutenden Passage der ersten Ausgabe des Kapital beschreibt Marx Geld als eine Abstraktion, die perverserweise unabhängig von ihrer individuellen Manifestation eine Existenz in der wirklichen Welt annimmt - „Es ist als ob neben und ausser Löwen, Tigern, Hasen und allen anderen wirklichen Tieren […] auch noch das Tier existierte, die individuelle Inkarnation des gesamten Tierreichs.“ [42] Die Produkte privater Arbeit müssen zur Realisierung ihrer gesellschaftlichen Gültigkeit als Tatsache mit dieser konkreten Repräsentation der abstrakten Arbeit ausgetauscht werden. Somit existiert eine Abstraktion – und nicht ein Produkt des Denkens – in der Welt als Ding mit einer gesellschaftlichen Objektivität, der wir uns alle fügen müssen.
Der traditionelle Marxismus übersah diese Diskussion und folgte in der Regel Ricardo und den bürgerlichen Wirtschaftswissenschaften in der Ansicht, Geld sei schlichtweg ein nützliches Werkzeug, um den Austausch von existierenden Warenwerten zu erleichtern. Die deutschen Debatten hingegen drehten sich plötzlich um die merkwürdige Art der Objektivität des Werts – die Tatsache, dass er nicht einer besonderen Ware innewohnt, sondern nur im Verhältnis der Äquivalenz zwischen einer Ware und der Totalität der Waren existiert – etwas, das nur mit Geld zustande gebracht werden kann. Diese Rolle des Geldes in einer allgemeinen Warengesellschaft beeinflusst die Erfahrung lebendiger Arbeit selbst. Insofern, als dass Arbeit schlichtweg eine für Geld ausgeführte Tätigkeit darstellt, ist die Art geleisteter Arbeit eine Frage der Gleichgültigkeit und des Glücks. Die organische Verbindung zwischen einzelnen Individuen und besonderen Formen von Arbeit, welche in vorhergehenden Gesellschaften existierte, ist zerrissen. Ein Subjekt entwickelt sich, das fähig ist, sich gleichgültig zwischen verschiedenen Formen von Arbeit hin- und herzubewegen:
„Hier also wird die Abstraktion der Kategorie „Arbeit“, „Arbeit überhaupt“, Arbeit sans phrase, der Ausgangspunkt der modernen Ökonomie, erst praktisch wahr. Die einfachste Abstraktion also, welche die moderne Ökonomie an die Spitze stellt und die eine uralte und für alle Gesellschaftsformen gültige Beziehung ausdrückt, erscheint doch nur in dieser Abstraktion praktisch wahr als Kategorie der modernsten Gesellschaft.“ [43]
Abstrakte Arbeit als praktische Abstraktion ist also grundlegend die kapitalistische Form der Arbeit – ein Produkt der Reduzierung aller Tätigkeiten auf abstrakte, Geld generierende Tätigkeit. In der traditionellen Sichtweise war die Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise nicht mit der Beseitigung abstrakter Arbeit verbunden: Abstrakte Arbeit ist, gemäss dieser Sichtweise, eine generische Abstraktion, eine allgemeine transhistorische Wahrheit, welche der Erscheinung von Marktformen in der kapitalistischen Produktionsweise zugrunde liegen. Diese Wahrheit würde im Sozialismus hell strahlen, da die Parasitenrolle des Kapitalisten eliminiert ist und die anarchische Marktorganisation ersetzt wird durch (staatliche) Planung. Von einer kritischen Perspektive aus kann man sagen, dass der traditionelle Marxismus die kapitalistischen Formen und Gesetze in allgemeine Gesetze der Geschichte verwandelte: In relativ rückständigen Zonen wie Russland, wo der Marxismus zur Ideologie für industrielle Entwicklung unter staatlicher Führung wurde, wurde Das Kapital zu einer „Bedienungsanleitung“. Für die Wertformtheoretiker ist die Marxsche Werttheorie als monetäre Werttheorie hingegen „nicht eine Theorie der Verteilung gesellschaftlichen Reichtums, sondern eine Theorie über die Konstitution des gesellschaftlichen Zusammenhangs unter den Bedingungen kapitalistischer Warenproduktion“ [44]. Die Problematik entfernte sich also von der Verteilung und die Überwindung der Form der Arbeit, des Wohlstands und der kapitalistischen Produktionsweise selbst rückte ins Zentrum.
In anderen Ländern wurden, manchmal als Reaktion auf die deutschen Diskussionen, doch auch unabhängig davon, durch die Grundrisse und Rubins Essays, ähnliche Fragen gestellt und ähnliche Antworten darauf gefunden. Die Wichtigkeit der Wertform wurde beispielsweise vom damaligen Noch-Althusserianer Jacques Rancière aufgenommen. Althusser bemerkte zurecht, dass Marx komplett mit dem theoretischen Feld von Ricardo und der klassischen politischen Ökonomie brach, doch er war unfähig, die Analyse der Wertform als Schlüssel für diesen Bruch zu analysieren, weil er diese aufgrund ihres „Hegelianismus“ ablehnte. Rancière jedoch machte folgende Bemerkung: „Durch die Analyse der Wertform der Ware (oder Warenform des Arbeitsproduktes) unterscheidet sich Marx radikal von der klassischen Ökonomie.“ [45] Diese Erkenntnis wurde auch von einem anderen Anti-Hegelianer – Colletti [46] – wieder aufgenommen und in eine italienische Debatte über den Wert eingebracht, welche von ihm und Napoleoni [47] initiiert wurde und zu ähnlichen Schlussfolgerungen kam wie die Wertformtheoretiker. In den englischsprachigen Diskussionen, die bis Ende der 1970er Jahre fast ohne Übersetzungen der deutschen Debatten auskommen mussten, hatte Rubin eine elementare Bedeutung [48]. Innerhalb der Konferenz der sozialistischen Ökonomen, welche ein zentrales Forum für diese Debatten darstellt, war eine zentrale Diskussion jene zwischen einer von Rubin inspirierten abstrakten gesellschaftlichen Arbeitswerttheorie und einer eher traditionellen Arbeitswerttheorie. Erstere bewegten sich in Richtung einer monetären Werttheorie, wie in den deutschen Debatten, doch es gab weit weniger Diskussionen zur Relevanz der Hegelschen Logik zum Verständnis des systematischen Verhältnisses der Kategorien des Kapital [49] und sie wurde somit kaum zur Kenntnis genommen. Ohne Übersetzungen von Reichelt und Backhaus wurden die paar wenigen Englischsprachigen, welche den Deutschen im Wunsch folgten, Das Kapital zu rekonstruieren [50] – die Konstanz-Sydney-Schule, welche als „Wertformschule“ betrachtet wurde – von den meisten anderen Diskussionsteilnehmern als zu extrem qualifiziert. Es ist ein Merkmal der vor nicht allzu langer Zeit entstandenen systematischen Dialektik, dass solche Vorschläge bezüglich der Notwendigkeit für eine radikalere Rekonstruktion nun im Zentrum der Diskussion stehen.
Die (Anti-)Politik der Werttheorie
Die kritische Bedeutung der Wertformtheorie ist die Tatsache, dass sie jegliche auf der Affirmation des Proletariats als Produzent des Werts basierende politische Konzeption in Frage stellt. Sie erkennt das Marxsche Werk als eine wesentlich negative Kritik der kapitalistischen Gesellschaft. Durch die Rekonstruktion der Marxschen Dialektik der Wertform demonstriert sie, wie der Prozess des gesellschaftlichen Lebens unter die Wertform subsumiert – oder von ihr „formbestimmt“ wird. Was diese „Formbestimmung“ charakterisiert, ist eine perverse Priorität der Form über ihren Inhalt. Arbeit hat nicht einfach eine Existenz vor ihrer Verdinglichung in Form der kapitalistischen Ware, welche eine positive Grundlage sein und im Sozialismus oder Kommunismus durch die Änderung ihres formellen Ausdrucks befreit werden könnte. Es ist eher so, dass Wert grundlegend – als primäre Form gesellschaftlicher Vermittlung – vor der Arbeit existiert und sich zu ihr prioritär verhält. Das sagt auch Chris Arthur:
„Im Kern liegt das Scheitern jener Tradition, welche das Modell der „einfachen Warenproduktion“ benützt, an der Tatsache, dass sie sich auf das menschliche Individuum als Ausgangspunkt der Wertverhältnisse fokussiert, statt menschliche Tätigkeiten als objektiv von der Wertform bestimmt zu betrachten...In Tat und Wahrheit wird jedoch das Wertgesetz durch die Effektivität eines Systems auferlegt, dessen Herz das Kapital ist, welchem die Warenproduktion untersteht, es ist das Ziel der Verwertung und das reale Subjekt (und als solches von Marx identifiziert), mit dem wir konfrontiert sind.“ [51]
Obwohl es als wahr und politisch effektiv erscheint [52], zu sagen, wir produzieren Kapital durch unsere Arbeit, ist es eigentlich präziser, (in einer wirklich auf den Kopf gestellten Welt) zu sagen, dass wir als Subjekte der Arbeit vom Kapital produziert werden. Gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit ist nur der Massstab des Werts, weil die Wertform Arbeit als ihren Inhalt postuliert. In einer Gesellschaft, welche nicht mehr von entfremdeten gesellschaftlichen Formen beherrscht wird – und nicht mehr die eigene Expansion von abstraktem Wohlstand zur Grundlage hat – wird der die kapitalistische Produktionsweise charakterisierende Arbeitszwang verschwinden [53]. Genau wie der Wert verschwindet abstrakte Arbeit als Kategorie. Die Reproduktion der Individuen und ihre Bedürfnisse werden zu einem Selbstzweck. Ohne die Kategorien des Werts, der abstrakten Arbeit und des Lohns hätte die „Arbeit“ nicht mehr ihre systematische Rolle, wozu sie durch die primäre gesellschaftliche Vermittlung bestimmt wird: den Wert.
Deswegen deutet die Wertformtheorie bezüglich des daraus folgenden Begriffs der Revolution in die gleiche Richtung wie die Kommunisierung. Die Überwindung der kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnisse besteht nicht aus einer einfachen „Befreiung der Arbeit“; der einzige „Ausweg“ ist wohl eher die Beseitigung des Werts selbst – jener Wertform, welche abstrakte Arbeit als Massstab von Wohlstand postuliert. Die Kommunisierung ist gleichbedeutend mit der Zerstörung der Warenform und dem gleichzeitigen Aufbau von unmittelbaren gesellschaftlichen Beziehungen zwischen Individuen. Der Wert, verstanden als totale Form gesellschaftlicher Vermittlung, kann nicht durch halbe Sachen beseitigt werden.
Die Tatsache, dass die wenigsten Wertformtheoretiker explizit solche radikalen politischen Schlussfolgerungen aus ihrer Arbeit gezogen haben, ist absolut unbedeutend: Solch radikale politische (oder anti-politische) Schlussfolgerungen sind für uns eine logische Folge der Analyse.
Eine Rückkehr zu Marx?
Die Erkenntnis des „versteckten Kerns“ der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie durch die Wertformtheorie würde darauf hindeuten, dass Marx schon 1867 Wert als totalisierende, als Ganzes zu überwindende Form gesellschaftlicher Vermittlung erkannt hatte. Somit könnte der Marxismus, mit seiner Geschichte der Affirmation der Arbeit und seiner Identifikation mit staatlich geführter „sozialistischer Akkumulation“ als Geschichte der Fehlinterpretation Marxens betrachtet werden. Die richtige Lesart, welche in Richtung einer radikalen Negation des Werts deutet, wurde dadurch gewissermassen verpasst. Doch wenn die Marxsche Theorie der Wertform Kommunisierung im modernen Sinne implizierte, dann ist ihm das selbst ganz klar auch nicht aufgefallen!
Marxens eigene Haltung gegenüber der Wichtigkeit seiner Werttheorie war ambivalent. Zwar bestand Marx auf ihrer „wissenschaftlichen“ Bedeutung, doch als Reaktion auf die Schwierigkeiten seiner Leser, die Subtilitäten davon zu erfassen, war er bereit, sie zu Gunsten der Rezeption seines restlichen Werks zu kompromittieren [54]. Zudem war er auch bereit, sein Werk bekannt zu machen und „seine Methode zu verstecken“ und darum erlaubte er Engels (der, wie wir bereits gesehen haben, einer jener Leute war, welche Schwierigkeiten mit diesem Aspekt des Werks seines Freundes hatte), etliche Rezensionen zu schreiben, welche die Behandlung von Wert und Geld herunterspielten, damit diese nicht „vom Hauptthema ablenken“ würden. Marxens Position war scheinbar folgende:
„Die Werttheorie ist die logische Vorbedingung zu seiner Theorie der kapitalistischen Produktion, doch sie ist nicht unerlässlich für das Verständnis letzterer Theorie und v.a. der Kritik der kapitalistischen Produktion. Die marxistische Diskussion in den letzten Jahren hat diese scheinbar Marxsche Haltung (siehe Marxens Rat an Frau Kugelmann [55]) in jeglicher Hinsicht adoptiert, indem die Frage diskutiert wurde, ob die Marxsche Werttheorie für die Marxsche Analyse der Klassenausbeutung notwendig ist oder nicht.“ [56]
Marx akzeptierte scheinbar, dass eine mehr oder weniger linksricardianische Lesart seines Werks für die Bedürfnisse der Arbeiterbewegung angemessen wäre. Seine politischen Schriften implizierten, dass eine starke Arbeiterklasse, welche sich um eine zunehmend homogene Arbeiteridentität sammelte, durch ihre Gewerkschaften und Parteien ihre alltäglichen Kämpfe zu einer revolutionären Überwindung der kapitalistischen Gesellschaft ausbauen würde. Gegen den Lassallschen sozialdemokratischen Marxismus seiner Zeit schrieb Marx die beissende Kritik des Gothaer Programms, wo er ihn für seine affirmative Haltung zur Arbeit und seine inkohärenten Anschauungen im Bereich der politischen Ökonomie scharf angriff. Doch er hielt es nicht für notwendig, den Text zu veröffentlichen. Zudem sind die in der (später von Engels veröffentlichten) Kritik verteidigten Ideen keineswegs unproblematisch. Sie beinhalten eine Theorie des Übergangs, während welchem das bürgerliche Recht im Bereich der Verteilung durch den Gebrauch von Arbeitsscheinen nach wie vor gelten würde und seine Beschreibung des „ersten Stadiums des Sozialismus“ ist viel näher beim Kapitalismus als beim viel attraktiveren zweiten Stadium, ohne dass irgendein Mechanismus beschrieben würde, der erklären könnte, wie ersteres zu zweiterem wird [57].
Es wäre falsch, zu suggerieren, dass die deutsche Diskussion die Diskrepanz zwischen der radikalen Haltung, welche viele davon von der Marschen Kritik ableiteten oder von ihr ausgehend entwickelten, und Marxens eigener Politik ignorierte. Ende der 1970er Jahre war eine bedeutende Art und Weise, wie diese Frage neuerdings verstanden wurde, die Unterscheidung zwischen einem „esoterischen Marx“ mit einer radikalen Kritik der Wertform als totalisierende gesellschaftliche Vermittlung und einem „exoterischen Marx“ mit einer Orientierung hin zu den Zielen der Arbeiterbewegung seiner Zeit, die er auch unterstützte [58]. Der exoterische Marx wurde mit einer Fehlinterpretation des radikalen Potenzials des Proletariats des 19. Jahrhunderts erklärt. Es wurde zu einer starken Tendenz im deutschen Kontext, den „exoterischen Marx“ zu Gunsten des „esoterischen Marx“ über Bord zu werfen. Marxens Idee des Kapitals als unbewusstes automatisches Subjekt wurde dahingehend betrachtet, dass sie die Idee des Proletariats als Subjekt der Geschichte, die er scheinbar auch hatte, in den Hintergrund rückte. Klassenkampf wird in dieser Sichtweise nicht bestritten, jedoch als „systemimmanent“ – als sich innerhalb der Kategorien bewegend – abgetan und die Abschaffung der Kategorien wurde anderweitig gesucht. Gemäss dieser Sichtweise war die Identifikation Marxens mit der Arbeiterbewegung schlichtweg ein Fehler, späte Einsicht hat uns gezeigt, dass sie eine Bewegung für die Emanzipation innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft und nicht für die Abschaffung dieser Gesellschaft war. Diese Tendenz zeigt sich beispielhaft in den Gruppen der „Wertkritik“ Krisis und Exit. Obwohl er die Unterscheidung zwischen esoterisch und exoterisch nicht benützt, verteidigt Moishe Postone, der seine Ideen in Frankfurt Anfang der 1970er Jahre entwickelte, im wesentlichen die selbe Position. In Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft behauptet er, Marx biete eine „Kritik der Arbeit im Kapitalismus“ (der esoterische Marx), statt – wie im traditionellen Marxismus – eine „Kritik vom Standpunkt der Arbeit“ (der exoterische Marx). Es ist interessant, dass Postone, abgesehen von seiner Abwendung von der Klasse, bezüglich aus seiner Theorie zu ziehenden Schlussfolgerungen expliziter ist als die meisten akademischen Wertformmarxisten, was ihn politisch innerhalb der „Ultralinken“ und nicht allzu weit von der These der Kommunisierung positioniert [59].
Bei weitem nicht all jene, welche von der Neuen Marx-Lektüre beeinflusst sind, und sicher auch nicht alle im weiteren Bereich eines an der kritischen Wertform orientierten Marxismus, haben sich vom Klassenkampf abgewendet. In englischsprachigen Diskussionen hat im allgemeinen die Adoption einer „monetären“ oder an „abstrakter gesellschaftlicher Arbeit“ orientierten Werttheorie nicht die gleiche Ablehnung der Klassenanalyse impliziert, jedoch auch nicht die gleiche Kritik traditionell linker Anschauungen wie in Deutschland. Werner Bonefeld, der mehr als die meisten anderen zur Einführung von von der deutschen Diskussion abgeleiteten kritischen Konzeptionen in den englischsprachigen Marxismus beigetragen hat, hat auf jeden Fall eine eindeutig klassenorientierte Perspektive [60]. Trotzdem definieren die meisten Beschreibungen der Neuen Marx-Lektüre die Ablehnung der Marxschen historischen Mission des Proletariats als eine ihrer zentralen Charakteristika und eine Sensibilität zur Skepsis gegenüber dem Klassenkampf war in der deutschen Linken vorherrschend. Doch wenn innerhalb dieser Sichtweise das Proletariat als Träger der Revolution abgelehnt wird, stellt sich selbstverständlich die Frage: Woher wird die Abschaffung der Klassengesellschaft kommen? Die ziemlich unbefriedigende Antwort, welche in diversen Formen in den deutschen Diskussionen vorherrschend ist, ist scheinbar, dass es eine Frage der richtigen Kritik ist – d.h. indem die Revolution zu einer Frage der Aneignung des richtigen Bewusstseins wird. In dieser Fokussierung auf richtiges Bewusstsein und richtige Kritik schimmert scheinbar ironischerweise – nach all dieser Hinterfragung des traditionellen Marxismus – eine gewisse leninistische Problematik der Trennung zwischen Lehrer und Schüler durch.
Wir haben die Art und Weise unterstrichen, wie die Neue Marx-Lektüre eine Entwicklung ausgehend von der Frankfurter Schule und eine Verbesserung davon darstellt. Adornos dialektische Gesellschaftstheorie – bezüglich ihrer eigenen Reproduktion hinter dem Rücken der Individuen, der Umkehrung von Subjekt und Objekt und der Existenz der Realabstraktion – war von Marxens Kritik der politischen Ökonomie abgeleitet. Doch Adorno unternahm selbst kein detailliertes Studium des Kapital und seinen Entwürfen und stützte sich weitgehend auf Forschungen von anderen [61]. Die Neue Marx-Lektüre zeigte die Richtigkeit von Adornos Verständnis der kapitalistischen Gesellschaft, nicht im allgemeinen Bereich der Philosophie und der Gesellschaftstheorie, sondern auf dem traditionell marxistischen Terrain der Kapitalinterpretation. Adorno und Horkheimer schienen allerdings unfähig, den theoretischen Entwicklungen ihrer Studenten zu folgen [62]. Nach ihrem Tod erlitt das Erbe der Frankfurter Schule einen vollständigen Verfall zu bürgerlicher Theorie unter Habermas, während die kritische Theorie der Neuen Marx-Lektüre gedeihte.
Gewissermassen können die Ergebnisse der Neuen Marx-Lektüre aber auch als hinter Adorno zurückfallend betrachtet werden. Die Kategorie der Klasse spielt eine geringe Rolle in den Schriften von Backhaus und Reichelt und sie behandeln die Frage der Revolution als ausserhalb von ihrem akademischen Forschungsfeld stehend und somit ist es ironischerweise Adorno, sogar mit seiner Idee der Integration des Proletariats, der diesbezüglich mehr zu sagen hat. In Essays wie Gesellschaft (1965), Anmerkungen zum sozialen Konflikt heute (1968) oder Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft? (1968) zeigt Adorno ein „orthodoxes“ (in einem positiven Sinn) Interesse für die Realität des Klassenantagonismus und der Ausbeutung. Im mit Ursula Jaerisch geschriebenen Text Anmerkungen greift er den Begriff des sozialen Konflikts als „positivistische“ Abflachung von Marxens Konzept des Klassenkampfes auf, wenn auch ein Klassenkampf, der so durch die Entwicklung der Klassengesellschaft objektiv möglich gemacht worden ist (Integration). Obwohl er nicht bewusst gekämpft wird, ist gemäss Adorno der Klassenantagonismus nach wie vor der Kern der gegenwärtigen Gesellschaft. Diese Tatsache wird in den Notizen zu einer Adornovorlesung von Backhaus hervorgehoben als die Neue Marx-Lektüre inspirierend. Adorno betont hier wiederholt, dass das „das Tauschverhältnis […] in Wirklichkeit durch die Klassenverhältnisse [präformiert ist]“; der einzige Grund, weshalb der Arbeiter die gegebenen Verhältnisse akzeptiert, ist die Tatsache, dass er „nichts anderes [...] als seine Arbeitskraft“ zu verkaufen hat. Im Gegensatz zu Backhaus’ eigenen Schriften liegt Adornos Fokus sehr stark auf der Tatsache, dass, während der Austausch keine blosse Illusion ist, der „Schein im Tauschvorgang […] im Begriff des Mehrwerts“ liegt [63]. Während sich also Backhaus und Reichelt viel eingehender mit Marxens Schriften beschäftigt haben, war Adorno gewissermassen weniger „akademisch“, „politischer“ und näher an Marxens Interesse an der Ausbeutung und am Klassenantagonismus.
Diesbezüglich war Krahl ebenfalls komplett anders als seine Erben. Wie es der volle Titel seiner posthum veröffentlichten Schriften [64] zeigt, hatte Krahl nicht nur den Verdienst, sich für die Vermittlung der Kategorien des Werts und des Klassenkampfes zu interessieren, sondern auch jenen, eine klar historische Perspektive zu haben, eine Perspektive, die in den wesentlich philologischen Werken von Reichelt und Backhaus grösstenteils fehlt. Nach Krahl löst ein Interesse an Systemrekonstruktion alles Interesse an Geschichte in der Neuen Marx-Lektüre ab. Die Entwicklung von Backhaus, Reichelt und der nächsten Generation von Werttheoretikern wie Heinrich ging dahin, dass alles, was nach „unwissenschaftlicher“ Geschichtsphilosophie oder Revolutionstheorie roch, aus dem Marxschen Werk ausgeschlossen wurde. Es geht nicht darum, eine Art mechanische Anwendung von Theorie zu finden, sondern anzuerkennen, dass jene Fragen, welche Adorno und Krahl verschieden beantworteten, nicht verschwunden sind. System muss historisch und Geschichte systematisch gedacht werden.
Statt einer simplistischen Rückkehr zur Position von Adorno (oder diesbezüglich zu jener der nicht übersetzten Schriften Krahls), geht es darum, Adornos pessimistische Haltung zu den Klassenkämpfen seiner Zeit als einen Versuch einer ehrlichen Konfrontation mit den Widersprüchen und Sackgassen dieser Zeit zu begreifen, und nicht als sein blosses Scheitern. Ähnlich verhält es sich mit der Abwendung von den Krahlschen Fragestellungen, der Skepsis in deutschen Diskussionen gegenüber dem „Klassenkampfmarxismus“ und dem Versuch, eine revolutionäre Theorie auf etwas anderem zu gründen, es sind nicht blosse ideologische Verirrungen. Wenn sie es auch scheinbar nicht geschafft haben, zu einer überzeugenden Alternative zu gelangen, so haben sie zumindest ein reales Problem identifiziert. In Anbetracht der Geschichte ist es nicht offensichtlich, dass die Arbeiterbewegung in Richtung eines Kommunismus verstanden als Ende des Werts, der Klassen, des Staates usw. deutet – sogar eher, so scheint es, in die gegenteilige Richtung. Das Argument, Klassenkampf sei systemimmanent erfasst den „eingeklemmten“ Charakter der Kämpfe innerhalb des Kapitals. Die Idee des esoterischen und des exoterischen Marx – der Wunsch, Marxsche Kritik vom Klassenkampf zu entkoppeln – bietet scheinbar eine, wenn auch ziemlich ketzerische, so doch plausible Lösung für das Problem des Scheiterns der Arbeiterklasse, ihre „historische Aufgabe“ zu erfüllen: Die Idee, dass die Arbeiterbewegung nie wirklich an sich revolutionär war und dass die wirklich revolutionäre Perspektive schlichtweg in Marxens „esoterischer“ Sichtweise liegt. Doch solch eine Entkopplung liesse uns natürlich kein plausibles alternatives Szenario für die Verwirklichung derselben.
Es ist klar, dass die Werttheorie und die Klassenanalyse letztendlich nicht voneinander getrennt werden können. Die Kategorien des Werts und der Klasse bedingen sich gegenseitig. Durch das Verständnis des Kapitals als in Begriffen der „systematischen Dialektik“ [65] funktionierend, erkennt man, dass deren Verhältnis ein inneres ist, dass „das Setzen der gesellschaftlichen Arbeit in der Form des Gegensatzes von Kapital und Lohnarbeit – […] die letzte Entwicklung des Wertverhältnisses [ist]“ [66] und dass Wertverhältnisse ein Produkt der Trennung lebendiger Arbeit von vergegenständlichter Arbeit und somit ein Klassenverhältnis ist. Doch obwohl es nun zwecklos ist, die Abschaffung des Werts woanders zu suchen als in der Klasse, welche gezwungen ist, ihn zu produzieren, und von ihm zunehmend überflüssig gemacht wird, müssen die Zweifel über das revolutionäre Potenzial der Arbeiterklasse vieler Wertkritiker hinterfragt werden. Uns scheint es, dass Théorie communiste dies tut.
Die Erkenntnis der gegenseitigen Verwicklung von Proletariat und Kapital befindet sich im Kern der Theorie von TC. Sie stellt die grundlegende Frage, wie der Kampf einer Klasse, welche eine Klasse der kapitalistischen Gesellschaft ist, diese Gesellschaft abschaffen kann. Ein wichtiges Element des Beitrags von TC ist die Tatsache, der Versuchung widerstanden zu haben, diese Frage mit einem revolutionären menschlichen Wesen des Proletariats jenseits seines Klassen- und Kapitalcharakters zu beantworten, und gleichzeitig die Zentralität des Klassengegensatzes nicht aus den Augen zu verlieren. Die Antwort ist eher, das Klassenverhältnis als sich in Kampfzyklen historisch entwickelnd zu begreifen, was stets eine gegenseitige Verwicklung impliziert. Für TC ist die Tatsache zentral, dass die „Kommunisierung“ nicht ist, was der Kommunismus und die Revolution „immer wirklich gewesen ist oder gewesen hätte sein sollen“ [67]. Es ist eher so, dass das Konzept der Kommunisierung sich historisch entwickelt mit dem Ende eines Kampfzyklus, während welchem der Kommunismus und die Revolution als etwas anderes erschienen.
Für TC war die klassische Arbeiterbewegung zu Lebzeiten Marxens, sowie während der zweiten und dritten Internationalen Teil eines Kampfzyklus, den sie Programmatismus [68] nennen. Während dieser Periode existierten Arbeiterkämpfe und die Vision der Überwindung des Kapitalismus, welche sich aus ihnen entwickelten, auf der Grundlage der Autonomie und Positivität, welche die Arbeiter fähig waren innerhalb des Kapital-Arbeits-Verhältnisses aufrechtzuerhalten. Die Revolution dieser Periode könnte als unmöglicher Versuch beschrieben werden, ein Verhältnis abzuschaffen, indem einer seiner Pole bejaht wird. Die Tragödien der Sozialdemokratie und des Stalinismus und die Erfahrungen des Anarchismus in Spanien waren das Produkt der Widersprüche des gesetzten Ziels und der Methoden der Bewegung in ihrer Glanzzeit, welche ihrerseits ein Produkt der Konfiguration des Klassenverhältnisses dieser Zeit waren – d.h. der Art und Weise, wie sich Kapital und Klasse miteinander konfrontierten. François Danel fasst die Situation im folgenden Auszug zusammen:
„Da die Entwicklung des kapitalistischen Verhältnisses – d.h. des Klassenkampfes – nicht unmittelbar Trägerin der Abschaffung der Lohnarbeit, sondern ihrer Verallgemeinerung war, abstrahierte das Proletariat das Endziel der Bewegung und machte die Revolution – seine Machtergreifung – von einer Reifung der objektiven (die Entwicklung der Produktivkräfte) und subjektiven (sein Wille und sein Klassenbewusstsein) Bedingungen abhängig. Es setzte also den Kommunismus als Programm und seine volle Verwirklichung als letzte Etappe eines unmöglichen Übergangs: Die proletarische Beherrschung der Wertbewegung, während die Lohnarbeit als „degenerierend“ vermutet wurde, sobald man Geld mit Arbeitsscheinen ersetzte […] Was die Arbeiterbewegung damit in Frage stellte, war nicht das Kapital als Produktionsweise, sondern nur die Verwaltung der Produktion durch die Bourgeoisie. Es ging für die Arbeiter darum, den Produktivapparat dieser parasitären Klasse zu entreissen und ihren Staat zu zerstören, um einen anderen wieder aufzubauen, angeführt von der Trägerpartei des Bewusstseins, oder die Macht des bürgerlichen Staates durch die basisnahe Selbstorganisation der Produktion mit Hilfe der Organe der Gewerkschaften oder der Räte zu untergraben. Doch die Frage nach dem Wert wurde nicht gestellt und es wurde nicht versucht, das Wertgesetz abzuschaffen – den Zwang zur Akkumulation und somit zur Reproduktion der Ausbeutung, die sich sowohl im Maschinenpark, im fixen Kapital als Kapital an sich, als auch in der notwendigen Existenz einer der Arbeiterklasse entgegen stehenden, bürgerlichen oder bürokratischen Ausbeuterklasse als kollektiver Agens dieser Reproduktion materialisiert.“ [69]
Das bestimmte Scheitern dieser programmatischen Revolution hinterliess einen Nachkriegskapitalismus, in welchem die Arbeiterbewegung eine gewisse Macht innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft, doch ihren früheren Aspekt der autonomen revolutionären Affirmation verloren hatte. Die Entwicklung einer revolutionären Theorie musste sich mit dieser Situation konfrontieren. Die Kämpfe, welche dann zu neuer Theorieproduktion in den 1960er und 1970er Jahren führten, hatten – unabhängig von den Hoffnungen von Gruppen wie der SI – den Programmatismus noch nicht überwunden. Sie nahmen eher einen widersprüchlichen Charakter an: konterkulturellen Utopismus und „Widerstand gegen die Arbeit“, Fragen des alltäglichen Lebens, welche mit der Stärke einer programmatischeren Bewegung zusammenfiel – und in vielen Hinsichten von ihr abhing. Es war innerhalb dieses Widerspruchs und diesen Kämpfen, wo die Theorie der Kommunisierung und der neue kritische Marxismus entstehen konnten. Der Ausgang dieser Kämpfe zu Gunsten des Kapitals markierten das Ende dieses Zyklus in Form einer Restrukturierung, im Zuge welcher die Möglichkeiten der Klasse zu einer positiven Autonomie und zur Affirmation zu Relikten der Vergangenheit geworden sind. Für TC ist es eben genau diese Niederlage, welche eine neue Konfiguration des Klassenverhältnisses erschafft, innerhalb welcher die Existenz der Klasse nicht mehr als eine zu bejahende Positivität erlebt wird, sondern als äusserer Zwang in Form des Kapitals. Und es ist diese Konfiguration, welche sowohl ein neues Verständnis von Kommunismus als auch eine neue Marx-Lektüre erfordert.
Es ist möglich, diese „Rückkehr zu Marx“ in Begriffen eines Aufs und Abs kommunistischer Theorie parallel zu jenem revolutionärer Wellen zu verstehen: 1917, 1968 usw. Doch genau wie sich die Perspektive der Kommunisierung auch in den marginalen ketzerischen Tendenzen früherer revolutionärer Perioden nicht entwickelte, so ging auch der frühere kritische Marxismus nie so weit wie jener, welcher in den 1960er Jahren entstand. Lukács, Rubin und Pashukanis entwickelten ihre Konzeptionen im Verhältnis zu einer aufsteigenden Arbeiterbewegung, welche eine gewisse Konfiguration des Arbeit-Kapital-Verhältnisses ausdrückte. Das Werk früherer kritischer Marxisten, genau wie das Werk von Marx – der erste Wertformtheoretiker – hatte Widersprüche und Grenzen, welche die spätere Generation, die schrieb als der Programmatismus sich seinem Ende näherte, überwinden konnte [70]. Obwohl das affirmative proletarische Projekt des Programmatismus notwendigerweise zum Scheitern verurteilt war, nicht nur aus unserer Perspektive der Kommunisierung, sondern sogar – und das ist wichtig – in Bezug auf die Ziele, welche es sich selber setzte, so gab es doch dem Gegensatz von Kapital und Arbeit „Raum zur Bewegung“. Gegen Ende der 1960er Jahre war dieser Raum langsam aufgebraucht. Für die Theoretiker der „zweiten revolutionären Welle“ des 20. Jahrhunderts war eine zentrale Frage die Ablehnung der Idee und der Praxis des Sozialismus in Form von Arbeitern, welche den wahren Wert ihrer Arbeit in einer Planwirtschaft erhalten.
Die kritische Marx-Lektüre erfasst die Radikalität der Implikationen einer revolutionären Negation des Werts: Wir sprechen sowohl von der Überwindung von uns selbst als auch von etwas „da draussen“. Der Beitrag von TC ist es, zu erfassen, wie und warum die Konfiguration des Gegensatzes zwischen Kapital und Arbeit in einer früheren Periode eine solche Überwindung nicht in Betracht zog. Zu Marxens Lebzeiten, und während der historischen Arbeiterbewegung, setzte das Verhältnis zwischen Kapital und Proletariat die Revolution in Begriffen der Affirmation, statt in jenen der Negation der Arbeit, des Werts und der Klasse. Das Werk von TC suggeriert, dass der radikale „Ausweg“ von der Wertform vorgegeben ist und vermutlich von der historischen Entwicklung des Kapital-Arbeit-Verhältnisses selbst bestimmt wird, und nicht das Produkt eines geschichtslosen richtigen Bewusstseins, eines frei schwebenden wissenschaftlichen Standpunkts oder einer Perspektive der Kritik ist. Die historische Perspektive der Klassenverhältnisse ist komplementär zur Wertformtheorie. Und die durchdachte Analyse kapitalistischer gesellschaftlicher Verhältnisse der systematischen Dialektik und der Wertformtheorie kann die Perspektive der Kommunisierung durch eine Ausführung zu dem stimulieren, was dieses Klassenverhältnis genau ist und wie die besonderen gesellschaftlichen Beziehungen in der kapitalistischen Gesellschaft als solche formbestimmt sind. Systematische Dialektik und die Wertformtheorie können uns helfen, den Charakter des kapitalistischen Klassenverhältnisses zu verstehen, d.h. was es genau ist als etwas, das eine Geschichte haben kann, während welcher sich jene Revolution damals in Form des Programmatismus präsentierte, deren angemessener Horizont heute die Kommunisierung ist. Der Kommunismus erfordert die Abschaffung eines facettenreichen Verhältnisses, das sich mit der Zeit entwickelte, doch es abzuschaffen, bedeutet schlichtweg, dass wir aufhören Wert zu konstituieren und er hört auf, uns zu konstituieren. Die Radikalität unserer Zeit zeigt sich in der Tatsache, dass das nun die einzige Art und Weise ist, das zu konzipieren.
Übersetzt aus dem Englischen von Kommunisierung.net.
[1] Wir bedanken uns bei den deutschen Genossen für die nützlichen Kommentare zu den Entwürfen dieses Artikels, besonders bei DD und Felix vom Kosmoprolet.
[2] K. Marx, Das Kapital, Bd. 1, MEW 23, S. 95, FN 32.
[3] Eine unvollständige Liste der Autoren wäre Chris Arthur, Werner Bonefeld, Hans George Backhaus, Riccardo Bellofiore, Michael Eldred, Michael Heinrich, Hans Jürgen Krahl, Patrick Murray, Moishe Postone, Helmult Reichelt, Geert Reuten, Ali Shamsavari, Felton Shortall, Tony Smith, Michael Williams.
[4] K. Marx, Das Kapital, Bd. 1, op. cit., S. 94-96.
[5] Gleichzeitig schien Marx anzuerkennen, dass seine Wertformanalyse problematisch war, was dazu führte, dass er mindestens vier Versionen der Abhandlung schrieb. Es gibt beträchtliche Unterschiede zwischen der Entwicklung des Werts in den Grundrisse, im Urtext, in der Kritik der politischen Ökonomie, der ersten Ausgabe des Kapital mit ihrem Anhang und der zweiten Ausgabe des Kapital; und die späteren Versionen können auf keinen Fall als Verbesserungen im Vergleich zu den älteren betrachtet werden. In der Tat verlieren die etwas populäreren späteren Präsentationen – welche Marx als Reaktion auf die Verständnisschwierigkeiten entwickelte, welche sogar Leute hatten, die im nahe standen – gewisse ihrer dialektischen Subtilitäten und neigen eher zur linksricardianischen Lektüre, welcher in der Arbeiterbewegung eine goldene Zukunft bevorstand. Siehe Hans-Georg Backhaus, ‘On the Dialectics of the Value-Form’, Thesis Eleven 1,1980; Helmut Reichelt, ‘Why Marx Hid his Dialectical Method’ in Werner Bonefeld et al., eds., Open Marxism vol. 3 (Pluto Press 1995).
[6] I. Rubin, Die marxsche Theorie des Warenfetischismus.
[7] I. Rubin, Zur Marxschen Werttheorie. Ricardo Bellofiore hat bemerkt, dass Rosa Luxemburg eine andere Ausnahme unter traditionellen Marxisten ist und der Wertform viel Aufmerksamkeit schenkte. Siehe seine Einführung zu Rosa Luxemburg and the Critique of Political Economy (Routledge 2009), S. 6.
[8] Orthodoxie bedeutet mittlerweile dogmatischer Marxismus. Lukács machte einen interessanten Versuch, den Sinn von Orthodoxie zu rehabilitieren, indem er sagte, sie beziehe sich ausschliesslich auf die Methode. Vielleicht aufgrund der ambivalenten Bedeutung von Orthodoxie haben kritische Marxisten die Begriffe „Weltanschauungsmarxismus“ und „traditioneller Marxismus“ entwickelt, um sich auf althergebrachten Interpretationen von Marx zu beziehen, welche sie zu Fall bringen möchten. Hier benutzen wir orthodoxen und traditionellen Marxismus als Synonyme.
[9] K. Marx, Grundrisse, MEW 42, S. 397.
[10] Jacques Camatte, Capital and Community: the Results of the Immediate Process of Production and the Economic Works of Marx (Unpopular Books 1998). Ursprünglich veröffentlicht in Invariance Serie I Nr. 2 (1968).
[11] Roman Rosdolsky, Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen „Kapital“, 1968.
[12] Camatte kritisiert Rosdolsky trotzdessen, „er erfasst den für uns zentralen Punkt nicht: Kapital ist prozessierender Wert, Entstehung von Menschen“. J. Camatte, Capital and Community (Unpopular Books 1998) S. 163.
[13] Dies ist eine Lektüre der Grundrisse, die später mit Negri identifiziert wird. Es wurde in der Tat behauptet, sein Frühwerk stehe in der Schuld von Camatte. Auffallenderweise findet man, trotz den Ambivalenzen autonomer Politik, im Kapitel „Communism and Transition“ in Negris Marx Beyond Marx (1978) im wesentlichen ein Argument für die Kommunisierung.
[14] Als er seine frühere Idee einer „formellen Herrschaft des Kommunismus“ kommentierte, schrieb Camatte: „Die Periodisierung verliert heutzutage ihre Gültigkeit; somit wird die Geschwindigkeit der Verwirklichung des Kommunismus höher sein als zuvor geglaubt worden war. Schliesslich muss präzisiert werden, dass der Kommunismus weder eine Produktionsweise, noch eine Gesellschaft ist...“ J. Camatte, op. cit., S. 148, FN 19.
[15] Ebd., S. 165.
[16] Gilles Dauvé ‘Sur L’Ultragauche’ (1969), erstmals veröffentlicht auf English als ‘Leninism and the Ultraleft’ in: Jean Barrot (Gilles Dauvé) and François Martin, Eclipse and Re-Emergence of the Communist Movement (Black and Red, 1974), S. 104.
[17] „Denn der wirkliche Reichtum ist die entwickelte Produktivkraft aller Individuen. Es ist dann keineswegs mehr die Arbeitszeit, sondern die disposable time [verfügbare Zeit] das Maß des Reichtums.“Marx, Grundrisse, op. cit., S. 604. Es ist interessant, dass für Moishe Postone, der bezüglich der radikalen politischen Implikationen des Wertformansatzes explizit war, diese Passage grundlegend ist für die Neuinterpretation von Marx. Siehe Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft.
[18] Gilles Dauvé, François Martin, Niedergang und Wiederkehr der kommunistischen Bewegung, Beilage zu Wildcat-Zirkular 52/53, Juli 1999, S. 77. AdÜ: Einen herzlichen Dank an die Wildcat-Redaktion für die Bereitstellung des pdf.
[19] K. Marx, Grundrisse, op. cit., S. 217-218.
[20] Und von der Natur, welche für das Kapital – wie menschliche Wesen – einzig und allein eine Ressource für die Expansion abstrakten Wohlstands ist.
[21] TC behauptet indes nicht, die Kommunisierung sei Marxens Konzept der Revolution gewesen – siehe die Diskussion über „Programmatismus“ weiter unten.
[22] K. Marx, Grundrisse, op. cit., S. 723.
[23] Für eine Interpretation des „traditionellen Marxismus“ als „Weltanschauungsmarxismus“ siehe Michael Heinrich, „Invaders from Marx“, Jungle World Nr. 38, 21. September 2005. Diese Art und Weise, „traditionellen Marxismus“ zu charakterisieren, scheint auf den humanistischen Marxisten Iring Fetscher zurückzugehen, unter welchem sowohl Reichelt als auch Postone studierten. Siehe sein Karl Marx und der Marxismus, 1967.
[24] Zentrale Werke dieser Periode sind Lukács’ Geschichte und Klassenbewusstsein, Rubins Studien zur Marxschen Werttheorie und Pashukanis’ Allgemeine Rechtslehre und Marxismus. Eine der Eigenschaften der neuen Periode war die Wiederentdeckung vieler Texte früherer Perioden und eine Vertiefung ihrer Problematiken.
[25] Dies beinhaltete ein Interesse an Freud und Reich kombiniert mit Adornos vernichtenden Angriffen auf den Revisionismus der zeitgenössischen Psychoanalyse; Marcuses Eros und Zivilisation und Der eindimensionale Mensch und die Beschäftigung der Frankfurter Schule mit der „autoritären Persönlichkeit“.
[26] Rudi Dutschke, ‘Zur Literatur des revolutionären Sozialismus von K. Marx bis in die Gegenwart’, SDS-Korrespondenz Sondernummer 1966.
[27] Krahl starb in einem Autounfall 1970. Die posthum veröffentliche Sammlung seiner Schriften – Konstitution und Klassenkampf – ist nie ins Englische übersetzt worden.
[28] Eine bedeutende Ausnahme war Willy Huhn, der verschiedene Mitglieder des Berliner SDS beeinflusste. Er war Mitglied der „Roten Kämpfer“, eine Gruppe von KAPD-Mitgliedern Ende der 1970er Jahre, und wurde 1933/1934 kurz von den Nazis eingesperrt, wonach er sich der theoretischen Arbeit widmete, welche eine bedeutende Kritik der Sozialdemokratie mit einschliesst: Der Etatismus der Sozialdemokratie. Zur Vorgeschichte des Nazifaschismus. Die Rätekommunisten wurden allerdings erst nach dem Höhepunkt der Bewegung wirklich wieder entdeckt und veröffentlicht.
[29] Er fügt an: „Die widersprüchliche Bedingung dieser ideologischen Bewegung hilft vielleicht, ihre fast ausschliessliche Beschäftigung mit Fragen des Überbaus und den auffälligen Mangel an Beschäftigung mit der darunter liegenden materiellen und ökonomischen Basis zu erklären.“ Alfred Sohn-Rethel, Intellectual and Manual Labour (Humanities Press 1978), S. xii (Vorwort der englischen Ausgabe). Siehe die erste Zeile von Adornos Negative Dialektik: „Philosophie, die einmal überholt schien, erhält sich am Leben, weil der Augenblick ihrer Verwirklichung versäumt ward.“ Th. Adorno, Negative Dialektik, Suhrkamp, 1966, S. 13.
[30] Die erste deutsche Ausgabe des Kapital enthielt wesentliche Unterschiede – besonders in der Struktur und der Entwicklung des ersten Kapitels über die Ware und den Wert – im Vergleich zur zweiten, was die Grundlage war für leicht modifizierte spätere Ausgaben und Übersetzungen in andere Sprachen.
[31] Helmut Reichelt, Neue Marx-Lektüre: Zur Kritik sozialwissenschaftlicher Logik (VSA-Verlag, 2008) S.11.Einen herzlichen Dank an den VSA-Verlag für die Bereitstellung des pdf der Einleitung.
[32] Während der traditionelle marxistische Pol der SDS bis 1968 im wesentlichen reformistisch war und einen legalen Übergang zum Sozialismus verteidigte, entstand nach 1968 ein anti-revisionistischer, maoistisch-stalinistischer Pol. Es war die Zeit, wo viele frühere „Anti-Autoritäre“ ihre Kritik des Parteimarxismus verloren und sich in Formationen wie den K-Gruppen engagierten.
[33] Siehe Michael Heinrich, ‘Reconstruction or Deconstruction? Methodological Controversies about Value and Capital, and New Insights from the Critical Edition’ in Riccardo Bellofiore and Roberto Fineschi, eds., Re-Reading Marx: New Perspectives after the Critical Edition (Palgrave Macmillan 2009).
[34] Siehe ‘The Moving Contradiction’, Endnotes 2.
[35] Grossmann z.B. verteidigte die Idee einer sukzessiven Annäherung, gemäss welcher das Kapital als Serie analytischer Modelle betrachtet wurde, die immer komplexer wurden, je mehr zusätzliche Aspekte der Wirklichkeit hinzukamen.
[36] Helmut Reichelt, Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffs bei Karl Marx (Suhrkamp Verlag 1970). Die Nähe dieser Entsprechung wird rege debattiert. Siehe die Debatten zwischen Chris Arthur, Tony Smith und Robert Finelli in Historical Materialism (Nr. 11.1, 15.2 und 17.1). In Deutschland würden Michael Heinrich und Dieter Wolff die Idee einer „Homologie“ zwischen Kapital und Geist auf ziemlich unterschiedliche Art und Weise kritisieren.
[37] Helmult Reichelt, ‘Social Reality as Appearance: Some Notes on Marx’s Conception of Reality’ in Werner Bonefeld, Kosmas Psychopedis, eds., Human Dignity. Social Autonomy and the Critique of Capitalism (Hart Publishing 2005), S. 46-47. AdÜ: Einen herzlichen Dank an dieser Stelle an Helmut Reichelt für die Übersetzung der Passage.
[38] Als Moskau eine neue Ausgabe der Theorien über den Mehrwert veröffentlichte, wurden die editorischen Entscheidungen von Kautsky hinterfragt, etwas, das für die erheblichen Änderungen von Engels am dritten Band nie in Betracht gezogen worden wäre. Die Veröffentlichung der Originalmanuskripte (auf Deutsch) zeigt, dass Engels viele Passagen neu schrieb und fragwürdige editorische Entscheidungen traf, doch eine solche Hinterfragung des Kernkorpus des Marxismus war für den traditionellen Marxismus ein Tabu. Siehe Michael Heinrich: ‘Engels’ Edition of the Third Volume of Capital and Marx’s Original Manuscript’, in: Science & Society, vol. 60, Nr. 4, 1996, S. 452-466.
[39] Rosdolsky argumentiert kontrovers, dass das zweite und dritte Buch Teil eines geänderten Plans für das Kapital sind, doch sogar wenn man mit ihm statt mit den Gegenargumenten von Lebowitz und Shortall einverstanden ist, bleibt es dabei, dass die restlichen drei Bücher klar unvollendet sind.
[40] Zur Staatsableitungsdebatte siehe: John Holloway, Sol Picciotto, eds,. State and Capital: A Marxist Debate (University of Texas Press 1978) und K. Held (Hg.), Der bürgerliche Staat (1993), Gegenstandpunkt, 1999. Nur ein sehr geringer Teil der Weltmarktdebatte ist übersetzt worden, doch siehe: Oliver Nachtwey, Tobias ten Brink, ‘Lost in Transition: the German World-Market Debate in the 1970s,’ Historical Materialism 16.1 (2008), S. 37-70.
[41] Alfred Sohn-Rethel, Geistige und körperliche Arbeit. Zur Theorie gesellschaftlicher Synthesis (Suhrkamp 1970).
[42] Karl Marx, „Ware und Geld“ in Das Kapital, Hamburg, 1867, S. 27. Die Rechtschreibung wurde modernisiert.
[43] Karl Marx, Grundrisse, op. cit., S. 39.
[44] Michael Heinrich, „Invaders from Marx“, op. cit.
[45] Jacques Rancière, Der Begriff der Kritik und die Kritik der politischen Ökonomie, Merve, 1972, S. 55. AdÜ: Einen herzlichen Dank an dieser Stelle an den Merve-Verlag für die überaus aktive Mithilfe zur Lokalisierung der Passage.
[46] Lucio Colletti, Hegel und der Marxismus, 1984.
[47] Siehe Riccardo Bellofiore, ‘The Value of Labour Value: the Italian Debate on Marx, 1968-1976’ in der englischen Spezialausgabe der Rivista di Politica Economica IV-4-5V (April-Mai 1999).
[48] Doch überraschenderweise wurde die Bedeutung Rubins in den deutschen Debatten unterschätzt. Die Essays wurden erst 1973 (vom Englischen) ins Deutsche übersetzt und das erste Kapitel über den Fetischismus wurde ausgelassen. Siehe DD, „ Sachliche Vermittlung und soziale Form. I.I. Rubins Rekonstruktion der marxschen Theorie des Warenfetischismus“ im nächsten Kritik der politischen Philosophie, Eigentum, Gesellschaftsvertrag, Staat II.
[49] Eine erwähnenswerte Ausnahme ist der bahnbrechende Essay von Jairus Banaji: ‘From the Commodity to Capital: Hegel’s Dialectic in Marx’s Capital,’ in Diane Elson, ed., Value: The Representation of Labour in Capitalism (CSE Books 1979).
[50] Z. B.: Michael Eldred, Critique of Competitive Freedom and the Bourgeois-Democratic State: Outline of a Form-Analytic Extension of Marx’s Uncompleted System (Kurasje 1984).
[51] Chris Arthur, ‘Engels, Logic and History’ in Riccardo Bellofiori, ed., Marxian Economics a Reappraisal: Essays on Volume III of Capital, vol. 1 (Macmillan 1998), S. 14.
[52] Mike Rooke kritisiert z.B. Chris Arthur und den Ansatz der systematischen Dialektik für die „Verdinglichung der Dialektik“ und den damit einher gehenden Verlust des Sinns als „Dialektik der Arbeit“. ‘Marxism, Value and the Dialectic of Labour,’ Critique Vol. 37, Nr. 2, Mai 2009, S. 201-216.
[53] Ausserhalb einer Klassengesellschaft ist „Arbeit“ – das menschliche Bedürfnis, mit der Natur zu interagieren („der unorganische Leib des Menschen […] mit dem er in beständigem Prozeß bleiben muß, um nicht zu sterben“, K. Marx, „Die entfremdete Arbeit“ in Ökonomisch-philosophische Manuskripte) nicht ein äusserer Zwang, sondern ein Ausdruck unserer eigenen Natur. Bestimmung im Sinne, dass man z.B. Dinge tun muss, um essen zu können, ist nicht Zwang.
[54] Für eine (von Backhaus inspirierte) Diskussion siehe Michael Eldred, Vorwort zu Critique of Competitive Freedom and the Bourgeois-Democratic State (Kurasje 1984), S. xlv-li.
[55] Marx empfahl, dass die Frau seines Freundes, aufgrund der Schwierigkeit, das erste Kapitel des Kapital (über den Wert und das Geld) auslassen könne – Eldred bezieht sich hier auf die Tatsache, dass viele Leser von Marx, z.B. die Anhänger von Sraffa und Althusser, denken, dies sei der richtige Ansatz.
[56] Michael Eldred, op. cit., S. xlix-l.
[57] Siehe R.N. Berki, Insight and Vision: The Problem of Communism in Marx’s Thought (JM Dent 1984) Kapitel 5.
[58] Obwohl sie vielleicht von Backhaus abgeleitet werden kann, wurde die Unterscheidung, gemäss van der Linden, von Stefan Breuer im Text „Krise der Revolutionstheorie“ (1977) geprägt. Marcel van der Linden, ‘The Historical Limit of Workers’ Protest: Moishe Postone, Krisis and the “Commodity Logic”,’ Review of Social History, vol. 42 Nr. 3 (Dezember 1997), S. 447-458.
[59] Wie Dauvé benutzt Postone das „Maschinenfragment“, um die Konzeptionen des Sozialismus des traditionellen Marxismus zu untergraben; er betrachtet den traditionellen Marxismus als ricardianischen Marxismus, dessen Ziel eine Selbstverwirklichung des Proletariats ist, statt – wie bei Marx – seine Selbstabschaffung, er betrachtet die UdSSR als kapitalistisch und, wie TC, betont er die historische Konstitution von Objektivität und Subjektivität. Doch sobald es um praktische Positionen in der Gegenwart geht, tendiert er zu Reformen, indem er aussagekräftig bemerkt, dass seine Analyse „nicht bedeutet, dass ich ein Ultra bin“. Moishe Postone, Timothy Brennan, ‘Labor and the Logic of Abstraction: an Interview’ South Atlantic Quarterly 108:2 (2009) S. 319.
[60] Siehe z.B. Werner Bonefeld, ‘On Postone’s Courageous but Unsuccessful Attempt to Banish the Class Antagonism’ Historical Materialism 12.3 (2004).
[61] Genau wie das Werk von Lukács und Sohn-Rethel stand Adorno in der Schuld von Alfred Schmidt für alle Grundrisse-Zitate, die er in Negative Dialektik benutzt. Siehe Michael Eldred, Mike Roth, Einleitung des Übersetzers zu ‘Dialectics of the Value-Form’ in Thesis Eleven Nr. 1 (1980) S. 96.
[62] Siehe Helmut Reichelt ‘From the Frankfurt School to Value-Form Analysis’ Thesis Eleven Nr. 4 (1982) S. 166.
[63] Die Notizen von Backhaus zu einer Lesung von Adorno 1962 sind im Anhang der Dialektik der Wertform, 1997.
[64] Hans-Jürgen Krahl: Konstitution und Klassenkampf. Zur historischen Dialektik von bürgerlicher Emanzipation und proletarischer Revolution, Verlag Neue Kritik, 2008.
[65] Siehe ‘The Moving Contradiction’, op. cit.
[66] Marx, Grundrisse, op. cit., S. 600.
[67] Théorie Communiste, ‘Much Ado About Nothing’ Endnotes Nr.1 (2008), S. 192.
[68] Das ist der zentrale Streitpunkt zwischen Dauvé und TC, siehe Endnotes Nr. 1.
[69] François Danel, Einleitung zu Rupture dans la théorie de la revolution: Textes 1965-1975 (Senonevero 2003).
[70] Obwohl zum Beispiel Rubin einen grossen Teil der späteren Wertformtheorie antizipiert oder direkt inspiriert, können manche seiner Kategorien, wie z.B. die transhistorische Kategorie der „physiologisch gleichen Arbeit“ und jene der „sozial gleichgesetzten Arbeit“ als Grundlagen des Sozialismus, als Ausdruck der Art und Weise, wie die Revolution in dieser Zeit definiert wurde, und auch seiner Situation als Staatsplaner betrachtet werden. Wenn auch die meisten zeitgenössischen Wertformtheoretiker nicht explizit eine programmatische Konzeption der Revolution ablehnen, so gibt es trotzdessen eine viel stärkere Bewegung weg von der Affirmation der Arbeit als im früheren kritischen Marxismus. Die „revolutionären“ Implikationen der Wertformtheorie werden erst deutlich, wenn die Entwicklung des Klassenkampfes – d.h. des Kapitalismus – dies erlaubt.
Was hat das hier verloren?
Denkt Ihr die Leute sind zu blöd, um Kommunisierung.net in den Browser einzugeben?
Wenn man sich tatsächlich mit solchen Bleiwüsten (und 70 Verweisen) beschäftigen will, schafft man/frau auch das noch grad so.
Weil das keiner brauchen kann, muss das hier zwangsgefüttert werden, oder?
So wird das nix mit der Revolution ... nach kurzem Überfliegen des Texts ist das auch besser so.
Viel Spass noch damit!
-.-
Naja, wenn das "revolutionäre Programm" auf nen A5-Flyer passen soll... dann wird´s wohl aber auch nichts.
well...
...vielleicht sind leute zu blöd, kommunisierung.net zu kennen? So wie ich zum Beispiel. Ich finde den text hier genau richtig, vielen Dank!