Stellungnahme der Antifa Reutlingen-Tübingen zu den Anti-Israel-Demonstrationen

In den letzten Wochen gingen in vielen Städten der Bundesrepublik hunderte bis tausende auf die Straße, um gegen Israel zu demonstrieren. Auslöser der Demonstrationen war die Eskalation des Konflikts zwischen Israel und der islamistischen HAMAS, was zu einem israelischen Militärschlag im Gaza-Streifen führte. In den darauf folgenden Demonstrationen wurden antisemitische Parolen gerufen und gegen den Staat Israel gehetzt.

 

Während der blutige Bürgerkrieg in Syrien kaum (noch) Menschen mobilisiert, der Bürgerkrieg in der Republik Zentralafrika und im Südsudan von fast allen mit Ignoranz und Schweigen bedacht wird, mobilisiert der Israel-Palästina-Konflikt in Deutschland zehntausende Menschen. Diese Demonstrationen waren einseitig und aggressiv gegen Israel gerichtet, was darauf schließen lässt, dass hier ein bestimmtes Feindbild wirkt.

Der Grund für uns, sich als kleine Antifa-Gruppe aus der schwäbischen Provinz zu äußern, ist nicht die Entwicklung im Israel-Palästina-Konflikt, sondern seine gefährlichen Auswirkungen in Deutschland, auch auf die außerparlamentarische Linke.  

 

Demonstrationen gegen Israel

Die Gaza-Demonstrationen der letzten Wochen waren keine Demonstrationen für irgendeine Art von Frieden, sondern eindeutig Demonstrationen gegen Israel und zwar nicht als Kritik an Israels Politik, sondern gegen den Staat Israel gerichtet. Sie waren demzufolge antizionistisch. Antizionismus ist nicht die Kritik am Tun des Staates Israels, Antizionismus ist die Feindschaft und Ablehnung des Staates Israel. Das kann sich darin äußern, dass dem Staat Israel das Existenzrecht abgesprochen wird. Aber auch undifferenzierte und einseitige Kritik an Israel trägt oft antizionistische Züge, selbst wenn das Existenzrecht Israel nicht direkt in Frage gestellt wird. Diese Art von Kritik ist oft daran zu erkennen, dass Israel das einzige Objekt einer (unverhältnismäßigen) Kritik darstellt und die anderen Konfliktparteien ausgelassen oder kaum behandelt werden. So wurde aktuell auf kaum einer pro-palästinensischen Demonstration die islamistische HAMAS kritisch als Konfliktakteur benannt. Der antisemitische, homophobe und frauenfeindliche Charakter der HAMAS wurde fast nie erwähnt. In ihrer, immer noch gültigen, Charta von 1988, beruft sich die HAMAS immerhin auf die antisemitische „Verschwörung der Weisen von Zion“, eine Inspirationsquelle für Generationen von AntisemitInnen, inklusive der NationalsozialistInnen. Ebensowenig wurde die Praxis der HAMAS erwähnt Zivilpersonen als 'menschliche Schutzschilde' zu instrumentalisieren.

 

Häufig wurde Israel auf den Demonstrationen als „Apartheidsstaat“ oder Zionismus als „Faschismus“ diffamiert. Mit solchen Vergleichen wird in der Konsequenz auch eine Täter-Opfer-Verdrehung betrieben. Da Israel auch ein Staat ist, der von den Shoah-Überlebenden mit aufgebaut wurde, ist die „Nazi“-Etikettierung nicht nur falsch, sondern besonders perfide. Wird diesem Staat das Etikett „Nazi“ oder „faschistisch“ umgehängt, dann wären dieser kruden Logik nach Jüdinnen und Juden „auch nicht besser“ als die Nazis. Besonders in Deutschland wird gerne über solche Vergleiche nach dem Prinzip „Seht mal, die sind auch nicht besser“ versucht die eigene Vergangenheit zu entlasten.

 

Antisemitismus?

Auf den Anti-Israel-Demonstrationen wird nicht zwischen Israels Bevölkerung und der israelischen Regierung differenziert, zudem wird von vielen kaum zwischen Israelis und Jüdinnen und Juden unterschieden, besonders wenn letztere keine antizionistische Zitate-Lieferant*innen abgeben. Jüdinnen und Juden werden kollektiv für das Verhalten des Staates Israel verantwortlich gemacht.

Die vielerorts ertönenden „Allahu akbar“-Rufe lassen zudem darauf schließen, dass einige Muslime in Deutschland den Konflikt als religiösen Konflikt interpretieren, d.h. als jüdisch-muslimische Auseinandersetzung. Insofern hat es eine gewisse 'Logik' in Jüdinnen und Juden einen Feind zu sehen. Unter Jüdinnen und Juden in Deutschland, ja in ganz Europa wächst die Angst vor Übergriffen. Das hat berechtigte Gründe, denn eine genauere Betrachtung der Anti-Israel-Demonstrationen offenbart vielerorts einen starken israelbezogenen Antisemitismus. Es wurden eindeutige antisemitische Parolen gerufen und auf den Facebook-Kommentaren zu den Demonstrationen fanden sich weitere antisemitische Kommentare.

Doch verbleibt der Antisemitismus nicht auf der Ebene von Äußerungen. Wie im Gaza-Krieg 2009 ist ein weltweiter Anstieg antisemitischer Angriffe zu beobachten. In Deutschland wurden bereits in Dresden oder Essen Synagogen bedroht oder geschändet. In Paris attackierte am 13. Juli ein pro-palästinensischer Mob aus hundert Personen in Pogrom-Stimmung sogar eine Synagoge, in der gerade 200 Menschen beteten. Zum Teil mit palästinensischen Fahnen oder Symbolen der HAMAS ausstaffiert, skandierten die AngreiferInnen dabei wiederholt Sprüche wie „Tod den Juden“.

Die Trennung in einen 'ehrenwerten' Antizionismus und einen verwerflichen Antisemitismus funktioniert hier offenkundig nicht. Zu entscheiden, wo genau die Grenze zwischen Antisemitismus und Antizionismus verläuft, erscheint uns nicht möglich. Beides bedingt einander und zerläuft ineinander wie zwei unterschiedliche Eiskugeln, die nebeneinander in der Sonne schmelzen. Jean Améry erkannte bereits 1969: „Der Antisemitismus ist im Antizionismus enthalten wie das Gewitter in der Wolke“. Sowieso ist uns kaum ein Fall bekannt, in dem Israel-Feinde artikulierten Judenhass in ihren Demonstrationen irgendwie ablehnend begegnet wären und ihm aktiv entgegen gewirkt hätten. Offenbar sind 'ehrenwerte' AntizionistInnen bereit über den allzu offensichtlichen Antisemitismus ihrer BündnispartnerInnen hinwegzusehen.

Zu entscheiden in welchem Maße genau die Anti-Israel-Demonstrationen antisemitisch sind, erscheint uns daher als eher nachrangig. Die klügeren AntisemitInnen rufen sowieso lieber „Scheiß Zionist!“ statt „Scheiß Jude!“, gemeint ist aber im Grunde dasselbe.

Einige Merkmale, die im Antisemitismus traditionell Jüdinnen und Juden zugeschrieben werden, scheinen auf den Staat Israel übertragen worden zu sein. Israelis werden Charaktereigenschaften wie „besonders grausam“, „blutdurstig“ oder „verschlagen“ angedichtet, die aus der antisemitischen Beschreibung von 'dem Juden' zu stammen scheinen. Andrei S. Markovits schreibt in seinem Buch „Amerika, dich hasst sich’s besser“: „Es ist die Figur des harten, aggressiven, skrupellosen und rücksichtslosen Juden in Gestalt des machtvollen und brutalen Israeli, die dem europäischen Antisemitismus von heute eine neue Dimension gibt“. Den Israelis wird analog zu 'den Juden' vorgeworfen sie seien eine Art „Anti-Volk“, was in der Region nicht fest verwurzelt sei und nur aus KolonialistInnen und SiedlerInnen bestehen würde. Außerdem wird Israel von AntizionistInnen als ein „Fremdkörper“ und „Krebs“ in der Region betrachtet, den es zu „entfernen“ gelte. Ethnisch-nationalistische Homogenisierungs-Vorstellungen schimmern hier deutlich durch. Der massiven Kritik an Israel entspricht die völlige Abwesenheit einer grundsätzlichen Staatskritik in antizionistischen Kreisen. Was man an Israel kritisiert - seine Staatsgewalt und seine Nationswerdung inklusive der nationalen Mythen - wünscht man sich für die Palästinenser*innen. Auch wenn, wie in vielen Darstellungen des Konflikts, behauptet wird Israel würde die US-Politik und Medien maßgeblich kontrollieren, ist mensch schnell wieder bei antisemitischen Weltverschwörungsfantasien angelangt.

 

Die Demonstrationen der vergangenen Wochen waren auf jeden Fall gegen einen ganzen Staat und dessen Bevölkerung gerichtet. Demonstrationen auf denen ein bürgerlicher Staat mitsamt seiner Einwohner*innen derart dämonisiert und verteufelt wird, sind Manifestationen eines nationalistischen Hasses. Da verwundert es kaum, dass im Umfeld dieser Demonstrationen teilweise Träger*innen von israelischen Fahnen körperlich bedroht oder angegriffen wurden. Dieser antiisraelische Hass ist als solcher abzulehnen, ob er nun antisemitisch aufgeladen oder 'nur' antizionistisch motiviert ist.

Mensch mag zu den israelsolidarischen Demonstrationen unterschiedlich stehen, aber auf ihnen wurde nach unserem Wissen nie Hass auf Palästina und seine Einwohner*innen als solche geäußert, sondern nur gegen den islamistischen Konfliktakteur HAMAS.

 

Warum Israel?

Wir haben keinen Friedensplan in der Tasche und geben das im Gegensatz zu den vielen selbsternannten Nahostexpert*innen auch ehrlich zu. Die Ansichten in unserer Gruppe zu dem Konflikt sind unterschiedlich, aber wir glauben dass dieser Konflikt nur zu lösen ist, wenn ihm sein antisemitisches und antizionistisches Gift entzogen wird und es besteht der Konsens, dass das Existenzrecht Israels nicht zur Debatte steht.

Wir betrachten Israel als bittere Notwendigkeit. Die Ursachen, die zur Herausbildung des Zionismus führten liegen in der jüdischen Geschichte und in dem Scheitern der jüdischen Emanzipation am europäischen Antisemitismus. Jüdische Menschen wurden in der Diaspora immer wieder zum Opfer von Pogromen und Diskriminierung. Der Vordenker des Zionismus, Theodor Herzl, sah als einzigen Ausweg vor Diskriminierung und Verfolgung die Schaffung eines jüdischen Staates: Israel.

Auf der einen Seite ist Israel ein normaler bürgerlich-kapitalistischer Staat, mit den üblichen diesem innewohnenden Fehlern (Arbeitszwang, Diskriminierungen, Gewalthandlungen etc.), andererseits ist Israel die weiterhin notwendige Rettungsinsel aller vom Antisemitismus bedrohten Jüdinnen und Juden. Der Theoretiker Robert Kurz sprach vom „Doppelcharakter des Staates Israel, der einerseits ein gewöhnlicher moderner Staat im Rahmen des Weltmarkts ist, andererseits aber eine Antwort der Juden auf die eliminatorische Ausgrenzungsideologie des europäischen und insbesondere des deutschen Antisemitismus“.

 

Fazit: Gegen die Feinde Israels und ihre unheiligen Allianzen!

Für emanzipatorische Linke sollte, bei aller unterschiedlicher Positionierung und Bewertung des Israel-Palästina-Konflikts, gelten, dass sich das Bündnis mit AntisemitInnen und AntizionistInnen auf der Straße und anderswo verbietet. Wer mit IslamistInnen, Neonazis, arabischen und türkischen NationalistInnen marschiert und Israel dämonisiert, macht sich zum Handlanger derer, die den jüdischen Staat „ausradieren“ wollen.

Der Antisemitismus und Antizionismus hat leider in der deutschen Linken eine lange Tradition. Auch in der Linken gibt es starke Feindschaften und Vorurteile gegen Israel, die oft auch in den Antisemitismus und/oder antisemitische Stereotype übergehen. Wo so etwas endet, war 1976 in Entebbe zu sehen, als deutsche Linksterroristen unter der Führung des Deutschen Wilfried Böse von den „Revolutionären Zellen“ die Besatzung eines entführten Flugzeug ihre Geiseln in jüdische und nicht-jüdische Passagiere selektierten, darunter auch überlebende Häftlinge aus deutschen Konzentrationslagern.

Erinnert sei auch an die versuchte Ermordung von Juden und Jüdinnen in Deutschland durch den misslungenen Anschlag auf das jüdische Gemeindehaus in Berlin am 9. November 1969 durch eine linke Gruppe. Für beide Taten wurden von den Urheber*innen antizionistische Motive angeführt. Eine Selbstwahrnehmung als 'antisemitisch' ist also nicht notwendig um antisemitisch zu handeln.

Als Antifaschist*innen begreifen wir es aus unsere Aufgabe sich Antisemitismus wie Antizionismus, also der Feindschaft gegen Israel, entgegen zu stellen. Es geht darum, sich dem Zerrbild und der Dämonisierung entgegen zu stellen, die einen einzelnen Staat und seine Bevölkerung zum Feindbild machen.

 

Erkennbar wurde in den letzten Tagen auch, dass es in der Bundesrepublik neben einem deutschnationalen Antisemitismus auch einen spezifischen Antisemitismus in migrantischen communitys gibt. Dieses Problem darf einerseits nicht ignoriert werden, darf aber andererseits keinesfalls gegen ganze Bevölkerungsgruppen als 'Argument' angeführt werden, wie es von antimuslimisch-rechtspopulistischer Seite immer wieder geschieht. Der israelbezogene Antisemitismus in türkisch- und arabischstämmigen communitys in Deutschland muss als eigenständiges Phänomen wahrgenommen werden, um dann analysiert und bekämpft zu werden. Er speist sich offenbar nicht, wie in der Mehrheitsgesellschaft, aus „Opa war kein Nazi“-Mythen und Schlussstrich-Forderungen, sondern ist vermutlich auch ein Import aus arabisch- und türkischsprachigen Medien im Ausland. Medien wie der arabischsprachige Hisbollah-TV-Sender „Al-Manar“, auf dem häufiger mal die Existenz einer jüdischen Weltverschwörung suggeriert wird, scheinen hier eine ungute Ausstrahlung bis in deutsche Wohnzimmer zu haben.

 

Wer aber glaubt die Positionierung gegen Antisemitismus und Antizionismus würde bedeuten jeden Militärschlag Israels gut zu heißen oder unkritisch alle offiziellen Versionen der israelischen Regierung zu glauben und zu übernehmen, die*der hat immer noch nicht verstanden, worum es uns geht. Eben weil Israel – auch – nur ein normaler bürgerlicher Staat ist, ist er natürlich auch als solcher zu kritisieren. Es geht aber nicht darum, ob man Israel kritisieren darf, sondern darum, wie man es kritisiert und warum.


*[ART]* - Antifa Reutlingen Tübingen
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Schade, ich habe immer gerne mit euch zusammengearbeitet, aber das wird in Zukunft sehr schwierig bis unmöglich.

Danke für den differenzierten Beitrag! Meiner Meinung einer der Besten Artikel zu dieser Thematik!

Was ist daran "differenziert"? Kein Wort zu den Toten in Gaza. Das ist nichts anderes als eine identitäre Selbstbestätigung.

Sie erwähnen irgendwie schon ganz knapp, dass es da einen Krieg gibt, unterlassen aber die Einseitigkeit der Kraftverhältnisse oder die Unterschiedlichkeit der begangenen Zerstörung zu erwähnen:

 

"... Auslöser der Demonstrationen war die Eskalation des Konflikts zwischen Israel und der islamistischen HAMAS, was zu einem israelischen Militärschlag im Gaza-Streifen führte..."

 

Ein Militärschlag? Halt etwas oberflächlich mal über Tausend Tote vergessen. Das fällt vermutlich unter antideutsche Tiefe der Analyse. Kein Wort zur jahrelangen Abriegelung des Gazastreifens, der Notsituation, die dort auch ohne Bombardierung durch die IDF herrscht. Als ob die Hamas (einst zur Spaltung der PLO hofiert) Ursache des Problems wäre. Sicherlich sind Hamas ein widerlicher Haufen, aber auch nichts anderes als ein Resultat jahrzehnte langer Verweigerung seitens der israelischen Regierung und der gesellschaftlichen Mehrheiten, die sie repräsentiert, einen gerechten Frieden zu suchen.

 

Andere Menschen nennen den Zustand in Gaza beim Namen: ein Freiluftgefängnis. Das zu erkennen geht auch völlig ohne "Antizionismus".

 

Immerhin wissen jetzt Menschen aus anderen Regionen, dass es auch in Tübingen Menschen mit beschränktem Verständnis internationaler Ereignisse gibt. Das dass jedoch für eine Massregelung der Mitmenschen ausreichen kann, ist eine zutiefst deutsche Verhaltensweise. Danke auch dafür.

Vielleicht ging es in dieser Stellungnahme garnicht um eine Analyse des Nahostkonflikts, sondern um eine Analyse der Situation in Tübingen/Reutlingen?!

 

Ihr seht halt gerne was ihr sehen wollt.

Falls es sich um eine lokale Auseinandersetzung in Tübingen handelt, ist die Veröffentlichungsform im Internet vermutlich schlecht gewählt.

 

Eine Gruppe, die sich zu weltweit wahrgenommenen Auseinandersetzungen positioniert, sollte auch nicht überrascht sein, wenn sie daran gemessen wird.

"Während der blutige Bürgerkrieg in Syrien kaum (noch) Menschen mobilisiert, der Bürgerkrieg in der Republik Zentralafrika und im Südsudan von fast allen mit Ignoranz und Schweigen bedacht wird, mobilisiert der Israel-Palästina-Konflikt in Deutschland zehntausende Menschen. Diese Demonstrationen waren einseitig und aggressiv gegen Israel gerichtet..."

 

Statt etwas über Zentralafrika und dem Südsudan zu schreiben, bist Du doch auch nur einer von 10000den die sich dem Thema Nahostkonflikt jetzt in Form von Internetaktivismus annehmen, oder nicht?

ein prinzipiell richtiger Text einer Gruppe, die zu den sympatischsten in Tübingen gehört. Allerdings enthält der Text einige Ungenauigkeiten:

1. Über einen Kamm scheren
Es fällt auf, dass die Gegner*innen Israels hier stark vereinheitlicht werden. Was die einen sagen, scheinen die anderen auch zu meinen.
Beispiel:

Wird diesem Staat das Etikett „Nazi“ oder „faschistisch“ umgehängt, dann wären dieser kruden Logik nach Jüdinnen und Juden „auch nicht besser“ als die Nazis.

Meiner Erfahrung nach gibt es sehr viele linke Israelkritiker*innen, die genau dieser Logik widersprechen würden: Natürlich ist für viele Linke der Holocaust und der Nationalsozialismus die schlimmste Stufe des Verbrechhens.
Trotzdem benutzen viele den Begriff "Faschistisch". Nicht um den Holocaust zu relativieren, der in ihrer Logik weiterhin ein unangetastetes Extrem ist, sondern weil in ihrem Bild, dass sie von Israel haben, dieses (vermutlich nur in Teilen) ihrer Definition von Faschismus entspricht.
Vorsicht, doppelter Standard: Würde es sich bei diesem Thema um irgend ein anderes Thema handeln, hätte ich diesen Punkt für nicht erwähnenswert gehalten, aber:
In der bisherigen Debatte mussten sich viele gegen das "über einen Kamm scheren" wehren: Bloß weil irgendwo ein rechter Depp Israel toll findet, heißt das ja auch nicht, dass alle die aus Ablehnung von Antizionismus die Israelfahne am Revers haben plöttzlich rechts sind. Und bloss weil "Antideutsche" gegen Antizionismus sind, heißt das nicht, dass ich "Antideutsch" bin, bloß weil ich auch gegen Antizionismus bin.

2. Kaum ein Fall bekannt?

Sowieso ist uns kaum ein Fall bekannt, in dem Israel-Feinde artikulierten Judenhass in ihren Demonstrationen irgendwie ablehnend begegnet wären und ihm aktiv entgegen gewirkt hätten.

Hm. Halte ich für polemisch, diesen Satz: Erst neulich gab es erst in Stuttgart eine pro Palestina Demo, auf der gegen antisemitische Plakate vorgegangen wurde.
Auch in anderen Städten ist, vor allem in den letzten Wochen, verstärkt gegen solche Plakate vorgegangen worden. Ob wirklich jede Organisatorin den Sinn dieser Maßnahmen begreift, steht natürlich auf einem anderen Blatt...

3. Staatskritik

Der massiven Kritik an Israel entspricht die völlige Abwesenheit einer grundsätzlichen Staatskritik in antizionistischen Kreisen.

Dieser Satz stimmt bestimmt für die BRD. In anderen Ländern gibt es allerdings einen nicht gerade kleinen Teil der anarchistischen Szene, der auf geradezu paradoxe Weise Israel hasst, mit Pali-Fahnen demonstriert und trotzdem eigentlich eine solide Staatskritik hat.
Als Anarch@ finde ich diesen Punkt besonders bitter, da aus Griechenland auch versuchte Angriffe auf jüdische (ja, jüdische, nicht israelische!) Einrichtung aus anarchistischen Demos heraus bekannt sind.

4. Tradition:

Der Antisemitismus und Antizionismus hat leider in der deutschen Linken eine lange Tradition.

Richtig. Stimmt. Und solch ein Satz mag sicherlich unterstreichen, dass es wichtig ist sich Antisemitismus wie Antizionismus entgegen zu stellen. Nur: mich ärgert bei solche Sätzen immer, dass nicht auf die lange Tradition der Linken eingegangen wird, die schon immer das Existenzrecht Israels verteidigt haben (Bspw. Rudi Dutschke) und Antisemitismus und Antizionismus in der Linken bekämpft haben (bspw. der sozial-sevolutionäre Flügel der Revolutionären Zellen).

dass ihr Staaten schützen wollt unter dem Banner gegen Antisemitismus aufzutreten. Und mithilfe des orwellschen Begriffe verdreh: Existenzrecht. danke fuer so einen differenzierten beitrag, ihr habt mir echt die augen geöffnet. danke!

Vielen Dank für diese gute und ausführliche Stellungnahme! Nachdem besonders auch hier auf Indymedia während der Gazademonstrationen viele unsägliche antisemitische Textegepostet wurden ist es erleichternd zu lesen, dass sich wenigstens einige Gruppen intensiv mit der Thematik auseinandersetzen und sich israelsolidarisch äußern. 

Ich habe hier keinen einzigen antisemitischen Text gelesen. Das Problem ist, dass viele Kids heutzutage garnicht mehr zu wissen scheinen, was Antisemitismus überhaupt bedeutet. Israel sitzt nunmal am wesentlich längeren Hebel und die könnten sehr gut schon seit 30 Jahren effektive Friedensprozesse starten, wenn sie denn wollten. Die Palästinenser sollen aber systematisch klein gehalten werden, genauso wie es andere imperialistische Länder mit Afrika und Südamerika machen. Es gibt kein Interesse an einer Entwicklung, das wollen die AntiD's nicht begreifen und deswegen begreifen sie auch den ganzen Konflikt nicht. Na klar gibt es dann Gruppen wie Hamas, genauso wie es die Drogenmafia in Mexiko gibt, nur mit Antisemitismus hat das erstmal nix zu tun.

...der Vergleich Israel/Palästina mit Drogenkrieg in Mexiko.

die Hamas ist nichts anderes als eine gewinn- und macht-orientierte Mafia-Organisation, die sich zur Mobilisierung der Anhänger religiöser und nationalistischer Gehirnwäsche bedient und wenn's passt auch ein bißchen antisemitische Agitation mit beimischt. In Mexiko zieht das halt nicht, das ist der Unterschied. Die Hauptmotivation bei beiden ist und bleibt das Bussines. Ohne den Krieg mit Israel hätte die Hamas keine Überlebenschance, im Frieden sind die völlig Fehl am Platze.

Danke, dass du mich scheinbar für ein "Kid" hälst.

Leider liegst du völlig falsch, ich bin bereits Mitte 30 und beschäftige mich seit Jahren mit Antisemitismus in der deutschen linken Szene.

Aus diesem Grund beobachte ich auch sehr genau, wie über bestimmte Konflikte auf Indymedia berichtet wird - und glaub mir, es gab viele - auch explizit - antisemitische Texte - von den Kommentaren ganz zu schweigen. Das Du in deinem Text wieder die israelis verantwortlich für den gescheiterten Friedensprozess machst, ist zumindest sehr einseitig und bestätigt das Argument, was die Tübinger Gruppe oben im Text angeführt hat. Das nur als kleiner Denkanstoss...

war klar dass das mit der Verantwortung kommt, nur hab ich das gar nicht geschrieben, sondern die "Israelis sitzen am längeren Hebel", was heißt sie haben viel mehr Möglichkeiten im Friedensprozess, die sie aber einfach nicht nutzen. Das aus solchen Gedanken immer wieder Antisemitismusvorwürfe gemacht werden, ist typisch für Leute die den obigen Text verfasst haben, und da fragt sich Mensch naturlich, warum? Das als kleiner Denkanstoß...

mit nicht gerade friedensfördernder politik meinst du sicherlich sowas:

http://www.tagesschau.de/ausland/israel-westjordanland-100.html

 

kein wort dazu in o.g. text und wer sich solidarisch mit israel erklärt erklärt sich in erster linie mit dieser politik solidarisch.

Auf den Anti-Israel-Demonstrationen wird nicht zwischen Israels Bevölkerung und der israelischen Regierung differenziert, 

 

Schon mal in letzter Zeit Berichte aus Israel gehört, israelische Zeitungen gelesen, gehört was israelische Linke zu erzählen haben und welchen Anfeindungen sie ausgesetzt sind?

Dann würdest du schnell merken das die  israelisch Volksgemeinschaft momentan leider shr geschlossen hinter der rechten Regierung steht.

Aber ich vergaß, Leute wier ihr beschägftigen sich ja nicht mit israelischen Linken, ihr seht "Isral" immer nur als identitäres Kollektivopfer des Nationalsozialismus