Die Bundesanwaltschaft nimmt einen neuen Anlauf in Sachen Karry. Kronzeuge Mousli reloaded.
Im Herbst des vergangenen Jahres erhielten Axel H., Harald G., Lothar E. und Matthias B. Post vom hessischen LKA: Man wollte sie als Zeugen in einem „Ermittlungsverfahren gegen unbekannt wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung o.a. (Mord an dem Hessischen Minister für Wirtschaft und Technik Heinz-Herbert Karry in Frankfurt am Main am 11. Mai 1981)“ vernehmen. Alle vier ignorierten das Schreiben.
Im Mai 2009 meldete sich dann die Bundesanwaltschaft und lud alle vier in der selben Sache zur Zeugenvernehmung ins BKA nach Treptow. Dieser Vorladung folgten die Betroffenen, weil sie sich dafür entschieden hatten, mögliche Zwangsmittel zu vermeiden. Ihnen wurde in mehr oder weniger den gleichen Worten erklärt, sie sollten zu Aussagen des Kronzeugen Tarek Mousli aus dem Januar 2001 über Gespräche vernommen werden, die angeblich in ihrem Beisein über Karry geführt wurden. Alle erklärten dem Bundesanwalt, dass sie in dieser Sache die Aussage verweigern würden und beriefen sich alle darauf, dass sie befürchten würden, im Falle wahrheitsgemäßer Aussagen sich selbst der Gefahr neuerlicher Strafverfolgung auszusetzen. Sie beriefen sich also auf den umstrittenen §55 StPO. Bundesanwalt Moldenhauer wollte ihnen, da sie alle in Sachen RZ rechtskräftig verurteilt seien und demnach angeblich ein sogenannter Strafklageverbrauch bestehen würde, dieses Recht nicht einräumen. Er kündigte an, es käme dann Post aus Karlsruhe.
Die ließ auch nicht lange auf sich warten: Der Ermittlungsrichter beim BGH lud für den 9. September 2009 ein, ebenfalls wieder die vier bereits Genannten, diesmal allerdings nach Karlsruhe. Axel H. war zu dem Zeitpunkt in Urlaub, so dass sein Termin zunächst aufgehoben wurde. Die anderen drei hatten sich anwaltlichen Beistands versichert und blieben bei ihrer Aussageverweigerung nach §55. Bei Matthias B. wurde dies akzeptiert. Bei Harald G. akzeptierte der Richter die Aussageverweigerung, die BAW will nun prüfen, ob sie dagegen Beschwerde einlegt. Lothar E. wollte der Richter kein Aussageverweigerungsrecht einräumen und verhängte ein Ordnungsgeld von 200,00 Euro und drohte mit bis zu sechs monatiger Beugehaft. Lothars Anwältin hat dagegen Beschwerde eingelegt und ausführlich begründet, warum auch Lothar in dieser Sache ein Auskunftsverweigerungsrecht nach §55 StPO hat. Die Entscheidung darüber liegt nun beim 3. Strafsenat des BGH.
Sich auf ein Aussageverweigerungsrecht nach §55 StPO (Selbstbelastung) zu berufen ist umstritten. Die ZeugInnen-AG der Soligruppen zum 13.6.95 (Repression wg. der Zeitung „radikal“) kam nach verschiedenen Diskussionen immer wieder zu dem Punkt: „Das einzig Richtige und Klare in dieser Situation ist es, die Klappe zu halten.“ Weil überhaupt nicht klar ist, wie viel Informationen preisgegeben werden müssen, um mit §55 durchzukommen, sei der Paragraph bis auf ganz wenige Ausnahmen nicht sinnvoll zu handhaben. In der 32-seitigen A5-Broschüre „We'll never give up. Ergänzungen zur Diskussion um Aussageverweigerung“ vom November 1996 befassen sich die AutorInnen mit den Schwierigkeiten des §55. Die aktuell Betroffenen bleiben bisher eine Erklärung schuldig, warum sie sich darauf eingelassen haben. Auch eine politische Einschätzung, warum die Vorladungen ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt kommen, was die Akten hergeben, ob es neue Ermittlungsergebnisse gibt und gegen wen überhaupt ermittelt wird, bleibt der Öffentlichkeit verborgen. Gerade politisch erfahrene Genossen sollten hier anders agieren und jungen Menschen, die gerade oder in Zukunft wegen Mordvorwürfen oder versuchter Brandstiftung im Knast sitzen und vor Gericht stehen, ein positives Beispiel sein.
Da Repression gegen militante Gruppen auch Repression gegen die Geschichte der radikalen Linken ist, steht die Kritik im Raum, dass die RZ-Zeugenvorladungen zur Privatangelegenheit gemacht wurden, anstatt sofort darüber zu informieren. So war es entweder nicht erwünscht, dass sich Menschen solidarisch zeigen und beispielsweise mit zum BKA nach Berlin-Treptow und zur BAW nach Karlsruhe kommen, oder es wurde damit gerechnet, dass sich nach dem Verlauf der RZ-Prozesse keine Solidarität mehr organisieren lässt. So bleibt die Aufarbeitung der RZ-Geschichte nach wie vor ein Trauerspiel.
neue verfahren
man hörte es schon in der gerüchteküche rauschen, dass da wieder was 'läuft',
daher ergibt sich tatsächlich die fragen, ob die vorgeladenen 'lieber' der baw was erklären wollen als anderen...
der aussage und tendenz in dem o.g. artikel ist zuzustimmen.
zugleich unverständlich, wieso von betroffenen-seite (aber wer ist das genau? es dürfte sich um eine generelle betroffenheit handeln) gar nichts verlautet.
das ergibt weiteres unverständnis darüber, wie damals ihr verfahren gelaufen ist...
und erhöht die fragwürdigkeit des umgangs damit.
oder ist alles vergangenheit?
dann wäre aber zu fragen, wieso die baw jetzt noch mit karry hausieren will; zu vermuten ist ebeno doch, dass solche entscheidungen nicht nach ein paar jahren außer mode kommen.