Beruf und Bewegung - Der Skandal um Aufheben...

Beruf und Bewegung - Der Skandal um Aufheben...

Vor drei Jahren kam es zu einem kleinen Skandal, als die griechische Gruppe tptg mit einem offenen Brief bekannt machte, dass der Mitbegründer von Aufheben, John Drury, im Rahmen seiner akademischen Laufbahn in Crowd Control u.a. Workshops für Polizei und Militär leitet und bei ihnen als »Ideengeber« gilt. Er selber forscht über Massenpanik und Rettungsmaßnahmen. Zusammen mit seinen engsten Kollegen Stott und Reicher hat er das Elaborated Social Identity Model (esim) ausgearbeitet. Der Sozialpsychologe Stott gilt als einer der weltweit führenden Experten für Proteste und gewaltsame Aufstände.

 

Laut esim verhält sich ein »Mob« nach bestimmten Mustern: Personen in einer Menschengruppe haben individuelle Gedanken und Emotionen; wenn die Menge aber undifferenziert von der Polizei angegriffen wird, solidarisiert sie sich und setzt sich gemeinsam zur Wehr. Deshalb rät esim, die Polizei solle mehrstufig agieren und gezielt die »Einzeltäter« aus der Menge herausgreifen. Mit solchen Methoden koordinierte Stott beispielsweise die Sicherheitsvorkehrungen für die Fußball-em 2012 in Polen und der Ukraine (ausführlich in den beiden offenen Briefen von tptg)1.

 

Aufheben ist eine Gruppe aus Brighton, die eine der wenigen kollektiv produzierten Zeitschriften der radikalen Linken im englischsprachigen Raum herausgibt. Meist behandeln sie in langen Artikeln fundamentale Fragen (was war die Sowjetunion, Dekadenztheorie, »Green New Capitalism« u. a.). Sie beschäftigten sich oft mit ähnlichen Themen wie wir (Theorie der Ölrente, Kritik am autonomist marxism von Negri u. a., Auseinandersetzung mit Beverly Silver). Wir haben einige Texte von ihnen übersetzt (Intifada des 21. Jahrhunderts, Kritik an den Commons-Thesen von Massimo de Angelis, Dole Autonomy) und haben sie an einigen Punkten auch kritisiert (siehe z. B. Wildcat 89: »Die Ölrente, Ricardianer unter sich«). Zu Arbeitszeitverkürzung und Existenzgeld haben sie ähnliche Positionen wie wir. Ende der 1990er Jahre hatten wir sogar kurzzeitig eine engere politische Zusammenarbeit mit ihnen und anderen Gruppen in Europa angestoßen, was dann aber scheiterte.

 

Uns hat die Enthüllung deshalb geschockt – was allerdings noch kein Grund wäre, in der Wildcat darüber zu schreiben. Aber der Verlauf der Debatte in der linkskommunistischen Szene Europas hat uns zunächst sprachlos gemacht. Die allermeisten winkten ab (»let‘s move on«) oder griffen diejenigen an, die die skandalösen Tatsachen öffentlich gemacht hatten.

 

Die heutigen Bewegungen machen wieder einen öffentlichen Raum auf, um über »Allgemeininteressen« zu debattieren. Aber dass sie ihre eigene soziale Situation nicht kritisieren, sondern eher ideologisieren (»wir sind alle prekär«), macht sie zahnlos. Das hat damit zu tun, dass alle diese Bewegungen »zwei Seelen« haben: Ein Teil ist jung und verfügt über hohe formale Qualifikationen, der andere Teil ist formal wenig qualifiziert und tendenziell von der Entwicklung »abgehängt«. In der Krise sind bei der individuellen »Berufswahl« und bei dem, was ich auf Arbeit zu schlucken bereit bin, alle Dämme gebrochen: Aus der Entgarantierung der Arbeitsverhältnisse folgt das viel größere Interesse am Beruf(lichen Fortkommen). Oft klammern sich Leute dann an Jobs, obwohl sie ihnen zuwider sind.

»Solange unsere bestnotierte Jugend in bestbezahlten Jobs der Finanzindustrie ihre Chancen sieht«, brauchen wir keine Revolution zu fürchten, hatte die Financial Times Deutschland Anfang 2012 kommentiert – gleichzeitig aber darauf hingewiesen, dass sinkende Gehälter »glatt dazu führen (könnten), dass sich Investmentbanker zukünftig auch ohne Entlassung freiwillig einer sinnvolleren Aufgabe widmen. Unter den Harvard-Absolventen hat die Wall Street jedenfalls 2011 bereits an Zugkraft verloren.«

 

Vielleicht führen auch die Enthüllungen über die Rolle des Verfassungsschutzes rund um den nsu und die Debatten, die durch Snowdens nsa-leaks angestoßen wurden, bis in die Hacker-Szene hinein zu einem Umdenken. Zumindest werden solche Karrieren jetzt öffentlich skandalisiert:

Die Occupy Wall Street-Aktivistin Justine Tunney, eine der prominenteren Personen im Zuccotti Park, die unter anderem die Website »OccupyWallSt.org« unter dem Slogan »The only solution is World Revolution« aufsetzte, nahm nach dem Ende der Bewegung einen Job als Softwareentwicklerin bei Google an und behauptet nun Sachen wie »Ich glaube, was Google tut, macht die Welt zu einem besseren Ort«. Kritik an der Rolle von Google bei Überwachungsmaßnahmen begegnet sie mit dem Satz: »Es erstaunt mich immer wieder, wie weit Leute die Realität verdrehen, um eine Firma zu denunzieren, die alles kostenlos anbietet.« Sie äußert sich nun auch politisch gegen die Bewegung und behauptet, diese hätte sich nie gegen die Macht der Großunternehmen gewendet. Auf Twitter wettert sie gegen Sozialhilfe – diesbezüglich musste sie wohl nicht einmal ihre Meinung ändern. Und ihr Vorschlag, Leute fürs Demonstrieren zu bezahlen, findet durchaus Unterstützung, etwa bei Micah White, einer ehemaligen Redakteurin von AdBusters, die jetzt bei einer social movement consulting-Firma arbeitet.

 

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Kryptografie ist genausowenig »neutral« wie crowd control. Und wer seine soziologischen Thesen auf Verfassungsschutzpodien vorträgt, braucht anderen nicht mit dem »Anna und Arthur haltens Maul«-Gestus zu kommen. Paradoxerweise herrscht aber in Teilen der radikalen Linken genau diese Doppelmoral, weil die eigene Lohnarbeit nicht thematisiert wird. Die »Gegnerschaft« zum Staat wird dann zur Ideologie/Geste – höchstens mal auf ner Demo »praktisch«.

 

Die Bewegungen erhalten nur Schubkraft, wenn sie das »Private« öffentlich machen. Ein wichtiger Schritt ist es, in der politischen Gruppe das Verdienen und das Ausgeben von Geld gemeinsam zu diskutieren. Aber auch mit dem Einverständnis der Gruppe können bestimmte Grenzen nicht überschritten werden. Zusammenarbeit mit Nato, Polizei und Geheimdiensten gehört sicher dazu. Eine breite, öffentliche Debatte tut deshalb not. Diese wird so ziemlich alle Fragen anschneiden – von der eigenen Reproduktion, über Organisierung, revolutionäre Moral, bis zur Frage, was »Revolution« eigentlich ist. Deshalb wollen wir eine kleine Artikelserie starten, um Euch LeserInnen zu animieren, an der Debatte teilzunehmen: Welche Rolle spiele ich selber in der kapitalistischen Arbeitsteilung? Was sind meine Kosten für eine berufliche Karriere? Kann ich mich auf dem Arbeitsmarkt auch anders als individuell bewegen? Das folgende soll als Einstieg dienen.

... die Pfütze eines Eisbergs

Aufheben war durch die Enthüllung doppelt getroffen. Neben der Zuarbeit für Repressionsorgane war jd beim kooperativen und freundlichen Umgang mit reformistischen Kollegen ertappt worden – für weit geringere reformistische Affinitäten hatte Aufheben andere Linke immer scharf gegeißelt. Aufheben reagierte sofort – sie mussten offensichtlich nicht lange nachdenken und auch keine ihrer theoretischen und politischen Annahmen ändern. Sie sahen keinerlei Problem darin, dass ihr Genosse seine Karriere in einer »sicherheitsstaatsaffinen Wissenschaft« (Hartmut Rübner) betrieb. Stattdessen erklärten sie ihren KritikerInnen generös, wie »Akademie« funktioniert: »Im ›Blaulicht-Milieu‹ arbeitet man eng zusammen, und über Notfälle redet man sowohl mit Bullen als auch mit anderen Menschen. Seine Universität förderte das, und es hätte eigenartig ausgesehen, wenn er sich geweigert hätte, mit Bullen zu reden. Deshalb nahm er das als kleinen Preis für den übergreifenden Job seiner Untersuchungsarbeit in Kauf.« Frecherweise rückten sie ihre Kritiker in die Nähe von Polizeistaatsmaßnahmen, weil diese den Namen des Kollektivmitglieds öffentlich gemacht hatten.

 

(Wir haben uns trotzdem entschlossen, den Namen ebenfalls zu benutzen, wenn John Drury seinen »Blaulicht-Kollegen« gegenüber kein Geheimnis aus seiner politischen Herkunft macht, dann kann die linke Szene über seine akademischen Erfolge Bescheid wissen.)2

 

In der darauf folgenden Auseinandersetzung wurde jd aber auch von Personen verteidigt, die mit Aufheben politisch über Kreuz liegen. Hier gibt es tiefere Gemeinsamkeiten unter »radikalen Linken«, die sich für radikal halten, aber inzwischen explizit die Entpolitisierung der eigenen Reproduktion vertreten: Wie ich meine Brötchen verdiene, wofür ich »mein« Geld ausgebe – das geht keinen was an! Scharfe ideologische Auseinandersetzungen gegeneinander zu führen, ist das eine, gleiche soziale Verhaltensweisen das andere. Erst kommt das Fressen, dann die Moral.

Linke, die sich keine Revolution mehr vorstellen können, suchen in der Lohnarbeit materielle Absicherung und soziale Anerkennung – wie soll es auch anders gehen im Kapitalismus?

Wenn Gewerkschaften und Stiftungen mit Jobs, Stipendien und Forschungsaufträgen winken

»Dass das Hemd näher ist als die Jacke... gehört zu den ... Lernzielen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft.«
(Klaus Viehmann, 2002)

 

Problematischerweise ist die linke Szene selber zu einem undurchschaubaren Mix aus politischen Projekten und Einkommensquellen geworden. Selbstständige machen Auftragsarbeiten für linke Verlage; linke Zeitschriften bieten bezahlte Jobs; viele dieser Jobs kriegt man nur über seine politischen Connections... Das geht inzwischen bis zu freiberuflichen AktivistInnen, die gegen Bezahlung gegen Atomkraft, Banken oder Gentechnik protestieren; bezahlt von Leuten, die für eigenes Engagement zu wenig Zeit haben. Wenn das eigene politische Engagement mit dem Geld Verdienen verschwimmt, lässt sich nicht mehr erkennen, was die Leute selber denken – und was sie aus beruflichen Gründen vertreten.

 

In Großbritannien heißen solche Tätigkeiten movement jobs, dort gibt es diese Entwicklung schon länger und sie ist weiter verbreitet; viele radikale Linke arbeiten als Organizer für Gewerkschaften oder als DozentIn an der Uni. Ein Genosse aus London schreibt: »Wenn ich zu einem Treffen zur ›Unterstützung von Putzfrauen‹gehe, sind mindestens die Hälfte der Leute dort, weil sie entweder gerade als Freelancer einen Artikel zum Thema schreiben oder weil sie an einer Doktorarbeit über ›Migration als Beziehungsarbeit‹sitzen – oder sie haben einen Job bei der Gewerkschaft und müssen sich deshalb drum kümmern. Danach in der Kneipe ist dauernd diese Schizophrenie spürbar (›weißt Du, ich schreibe über die Sache gerade einen Artikel für den Guardian, dadurch hab ich dann Zeit, um was Richtiges für Zeitschriften der Bewegung zu schreiben‹, usw.)«.

 

Seit den Hartz-Gesetzen hat die brd-Linke hier stark aufgeholt, seit dem Ausbruch der globalen Krise boomen solche Jobverhältnisse geradezu. Auch hier dürfte inzwischen die Hälfte der ehemals radikalen Linken von Parteistiftungen (v.a. der Rosa-Luxemburg-Stiftung der PdL) abhängen, oder »Trainings gegen Rassismus« an Schulen machen, »menschenrechtsorientierte Kinder- und Jugendarbeit«, usw.

 

Die vielen ehemaligen Linksradikalen, die als »Organizer« in den Gewerkschaften arbeiten, sind ein Beispiel dafür, dass solche Jobs für die Mehrheit keinen sozialen Aufstieg bringen. Darauf sind wir bereits in den Wildcats 78 und 80 ausführlich eingegangen. Verwiesen sei zusätzlich auf den 2011 erschienenen Aufsatz von Berger/Meyer, Linkes Co-Management – Kritische Bemerkungen zu Ideologie und Praxis gewerkschaftlichen Organizings im Sammelband Organisation und Kritik3. Am Beispiel der ehemals linksradikalen Flüchtlingsaktivistin F. B. verweisen Berger/Meyer auf die Kosten einer solchen Berufswahl: Diese Lead-Organizerin wurde »von ihrem Arbeitgeber ver.di zunächst ausgerechnet in der Security-Branche« eingesetzt.(Fußnote auf S. 261). Und obwohl es bei dieser ver.di-Kampagne selbstverständlich weder um »eine emanzipatorische Infragestellung der Selbstschutzinteressen von Privateigentümern und staatlichen Instanzen« noch »um die Organisierung jener Ein- und Ausgeschlossenen, die von den Wachmannschaften kontrolliert und in Schach gehalten werden« (S. 270) ging, ließ sich B. damals in Mitbestimmung 12/2007 zitieren mit: »Gewerkschaft muss Spaß machen«. Berger/Meyer sehen ganz richtig »die Gefahr, dass Kampagnen für die ›Organisierung der Unorganisierten‹sich letztlich als Vehikel für die Karriereaspirationen linker Organizer entpuppen.« (S. 265) Was kein Widerspruch ist, denn »die explizite Selbstverortung als Think Tank der Gewerkschaftsvorstände könnte eine akademische Variante jener ›Selbstorganisation der Prekären‹sein«, von der in einer bestimmten Linken so viel die Rede ist. (S. 248)

 

Nicht nur Gewerkschaften und Unternehmen sind an den Managementfähigkeiten von AktivistInnen interessiert; die Herkunft aus der Linken und Kontakte zu sozialen Bewegungen können für bestimmte Jobs eine Zusatz-Qualifikation sein. Deshalb hatte Dr. jd kein Problem damit, seinen politischen Werdegang in einem Wissenschaftsmagazin darzulegen:4

 

Unter der Überschrift »Was die kritische Psychologie für die ›antikapitalistische Bewegung‹(nicht) tun kann« schrieb Drury: »Kritische Psychologen ... haben anscheinend das Beste aus zwei Welten: wir können einige unserer Bedürfnisse als kritische Menschen befriedigen (und unserem Gewissen treu bleiben), und zur selben Zeit unseren Lebensunterhalt als Psychologen verdienen – und vielleicht kommt sogar eine ordentliche Karriere dabei heraus«.

Die »Professionalisierung unserer Medienarbeit«, Kampagnenarbeit und das ganze sozialpädagogische Zivilgesellschaftsgefasel sind die andere Seite der Medaille solcher Karrieren – irgendwo muss das antrainierte Wissen ja hin! Eine »Castor Schottern«-Kampagne wäre das optimale Betätigungsfeld für jd!

»Professionalisierung« von was?

Die linke Bewegung zahlt insgesamt einen hohen Preis für solche individuellen Karrieren, die negativen Rückwirkungen auf ihr »soziopolitisches Gefüge« sind schwerwiegend. Die krasse Zunahme sozialer Ungleichheit in der Gesellschaft betrifft auch die Linke; hier dürfte die Einkommensschere in den letzten Jahren sogar stärker auseinander gegangen sein. Individuelle Karrieren einerseits, zunehmender Druck und Vereinzelung andererseits treiben weitere Leute dazu, individuell ihren Arsch ins Trockene zu bringen. Die realpolitische Wende in der radikalen Linken wurde in der ersten Hälfte der 90er Jahre von Leuten mit intellektuellem und letztlich sozialem Eigeninteresse am (verbesserten) Fortbestand der gesellschaftlichen Arbeitsteilung durchgesetzt (z.B. propagierte Joachim Hirsch in »Der nationale Wettbewerbsstaat« 1995, »revolutionäre Politik ist unmöglich«). Heute laufen linke Kongresse wie Uni-Seminare ab, linke Sprache und akademischer Jargon sind ununterscheidbar geworden. Und Leute wie Roland Roth arbeiten mit Verfassungsschützern zusammen – dazu ausführlich das Buch »Gegnerbestimmung«.

 

Während sich immer mehr Menschen vom Staat abwenden (siehe z.B. die Wahlbeteiligung), ist die ehemals radikale Linke in den letzten Jahren auf ihn zugegangen, und war an vielen Punkten nicht mehr von staatlichen Institutionen zu unterscheiden. Die Linke kennt ihre Feinde nicht mehr; die Sicherheitsbehörden werden in der brd immer mächtiger, v.a. der Verfassungsschutz – und ehedem radikale Linke setzen sich mit ihm aufs Podium oder lassen sich ihre antirassistischen Broschüren von ihm finanzieren – selbst noch nach dem Auffliegen des nsu!

 

Es wäre eine eigene Untersuchung wert, wie viele ehemalige linke AktivistInnen im Auftrag von europäischen und us-amerikanischen Stiftungen weltweit daran mitarbeiten, dass Aufstandsbewegungen wie die in Ägypten nicht aus dem Ruder laufen, sich zivilgesellschaftlich/demokratisch orientieren und nicht an sozialen Konflikten radikalisieren.

Und eine historische Analyse darüber, wie der Niedergang von Bewegungen zu Institutionalisierung führt, diese aber schon während der Bewegung in »Professionalisierungstendenzen« angelegt war, könnte uns bei der notwendigen Debatte weiterhelfen; z. B. wäre ein Vergleich der Zusammensetzung der Ersten und Zweiten Internationale sehr interessant (handwerkliche Arbeiterclubs versus Führerschaft von Ingenieuren und Anwälten, die bessere staatliche Planung zum Ziel erklärten).

 

Die Annahme, man könne mit Arbeit innerhalb von Institutionen materiell was abziehen (Geld, Ressourcen) und müsse wenig dafür geben, ist genauso falsch wie die ebenfalls von Aufheben vertretene Meinung, das sei nötig zur revolutionären Theorieproduktion. »Es ist eine Tatsache, dass ein großer Teil der marxistischen Theorieproduktion in letzter Zeit unter den großzügigen Flügeln des akademischen Betriebs ausgebrütet wurde. Schließlich ist eine akademische Karriere für einen jungen radikalen Studenten, der in Kämpfe verwickelt war und an den Kommunismus glaubt, ideal – sie gibt dir die Möglichkeit, das System zu attackieren und vom System dafür noch bezahlt zu werden.« Dabei ist sich Aufheben des problematischen Verhältnisses zwischen ›revolutionärer Therorie‹und Akademiebetrieb durchaus bewusst: »Aber diese Trennung menschlicher Aktivität ... hat notwendigerweise konkrete Folgen. Indem sie der akademischen Forschung untergeordnet wird, wird der Denkprozess selbst zur Tätigkeit von Spezialisten im Rahmen akademischer Erfordernisse und Parameter. Wie aufrichtig die Gefühle des Autors auch sein mögen, dieser konkrete Zweck wird unvermeidlich Form und Inhalt seines Werks beeinflussen.« (Aufheben zur Staatsableitungsdebatte). Aber sie stellen das Problem so (»dass wir zur ausgebeuteten Klasse gehören, lässt uns weniger Zeit für die Theorieproduktion als jene haben, die zur Bourgeoisie gehören«), dass sie die (damals noch nicht bekannt gewordene) Entscheidung von jd affirmieren. Ihre Sichtweise vor und nach seinem Auffliegen ist kohärent – das ist das wirklich Beunruhigende und zwingt zu neuem Nachdenken über linkskommunistische Theorieproduktion der letzten Jahre.

 

Gruppen wie Aufheben haben das zynische Kommentieren linker Realpolitik mit ihren professionalisierten Kampagnen zu ihrem Daseinszweck gemacht. Darüber hinaus beherrscht gerade Aufheben virtuos die messerscharfe Kritik aus dem off an allen kollektiven Versuchen, ohne jemals einen Blick auf sich selbst werfen zu müssen. Ihre Kritik vereinzelt und spaltet – ganz ähnlich wie laut esim eine erfolgreiche Polizeistrategie auszusehen hat.

(Mit dem Wissen von heute erscheint ihre Kritik an der CallCenter-Untersuchung von kolinko – Untersuchung sei ein »funktionalistisches Verhältnis zwischen Militanten und Arbeitern« – in der sie sich selbst als kritische Boheme-Denker darstellten, die weder militant sind (›intervenieren‹wollen), noch ›Arbeitersein‹als einen potentiellen Ausgangspunkt für politisches Handeln sehen, als geradezu allegorisch.)

Kritik am Beruf

»alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes,
ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.«
(Karl Marx)

 

Sergio Bologna sagte einmal, wenn man den revolutionären Gehalt der Bewegungen 1968 ff. in einem Satz zusammenfassen wolle, so wäre das ihre Kritik am Beruf, an der kapitalistischen Arbeitsteilung. Den Leuten in den Bewegungen Ende der 60er/Anfang 70er war klar, dass sie im revolutionären Prozess sich selber ändern und ihre soziale Position kritisieren mussten. Sie konnten nicht einfach von ihren »Interessen« ausgehen. Stattdessen unterzogen sie die gesamte kapitalistische Arbeitsteilung (Wissenschaft, Schule, Fabrik, Familie, Knast...) einer radikalen Kritik. Dieser revolutionäre Impetus ist heute verloren gegangen – aber es ist keine Frage, dass er in revolutionären Bewegungen wieder wachsen wird.

 

Heute belächelt man diejenigen, die damals »in die Betriebe« gegangen sind... – die weithin gepflegte Lüge, alle revolutionären Studenten hätten nach ein paar Wochen die Fabrik wieder verlassen und Karriere gemacht, zeigt aber, dass diese Vergangenheit immer noch Ansprüche aufwirft, die bekämpft werden müssen, wenn man seinen Frieden mit den Verhältnissen machen will.

(Übrigens hat die Idee, in Großbetrieben zu arbeiten, aus heutiger Sicht noch einen ganz anderen Charme, wo die Jobs immer vereinzelter werden. An der Uni, in Firmen für Web design und dergleichen hat man meist nur sehr wenige KollegInnen; oder arbeitet gleich ganz allein als Ich-ag oder in anderen Formen von (Schein-)Selbständigkeit, beim Doktorarbeiten schreiben usw. In solchen Jobs ist es verdammt schwer bis unmöglich, was Gemeinsames auf die Reihe zu kriegen.)

 

Die Ehrfurcht vor Spezialisten innerhalb der Bewegungen (Theorieexperten, Organizern, Rechtsanwälten) hängt auch mit »technischen« Veränderungen zusammen. Mit verstärkter Polarisierung in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und verschärfter Kontrolle wächst die Schere zwischen der Intelligenz des kollektiven Arbeiters (als antagonistischem Subjekt) und dem Spezialwissen. Ein Kollektiv von MechanikerInnen konnte die Arbeit des Ingenieurs nachvollziehen und weiterentwickeln (oft hatte der Ingenieur auch nur ihre »Erfindungen« enteignet). Heute sind wir oft mit Streiks migrantischer ArbeiterInnen konfrontiert, die keine Produktionsmacht mehr ausspielen können, weil die Maschinenführer und Techniker den Betrieb auch ohne sie weiterlaufen lassen können. Gewerkschaftliches Organizing spricht genau solche »Führungsfiguren«, Filialleiterinnen usw. an. »Organizer (setzen) unabhängig von der politischen Einstellung gleich auf die ›Alphatiere‹im Kollegenkreis und stärken damit dessen interne Hierarchien und Ausgrenzungspraktiken.« (Berger/Meyer a.a.O. S. 268) Emanzipatorische Bewegungen müssen solche Hierarchien angreifen und umzudrehen versuchen.

 

Kritik an der kapitalistischen Arbeitsteilung muss auch Kritik an den Inhalten der kapitalistischen Wissenschaft sein; nicht nur an Geisteswissenschaften, sondern auch an Natur- und Ingenieurswissenschaften. Sie muss aufzeigen, wo die »Götter mit und ohne Krawatte« ihr Wissen nicht abgetrennt von der gesellschaftlichen Kooperation entwickeln können, wo es Ideologie (Gentechnik) ist, wo gefährlich (Atomtechnologie), wo einfach gegen uns gerichtet (Militär, Bullen, Geheimdienste). Es war wichtig, dass tptg in ihrem Offenen Brief auch die Fachrichtung Crowd Control nicht in einer akademischen Gegen-Expertise, sondern als politische Gruppe inhaltlich kritisierten.

 

Macht Schluss mit den Prekariats-Ideologien! Niemand hat versprochen, dass im Kapitalismus alle eine ihrer Qualifikation entsprechende Anstellung/Bezahlung kriegen! Erfüllung im Beruf zu finden, war schon immer ein Privileg der Mittelschichten. Wer einen garantierten und seinem Studienabschluss entsprechenden Arbeitsplatz als sein spezielles individuelles Recht betrachtet, anstatt die kapitalistische Tretmühle hinter solchen Versprechen und solchen Spaltungen zu kritisieren, affirmiert die kapitalistische Konkurrenz. Anstatt ihre mangelnden beruflichen Perspektiven zu bejammern, sollten die »überqualifizierten Prekären« lieber den Kapitalismus kritisieren!

 

Man kann nicht ganz normal seine berufliche Karriere betreiben und nebenbei »revolutionär sein«. Wir brauchen eigene Strukturen als materielle Alternative zum »Beruf«, wgs, Kollektive und Zentren, die uns ein anderes arbeiten gehen möglich machen: einen Scheißjob zu schmeißen; zu einem Billiglohn zu arbeiten, weil es politisch interessant ist; oder mal gemeinsam einen Betrieb aufzumischen. Anstelle von »Professionalisierung« und Realpolitik müssen wir die Bewegung über einen kontinuierlichen internationalen Austausch nach vorne bringen.

 

Profis verpisst Euch! Jede_r kann alles (lernen).

 

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Fußnoten:

[1] Die beiden offenen Briefe der griechischen Gruppe tptg, die den Skandal auslösten, finden sich auf ihrer Website:
www.tapaidiatisgalarias.org

 

[2] englische Wikipedia zu John Drury

 

 

[3] Bruch, Schaffar, Scheiffele (Hrsg.): Organisation und Kritik; Westfälisches Dampfboot 2011;
der Text Linkes Co-Management findet sich auch online auf Labournet (PDF)

 

[4] »What critical psychology can(‘t) do for the ›anti-capitalist movement‹« erschien im Annual Review of Critical Psychology 3

Zum Weiterlesen:

 

Der Artikel erschien in der wildcat 96, Frühjahr 2014

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gibt es ja die von den GenossInnen der wildcat beschriebenen Tendenzen, siehe z.B. das aktuelle Angebot von RLS und attac: «Politik als Veränderungsprojekt»

 

"Neuer Qualifizierungskurs richtet sich an politische Akteure in der Linken, die konkrete politische Veränderungsprozesse gestalten und begleiten wollen. Bewerbung bis 30. Juni.

 

der Politik und der politischen Praxis haben sich Anforderungen und Herausforderungen für handelnde Akteure rasant entwickelt. Temporäres Engagement, themenfokussierte Proteste und neue Bündniskonstellationen gewinnen an Bedeutung. Etablierte Organisationen und traditionelle linke Politikformen scheinen an Attraktivität zu verlieren.

Gerade in Organisationen stellt sich die Frage nach Veränderungen. Müssen sich Organisationen neuen Trends anpassen und beispielsweise in Eventkultur, interaktive Web-Präsenzen und ungewöhnliche Themen investieren? Geht Politik künftig nur noch in breiten Bündnissen? Wo bleibt dann die eigene Identität? Und sollte die eigene Organisation nicht lieber stärker an ihrem Eigensinn arbeiten und somit in politische Konkurrenz treten? Und sind Bündnisse nicht ohnehin nur eine systemstabilisierende Angelegenheit?

 

Vor dem Hintergrund solcher komplexen Überlegungen richtet sich der Kurs an Menschen, die in großen und kleinen Organisationen an Veränderungsprozessen arbeiten. Diese können von einem Binnenblick motiviert sein oder von einem auf das Umfeld der Organisation. In beiden Fällen wird die Organisation verändert mit Folgen in beide Richtungen.

 

Die KursleiterInnen Ronald Höhner (Rosa-Luxemburg-Stiftung) und Karin Walther (attac Bewegungsakademie) wollen in dieser praxisbezogenen berufsbegleitenden Fortbildung Grundlagen der Prozesssteuerung und Organisationsentwicklung, der Politischen Strategie und des Projektmanagements vermitteln.

Im Fokus stehen die Visionen der teilnehmenden Akteure. Ein analytischer Blick von «außen» auf die eigene Organisation und das Alltagsgeschäft soll die Sicht auf die eigentlichen Ziele gesellschaftlicher Veränderungen freimachen. Es geht es um die eigene Verortung im linken Politikfeld, um Transformationsvorstellungen und Organisierung. Begleitend zu den Seminaren gibt es Raum für die Realisierung konkreter Projekte."

 

http://www.rosalux.de/news/40373/politik-als-veraenderungsprojekt.html

 

 


wirft Linken vor, dass sie sich nicht voll und ganz der Revolution verschreiben. Sonst geht´s euch aber gut, oder? Natürlich kann man hauptberuflich irgendeinen Scheißjob machen und gleichzeitig revolutionär sein. Wenn ich einen klugen Artikel in der Phase2 lese, der mir eine neue Perspektive eröffnet, dann spielt es keine Rolle, ob hinter dem Pseudonym des Autoren ein Deutsche-Bank-Manager steckt oder ein genossenschaftlich organisierter Alt-Aktivist. Es kommt auf den Text an und nicht auf den Autor. Und mir ist jeder Deutsche-Bank-Manager lieber, der unter Pseudonym eine revolutionäre Theorie vertritt, als Wildcat-Autoren, die jede Lohnauseinandersetzung in eine vorrevolutionäre Situation umdeuten.

 

Das Problem mit den Bewegungsmanagern und Bewegungsprofis ist nicht, dass sie dafür bezahlt werden. Das Problem ist, wer bezahlt wird. Von den Gewerkschaften, der Netzwerk-Förderfonds, der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Attac, den NGOs etc. werden ja eben gerade keine radikalen Linken angestellt, sondern Aktivisten aus der Flüchtlingsarbeit, der Interventionistischen Linken, der Ökobewegung usw. Das heißt, es werden ausschließlich Leute für ihren Aktivismus bezahlt, die sich zwar einen Szenehabitus bewahrt haben, in ihrem politischen Wirken rein reformistische Ansätze befördern. Da sie mit diesen finanziellen Mitteln ausgestattet werden, haben sie mehr Zeit und mehr Ressourcen, ihre politischen Ziele zu verwirklichen. Dadurch, kommt es zu einer Verschiebung in der Szene von radikaleren Strömungen hin zu reformistischen. Diese ganzen Stiftungen von RLS bis zum Netzwerk-Förderfonds sind der bessere Verfassungsschutz: Die Fördertöpfe winken nur denen, die ihren Kotau vor der Freiheitlich-demokratischen-Grundordnung machen. Die Interventionistische Linke ist z. B. beispielsweise nicht deshalb so relevant geworden, weil sie so kluge Texte schreibt, sondern weil sie über viele Kanäle mit Geld überschüttet wurde und deren Hauptaktivisten genau solche finanzierten Bewegungsprofis sind.

Wo sind wir nur gelandet, wenn vermeintliche Linksradikale darüber jammern, dass nicht sie selbst sondern andere ehemalige Linksradikale wie die IL vom Wissenschaftsbetrieb des Systems für ihre "Befriedungsverbrechen" bezahlt und alimentiert werden? Mit euch vermeintlichen Akademikern war zwar schon immer Staat aber noch nie Revolution zu machen. Bei allen politischen Differenzen kann man da schon fast Hochachtung vor den ehemaligen K-Gruppen-Studis haben, die sich für ein Leben als Malocher in der Stahl-, Metall- oder Chemieindustrie entschieden haben, weil sie genau diesen akademischen Selbstausverkauf nicht mitmachen wollten. Danke an die GenossInnen der Wildcat, die am Beispiel der Besserwisser und Polit-Rigoristen von "Aufheben" den Finger in die Wunde gelegt haben. Da bekommt die alte These, wonach das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimmt, doch gleich ganz neue Aktualität. Und an "anonym" noch eine kleine Empfehlung: Du darfst gerne Deutsche Bank Manager werden - aber bitte höre auf dem Weg dahin damit auf, uns mit solch substanzlosen Unsinn zu nerven!

Mit euch vermeintlichen Akademikern war zwar schon immer Staat aber noch nie Revolution zu machen. Bei allen politischen Differenzen kann man da schon fast Hochachtung vor den ehemaligen K-Gruppen-Studis haben, die sich für ein Leben als Malocher in der Stahl-, Metall- oder Chemieindustrie entschieden haben, weil sie genau diesen akademischen Selbstausverkauf nicht mitmachen wollten.

Ja, die haben aber auch so unvorstellbar viel für die Umwälzung aller Verhältnisse erreicht (Mal abgesehen von Joschka Fischer). Dank ihnen steht die Revolution unmittelbar vor der Tür.

 

Und an "anonym" noch eine kleine Empfehlung: Du darfst gerne Deutsche Bank Manager werden - aber bitte höre auf dem Weg dahin damit auf, uns mit solch substanzlosen Unsinn zu nerven!

Da ist aber jemand getroffen.  War es der Hinweis, dass die Wildcatler als linke Sozialdemokraten im gleichen Glashaus sitzen?

wenn du die zeitschrift lesen würdest, könntest du wohl feststellen, dass

1. die ansätze auf revolution, klassen- und staatenlose gesellschaft ausgelegt sind, also  nicht sozialdemokratisch, sondern anti-autoritär kommunistisch;

2. aktiv nach den bruchpunkten gesucht wird, deshalb analyse über die jeweiligen kräfteverhältnisse betrieben wird (ja, einige der genoss_innen haben sogar akademische bildung hinter sich, aber nicht die mehrheit, sie haben sich die theoretischen mittel selbst erarbeitet und erforscht);

3. die behauptung, jede auseinandersetzung in eine vorrevolutionäre situation umgedeutet würde, geht nur in den augen der "radikalen" linken klar, die auf eine grundlegende umwälzung lange verzichtet haben, stattdessen lieber charity, realpolitik und ähnliche tatsächlich sozialdemokratische scheiße machen, und natürlich am liebsten bezahlt; außerdem werden da erstmal möglichkeiten aufgezeigt, damit mensch nicht nur die wahl zwischen bauchnabelstarren, sinnlose heldentümelei-demos und schlechte partys hat;

4. es sind halt berichte vom realen leben, teilweise aus eigener erfahrung, teils aus erfahrung anderer genoss_innen, jenseits des szene-sumpfes, der sich langsam eh komplett abschafft und völlig revolutions-untauglich ist.

Was sollen das für Bruchpunkte sein? Nehem wir einen Artikel über "Streik und Streikunterstützung bei Neupack". Was hat das mit einer Ausrichtung auf eine "klassen- und staatenlose gesellschaft" zu tun? Nichts! Ganz sozialdemokratisch wird jeder noch so marginale Streik beklatscht. Und wenn dieser Streik abseits der etablierten Gewerkschaften stattfindet, dann werden aus dem Applaus frenetische Jubelrufe.

Genau dieses Loblied auf "das reale Leben", auf die "eigene Erfahrung", das völlige Überbewerten jeglicher klassenkämpferischer Regung illustriert euer eigenes Bauchnabel Starren: Genauso wie die Szene, bei der ich deine Kritik teile, seid ihr in eurer Ideologie verfangen. Wie Ums Ganze, IL und co beruft ihr euch in den Sonntagsreden beatändig auf Revolution, Kommunismus etc. Eure reale Praxis hat damit aber genausowenig zu tun wie die Heldentümelei-Demos von TOP. 

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Kryptografie ist genausowenig »neutral« wie crowd control.

Wieso wird hier als Vergleichsbeispiel eigentlich gerade "Kryptografie" herangezogen? In anderen Bereichen der Wissenschaft sieht der duale Verwendungshorizont doch ähnlich oder schlimmer (Materialkunde, Ökonomie usw.) aus. Und selbst bei z.B. medizinischer Forschung liesse sich ein Repressions- und/oder Verwertungshintergrund immer konstruieren. Der obige Satz ist also eine simple Tautologie mit keiner Aussagekraft. Oder hat der Fall J.D. einen Bezug zu "Kryptografie"?

 

Auch bei der Lohnarbeit selbst verhält es sich analog - keine Lohnarbeit ist "neutral". Allerdings wäre allgemein zu kritisieren, dass eine kritische Reflexion der eigenen Lebenswirklichkeit nicht zwangsläufig zu "Doppelmoral" (auch die Schreibarbeit für ein »revolutionäres« Zeitschriftenprojekt oder Redaktionskollektiv ist nicht neutral!) führt oder einer Bewegung abträglich sein muss.

 

Ganz seltsam wirkt der Text jedoch, wenn mensch sich den Titel ins Gedächtnis ruft: Demnach geht es um mehr als den unterstellten Gegensatz von Lohnarbeit und Bewegung. Den (er-/verlernten) Beruf zum Ausgangspunkt der Kritik zu machen ist ideologisch irgendwie kleinkariert.

ich muss ehrlich sagen, dass mir die meisten konzepte und ansätze der strömungen und zusammenhänge, die von euch als "ehemals linksradikal" bezeichnet werden, sehr gut gefallen, da sie ganz einfach den aktuellen (kräfte)verhältnissen eher entsprechen.

so geschehen doch breite bündnispolitiken, richtungsforderungen, strategische kooperation zb mit stiftungen oder linken parteien und selbst die theorien und debatten zur "mosaik-linken" vor dem hintergrund, einzusehen, dass wir nich mehr in den "roten" 70ern sind, dass die sozialistischen versuche gescheitert sind, dass 10,15 jahre nicht mehr über kommunismus diskutiert werden konnte und das ganz aktuell linke antworten auf die krise ganz und gar nicht willkommen sind.

 

Mit dem beschriebenen Widerspruch zwischen Lohnarbeit und revolutionärer Praxis kann ich leider gar nix anfangen. Sorry für die polemische Fragestellung, aber: Hat sich diese Argumentation nicht schon in den 80ern oder spätestens den 90ern erledigt?

Ich erlebe mittlerweile zum Glück (!) eine (radikale) Linke, in der mir weniger häufig der Pathos (und das Druckmittel) "revolutionärer Verpflichtung" und rigider Moralismus begegnet, sondern stattdessen die Einsicht in die eigene Verwobenheit mit den gesellschaftl. Widersprüchen und der Notwendigkeit Kompromisse einzugehen, die wir, im besten Falle,  in unseren Zusammenhängen kritisch diskutieren.

Genau in diesem Sinne verstehe ich und bin relativ locker, was die Anstellungen von Linksradikalen aus der Bewegung bei RosaLux oder Gewerkschaften angeht. (Mal ganz davon abgesehen, dass die auch einen realen, synergetischen wie materiellen Effekt haben können.)

 

Das vor allem die iL in den Kommentarten und einmal im Text benannt wird, finde ich ein Stück weit skurill. Also zum Einen betrifft das Benannte alle bundesweit organisierten linksradikalen Bündnisse, zum Anderen ist das trotzdem ein sehr kleiner Teil der Aktivist_innen dieser Bündnisse.

 

Zu guter Letzt: Obacht bei Texten und Analysen, die Vorwürfe formulieren. Mensch neigt zur Projektion eigener Unzufriedenheit (sei es die, die das Ergebnis der Analyse ist, oder die, die das Fazit über das eigene, prekäre Leben ist (das ich niemand wünsche oder vorwerfe). .

Danke dafür, daß ihr ein Thema aufgreift, an dem revolutionäre Bewegungen entweder wachsen, weil sie die eigene Beteiligung zum Anlaß ihrer Überwindung nehmen, oder scheitern, weil die Partizipationslogik, wie der Name sagt, im Kern auf teilbar und beherrschbar sein hinausläuft.

Wie soll der Kommunismus oder eine andere herrschaftsfreie Zukunft verwirklicht werden, wenn die Befreiung von Fremdbestimmung und Wert nicht dort beginnt, wo die Machtfrage in ihrer unmittelbaren gesellschaftlichen, sozialen und sogar körperlichen Negation gestellt wird? Wie soll die Linke ihre postmoderne Fragmentierung überwinden, wenn sie in gleitfähigen Transformationsprojekten um Identitätsprobleme kreist, deren Aufhebung nicht gelingt, weil die unvollständige Reflexion auf die eigene Vergesellschaftung den Eigentumsanspruch an der eigenen Person, also die Unterwerfung unter die fremdverfügten Maske gesellschaftlicher Verfügtheit, begründet? Wie sollen die Menschen bewegungsfähig werden, wenn jeder kollektive Ansatz als sektenartige Verirrung verdächtigt wird, ohne auch nur in der Lage zu sein, darin den Konter mehrheitsgesellschaftlicher Zertrümmerung zu erkennen?

"Stattdessen unterzogen sie die gesamte kapitalistische Arbeitsteilung (Wissenschaft, Schule, Fabrik, Familie, Knast...) einer radikalen Kritik. Dieser revolutionäre Impetus ist heute verloren gegangen – aber es ist keine Frage, dass er in revolutionären Bewegungen wieder wachsen wird."

Die Waffe der Kritik war nie stumpfer als heute, dafür ist nicht zuletzt eine professionalisiete Linke in Partei, NGO und Hochschule zuständig, die für die Lösung des Problems der Bemittelung eher früher als später den Preis unsichtbarer Grenzen radikaler Kritikfähigkeit entrichtet.  Eben deshalb ist es so wichtig, Wissensgesellschaft, Informationstechnik, Life, Sciences, Systemtheorie, Kulturelle Indoktrination, Soziologie, Managementtheorie und nicht zuletzt die Sprache selbst im Kern ihrer Befriedungs- und Immunisierungskraft offenzulegen.

"Wir brauchen eigene Strukturen als materielle Alternative zum »Beruf«, wgs, Kollektive und Zentren, die uns ein anderes arbeiten gehen möglich machen"

und nicht zuletzt ein anderes Leben, in dem die Schlacken der Spaltbarkeit und Beherrschbarkeit so gründlich pulverisiert werden, daß nichts als nach vorne gewandte Handlungsfähigkeit und Bewegungsfreiheit bleibt.