Verhaftete der Zwangsräumungsdemo

Zwangsräumung in der Reichenberger Straße 73

Berlin, 27.03.2014, 8 bis 18 Uhr. Die Berliner Polizei ging bei der gestrigen Demo gegen die Zwangsräumung einer fünfköpfigen Familie in der Reichenberger Str. 73 ungewöhnlich vor. Wir können spekulieren, ob es daran lag, dass die privaten Interessen eines einflussreichen CDU-Burschenschaftlers direkt gefährdet waren. Dieser Brenning ist Stellvertreter einer ganzen Klasse von modernen Junkern, somit musste die Polizei auch ein Exempel an dem friedlichen Picknick vor "seinem" Haus statuieren.

 

Nur der Form nach unterscheidet sich diese Elite von ihren preußischen Vorgängern; ihr Einkommen beziehen sie weiter aus der Grundrente. Sie bleiben Strippenzieher der "Radaufaschisten".

 

Die Hundertschaften 14 und 24 waren in mehr als doppelter Überzahl angerückt. Weniger als hundert Demonstrant_innen wurden von mehr als 200 Polizisten "betreut". Ungewöhnlich war, dass ausschließlich die derbsten Mannsbilder ausrückten, obwohl beim Bürgersteigpicknick vor allem Student_innen und Senior_innen waren, darunter eine Rollstuhlfahrerin. Vielleicht fürchtete der Einsatzleiter, man könnte zu zart mit den "Renitentnern" umgehen.

 

Die gepanzerten Klopper standen erst bedrohlich am Rand des friedlichen Picknicks vor dem Hauseingang der Reiche 73. Gegen 10 Uhr kesselten Sie die 40-50 sitzenden Picknicker_innen ein. Dabei schmissen sie mehrere Senioren über den Büffettisch, welcher zerbrach. Während die Demonstrant_innen eingekesselt waren, rannte ein Trupp Kollegen mit Rammbock und Bolzenschneider geschlossen durch den Eingang des Nebenhauses. Dort kletterten sie mit einer Leiter über den Zaun in den Hinterhof der Reiche 73. Handwerker nagelten derweil die Haustür zu, obwohl die Protestierenden nie Anstalten gemacht hatten, Brennings heiligen Boden zu betreten.

 

Die Polizei führte die Geräumten widerstandslos aus der Wohnung. Das Picknick war somit beendet, die Menge löste sich langsam auf. Allerdings griff die Polizei nach der Demonstration wahllos Passant_innen auf. Anstatt sie freundlich zur Personalienabgabge aufzufordern, würgten und schlugen die Polizisten die Verhafteten.

 

Ich selbst wurde von mehreren Polizisten von hinten gepackt; mir wurden Mund, Nase und Augen zugehalten. Ich blieb ruhig und versuchte zu rufen, dass ich friedlich sei und keinen Widerstand leisten würde. Ich hatte schließlich nichts verbrochen.

 

Trotzdem zerrten die Polizisten mich bis zum bereitstehenden Zellenwagen in der Forster Straße. Hätte ich nicht bereits Erfahrungen mit Festnahmen gemacht, hätte ich durch diesen unerwarteten Angriff vielleicht panisch reagiert und mir schlimmere Verletzungen von den aggressiven Beamten eingefangen, so wie einige der anderen Verhafteten.

 

Obwohl bereits ein Dutzend reguläre Mannschaftswagen vor Ort waren, mit denen eventuelle "Raudis" hätten transportiert werden können, waren trotzdem spezielle Gefangenentransporter angefahren. Das zeigt, dass sie nur gekommen waren um, Menschen festzunehmen. Da ihnen während des Picknicks niemand Anlass zur Festnahme gegben hatte, griffen sie sich hinterher wahllos Menschen, um die Quote zu erfüllen.

 

Als Grund für die Festnahme wurde mir “Nötigung” genannt. Solche Allerweltsanklagen, wie auch “Gefangenenbefreiung” oder “Hausfriedensbruch”, dienen der Polizei, Leute auf Versammlungen festzunehmen und sie in die Überwachungkarteien einzutragen.

 

Ich wurde als Erster in den Zellenwagen gesetzt. Meine Effekten wurden mir abgenommen, meine Daten aufgenommen. Nach und nach wurden mehrere Gefangene angeschleppt. Aus meiner Einzelzelle hörte ich, wie mehrere Männer eine schreiende junge Frau wiederholt an die Außenseite des Wagens schlugen. Sie beteuerte immer wieder, dass sie nur Passantin sei. Ein Beamter antwortete: “Selber schuld!” Dann wurde sie ebenfalls in eine stählerne Zelle gesperrt.

 

Nachdem der Wagen mit Gefangenen gefüllt war, fuhren wir weiter. In meinem Wagen saßen zwei Männer im Rentenalter und drei junge Frauen. Bis zu unserer Entlassung wurde uns nicht erlaubt mit der Einsatzleitung zu sprechen oder Anwält_innen anzurufen. Obwohl alle ihre Personalien abgegeben hatten, wurden wir stundenlang festgehalten und mehrmals umhergefahren.

 

Zwischenzeitlich fuhren wir auf das Gelände des Zolls am Columbiadamm 4, gegenüber der Nordseite des alten Tempelhofer Flughafengebäudes. Dort standen wir eine gute Stunde auf einem Parkplatz. Wir durften unsere Zellen im Wagen nur einzeln in Begleitung verlassen, um auf Toilette zu gehen, danach wurden wir wieder eingeschlossen.

 

Zwei der Gefangenen aus unserem Wagen, ein Siebzigjähriger, der beim Sturz über den Buffettisch verwundet worden war und eine unbeteiligte Frau, wurden nun entlassen. Drei weitere Gefangene wurden zu unserem Wagen gebracht. Aus unseren Zellen heraus konnten wir uns mit ihnen unterhalten. Einer war von Polizisten mehrmals mit dem Kopf gegen eine harte Fläche geschlagen worden, hatte eine blutende Platzwunde an der linken Augenbraue und blaue Flecken an der rechten Stirnseite.

 

Hier versuchten Polizist_innen uns immer wieder einzureden, warum alles nun seinen ordentlichen Gang gehen müsse. Da wir so lange festgehalten wurden, nahm ich an, man würde uns jetzt einer Erkennungsdienstlichen Behandlung (ED) in der Gefangenensammelstelle (GeSa) unterziehen. Obwohl ich mehrmals erwähnte, dass ich bereits ED-behandelt wurde, hielt man mich weiter fest.

 

Auch die Anderen wollten freigelassen werden, schließlich waren die Personalien aufgenommen. Der Rest hätte per Post erledigt werden können. Die Diskussion war sinnlos. Unsere Bewacher_innen wechselten ständig, niemand wusste, was mit uns geschehen sollte oder wer für uns verantwortlich war.

 

Die Uhren waren uns genommen worden, aber ich schätze gegen 13 Uhr, also mehr als zwei Stunden nach unserer Festnahme, wurden wir in die Gefangenensammelstelle in der LKA-Zentrale am Tempelhofer Damm eingeliefert.

 

Hier verbrachten wir gut fünf Stunden. Männer und Frauen wurden getrennt. Sieben Männer saßen in einer Gruppenzelle. Nach einer Stunde wurden wir nacheinander kurz in eine Einzelzelle gebracht. Hier bot uns ein Polizist “unter vier Augen” an, eine freiwillige DNA-Probe abzugeben. Diese Vereinzelungstaktik wirkte, denn einer von uns sprach nicht fließend Deutsch und willigte ein. Erst zufällig erfuhren wir davon und empfahlen ihm, seine Zustimmung zu diesem Genraub zurückzunehmen.

 

Zwei Stunden später war immer noch kein Einziger von uns erkennungsdienstlich behandelt worden, noch niemand hatte eine_n Anwält_in anrufen dürfen, aber eine adrette Mitarbeiterin des LKA kam mit einem dummdreist dreinblickenden Lehrling und holte uns nacheinander aus der Zelle.

 

Jeder erhielt in etwa die gleiche Ansprache, ob es zutraf oder nicht: “Sie haben ein ganz schön langes Register. Jetzt kommen ja die Walpurgisnacht und der erste Mai auf uns zu. Ich sage ihnen noch einmal ausdrücklich, dass wir sie dort nicht in der Nähe sehen wollen. Falls doch, bleibt es nicht bei einem bloßen Platzverweis.” Nach dieser Ansage ging es zurück in die Gruppenzelle.

 

Eine solche “Gefährdenansprache” ist eine niedrigschwellige Einschüchterungstaktik gegen “Störenfriede”. Man kann sie als Erhebung in den linksautonomen Terroristenstand verstehen, oder einfach drüber lachen. Einer der Angesprochenen war Vater. Ihm legte die LKA-Frau nahe, doch an seine Kinder zu denken. Man wolle ja nicht, dass sie ihren Vater im Knast besuchen müssten.

 

Danach begann die ED-Behandlung. Da wir einzeln bearbeitet wurden, dauerte es etwa zwei Stunden, bis die letzte aus der GeSa entlassen war. Ich wurde als letzter aus der Männergruppe behandelt; erst als letztes kamen die Frauen dran.


Bei meiner Behandlung wurden nur Fotos genommen und Fingerabdrücke meiner Zeigefinger, denn ich war ja schon erfasst. Das zeigt, dass die Polizei nur ihre Verhaftungsquote erfüllen wollte, denn wären nur meine Personalien festgestellt worden, so hätte die Polizei eben nicht stolz verkünden können “Polizei setzt Zwangsräumung durch - elf Festnahmen.” Bei geschätzten achtzig Teilnehmenden ist das Signal deutlich: Bei Demos gegen Großgrundbesitzer wird eingebuchtet.


Erst nach den Männern, kurz vor Dunkelheit, wurden die zwei festgenommenen Frauen entlassen. Somit saßen sie am längsten in der Zelle. Im Gegensatz zu den Männern waren sie gezwungen worden, sich auszuziehen und durchsuchen zu lassen. Als eine sich weigerte, wurden beide Frauen voneinander isoliert und saßen mehrere Stunden in Einzelhaft. Wahrscheinlich dachten sich die Wächterinnen, die Frauen durch die Zwangsentkleidung und Isolation besonders demütigen zu können. Das ist also das volle Potential an Folter und sexualisierter Gewalt, das deutschen Polizei derzeit gegen unbeteiligte Passantinnen zur Verfügung steht – Tendenz steigend.

 

Nicht zu vergessen, dass die einzelnen Teilnehmenden in den nächsten Monaten mit Post von Polizeistellen, Staatsanwaltschaften und Amtsgerichten überflutet werden, womöglich auch bespitzelt werden. Der einzige Lichtblick bleibt, dass die erste Sicherheitsbehandlung nach deutscher Manier die Verfolgten meist zu lebenslangen Feind_innen von diesem verfluchten Land und seinen Helfer_innen macht.

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29.3., 14:30, Kottbusser Tor http://kottiundco.net/2012/05/28/camp-programm/

Außerdem 4. - 6. April Kongress "Wem gehört die Stadt" in der Technischen Universität http://berliner-ratschlag.org/

Naja, klingt zwar bitter und gefühlskalt, aber solange keiner der verletzten und eingesackten Leute bleibende Schäden (körperliche oder seelische) hat, ist doch alles gut. Vielleicht sollten die Leute die eher aus der linken Szene kommen und in solchen Mieter_innen-Bündnissen drin sind mal die Leute vorsichtig drauf vorbereiten auf was mensch sich unter Umständen einlässt. Und kümmert euch um die Leute nach solchen Erlebnissen.

Wenn das gewährleistet werden kann, dann macht die Polizei doch unsere "Symphatisanten-gewinnen-arbeit". Klingt kalt, gefühllos und rational, aber ist nunmal so. Wenn ich vor 7 Jahren nicht die Tracht Prügel meines Lebens bekommen hätte, wäre ich jetzt vielleicht überzeugter Grüne/Linkspartei-Wähler. ;-)

ja, klingt bitter, gefühlskalt und vor allem zynisch, geht mir aber nach einigen Jahren Aktivismus ganz genauso. Wo ich dir nicht zustimmen würde, ist, das doch eigentlich alles gut ist. Vielleicht sollten eher die Leute aus der Szene mal mit den Leuten aus den Mieter_innen-Bündnissen reden, die noch nicht so zynisch und abgeklärt sind, um von ihnen wieder zu lernen, sich darüber aufzuregen, was die Normalität in Deutschland (und nicht nur hier) ist.  Die ist nämlich absolut nicht in Ordnung, sich damit abzufinden und sich daran zu gewöhnen ist (verständliche) Resignation.

Du hast Recht, das ist zynisch und abgeklärt. Keine Sorge, da reicht die Selbstreflexion. Aber wenn ich da mehr Emotionen zulassen würde, dann würd ich glaube ich durchdrehen. Und das wäre nicht gut für mich und mein näheres Umfeld. Ich weiß das dass Verhalten der Cops nur allzu oft ekelhaft, skandalös und scheiße ist. Wenn ich das aber an mich ran lassen würde, könnt ich kein guter, ausgeglichener und netter Mensch, Pappa und Freund sein.

 

Aber du hast wohl Recht, das sich vielleicht die Leute mit den Bürgis vernetzen sollten, die noch nicht "abgestumpft" sind. Das Kalkül der Cops ist wohl die Gefahr einer breiten Bewegung bereits im Keim zu ersticken. Und die Leute zu traumatisieren, damit sie das nächste Mal zuhause bleiben. Von 1-2.Tausend "Linksradikalen" haben die nichts zu befürchten (weder auf der Straße, noch politisch). Aber eine breite Bewegung von Unten, und schlimmer noch incl. der radikalen Linken, da könnte Druck gemacht werden.

Und das soll eben nicht passieren. Jetzt ist eben die Frage wie mensch dieser Polizeitaktik begegnet. Und ich denke da sollte die praktische Solidarität nicht bei der Blockade enden. Vermittelt den Leuten den Umgang mit der Polizei (Aussageverweigerung, nichts unterschreiben, grundlegende Rechte) und vielleicht finden sich ja im großen Berlin auch ein paar Leute die den Menschen helfen die das erste Mal mit der Polizei hatten.

Das klingt jetzt bitter und gefühlskalt, aber je mehr Leute sie verprügeln, um so mehr Feinde machen sie sich. Her yer Taksim, her yer direnis!