Im Frühjahr 2011 besetzten tunesische Flüchtlinge aufeinanderfolgend mehrere Gebäude in Paris, auch als Antwort auf die stetigen Kontrollen, Razzien und Vertreibungen von den öffentlichen Plätzen und Parks der Stadt, die ihnen Unterschlupf und einen Ort sich zu treffen bieten. Zur gleichen Zeit kam es auf den Strassen von Paris in diesem Kontext zu Demonstrationen, Unruhen und Konfrontationen mit der Polizei, sowie zu Störungen von Veranstaltungen, die der Welt ein „neues Tunesien“ präsentieren und verkaufen wollten. Einige Anarchisten waren Teil dieser Besetzungen und Aufstände.
Der Text reflektiert ihre Erfahrungen der Intervention in diesen Kampf, er erzählt von den Begegnungen mit den tunesischen „Harragas“ auf Basis von Affinität und Selbstorganisation, vom Experimentieren mit anderen Beziehungen, die sich nicht auf materiellen Unterschieden gründen (Papiere besitzen oder keine Papiere besitzen) sondern aus einer gemeinsamen totalen Kritik am Bestehenden erwachsen, und von der Notwendigkeit der Zurückweisung von (linken) Kräften, die vermitteln und mit der Macht verhandeln wollen, als Voraussetzung, um sich autonom organisieren zu können. Er stellt die Frage nach den Möglichkeiten einer Intervention und nach den Perspektiven eines Teilkampfes, und stellt, im Wissen darum, dass die Ziele eines solchen Kampfes begrenzt sind, der quantitativen Ausweitung die qualitative Vertiefung gegenüber.
Wenn
 der Kampf der anarchistischen Gefährten in Paris innerhalb eines 
bestimmten Kontexts geführt wurde, den wir hier nicht auf diese Weise 
vorfinden, können dennoch einige Punkte, die aus ihren Erfahrungen 
hervorgehen, einen wichtigen Beitrag zu Diskussionen leisten, die hier 
geführt werden.
Für einige Leser mag es vielleicht paradox 
erscheinen, den Erfahrungen des Pariser Kampfes mit den tunesischen 
Harragas1, auf den wir hier zurückkommen werden, so viel Gewicht zu 
geben. Denn, von welchem Interesse könnte ein Kampf sein, der sich nur 
über sehr kurze Zeit (die 2 Monate von Mai bis Juni 2011) in einem 
beschränkten Raum (einige Viertel einer Metropole) entfaltet hat, bevor 
er sich aus Mangel an Kämpfenden wieder erschöpfte, und der aus einem 
materiellen Blickwinkel nur sehr dürftige Resultate erzielte? Dennoch, 
wenn man die grosse Brille irgendeines „revolutionären Subjekts“ oder 
des berühmten „weltweiten Klassenkampfes des Proletariats gegen die 
Besitzenden“ für 2 Minuten ablegt, das heisst, wenn man sich die Fragen 
auf eine andere Art stellt, wird dieses Paradoxon schon relativer. Auf 
diese Weise könnte man mehr bezüglich Intensität und Gegenseitigkeit, 
Spannung und Methode reflektieren, als abhängig von quantitativen 
Kriterien wie Dauer, Ausmass, Beteiligung oder Befriedigung von 
Forderungen. So gesehen kann diese vergangene Erfahrung also vielleicht 
einige Vorschläge für die kommenden Kämpfe liefern und dazu beitragen, 
Umrisse von Gegensetzlichkeiten und Komplizenschaften rund um die Frage 
der Intervention in die soziale Konfliktualität zu aufzuzeichnen. 
Paradox? 
Wie
 dies im Allgemeinen bei jedem Teilkampf der Fall ist, und umso mehr in 
einem Kontext, der nicht am Brodeln ist, müssen wir vielleicht zunächst 
klarstellen, wovon wir ausgehen. In diesem Sinne, angesichts der 
Widersprüche und der Verwirrung, die in den sogenannten radikalen 
Milieus oft herrschen, entledigen wir uns gleich zu Beginn von falschen 
Fragen, wenn auch auf die Gefahr hin, etwas lange einige theoretische 
Hypothesen zu entwickeln. 
Der Mangel an Erfahrung in dieser Art von 
Kämpfen ausserhalb von „sozialen Bewegungen“, der Fetischismus der 
Formen („man muss sich organisieren!“, aber... um was zu tun?), oder 
auch die Verlockung eines Teils der Bewegung, aus der Ausweitung „auf 
andere Leute“ ein Ziel an sich zu machen, führt offensichtlich zu 
Bilanzen, die oft widersprüchlich sind. Was in diesem Kampf mit den 
Harragas auf dem Spiel stand, schien, für unseren Teil, nicht darin zu 
bestehen, wer weiss was für eine kollektive Kraft anwachsen zu lassen, 
diejenige einer Bewegung auf der verzweifelten Suche nach „Verankerung“,
 oder umgekehrt diejenige von neuen Subjekten (die „letzten Ankömmlinge,
 die mit einer revolutionären Erfahrung ausgestattet sind und nichts zu 
verlieren haben“), eine Kraft, die es also genügen würde, aufzudecken. 
Wenn die Suche nach einer Schlüsselkategorie (die „Arbeiterklasse“, die 
„Bauern der Dritten Welt“, die „Wütenden der Metropolen“, etc.), die in 
der Lage ist, eine Umwälzung in Gang zu setzen, in der Vergangenheit 
viele Revolutionäre zu so manchen Enttäuschungen geführt hat, dann lasst
 uns jegliche soziologischen Spekulationen den Mülleimern des Gauchismus
 überlassen. Es sind nicht abstrakte Entitäten, die die Welt verändern, 
sondern Individuen, mit allem, was sie sind und projektieren, und deren 
materielle Bedingungen nur ein Aspekt sind. Den Illusionen der Dialektik
 über die Kategorien muss ein Ende gesetzt werden: die Ausgebeuteten 
sind als solche nicht Träger irgendeines positiven Projektes, 
einschliesslich dem einer klassenlosen Gesellschaft. Um sich zu 
befreien, haben sie nichts selbstzuverwalten ausser ihre eigene 
Negierung, indem sie alles zerstören, was sie existieren macht: die 
Lohnarbeit, die Waren, die Rollen und die Hierarchien. 
In diesem 
Rahmen kann unsere Intervention in einen Teilkampf nur mit einer Analyse
 verbunden sein, und zwar mit derjenigen seiner Möglichkeiten für einen 
Bruch mit der Ordnung der Dinge, um herauszufinden, wie wir, in seinem 
Innern oder an seiner Seite, agieren wollen oder nicht. Wieso der Bruch?
 Weil es unmöglich ist, mit der Freiheit zu experimentieren, ohne 
Gitterstäbe durchzusägen, weil einzig ein Bruch mit der Normalität den 
Imperativen der Unterdrückung Zeit und Raum entreissen kann, um mit 
anderen Beziehungen zu experimentieren, die fähig sind, die Zerstörung 
der alten Welt zu vertiefen. 
Teilkämpfe und Brüche 
Wir
 brauchen hier nicht abzustreiten, dass sich diese Konzeption in Bezug 
auf Räume von sozialer Intervention und Möglichkeiten eines Bruchs der 
alten progressistischen und possibilistischen Praxis entgegenstellt. 
Dieser letzteren zufolge würden alle Teilkämpfe, Schrittchen für 
Schrittchen, von Kräfteanhäufung zu Sympathisantenvermehrung, von 
Radikalisierungen zu Überwindungen, schlussendlich vielleicht eines 
Tages, wenn die Bedingungen endlich reif sind, die angeblich von 
niemandem abhängen, in einer Art grossem kollektiven Organismus 
„zusammenlaufen“. Vielleicht ist auch das der Grund, wieso sich viele in
 einem ersten Moment weigern, sich mit den offensichtlichen Grenzen 
auseinanderzusetzen, die alle Teilkämpfe haben, während sie sich 
jedesmal wieder in sie stürzen. Aber jedes Schrittchen zählt, in 
Erwartung darauf, dass am Schluss die Guten gewinnen, nicht wahr? Dieser
 kumulativen Art und Weise, zur Insurrektion oder zur Revolution zu 
gelangen, stellen wir die Idee und die Möglichkeit von Sprüngen 
entgegen, von abrupten Übergängen ins Unbekannte der tausendundein 
Möglichkeiten. Ein Unbekanntes, das zwar die ganze Barbarei aufdecken 
kann, die wir in uns tragen wie verfaulte Früchte, die in dieser Welt 
herangewachsen sind, aber auch den ganzen Rest, all das, was sich nie 
ereignet hat. Angesichts der kleinen Buchhalter der Revolution ziehen 
wir die soziale Explosion mit all ihren Ungewissheiten der 
Aufrechterhaltung eines Bestehenden voller Ausbeutung und Herrschaft 
vor.
Die kumulative Art und Weise, die sozialen Umwälzungen zu 
betrachten, und folglich die Intervention in die Kämpfe, die sich daraus
 ableitet, wirft verschiedene Probleme auf. Zuallernächst, wenn sie 
nicht klassisch ideologisch ist, beruht diese Betrachtungsweise auf der 
Vorstellung, dass wir uns in einem Kontext von sozialer Befriedung 
befinden, in dem es nicht möglich ist, dass irgendein partieller Bruch 
die Gesamtheit mit sich reisst. Nach der letzten Restrukturierung 
befinden wir uns aber nicht mehr in den 80er und 90er Jahren, und es 
scheint uns im Gegenteil, dass, sowohl aufgrund eines zusätzlichen 
Integrationsgrades des Kapitals (durch die Globalisierung sowie durch 
die Technologie), als auch aufgrund der neuen Restrukturierungen, die 
diesseits der Erdkugel im Gange sind (Abbau des Sozialstaates, Rückgang 
der verfügbaren Arbeit, Übergang zu einer autoritäreren Verwaltung der 
sozialen Verhältnisse), eine aktuelle Hypothese vielmehr eine von 
Pulverfässern wäre, die sich regelmässig entfachen. In diesem 
Zusammenhang dreht sich die Frage also nicht mehr darum, „sich zu 
erweitern“ oder zu Kräften zu kommen, sondern darum, wie wir in unserem 
Masse dazu beitragen können, dieses Pulver der sozialen Unzufriedenheit 
zu entzünden, welche spezifischen Beiträge wir liefern können, um dieses
 explosive Gemisch anzureichern. Innerhalb eines Teilkampfes wäre das 
Ziel der Intervention dann vielmehr, ihn zu vertiefen, indem 
Verbindungen geschaffen werden, um die bestehende Konfliktualität zu 
nähren, anstatt seine spezifischen Aspekte hervorzuheben, indem er vom 
Rest der sozialen Frage getrennt wird (indem man die Schönheit eines 
Waldgebietes oder die Schlichtheit eines Tals, die Entsetzlichkeit des 
Einsperrens von Kindern oder die Brutalität der Polizei in den Vierteln 
hervorhebt). Vertiefen bedeutet hier gleichermassen, mit allem zu 
brechen, was in Dialog mit der Linken oder den Institutionen steht, und 
mit jenem Teil der Bevölkerung zu kämpfen, der sich weniger Illusionen 
über die x-ten Ausbesserungen der Fassade der Herrschaft macht, weil er 
sie an eigener Haut erfährt.
Der zweite problematische Punkt in dieser 
klassischen Sichtweise ist schliesslich, dass sie oft an der alten, 
marxistisch angehauchten Methodologie anknüpft, jener der objektiven und
 äusserst ökonomizistischen Bedingungen dieser Brüche. Da es „die 
Klasse“ oder „die Proletarier“ in ihrer Gesamtheit sind, wovon alles 
abhängt, bleibt nichts anderes zu tun, als darauf zu hoffen, dass sie 
sich manifestieren. Und so ist gewissen Leuten zufolge jeder Teilkampf 
bestenfalls nur ein Ausdruck der Grenzen des Verhältnisses 
Kapital/Arbeit und schlechtestenfalls ein schlichtes Kondensat der 
existierenden Widersprüche, das uns Material zur theoretischen Reflexion
 liefert. In dieser alten Debatte kann man auch in die andere Richtung 
neigen, das heisst, auf die Seite der (oft minoritären) Revoltierenden, 
die sich, einschliesslich ihrer Widersprüche, bereits manifestieren, und
 man kann die Hypothese aufstellen, dass es immer möglich ist, dass sich
 Brüche in Richtung einer Umwälzung der sozialen Verhältnisse ereignen. 
Oder jedenfalls, dass sie von keiner angeblich objektiven Bedingung 
festgelegt, oder von vornherein zum Scheitern verurteilt werden. Die 
jüngste Erfahrung in Tunesien zeigte uns wieder einmal, falls es 
notwendig war, dass es ein Teil der Bevölkerung ist, dem es, ausgehend 
von präzisen Gebieten (Zentrum-West und Süden) und indem er sich während
 langer Wochen mit Entschlossenheit und ohne irgendeine Garantie mit der
 Macht konfrontierte, gelungen ist, die Türen in Richtung einer solchen 
grossräumigen Umwälzung aufzustossen. 
Die Frage der Kämpfe 
anzupacken, bedeutet also vielleicht, noch einmal auf die Frage der 
agierenden Minderheiten zurückzukommen: Was können die Revolutionäre, 
und im Speziellen die Anarchisten, dazu beitragen, um in Richtung von 
Momenten des Bruchs zu gehen? Und, wenn mit wenigen zu agieren, nicht 
bedeutet, isoliert zu agieren, wie können wir in die Konfliktualität 
intervenieren, um gleichzeitig ihre Verbreitung zu fördern und uns an 
ihrer Vertiefung zu beteiligen?
Teilkämpfe und Revolten
In 
Wirklichkeit sind diese Fragen an die Projektualität eines jeden 
gebunden, das heisst, an die Fähigkeit, an Ziele gebundene Instrumente 
und Methoden zu entwickeln, die sich aus den Analysen ableiten, die man 
von der Konfliktualität macht. Wenn man zum Beispiel bedenkt, dass es 
nicht darum geht, die Kritik auf Details zu richten, sondern direkt auf 
die Gesamtheit dieser Welt, dann kann man die Revolten und Teilkämpfe 
nur anders betrachten.
In Revolten wie jener vom November 2005 oder 
jener, die seit einigen Jahren Griechenland erschüttert, scheint uns die
 essenzielle Frage die nach ihrer Generalisierung zu sein, das heisst, 
nach der Ausweitung ihrer Ladung an Negativität ausserhalb von jeglicher
 Mediation. In einem Teilkampf hingegen kann die Frage nicht die nach 
der Verbreitung seiner Ziele und Forderungen sein, es sei denn, man hält
 am mythischen Modell eines Streiks fest, der sich generalisiert, 
sondern wäre vielmehr die nach seiner qualitativen Vertiefung. 
Wie 
könnte ein Teilkampf, also ein Kampf mit einem Ziel, das festgelegt (ein
 materielles Problem zu lösen oder sich einem Projekt der Macht 
entgegenzustellen) und beschränkt ist (seine Dauer ist oft die der 
Befriedigung seiner Forderungen), zu einer allgemeineren Kritik des 
Bestehenden übergehen? Denn es gibt keinen Zweifel daran, dass der 
Reformismus recht gut den Charakteristiken der Teilkämpfe entspricht, in
 dem Sinne, dass er im Detail und auf quantitative Weise agieren, das 
heisst, grosse Mengen mobilisieren will, um bestimmte einzelne Elemente 
der Herrschaft umzugestalten. Wenn wir also nicht in die Fallen der 
Ideologie (Teilthemen künstlich mit Worten verbinden) oder der Politik 
(seine Ideen je nach Moment und Mehrheit anpassen) geraten, das heisst, 
nicht auf die notwendige Kohärenz zwischen Mitteln und Zwecken 
verzichten wollen, scheint es uns, dass wir von der qualitativen 
Dimension dieser Teilkämpfe ausgehen müssen, um so agieren zu können, 
dass sie sich in Revolten, das heisst, in Richtung einer Infragestellung
 des Bestehenden verwandeln. 
Anders gesagt: es ist die Mischung aus 
anderen Beziehungen innerhalb des Kampfes (durch die 
Selbstorganisation), aus permanenter Konfliktualität (sich dem Feind 
entgegenstellen, anstatt sich mit ihm zusammenzusetzen) und aus 
verstreutem Angriff (die verschiedenen Zahnräder angreifen, die sich aus
 jedem Teilaspekt ableiten, das heisst, eine praktische Analyse der 
Gesamtheit der Herrschaftsverhältnisse vorschlagen), die uns erlauben 
könnte, ausgehend von unseren Grundlagen anderen kämpfenden Realitäten 
zu begegnen, aber auch, mit anderen Individuen einen Vorgeschmack von 
Freiheit, Autonomie und Freude am Kämpfen zu teilen. Dabei gehen wir 
nicht von der Vorstellung aus, dass wir einzig von einem Meer aus 
Gleichgültigkeit und Resignation umgeben sind, und auch nicht davon, 
dass wir die Einzigen sind, die das Ausleben der Freiheit gegenüber der 
Autorität, die Wut und den Zorn gegenüber der Befriedung, und die 
Konflikthaltung gegenüber der Verhandlung vorziehen, sondern im 
Gegenteil davon, dass der soziale Antagonismus auch zahlreiche 
potenzielle Komplizen birgt. 
Durch Methoden und Inhalte wie diese 
werden wir sicherlich nicht einem Maximum an Unbekannten begegnen, aber 
vielleicht gemeinsam mit anderen Individuen, die von einer radikalen 
Opposition gegen einen Aspekt der Herrschaft ausgehen, dazu beitragen, 
Räume der gegenseitigen Bereicherung zu öffnen. Räume, die, auch wenn 
sich der Teilkampf nicht in eine Revolte verwandelt und erlöscht, 
dennoch weiterhin als Erfahrung widerhallen und eine antiautoritäre 
Beziehung sozial verbreiten könnte. 
Ausgehend von diesen Dimensionen
 wollen wir noch einmal auf den Kampf mit den Harragas vom letzten Jahr 
zurückkommen, mit den Möglichkeiten als Massstab, die sich in Sachen 
Begegnungen auf subversiven Grundlagen, aber auch gemeinsamem 
Experimentieren bezüglich Selbstorganisation und Konfliktualität darin 
aufgetan haben. 
Bevor wir diese paar Punkte angehen, und um die 
beiden Seiten der Begegnung, die sich in Paris ereignete, etwas zu 
präzisieren, werden wir erst ein wenig bei der genauen Situation auf 
beiden Seiten des Mittelmeeres verweilen, selbstverständlich im Wissen, 
dass nichts so homogen ist, das heisst, dass sich sowohl gewisse 
Harragas nicht an den Ereignissen in Tunesien beteiligt haben und einem 
anderen Weg gefolgt sind, wie sich gewisse Gefährten vorher nicht an 
anderen Kämpfen mit Sans-Papiers oder gegen die Ausschaffungsmaschinerie
 beteiligt haben. 
Von Sidi Bouzid nach Paname*... 
Zwei 
Wochen nach dem 14. Januar 2011 und dem Sturz von Ben Ali in Tunesien 
konnte man auf den Mauern von Paris ein Plakat in Solidarität mit den 
Aufständischen von beiden Seiten des Mittelmeeres lesen. Sich in hohem 
Ton Fragen über die Volksauflehnungen stellend, begann es wie folgt: 
„In
 den letzten Wochen sind in Tunesien und Algerien tausende und 
abertausende Individuen auf die Strasse gegangen, um ihre Wut und ihre 
Revolte gegen unerträgliche Lebensbedingungen zu bekunden. 
Mitten im
 Winter haben diese Strassenblockaden, diese massiven Plünderungen von 
Supermärkten und Lagerhallen, diese Brandstiftungen von Sitzen der 
politischen Parteien, diese Verwüstungen von Villen der Reichen und von 
Gymnasien, diese Angriffe auf Polizeiposten, diese Meutereien und 
anderen siegreichen Angriffe gegen die Gefängnisse unsere Herzen 
erwärmt... 
Heute, trotz hunderten von Toten, scheint der 
Freiheitsdrang der Aufständischen nicht bereit, zu erlöschen. Besser 
noch, er könnte sich ein bisschen überall verbreiten. Denn es ist 
überall ein bisschen das gleiche explosive Pulver, das sich anhäuft, und
 zwar jenes des Elends und der alltäglichen Unterdrückung. Denn überall,
 und auch hier, ist es ein und dieselbe Welt, die uns unterwerfen will: 
eine Welt der Kohle und der Macht für einige, eine Welt der 
Einsperrungen und der Todesschläge für alle anderen. Eine Welt zu 
Diensten der Bosse und der Staaten, was auch immer ihre Farbe ist, was 
auch immer die Art und Weise ist, auf die sie uns ausbeuten und 
kontrollieren wollen. Jetzt, wo sich neue demokratischere Meister 
hervortun, um sich den Kuchen in Tunesien aufzuteilen, fragen wir uns, 
ob es wirklich das war, wofür tausende Revoltierende unter dem Schrei 
„Freiheit!“ gekämpft haben?“2 
Und die Antwort lies nicht lange 
auf sich warten, mit einerseits der Verbreitung der Auflehnungen und 
Insurrektionen in Ägypen, und später in Libyen und in Syrien, sowie 
andererseits dem Zustrom von tunesischen Migranten, die auf der kleinen 
italienischen Insel Lampedusa ankamen. Infolge der Instabilität der 
Macht begannen die von Tunesien durchgeführten Kontrolloperationen an 
den Grenzen nachzulassen und manchmal sogar auszusetzen. Die schweren 
Pforten des europäischen Kontinents – gepanzert mit Ausschaffungslagern,
 die in die libysche Wüste ausgelagert wurden, mit Kriegsschiffen vor 
den italienischen und spanischen Küsten oder mit Minenfeldern an der 
griechischen Grenze – haben sich also einen Spaltbreit geöffnet. Nahezu 
26'000 tunesische Harragas sind im Zeitraum von 2 Monaten in Lampedusa 
angekommen. 
Unter dem Deckmantel eines „humanitären Notfalls“ 
reagierte die italienische Macht mit der Errichtung von 13 temporären 
Auffanglagern im Süden der Halbinsel. Die In-Gang-Setzung dieser 
Massnahmen war auch an die Unmöglichkeit gebunden, alle Neuankömmlinge 
direkt in den üblichen Ausschaffungszentren (den CIE) einzusperren, 
welche seit 1998 existieren, da diese in den letzten Jahren infolge der 
Revolten, die darin aufeinanderfolgten, erhebliche Schäden erlitten 
hatten. Alleine in den Monaten Februar und März 2011 haben Revolten und 
Ausbrüche beispielsweise die Lager von Gradisca, Modena, Turin und Bari 
teilweise beschädigt. 
Um die Harragas zu Hunderten auf den 
Kontinent in diese 13 „Empfangs- und Identifikationszentren“ [CAI ] zu 
verlegen, hat der Staat damals sowohl Touristenschiffe angefordert wie 
Militärboote eingesetzt. Das Ziel in diesen Lagern war es, die Haragas 
zu registrieren und nach ihrer Nationalität und den zahlreichen 
geltenden Status (Asylsuchender, Flüchtling, Sans-Papier, der im 
Schengen Raum bereits registriert ist oder nicht,...) zu sortieren. Im 
ersten dieser Zentren, das am 27. März in Manduria in Apulien für 3'000 
Personen öffnete, wurden auf offenem Feld, im Innern einer doppelten 
Umzäunung von jeweils 2 und 4 Metern hohen Gittern, riesige blaue Zelte 
aufgestellt, die mit „Innenministerium“ gestempelt waren. Soldaten, 
Polizisten und Humanitäre vom Typ Rotes Kreuz bewachten und verwalteten 
das Lager, die einen indem sie den Schlagstock und die anderen indem sie
 die Überredungskunst und die Erpressung einsetzten. 
Bereits am 28. 
März haben nahezu 500 Harragas gemeutert und sind aus Manduria 
ausgebrochen: die meisten wollten die Reise fortsetzen und Frankreich 
oder andere Länder erreichen, wo sie Kontakte hatten. Am 2. April, bei 
Tagesanbruch, gelang es 200 mit Steinen gegen ihre Kerkermeister 
bewaffneten Festgehaltenen die Gitterzäune zu durchbrechen und zu 
flüchten. Am Nachmittag, während einer Solidaritätsdemonstration, 
entkamen 400 weitere aus dem Lager: viele um davonzuflüchten, andere um 
sich der Demonstration anzuschliessen und dann mit Rufen von „Freiheit!“
 gemeinsam die Strasse zu blockieren. Angesichts dieser unerwarteten 
Situation konnte die militärische Verstärkung nichts ausrichten: es 
blieb ihnen nichts anderes übrig, als entweder ungeniert in diese 
aufgebrachte Menge zu schiessen, oder ihr zu gestatten, das Lager zu 
verlassen, wann immer es ihr passt. So sind die Tore von Manduria 
permanent geöffnet worden..... In den Lagern von Potenza, Santa Maria 
Capua Vetere (in der Nähe von Neapel), Pozzallo und Kinisa (errichtet 
auf einer Asbestmülldeponie in Sizilien) war die Lage nicht weniger 
explosiv. 
Anfang April haben die Regierungen von Tunesien und 
Italien schliesslich ein Abkommen unterschrieben: im Austausch gegen 
eine humanitäre Aufenthaltsbewilligung von 6 Monaten für alle Harragas, 
die vor dem 5. April angekommen sind, akzeptierte Tunesien, all jene 
automatisch wieder auf sein Territorium aufzunehmen, die nach diesem 
Datum in Italien ankamen. Europa offerierte ihm sogar als Nachschlag 
zusätzliche Kontrollmittel (Wärmebildkameras, Boote, Geländewagen,...), 
um seine Grenzen zu verstärken. Von einem Tag auf den anderen sind die 
tunesischen Harragas, die in Lampedusa oder anderswo an den Küsten 
angekommen sind, für unverzüglich ausschaffbar erklärt worden. Die 
Fluggesellschaft Air Mistral, Eigentum der italienischen Post, führte 
damals zwei Flüge täglich durch, um mit jedem Flug 30 Tunesier (plus 2 
Bullen pro Auszuschaffendem) zu deportieren. Ende April, als die 
temporären Aufenthaltsbewilligungen erst tröpfchenweise ausgestellt 
wurden, ändert sich die Funktion der provisorischen Empfangszentren, um 
auf Verordnung zu Ausschaffungszentren zu werden. Nachdem die Harragas 
einmal nach ihrer Nationalität (es gibt auch Ägypter und Libyer 
darunter) und ihrem Ankunftsdatum identifiziert sind, ist ihr Schicksal 
besiegelt: es wird die Zwangsausschaffung sein! Natürlich gibt es 
glücklicherweise immer Individuen, die revoltieren, wie dies zum 
Beispiel im Zentrum von Santa Maria Capua Vetere der Fall war. Dort 
haben die Festgehaltenen sogar erreichen können, dass auch die Tunesier 
des Lagers, die nach dem 5. April angekommen sind, eine temporäre 
Aufenthaltsbewilligung erhielten, und dass diejenigen mit anderen 
Nationalitäten einen Asylantrag einreichen konnten. Einige, 
logischerweise misstrauisch gegenüber dem vergangenen Abkommen, haben 
auch ihr Schicksal direkt selbst in die Hand genommen: wenige Tage nach 
dem Abkommen organisierten 90 Festgehaltene erfolgreich einen 
kollektiven Ausbruch. In Pozzallo, in Sizilien, revoltierten etwa 40 
Eritreer und Somalier und brachen aus. Diejenigen, die wieder 
aufgegriffen wurden, wurden ins Gefängnis verlegt. Im Verlaufe des 
Prozesses haben sie von ihren zahlreichen Versuchen, nach Italien zu 
gelangen, und von ihrer Abschiebung (kraft Migrationsabkommen zwischen 
Europa und Libyen) in die drei libyschen Lager erzählt, in denen die 
Folter zu einer Verwaltungsweise erhoben wurde. In Libyen haben die 
Repräsentanten des Übergangsrates Italien und Frankreich übrigens 
schnell mehrmals versichert, dass die in dieser Angelegenheit mit 
Gaddafi unterzeichneten Abkommen geltend bleiben werden, sobald sie an 
der Macht seien. Dies ist übrigens einer der Gründe, weshalb die NATO 
die libysche Marine nicht bombardiert hat, die Europa später zu sehr 
nötig hatte, um seine Aussengrenzen zu überwachen. 
Auch in den 
permanenten Ausschaffungszentren gingen die Revolten und die Widerstände
 weiter. Am 21. April zum Beispiel gelang es 15 Sans-Papiers aus dem von
 Modena auszubrechen, nachdem sie die Gitterstäbe eines Fensters 
durchgesägt hatten. Am 2. Mai in Mailand revoltierten im Lager 7 
Tunesier, die in Genua verhaftet worden waren. Sie wurden ins Gefängnis 
gesteckt und zu 10 Monaten Haft verurteilt. Vor den Zentren von 
Brindisi, Bari, Turin, Modena, Bologna, Mandurien, Santa Maria Capua 
Vetere und Sizilien fanden Solidaritätskundgebungen statt. 
Ab 
dem 15. April, während die Aufenthaltsbewilligungen nach und nach 
ausgestellt werden, versuchen Tausende von tunesischen Harragas, ihre 
Reise fortzusetzen. Oft aufs Land transportiert und dort mitten im 
Grünen ausgesetzt, kehren sie im Allgemeinen schliesslich zu Fuss in ein
 Stadtzentrum zurück und nehmen dort einen Zug nordwärts, in Richtung 
Vintimille und italienisch-französische Grenze. Zum Preis von Dutzenden 
Abschiebungen durch die französischen Gendarmen (die am 17. April sogar 
den ganzen Zugverkehr vorübergehend einstellen), gelingt es vielen, 
durchzukommen. Nach dieser ganzen Rundreise ist es nicht verwunderlich, 
dass eine der Parolen, die in den Versammlungen und Demonstrationen in 
Paris laut werden wird, folgende ist: „Wir sind da! Wir sind da! Wir 
werden uns nicht bewegen!“ 
Nach mehr als 2 Monaten Schinderei 
(und nachdem sie beim Überqueren des Mittelmeeres den Tod riskiert 
hatten: 2000 Ertrunkene von Januar bis Juni 2011), haben einige dieser 
Unerwünschten angefangen, gemeinsam mit Kameraden und Gefährten zu 
kämpfen, wie in Marseille oder in Paris. Auch wenn mehrere Hundert unter
 ihnen schliesslich die Erpressung der „freiwilligen“ Rückreise (dafür 
bekamen sie 300 Euro) akzeptierten, die nicht zuletzt von Vereinen wie 
France Terre d'Asile gefördert wurde, sind dutzende andere geblieben, 
mit der Absicht, zu kämpfen, trotz den zahlreichen Räumungen von Squats 
oder den Razzien. Es ist also nicht nur etwas Erlebtes und eine 
Entschlossenheit, die Auflehnung gegen das Regime von Ben Ali und das 
Aufeinanderfolgen von Revolten, um bis nach Paris zu gelangen, sondern 
auch ein Verlangen und ein Projekt, sowohl jenes, das zu erleben, was 
verboten und unmöglich war, wie jenes, zu bleiben, um der Armut zu 
entkommen, das die Begegnung begünstigt hat, weit jenseits der sozialen 
Bullen der Linken, die diese Art von Kämpfen für gewöhnlich 
mitverwalten. Eine Begegnung, die auch durch die Erfahrung ermöglicht 
wurde, die von vielen unter uns im Laufe der Jahre angesammelt wurde, 
und die es vor allem ermöglichte, den Rhythmus der Geschehnisse ein 
klein wenig zu beschleunigen. 
....und von Paname nach Paname 
Im
 Grunde führen mehrere Gruppen von Kameraden seit zahlreichen Jahren 
einen Kampf mit Sans-Papiers Kollektiven (von Afrikanern, Romas, oder 
schlicht verbunden mit besetzten Orten) und gegen die verschiedenen 
Zahnräder der Ausschaffungsmaschinerie. Der Anfang geht bis auf das Jahr
 1996 zurück, als sich vermehrt autonome Sans-Papiers Kollektive 
bildeten, um eine allgemeine Regularisierung zu erreichen. Der Kontext 
bestand damals aus grossen Demonstrationen, Kirchenbesetzungen mit oder 
ohne Hungerstreik, und Verhandlungen mit der Linken über die Kriterien 
für eine Regularisierung. Zu dieser Zeit stürzten sich die Kameraden 
auch in Blockierungen von Zügen und Schiffen (diejenigen, die Algerier 
vom Bahnhof von Paris bis zum Schiff in Marseille deportierten), während
 Hotels von IBIS (der Staat reservierte dort Zimmer, um die Sans-Papiers
 nahe beim Flughafen provisorisch einzuschliessen) sowie Filialen von 
Air France besetzt und angegriffen wurden, ohne die Kampagne 2004/2005 
gegen den Bau von neuen Ausschaffungsgefängnissen zu vergessen 
(zahlreiche Sabotagen gegen die Firma Bouygues, Hauptbauunternehmen der 
Gefängnisse und Zentren). 
Ab 2006 taucht erneut der Wille auf, 
die Ausschaffungsmaschinerie zu blockieren, aber dieses Mal nicht mehr 
ausgehend von spezifischen Knotenpunkten oder von Kampagnen, sondern 
indem man sich dem gesamten Dispositiv annimmt. Es ist allerdings auch 
so, dass die Sans-Papiers Kollektive fast alle verschwunden oder nunmehr
 zu Nestern von Politikern geworden sind, die mit den linken oder 
linksextremen Parteien verbündet sind. Ausserdem werden die seltenen 
Regularisierungen, die in diesen letzten Jahren dem französischen Staat 
kollektiv entrissen wurden, wie überall in Europa, praktisch nur noch 
aufgrund von Arbeitsverträgen ausgestellt, und nicht mehr wie zuvor im 
Namen des „Familienlebens“ oder der (in Klandestinität) erlangten 
„langen Anwesenheit“. Die Aufenthaltsbewilligungen von 10 Jahren sind 
ebenso de facto verschwunden, zugunsten von provisorischen Papieren für 
einige Monate oder maximum ein Jahr. 
In diesem Kontext wird sich der
 Kampf in Paris sowohl flussaufwärts (das heisst, gegen die Razzien in 
den Quartieren und gegen die Transporte) wie flussabwärts (das heisst, 
direkt gegen die Aussschaffungszentren) ausrichten. Einerseits, um mit 
den Sans-Papiers, dort, wo sie sich befinden, durch die Revolte 
Verbindungen zu knüpfen, andererseits, um zu versuchen, Sandkörner in 
das Räderwerk der Ausschaffungsmaschinerie zu streuen. Die Vermehrung 
von Revolten in den Zentren ab 2008, die im Juni in der Brandstiftung 
von jenem von Vincennes gipfeln wird, wird somit den Feinden aller 
Grenzen wieder Leben einhauchen. Rund um den Prozess vom März 2010 gegen
 die 10 für diese Brandstiftung Angeklagten mangelte es ausserdem nicht 
an Solidaritätsgesten auf allen Gebieten (Sabotagen, Demonstrationen, 
Sprayereien, Baladen und Brandstiftungen), die zu zwei Wellen von 
Hausdurchsuchungen durch die anti-“terroristische“ Einheit der Polizei 
und zu Untersuchungen gegen Kameraden aus Paris führten. 
Ab 
April 2011 verstanden einige unter ihnen, dass im Bauch der Metropole 
etwas am geschehen ist. Einerseits nahm man wahr, dass die Polizei auf 
den grossen Boulevards und Plätzen im Norden und im Westen der Stadt, 
aber auch beim Gare de Lyon (dem Pariser Bahnhof für die Züge, die aus 
dem Süden des Landes kommen) gigantische Razzien aufzog, wie man sie 
seit langem nicht mehr gesehen hatte. Durch die Belästigung der Bullen, 
um ihrer schmutzigen Arbeit zu schaden, aber auch verbunden mit der 
Situation in Italien, dauerte es nicht lange, um festzustellen, dass 
tausende Tunesier in der Hauptstadt am ankommen sind. Es ist ein 
winziges Ereignis, das die Begegnung auslösen wird: als die Polizei 
eines Abends so weit geht im Park von Porte de la Vilette, während der 
Essensverteilung durch humanitäre Vereine an die tunesischen Harragas, 
eine Razzia durchzuführen, verteidigen sich die Harragas mit allem was 
ihnen in die Hände kommt, und werfen Steine und Flaschen gegen die 
Bullen. 
Zwischen der Ringautobahn und einer Eisenbahnlinie gelegen, 
beherbergt dieser Park gegen 400 Harragas. Rasch gehen auch wir dort 
mehrere Tage nacheinander vorbei und helfen sogar bei einer ihrer ersten
 autonomen Demonstrationen in Paris. Eine Gruppe von etwa 30 unter 
ihnen, notdürftig in einem halb-institutionellen Squat untergebracht, 
beschliesst damals, sich an der 1. Mai-Demonstration zu beteiligen, 
wobei die Spitze der Demo der CGT [Confédération générale du travail – 
Allgemeiner Gewerkschaftsbund] entrissen wurde. Das formelle Kollektiv 
von Lampedusa nach Paris war geboren, auch wenn es glücklicherweise eine
 leere Hülse blieb. Die Idee war es nun, einen Ort zu finden, um sich 
einzurichten und sich zu organisieren, das heisst, die polizeiliche 
Umzingelung des Gartens von La Vilette zu durchbrechen, die jeden Tag 
dutzende Harragas in die Polizeiposten und Ausschaffungszentren führt. 
Da der sozialistische Bürgermeister, der selber von tunesischer Herkunft
 ist, heuchlerisch gegen die Razzien im Garten protestierte, und da die 
Stadtverwaltung einige leere Liegenschaften besitzt, wurde noch am 
selben Abend des ersten Mai die Avenue Bolivar 51 (im 19. 
Arrondissement) besetzt. 
Bevor wir uns in eine kurze 
Zusammenfassung des Ablauf der Ereignisse stürzen und dann die Frage der
 qualitativen Vertiefung angehen, können wir gleich von Anfang an 
präzisieren, dass die oben erwähnte Erfahrung von Kameraden und 
Gefährten, auch wenn sie natürlich keine fix-fertigen Antworten liefert,
 zumindest geholfen hat, zu versuchen, die Spannung zu nähren, und 
gewisse Kampfmethoden wie die Selbstorganisation oder die 
Konflikthaltung gegenüber den Medien, den Vetretern, den Gewerkschaften 
und den karitativen Bullen zu stützen. 
Kurze Schilderung 
Wir
 werden uns hier mit einer kurzen Schilderung der Ereignisse 
zufriedengeben, einerseits, weil diese schon anderswo in detaillierterer
 Ausführung3 existiert, und andererseits, weil, auch wenn Chronologien 
oder Berichte zwar einen Beitrag in Sachen unmittelbarer Anregung oder 
Agitation liefern können, es uns rückblickend scheint, dass es nicht so 
sehr die Gegeninformation oder die technischen Gegebenheiten sind, woran
 es generell mangelt, sondern vielmehr ihre In-Perspektive-Setzung. 
Welches Interesse besteht darin, in einer Welt, die von Informationen 
aller Art übersättigt ist, die im selben Rythmus wie die anderen Waren 
in ständigem Fluss konsumiert werden, einige nackte Daten aufzulisten, 
noch dazu, wenn sie vom (sozialen und zeitlichen) Raum losgelöst sind, 
der sie hervorgebracht hat? Unabhängig vom wachsenden Verlust einer 
gemeinsamen Sprache unter den Revoltierenden, würde dies zusätzlich 
voraussetzen, dass einzelne Taten direkt zu jedem sprechen können, in 
dem Sinne, dass sie dazu beitragen, sich eine Erfahrung anzueignen. Die 
folgenden Informationen können also nur als ein Teil gesehen werden, und
 mit einem Bezug auf die Analyse, die wir daraus zu ziehen versuchen. 
Sie haben nicht den Anspruch, alles, was geschehen ist und erlebt wurde,
 zusammenzufassen oder zu erschöpfen. Um auf diesen Kampf 
zurückzukommen, könnte man ihn als eine doppelte Bewegung bezeichnen, 
eine von Besetzungen und eine von Demonstrationen, während er selbst von
 zwei Themen durchdrungen war, von der Unterkunft („ein Ort, um sich zu 
organisieren“) und der Aufenthaltsbewilligung („Papiere für alle oder 
überhaupt keine Papiere mehr“). Ein erster Faden verläuft also von Ort 
zu Ort, von Besetzungen zu Räumungen, unterbrochen von Notpausen in 
Squats von Kameraden, die bereits geöffnet sind, und ein zweiter Faden 
besteht aus Initiativen auf der Strasse, die von wilden Demonstrationen 
bis zu Baladen, von mehr oder weniger demonstrativen Versammlungen bis 
zu Störungen von Ausstellungen der „Tunisie nouvelle“** reichten. 
Die
 Avenue Bolivar 51, die am Abend des 1. Mai besetzt wurde, wird drei 
Tage später, trotz den Verhandlungsversuchen von einigen, von hunderten 
Bullen geräumt4, was zu 128 Personen in Polizeigewahrsam und etwa einem 
Dutzend Ausschaffungen führte (nach Italien, von wo aus die Tunesier 
zurückkommen konnten). Am 7. Mai wurde im gleichen Viertel das Gymnasium
 Fontaine-au-Roi in Beschlag genommen, bevor es der Grossteil der 
Kameraden 2 Wochen später wieder verlässt und es die Stadtverwaltung 
Anfang Juni wieder in die Hände nimmt. Schliesslich wurde am 23. Juni an
 der Rue Bichat ein Wohnheim besetzt, ein Gebäude, das 4 Tage später 
wieder geräumt wurde, was zu 17 Personen in Polizeigewahrsam führte (die
 Harragas, die in das Ausschaffungszentrum von Vincennes geschickt 
wurden, werden einige Tage später wieder herausgelassen, das Verfahren 
gegen die Gefährten wird während eines Prozesses im Juli eingestellt). 
Man wird auch feststellen, dass es der Rue Botzaris, einem Gebäude, das 
dem Tunesischen Staat gehört, das diesmal mit der Linken und unter der 
Schirmherrschaft der kleinen Chefs der Vereine besetzt wurde, 
ebensowenig gelang, sich zu halten (15 Tage). Schliesslich ist es 
während der selben Zeit, gegen Mitte Juni, als der Staat im Park 
Buttes-Chaumont nächtliche Hetzjagd machte und jenen von Porte de la 
Villette, wo einige Harragas weiterhin schliefen, mit Gewalt leerte und 
somit den letzten sichtbaren Niederlassungspunkt in der Hauptstadt 
eliminierte. Von da an fanden sich diejenigen, die keine Rückkehrhilfe 
akzeptiert oder ihr Glück nicht anderswo versucht haben (in Italien oder
 in anderen Städten), definitiv zerstreut wieder, von manchmal 
schrecklichen Versuchen, sich durchzuschlagen (sechs Migranten aus 
Tunesien, Ägypten und Libyen starben bei einem Brandunfall in einem 
Squat in Pantin am 28. September 2011), bis zu mehr oder weniger 
geglückten temporären Wiederaneignungen (Besetzungen in den Banlieus, 
die autonom oder gemeinsam mit Kameraden unternommen wurden). 
Neben 
diesem Ortswechsel unter dem permanenten Druck eines Staates, der fest 
entschlossen ist, jeden Versuch von wildem Zusammenschluss und 
Selbstorganisation zu verhindern, können wir sagen, dass die 
Versammlungen genauso konfliktreich (mit der Jagd auf die Feuerwehrleute
 und dann auf die BAC [Brigade anti-criminalité] in zivil vor der Avenue
 Bolivar 51), wie gegen-informativ (Transparente, Flugblätter und 
offenes Mikrofon bei der Metrostation Couronnes im Juni) sein konnten, 
ebenso, wie die Demonstrationen genauso Baladen sein konnten, um sich 
die Strasse zu nehmen, wie in kurzen Konfrontationen mit der Polizei 
enden konnten (wie am 9. Mai neben dem Gymnasium, in Solidarität mit 
Kaufhausdieben, die in flagranti erwischt wurden). Schliesslich haben 
die aufeinanderfolgenden Störungsaktionen bei der Village du Jasmin beim
 Place de l'Hôtel de ville (22. Mai), beim Geschäftssitz der AFTAM*** 
(27. Mai), beim tunesischen Immobiliensalon an der Porte de Champerret 
(11. Juni), oder bei der Einweihung des Bouazizi-Platzes durch den 
Bürgermeister (30. Juni) ihrerseits versucht, die Initiative zu 
bewahren, Ideen beizutragen, und aus einer spezifischen Situation ein 
soziales Problem zu machen. 
Was war dieser Kampf? 
Einer 
der Aspekte, der diesen Kampf am meisten gekennzeichnet hat, ist 
derjenige, dass es sowohl an Zeit wie an Raum fehlte, um damit anfangen 
zu können, mit irgendetwas zu experimentieren. Die verschiedenen 
Bilanzen, die links und rechts (mündlich) gezogen wurden, meistens, um 
aus diesem Teilkampf ein Gegenbeispiel zu machen, werden daher oft 
karikaturistisch, denn sie beziehen sich mehr auf eine Abwesenheit, auf 
das, was nicht geschah, als auf einen bestimmten Inhalt, der sich kaum 
abzuzeichnen begann. Diese Bilanzen reflektieren in Wirklichkeit oft die
 strikt materialistische und utilitaristische Konzeption ihrer Autoren 
(„die Effizienz des Kampfes“ in der Befriedigung der Bedürfnisse oder 
„indem viele Leute erreicht werden“, die Tatsache, dass die Besetzungen 
nicht angedauert haben), um negative Schlussfolgerungen zu ziehen, 
während man die qualitative Dimension des Kampfes, das heisst, sein Wie 
und sein Warum vergisst. Für uns fasste er sich nicht in Bezug auf 
Besetzungen zusammen, um mit der Stadtverwaltung und dem Staat einen Ort
 und Papiere auszuhandeln, sondern es handelte sich mehr um eine 
Gelegenheit, um in Richtung von Momenten des Bruches zu gehen und neuen 
potenziellen Komplizen zu begegnen. 
Deshalb ist eine der 
Schwierigkeiten, die von den oben aufgelisteten Fakten gestellt wird, 
dass diese für sich alleine über diesen Aspekt in einer Gesamtbewegung 
nicht Rechenschaft abgeben können. Die Intensität und der Inhalt dieser 
Erfahrung sind je nachdem, für den einen oder anderen, sehr verschieden 
gewesen, nicht nur abhängig von seiner Beteiligung oder Subjektivität, 
sondern auch abhängig von den Ideen und Momenten, über die man 
diskutiert. Wenn nicht alles auf ein und dieselbe Ebene gestellt werden 
kann, unter dem blossen Vorwand, dass es sich um ein und denselben Kampf
 handelt, dann müssen wir beispielsweise einen Moment wie die Besetzung 
des Gebäudes an der Avenue Bolivar von jenem, der beim Gymnasiums von 
Fontaine-du-Roi folgte, unterscheiden. Im einen Fall handelte es sich um
 eine gemeinsame Besetzung mit bis zu 200 Harragas, einen Anfang von 
Selbstorganisation, bei der der Antagonismus nach aussen gerichtet war, 
wohingegen es sich im zweiten Fall um einen schlichten Schlafplatz 
handelte, wo eine Menge von (vereinsmässigen, religiösen, politischen) 
Aasgeiern hinkamen, um ihre Betrügereien auszuüben, indem sie sich auf 
ein inneres Klima eines Kriegs eines jeden gegen jeden stützten.5 
Ebenso
 wird man die Möglichkeiten nicht auf die gleiche Art analysieren, je 
nachdem, ob man „den“ Kampf als ein homogenes und quantitatives Ganzes 
betrachtet, das an spezifische Bedürfnisse (wohnen) und an eine 
bestimmte Bedingung (über keine gültigen Papiere verfügen) gebunden ist,
 oder ob man das untersucht, was durch ein potenziell subversives 
Experimentieren zur Gemeinsamkeit eines Teils seiner Beteiligten werden 
konnte: die Zurückweisung der konstituierten Autoritäten, die 
Entschlossenheit, das zu entreissen, womit man sein Schicksal direkt 
verbessern kann, mit dem Eingehen des sich daraus ableitenden Risikos, 
der Wille, hier und jetzt einen gewissen Geschmack von Freiheit zu 
erleben. So gesehen verkörperte sich dieser Kampf weniger in irgendeiner
 Zentralität zwischen vier Mauern („einem“ Ort, um sich zu 
organisieren), als vielmehr in vielfältigen Begegnungen, die mit dem 
kurzen Zusammenwohnen bis zum Gymnasium verbunden waren, und mit der Art
 und Weise, sich in einer Demo zu entdecken. Anstatt in den 
schallgedämpften Büros der Bürokraten der Stadtverwaltung konnte der 
Kampf in einem offensiven und mobilen Verhältnis in der Metropole 
beginnen (durch die Zirkulation der Harragas und durch den Willen, 
Initiativen und Störungen zu vermehren), weniger ausgehend von einer 
unüberwindbaren Trennung zwischen „mit“ oder „ohne“ Papiere, „mit“ oder 
„ohne“ Unterkunft, als ausgehend von der Lust, zu kämpfen und mit der 
Normalität zu brechen. Kurz, die Linien weben und fügen sich in diesem 
Fall mehr um Verlangen, Affinitäten, Inhalte und Methoden zusammen, als 
ausgehend von starren anfänglichen materiellen Unterschieden. 
Es 
geht natürlich nicht darum, hier Unterschiede abzustreiten, die 
existierten, sondern darum, zu bekräftigen, dass das, was die 
Diskrepanzen organisieren konnte, ebensosehr an die Perspektiven und an 
die Art und Weise, sie zu beleben, gebunden war, und dass es eben diese 
Aspekte sind, deren Vertiefung uns in solchen Kämpfen am wichtigsten 
erscheint. Um ein Beispiel zu machen: die Kameraden, welche die 
Verhandlungen mit der Stadtverwaltung befürworteten, hätten fast schon 
einen gemeinsamen Pol mit den Harragas bilden können, die bereit waren, 
dem aufgekreuzten Imam (oder den tunesischen Vereinen) zu folgen, denn 
sie alle waren schlussendlich bereit, den Kampf mittels Autoritäten zu 
vermitteln (jeder mit den seinen) und durch die Befriedigung von 
Forderungen Effizienz zu beweisen. Auf der anderen Seite hätten 
Gefährten, welche für die Autonomie der Praxis waren, um sich selbst und
 direkt das zu nehmen, was man benötigte, fast schon einen gemeinsamen 
Pol mit den Harragas lancieren können, die sich gegen jegliche Führung 
sträubten und voller kommunikativer Wut waren (was sich, deutlicher 
gesagt, in der Öffnung von Besetzungen ausdrücken konnte, im Teilen von 
Illegalismen und Geldbeschaffungsplänen, in der Tatsache, aktiv zu 
werden, um Racheakte und Angriffe gegen die Stadtverwaltung und die 
Ausschaffungsmaschinerie auszuüben, etc.). Wir sagen in beiden Fällen 
„fast“, weil der Kampf nicht die Zeit hatte, sich zu entwickeln, und 
weil diese Pole nur Spannungen sind, die sich auch anders und in diverse
 andere Richtungen hätten aufteilen können. 
Ein anderes Beispiel, 
das deutlich aufzeigt, inwiefern es genauso sehr, wenn nicht sogar noch 
mehr, die Ideen und ihre praktische Umsetzung sind, die den Kampf 
organisieren, wie angeblich objektive Unterschiede der Bedingungen, ist 
die Frage des Zusammenschlusses unter Individuen. Nach und nach hatten 
mehrere unter uns das Gefühl, dass unter gewissen Kameraden/Gefährten 
und einigen Harragas ein Anfang einer gemeinsamen Perspektive entstehen 
konnte. Einerseits hatten nicht alle Lust, mit etwa Hundert Personen 
(für viele unbekannt und in einem angespannten Klima) im selben Raum 
zusammenzuwohnen, andererseits entsprach dies auch der libertären Idee 
von dezentralisierteren Kämpfen mit mehr koordinierten als einheitlichen
 Formen. In der gleichen Weise konnte der Unterschied zwischen weiterhin
 mit den Behörden über Orte zu verhandeln/sie sich öffnen zu lassen oder
 sich selber einen zu nehmen, sowie das Verlangen, für viel mehr als für
 Papiere und ein Dach über dem Kopf und auf horizontale Weise zu 
kämpfen, ausreichende Grundlagen bilden, um, wie beim Wohnheim der Rue 
Bichat6, einen affinitätsbezogeneren Raum zu öffnen, ohne deswegen 
geschlossen zu sein. Diese entstehenden Affinitäten waren natürlich auch
 an Diskussionen über Grenzen, Chefs oder das Gesetz, den Unterschied 
zwischen „Unterstützern“ und „Solidarischen“, die Bedeutung des Wortes 
„anarchistisch“ (verbreitet durch die Stadtverwaltung in ihrem 
Kommuniqué, um die Räumung der Avenue Bolivar 51 zu rechtfertigen7) oder
 auch über das Ziel selbst eines solchen Kampfes gebunden. Wenn ein Teil
 der Harragas aus dieser 4-tägigen Besetzung heute noch immer präsent 
ist, wer weiss, was diese Initiative in Sachen neuer Komplizenschaften 
auf antiautoritären Grundlagen hätte ergeben können? 
Zur Erinnerung,
 dieser Zusammenschluss von etwa 30 Individuen auf der Grundlage von 
Affinitäten mag von gewissen Kameraden als eine Art „Verrat“ am Kampf 
erlebt worden sein, weil er eine andere Möglichkeit, sich zu 
organisieren, in sich trug: nicht mehr die Einheit, so verfault wie die 
Situation im berüchtigten Gymnasium, sondern die Diversität, nicht mehr 
die kollektive Zentralisierung („sie“ und „wir“ in zwei Gruppen, 
gerechtfertigt durch Unterschiede der Bedingungen), sondern die 
Koordination von Affinitätsgruppen (Individuen, die sich, mit oder ohne 
Papiere, aufgrund von Ideen und Praktiken zusammenschliessen). Dieser 
Versuch, der aufgrund der schnellen polizeilichen Räumung unfruchtbar 
war, ist manchmal auch als der „Wille, eine Avantgarde unter den 
Harragas zu kreieren“, verschrien worden, womit man indirekt behauptete,
 dass es offensichtlich unmöglich ist, dass Antiautoritäre und Harragas 
eine gemeinsame Projektualität entwickeln können. Der Gipfel der 
Ohnmacht in Bezug auf Subjekte, die für die Autoritären zu 
undiszipliniert sind, oder schlicht die Projektion der eigenen 
Denkkategorien auf die Gegner? 
Allerdings ist es vielleicht kein 
Zufall, wenn wir mit gewissen anwesenden Harragas mehr potenzielle 
Affinitäten als mit vielen Kameraden gefunden haben, und zuallererst ein
 von Feindseligkeit gefärbtes Misstrauen gegenüber den Medien, den 
Parteien und den Gewerkschaften8, den Geschmack für die Konfrontation 
mit den Bullen und eine Entschlossenheit, die einen Kontrast zum 
militanten Aktivismus bildete. Und, auch wenn die Tatsache, sich nach 
koordinierten Affinitäten zu organisieren, vielleicht nie verhindern 
wird, dass militante Feuerlöscher rumschreien, wenn einige Harragas es 
bevorzugen, zusammenzubleiben und sich mit den Zivibullen zu 
konfrontieren, anstatt sich aufzuteilen und in die Busse der 
Stadtverwaltung zu steigen, die sie in ein gefängnisgleiches Wohnheim 
bringen, so wird dies auf jeden Fall zumindest erlauben, das Gewicht 
jener, die mehr Politiker und mehr Demokraten sind, zu minimieren. Man 
hat das übrigens am Anfang bei der Bolivar Besetzung gesehen, als sich 
das Funktionieren als „Kampfkollektiv“ mit seinen grossen Versammlungen 
durch die blosse Präsenz einiger professioneller Lügner, die mit 
tunesischen Vereinen und Parteien in Verbindung standen, leicht gelähmt 
und blockiert wiedergefunden hat. Die Öffnung von Bichat war hingegen 
ein Versuch, damit zu beginnen, Orte zum Leben, zur Selbstorganisation 
und zur Vertiefung von Affinität zu vermehren, ein jeder auf 
geschärfteren Grundlagen des Kampfes, ein Versuch, der dafür gedacht 
war, sich mit anderen zu koordinieren. Wenn wir auch nie wissen werden, 
wie diese Projektualität, die den Kampf anders ins Auge fasste, sich 
hätte weiterentwickeln können, so bleibt nichtsdestotrotz, dass wir 
dadurch, dass wir wieder mit dieser Idee von Affinität und Koordination 
zu experimentieren beginnen – nicht nur unter Gefährten, sondern, wie es
 sich bereits in der Vergangenheit ereignet hat, auch mit anderen 
Revoltierenden –, vielleicht die Tyrannei der Zahl werden verlassen und 
andere Möglichkeiten, zur sozialen Konfliktualität beizutragen, 
entdecken können. 
Zum Schluss ein letzter Punkt, den man oft ein
 bisschen scheinheilig vergisst, und der ebenfalls über die Grenzen der 
berühmten materiellen Bedingungen hinausgeht: das Verhältnis zum Gesetz.
 Einerseits zeugt es von stumpfsinnigstem Paternalismus oder von 
Verblendung, zu denken, dass Sans-Papiers nicht fähig seien, alleine mit
 einer Polizeikontrolle umzugehen oder zahlreiche gesetzliche Grenzen zu
 überwinden, wenn man genau weiss, wie zahlreiche von ihnen sich bereits
 im Alltag zu helfen wissen, um zu überleben. Andererseits entscheiden 
nicht wenige Kameraden und solidarische Individuen, aus persönlichen 
Gründen oder aus taktischer Entscheidung, über diesen Aspekt des Kampfes
 eher zu schweigen. Die Frage des Gesetzes und seiner Konsequenzen ist 
nicht vernachlässigbar, denn der Wille zu kämpfen der einen kann leicht 
unvereinbar werden mit den Anwandlungen zu verhandeln der anderen, 
genauso wie der Drang, seine Wut gegenüber der Autorität und ihren 
Vermittlern auszudrücken, sich schnell gemässigteren Entscheidungen (die
 natürlich im Namen der Einheit verteidigt werden!) entgegenstellen 
kann. Um ein Beispiel zu machen, so haben sich einige bekannte Harragas 
(am 9. Mai) in letzter Minuten dem Start einer wilden Demonstration im 
Quartier, die vom Gymnasium aus loszog, entgegengestellt, indem sie die 
andern dazu aufriefen, sich ihr nicht anzuschliessen, mit dem Vorwand, 
dass diese die Stadtverwaltung, welche die Brücken der Verhandlung 
bereits abgebrochen hatte, noch kälter machen könnte. Indem trotzdem 
daran festgehalten wurde, weil sie für uns Sinn machte, wurde sie nicht 
nur von den meisten anwesenden Harragas geteilt, sondern hat sie auch 
ermöglicht, die ganze im Gymnasium angestaute Wut und Frustration gegen 
eine Polizeipatrouille ausbrechen zu lassen, die gerade dabei war, 
Supermarktdiebe zu verhaften. Sie konnte auf der Strasse vor den Augen 
aller den Unterschied aufzeigen zwischen unglücklichen Armen, die in 
Erwartung einer institutionellen Lösung vor sich hin vegetieren, und 
Revoltierenden, die gegen das Bestehende etwas anderes als eine 
Forderung nach Papieren oder nach Unterkunft zu bekräftigen haben, 
insbesondere einen gewissen Sinn für Solidarität. 
Für uns ist die 
Selbstorganisation nicht nur eine Methode, die es erlaubt, in Richtung 
von mehr Autonomie zu gehen, sie ist auch die konkrete Möglichkeit, in 
jedem Moment in Richtung von mehr Konfliktualität zu gehen, während man 
ohne die üblichen Mitverwalter des Elends auskommt. Sich nach seinen 
Perspektiven und Verlangen zu organisieren und dabei das Eingehen von 
Risiken zu akzeptieren, die diese mit sich bringen, ist also auch eine 
Art und Weise, sich nicht auf das Joch des Gesetzes zu beschränken. Um 
nur ein Beispiel zu machen: Auf diese Weise konnten sich Individuen, die
 45 Tage Ausschaffungshaft und dann eine Hin- und Rückfahrt 
Frankreich-Italien riskierten, und andere, die mehrere Monate Gefängnis 
riskierten (weil sie unter richterlicher Kontrolle standen oder grosse 
Prozesse vor sich hatten), über gemeinsame Besuche in leerstehenden 
Häusern oder die Konfrontation mit den Bullen (bei Demonstrationen oder 
während Zwangsräumungen) einig werden. Auch hier war es glücklicherweise
 so, dass die Individuen nicht nur von ihrer materiellen oder 
rechtlichen Situation bestimmt sind, und dass die Solidarität, die 
Neugierde und die Lust nach der Vertiefung der gegenseitigen Kenntnisse 
die anfänglichen Verhältnisse übersteigen und neu definieren können. 
Ein Kampf, um was zu tun? 
Wenn
 wir am Anfang dieses Textes davon sprachen, nach Momenten des Bruchs zu
 streben, dann bedeutet das natürlich, dass man im Alltag versucht, 
autonome Projektualitäten innerhalb der Konfliktualität auszuarbeiten, 
aber auch, dass gewisse Teilkämpfe zusätzliche Gelegenheiten ergeben 
können, um dies zu tun, indem sie sich vielleicht in Momente der offenen
 Revolte gegen einen Teil des Bestehenden verwandeln. Von einem 
bestimmten Punkt aus zu starten, um zu versuchen, daraus ein soziales 
Problem zu machen, läuft zunächst darauf hinaus, die Situation zu 
analysieren, dann, wenn wir der Ansicht sind, dass der Raum ausreichend 
ist, zu intervenieren, um unsere Ideen darin zu beleben und Methoden 
vorzuschlagen (Selbstorganisation, Angriff, permanente Konfliktualität 
mit den Autoritäten), die, indem sie sich innerhalb der Widersprüche des
 berühmten Proletariats entwickeln, eben in diesen Momenten des Bruchs 
münden könnten. 
Einen gemeinsamen Parcours mit Revoltierenden zu 
vertiefen, die sich untereinander kaum kennen, die im ersten Moment über
 wenig Ressourcen (Geld, gültige Papiere, Unterkunft, Stadtkenntnisse, 
Sprache), das heisst, über wenig Autonomie verfügen, könnte schwieriger 
als gewöhnlich erscheinen, aber das würde heissen, zu vergessen, dass 
viele reich an etwas viel wertvollerem waren: einer Erfahrung im 
Zurechtfinden in der informellen Ökonomie unter der Diktatur von Ben 
Ali, und vor allem, für einige, die Erfahrung einer kürzlichen 
Volksauflehnung, gefolgt von Revolten in den italienischen Lagern, um 
bis nach Paname zu gelangen. Etwas unverblümter gesagt, schien es uns 
nicht absurd, uns in diesen Kampf, der auf autonome Weise (ausserhalb 
der üblichen Vermittlungen) begann, hineinzubegeben, um darin Vorschläge
 zu machen, trotz der Unterschiede der Bedingungen oder des Erlebten 
(die nationalistischen oder religiösen Aspekte, die manchmal bei 
Gelegenheit aufkamen). So gesehen konnten sich zwei Auffassungen des 
Kampfes kreuzen: die Lösung von materiellen Problemen wie Unterkunft 
oder Papiere durch die Kreierung eines Kräfteverhältnisses, das imstande
 ist, den Staat dazu zu zwingen, der Bewegung teilweise Befriedigungen 
zuzugestehen (x Regularisierungen, y Unterbringungen) oder die 
Entwicklung einer sozialen Konfliktualität, zwar ausgehend von 
bestimmten Fragen, aber sich an alle richtend. Die Perspektive besteht 
also nicht mehr darin, mit dem Feind etwas auszuhandeln, während man 
besonders darauf achtet, nicht durch vorschnelle taktische 
Entscheidungen eine Position als glaubwürdige Verhandlungspartner zu 
verlieren, sondern darin, innerhalb des Antagonismus einen Dialog zu 
eröffnen, indem wir antiautoritäre Methoden und Perspektiven, in 
Richtung einer gemeinsamen Revolte auf ebendiesen Grundlagen, 
entwickeln. Noch einmal, die Idee besteht nicht darin, mit quantitativen
 Zielen zu beginnen (mit allen Harragas zu kämpfen, ein Maximum an 
solidarischen Individuen miteinzubeziehen), sondern einen Teilkampf 
aufzubauen, dessen eigene Qualitäten es ihm ermöglichen, sich mit 
anderen bereits anwesenden Kämpfen, Individuen oder Antagonismen, die 
danach streben, das Bestehende in Frage zu stellen, anstatt es 
umzugestalten, in Dialektik zu stellen. 
Die Frage der Methode ist in
 diesem Fall nicht nur ein blosses Synonym für „Form“, sondern umfasst 
teilweise bereits den Inhalt, das heisst, die Möglichkeit, eine 
Veränderung der sozialen Verhältnisse in Richtung einer anderen Welt 
auszuprobieren. Um ein Beispiel zu machen, könnten wir noch einmal auf 
die drei qualitativen Kriterien zurückkommen, die wir weiter oben 
angesprochen haben. Die Selbstorganisation ist sicherlich das, was es 
einem jeden erlaubt, das auszudrücken, was er ist und wonach er strebt, 
ohne Gleichmachung durch den Konsens, das Kollektiv oder die Mehrheit, 
aber sie ist auch die Möglichkeit, auf oft schmerzhafte Weise mit 
Beziehungen ohne Führer und Geführte, ohne Verhandlungen und Autoritäten
 zu experimentieren. Die permanente Konfliktualität ist sicherlich jene 
Spannung in Richtung einer direkten Wiederaneignung aller Aspekte des 
Lebens, aber sie ist auch das Experimentieren mit Kräfteverhältnissen 
und der Vertiefung der Kritik gegen die verschiedenen Facetten der Macht
 (einschliesslich der demokratischen und linken). Was den Angriff 
betrifft, so handelt es sich nicht nur um eine freudige Befreiung der 
bösen Leidenschaften gegen alle Hindernisse auf den Wegen der 
Emanzipation, sondern so ist er auch die Erforschung der verstreuten 
Zahnräder der Herrschaft, indem man an all ihren Fäden zieht, und eine 
praktische Übung, die ab jetzt darauf abzielt, Praktiken von direkter 
Aktion (Enteignung, Sabotage) gegen den Staat und das Kapital breiter zu
 teilen und damit zu experimentieren. Diese Aspekte bleiben sicherlich 
ein Entwurf, und nur mit dem antiautoritären oder anarchistischen Traum,
 der sie begleitet, erhalten sie ihren wirklichen Sinn. Aber dies ändert
 nichts daran, dass der Versuch einer Bilanz im Bereich eines 
Teilkampfes unserer Ansicht nach vor allem auf diesen Dimensionen 
beruht, das heisst, vielmehr auf dem, was bleiben kann, wenn er einmal 
erlöscht ist, als auf der parasyndikalistischen Arbeit à la Sisyphus, 
alle materiellen Probleme eines nach dem anderen zu lösen, koste es was 
es wolle. 
Noch einmal, wir können hier nur über das diskutieren,
 was nicht geschehen ist, und es kann jeder leicht das Seil auf seine 
Seite ziehen. In einer zweideutigen Parole wie „Papiere für alle oder 
gar keine Papiere mehr“ werden die einen die Bekräftigung einer 
Unterdrückung des Bestehenden (die Papiere, die uns dem Staat 
unterwerfen), anstelle einer Spannung in Richtung der Negierung dieser 
letzteren sehen, und andere eine Forderung, um alle Sans-Papiers in ein 
und demselben Kampf anzusammeln, anstelle eines Schrittes in Richtung 
einer Überwindung dieser Frage. Es ist übrigens nicht ohne Grund, dass 
aus dieser Parole später manchmal „Freiheit für alle, mit oder ohne 
Papiere“ wurde. In den schnellen und aufeinanderfolgenden Räumungen der 
verschiedenen besetzten Orte werden die einen ein Scheitern der Methode 
(nicht genügend Kompromisse mit der Stadtverwaltung, zuviel 
Zurückweisung der linken Kräfte), die anderen die Sackgasse einer 
radikalen Bewegung sehen, die versucht, Ziege und Kohl zu bewahren****, 
indem sie einerseits besetzt, um andererseits besser verhandeln zu 
können, während man sich zu sehr auf die kollektiven und materiellen 
Aspekte konzentriert, um nicht die offensiven und/oder zerstörerischen 
Dimensionen im öffentlichen Raum zu nähren. Schliesslich werden in der 
(vielleicht schwachen, aber schwerwiegenden) Präsenz von Mitgliedern von
 Vereinen, Parteien oder religiösen Cliquen die einen eine 
unvermeidliche Konsequenz der Ausweitung auf alle (und somit auf jeden 
x-beliebigen) sehen, während sie die anderen als ein Hinderniss für die 
Selbstorganisation und als Reproduktion von Versammlungen nach dem 
Abbild von Miniparlamenten analysieren werden, in denen alles 
gleichbedeutend ist, weniger basierend auf radikalen Ideen und 
Perspektiven als auf der illusorischen Vereinigung von politischen 
Kräften, die daran interessiert sind, ein Problem zu lösen. 
Ja, 
einige Kameraden nahmen an den paar Sitzungen Teil, welche die 
Stadtverwaltung bereitwillig zugestand, um über die Gewährung eines 
Ortes zu verhandeln, aber andere – unnötig, das zu bestreiten, auch wenn
 der Stadtradt von Paris dies als Vorwand benutzte, um die Räumung der 
Avenue Bolivar 51 zu rechtfertigen – dachten, dass es die Besetzung von 
Orten und ihre Verteidigung innerhalb einer Konfliktualität sind (von 
den Autoritären auf die „Konfrontation mit den Ordnungskräften“ 
reduziert), wodurch man diesen Kampf beleben konnte. Ja, einige dachten,
 dass sich der Begriff eines Kräfteverhältnisses auf einer zählbaren 
Grundlage bildet, während sie sogar verteidigten, dass es 
„kontraproduktiv“ war, Medien, Parteien und Vereine vor der Tür des 
Bolivar-Squats (das heisst, auch ausserhalb der Versammlung) zu lassen, 
aber andere dachten nicht nur, dass dies eine minimale Bedingung ist, um
 auf autonome Weise zu diskutieren, sondern, dass sich ein 
Kräfteverhältnis auch gegen sie richtet, indem sie sich direkt an all 
jene wendeten, die sie bereits als Rekuperateure und Feinde betrachten, 
und nicht an eine vage öffentliche Meinung. 
Zur Schlussfolgerung 
Wenn
 der Faden, der uns durch diesen ganzen Text geleitet hat, jener der 
Intervention in die Kämpfe ist, können wir nun versuchen, daraus einige 
partielle Schlussfolgerungen zu ziehen. Ohne auf die umrissenen Punkte 
über den Unterschied zwischen Teilkämpfen und Revolten, Verhandlung und 
permanenter Konfliktualität, Selbstorganisation, um Bedürfnisse zu 
Befriedigen, oder, um in Richtung von Momenten des Bruchs zu gehen, 
formeller kollektiver Zentralisation und Koordination von 
Affinitätsgruppen zurückzukommen, würden wir gerne ein letztes Element 
anfügen. 
Das Interesse an diesen Zeilen liegt für uns nicht darin, 
eine Bilanz zirkulieren zu lassen, die jener, die ein Teil der radikalen
 Bewegung von Paris gemacht haben mag, entgegengestellt ist, und auch 
nicht darin, einen Kampf zu verherrlichen, der, alles in allem, seine 
Potenziale nie im einen oder anderen Sinne entfalten konnte. Indem wir 
aber anwesende Elemente, Bruchlinien oder offene Fährten hervorheben, 
würden wir gerne einige Überlegungen verdeutlichen, die dieses 
Frühlingsende 2011 durchqueren konnten, und gleichzeitig kritische 
Reflexionen über die Frage der Intervention innerhalb eines bestimmten 
Kampfes weitergeben. Denn diese letztere Möglichkeit versteht sich nicht
 von selbst und man könnte sich auch andere Wege vorstellen, die sich 
mehr daran festmachen, vorher wie nachher, daneben oder von aussen zu 
intervenieren, Möglichkeiten, die ihrerseits breite Ausführungen 
verdienen würden. Um nur ein Beispiel zu machen, so sind einige 
Kameraden unmittelbar von diesem Kampf zu jenem der sogenannten Sorins 
übergegangen (die Besetzung eines Gebäudes in Bagnolet durch ein 
Kollektiv von Maliern, um eine neue Unterbringung zu erhalten), ohne 
dass uns diese Verknüpfung offensichtlich scheint. Ehrlich gesagt, sein 
nicht sehr konfliktreicher Charakter, gebunden an das Gewicht der 
Delegierten sowie an die starke Präsenz von karitativen 
Vereinsmitgliedern aller Art, seine Organisationsweise, die jegliche 
Solidarität den taktischen Entscheidungen der Besetzer unterordnete, 
sein Ziel selbst (ausschliesslich ausgerichtet auf eine neue 
Unterbringung durch die Verhandlungen mit der Macht) schien uns keinen 
Raum für eine autonome Intervention in seinem Innern zu lassen. In 
dieser Art von Fällen, wenn sich ein Teilkampf entwickelt, aber auch de 
facto mit einer Projektualität zusammentrifft, die schon vor ihm 
existierte (beispielsweise in Bezug auf ein Quartier oder ein Thema), 
kann man sich zumindest Fragen über die Palette der 
Interventionsmöglichkeiten stellen, anstatt sich immer auf die gleiche 
Weise in sie zu stürzen, in einer Art aktivistischem Reflex à la „besser
 als nichts“: 
Es scheint uns ausserdem auch, dass, wenn der Bruch 
mit der Normalität, per Definition, eine soziale Tatsache ist, die 
revolutionäre Intervention innerhalb der Teilkämpfe jedoch nicht 
automatisch sein kann. Je nach Analyse der bestehenden Konfliktualität 
und Untersuchung der konkreten Möglichkeiten, die sie birgt, treffen 
viele Anarchisten oft die Entscheidung, ausserhalb zu bleiben und 
anderen Wegen folgend die Begegnungen und Vertiefungen zu begünstigen. 
Der bekannteste unter ihnen ist der spezifische, das heisst, auf unserer
 Initiative, auf unseren Grundlagen und mit unseren Methoden lancierte, 
und im Allgemeinen gegen eine Struktur oder eine bestimmte Schädlichkeit
 geführte Kampf (den Bau eines Ausschaffungsknastes, eines 
Kernkraftwerks, einer Waffenfabrik, einer Verbrennungsanlage,....). Der 
zweite ist die Intervention in Situationen der Revolte gegen das 
Bestehende, wie die Aufruhre in England in den 80er Jahren oder die 3 
Wochen im November 2005 hier, oder auch in einen Kontext von 
verbreiteter Revolte wie jener der 70er Jahre in Italien oder das, was 
in Griechenland bereits seit einiger Zeit passiert. 
Es stimmt, dass 
die Teilkämpfe oft wenig geeignet sind, um darin einen subversiven 
Inhalt zu entwickeln, und noch weniger, wenn wir uns ihnen unterwegs 
anschliessen, in einem Moment, in dem sie durch die ganze formelle oder 
informelle Bürokratie schon teilweise erstarrt sind. Trotz seiner 
Grenzen ist also einer der Gründe, die uns dazu angetrieben haben, auf 
den Kampf mit den Harragas in Paris zurückzukommen, gerade die Tatsache,
 dass wir darin, neben anderen natürlich und nicht immer Nahestehenden, 
in der Initiative sein, und somit darin teilweise konkret mit 
anarchistischen Methoden und Inhalten experimentieren konnten, und auch,
 weil er vom Anfang bis zum Ende offen blieb. Dieses Experimentieren mit
 einer sozialen Konfliktualität zwischen Gefährten und Revoltierenden 
ist in dieser Form vielleicht nicht generalisierbar oder reproduzierbar,
 doch nichtsdestoweniger stellt es ein Rüstzeug in Sachen Möglichkeiten 
dar, das jeder, hier oder anderswo, vertiefen und diskutieren kann. 
1
 Harraga. Dieser mündliche arabische Ausdruck, der ebenso auf tunesisch 
wie auf algerisch verstanden wird, bedeutet „Durchbrecher“ wie „jemand, 
der die Grenzen durchbricht“. Es ist ein abwertendes Synonym für einen 
„illegalen Migranten“, das nach und nach auch im Positiven zum Abbild 
jener Sans-Papiers wurde, die entschlossen sind, alle Hindernisse zu 
überwinden. 
2 Plakat Welche Freiheit?, Paris, Ende Januar 2011 
3
 Siehe hauptsächlich Harragas, Beilage zu Pourquoi pas?, Paris, Juli 
2011, 2 Seiten, beidseitiges A2. Eine Übersetzung der darin publizierten
 Chronologie findet sich in dieser Broschüre unter "Dokumente aus dem 
Kampf". 
4 Ein Artikel über den genaueren Vorgang der Räumung, 
publiziert in der Zeitung Harragas, findet sich in dieser Broschüre 
unter "Dokumente aus dem Kampf". 
5 Ein Klima, das seinerseits an 
vielerlei Faktoren gebunden war, wie die materiellen Bedingungen (ein 
einziger grosser Raum, um zu schlafen, sich auszuruhen, zu diskutieren 
und sich zu versammeln, die Unmöglichkeit, zusammen das beschaffte Essen
 zu kochen...), die Erschöpfung und das legitime Misstrauen unter 
Individuen, die sich nicht genügend kennen, der Mangel an Erfahrung mit 
Selbstorganisation im Innern und mit Strasseninitiativen draussen, das 
nicht-Weitergeben der laufenden Kampferfahrung an den Zufluss von neuen 
Ankömmlingen im Gymnasium. 
6 Was zur Besetzung der Rue Bichat 
führte, die gleichzeitig dazu gedacht war, eine selbstorganisierte 
Unterkunft für um die 30 Harragas und ein gemeinsamer Raum zu werden, um
 die Offensive weiterzuführen. 
7 „Die Kontakte vor Ort wurden sehr 
erschwert durch die Präsenz von militanten anarchistischen oder 
radikalen Kollektiven, die es bevorzugten, die Aktion und das Engagement
 der Stadt und der Vereine schlechtzumachen, statt die tunesischen 
Staatsangehörigen zu begleiten und ihnen wirklich zu helfen. Sie haben 
eine schwere Verantwortung auf sich genommen, indem sie diese letzteren –
 abgesehen von etwa einem Dutzend, die gestern Abend akzeptiert haben, 
sich einer Unterkunftsstruktur anzuschliessen – dazu verleitet haben, 
auf dem Platz zu bleiben, und indem sie sie explizit dazu ermutigt 
haben, sich mit den Ordnungskräften zu konfrontieren“. 
8 Im 
besetzten Gebäude bei Bolivar ist diese Frage mehrere Male aufgetaucht. 
Die gemeinsame Versammlung hat mehrmals entschieden, dass die Medien 
nicht hereinkommen (was einige Harragas oder Solidarische nicht davon 
abhielt, Interviews zu geben, aber ausserhalb des Ortes und als 
Einzelpersonen), und dass die aussenstehenden Personen eintreten können,
 aber ihre Pins, Badges und anderen Gewerkschafts- oder Vereinsbanner 
ablegen müssen. Die Türe wurde ständig gemeinsam zwischen Harragas und 
Kameraden gehalten. Diese Position ist im Allgemeinen in den Kämpfen von
 Sans-Papiers nicht selbstverständlich und auch nicht in den 
spezifischen Kämpfen der Pariser Bewegung. 
* Paname ist ein Übername, der umgangssprachlich verwendet wird, um die Region von Paris und seinen Banlieues zu bezeichnen. 
**
 Die „Village du Jasmin“-Messe präsentierte diverse Aussteller der 
Tourismusbranche, des Kunsthandwerks, lokale Produzenten und Künstler 
und wurde auf Initiative des Bürgermeisters von Paris lanciert, mit dem 
Ziel, die touristischen Aktivitäten im „neuen Tunesien“ wieder 
anzukurbeln. 
*** Verein für Hilfe und Begleitung bei Unterbringung 
und gesellschaftlicher Eingliederung sowie medizinisch-soziale 
Anlaufstelle. 
*** „ménager la chèvre et le chou“ ist eine Redewendung, die ursprünglich von einem alten 
Rätsel abstammt, bei dem es Ziege, Kohl und Wolf mit einem Boot auf die jeweilige andere 
Flussseite zu bringen gilt, ohne dass sie sich gegenseitig auffressen. Es will in etwa heissen, auf 
umständlichen Wegen zwei deutlich unversöhnliche Dinge erreichen zu wollen 


Diskussion + Übersetzung
Zu dem Text gibt es eine Diskussionsveranstaltung im Fermento in Zürich:
https://switzerland.indymedia.org/de/2013/07/90145.shtml
Sie wurde auf den 7. September, 20h, verschoben:
https://switzerland.indymedia.org/frmix/2013/08/90357.shtml
Dort steht, dass der Text eine Übersetzung ist - kann jemand das Original als Übersetzung hier veröffentlichen?
Original
Der Originaltext "Discurs sur la methode. La lutte avec des harragas à Paris"
in der folgenden Zeitschrift : "Subversions, Revue anarchiste de critique social, Nr.1, September 2012".
Die Zeitung gibt's meines Wissens nicht im Internet. Hier Infos: http://www.non-fides.fr/?Sortie-de-Subversions-revue,2265